Waschen, schneiden, föhnen (eBook)

Eine Kulturgeschichte des Haars

(Autor)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
167 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-75819-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Waschen, schneiden, föhnen -  Maria Antas
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Ob die Perücke der Pompadour, der Afrolook von Angela Davis, die Pilzköpfe der Beatles, der Irokesenschnitt der Punks, der Bob der Karrierefrau oder das unter dem Kopftuch versteckte Haar - Maria Antas unternimmt einen Streifzug durch die Kulturgeschichte des Haars und führt uns durch verschiedene Zeiten, Länder und Kulturen, langweilig wird uns dabei nie.

Welche Frau hat nicht schon einmal mit ihrer Frisur gehadert, so auch Maria Antas, deren blondes Haar schon immer zu fein war, um es zu der wilden Mähne jener Hollywood-Schauspielerin hoch zu trimmen, die sie als junges Mädchen für ihre Haarpracht so bewunderte. Nichts half, weder Lockenwickler, Föhn noch Dauerwelle. Wozu also die ganze Schönheitsindustrie? Am Ende hat sich auch die Haarmode in Hollywood verändert, und Maria Antas hat sich mit ihrer Frisur versöhnt.



<p>Maria Antas, geboren 1964, lebt in Berlin und, mit ihrer Familie, in Helsinki. Die Literaturwissenschaftlerin, Schriftstellerin und Journalistin war lange Jahre Projektleiterin bei FILI (Finnish Literature Exchange). 2013 erschien im Insel Verlag <i>Wisch und weg</i>. <i>Ein Buch &uuml;ber das Putzen</i>.</p>

Maria Antas, geboren 1964, lebt in Berlin und, mit ihrer Familie, in Helsinki. Die Literaturwissenschaftlerin, Schriftstellerin und Journalistin war lange Jahre Projektleiterin bei FILI (Finnish Literature Exchange). 2013 erschien im Insel Verlag Wisch und weg. Ein Buch über das Putzen. Ursel Allenstein, geboren 1978 in Frankfurt am Main, studierte Skandinavistik, Anglistik, Germanistik und Neuere Deutsche Literaturwissenschaft in Frankfurt am Main und Kopenhagen. Seit 2009 lebt sie als freie Übersetzerin für dänische, schwedische und norwegische Belletristik in Hamburg.

VOR DEM BADEZIMMERSPIEGEL


Ein ruhiger und zweiflerischer Moment


Ich stehe vor dem Badezimmerspiegel, ich sehe mich und sehe mich doch nicht. So ist es fast jeden Morgen, wenn ich mich frisiere und schminke. Mein Blick weiß ja schon, was ihn erwartet; er kennt meine Gesichtszüge in- und auswendig, kann sich stattdessen gedankenverloren nach innen richten, schwebt zwischen dem langsamen Müßiggang nach dem Aufstehen und der ebenso langsam erwachenden Lust auf den Arbeitstag.

Ich brauche mich nicht zu sehen, meine Hände bewegen sich wie von selbst. Greifen kleine Pinsel und Bürsten, runde Lippenstifte, verteilen eine Tagescreme, die vergrößerte Poren und rote Flecken kaschieren soll. Die Finger der einen Hand umschließen den Griff des Föhns und die der anderen den Griff einer Bürste. Das Haar soll gezähmt werden; ich beginne mit der linken Kopfhälfte, gehe dann zum Nacken über, wohl wissend, dass ich erst meinen Pony in Form blasen müsste, bevor er von selbst trocknet. Aber die automatisierten Bewegungen sind stärker als der bewusste Plan, der kurz in meinem Kopf aufblitzt und den mein Friseur dort verankert hat.

Das Licht über meinem Gesicht ist unvorteilhaft und außerdem unzureichend. Die Leuchtröhre über dem Badezimmerschrank steckt hinter einer Schutzhülle aus Plastik; die Wärme von innen hat sie gelb verfärbt, sie müsste ausgetauscht werden.

Am Ende noch Haarspray über das Haar und Puder aufs Gesicht.

Hier stehe ich, ohne mich selbst zu sehen und glaube trotzdem, ich würde mich für andere sichtbar machen. Ich hege und pflege mein Haar ganz so wie immer, doch plötzlich unterbreche ich mein Morgenritual. Wie fühlt sich mein Haar an den Fingerspitzen an? Kann ich mit meinen Verrichtungen nicht einen Moment innehalten und wahrnehmen, was da entsteht oder schon entstanden ist? Denn meine Föhnfrisur ist vergänglich, nur ich sehe sie im ursprünglichen Zustand. Sobald ich Föhn und Bürste wieder an ihren Platz lege, geht sie ihrer Verwandlung und ihrem Untergang entgegen. Ja, hier muss ich innehalten, muss die Bürste auf der Kopfhaut spüren, den wärmenden Föhn. Ich muss die Verwandlung sehen.

Vor ein paar Jahren schrieb ich ein Buch über das Putzen, auch das eine automatische Verrichtung, die andere nicht wahrnehmen und die zugleich bestimmt ist von überlieferten oder erlernten Ritualen, die mit Erinnerungen verbunden sind. Meine putzenden Hände, die Hände im Haar, sind meine Verbindung zur Außenwelt. Und trotzdem bin ich viel zu oft automatisiert und blind gewesen. Meine Hand hält inne, ich sehe mir in die Augen und versuche die beunruhigenden Gedanken zu fassen, die zwischen den Neuronen in meinem Gehirn hervorschnellen. Ich weiß ja, warum ich die automatischen Bewegungen übernommen habe, ich habe die Augen verschließen wollen. Denn ich weiß: Ich versuche schon so lange, mein Haar zu etwas zu trimmen, was es nicht sein will, versuche, es voller aussehen zu lassen, als es ist. Meine Hand war nicht nett zu mir, ganz und gar nicht.

Das Bedürfnis, Nähe zwischen uns und unserem Körper herzustellen, ist tief in uns verankert, selbst wenn wir dies dadurch bewerkstelligen, dass wir unbewusst Sachen anziehen, die eher bequem sind als sexy oder jeden Tag unser Haar bürsten, ohne uns dabei im Spiegel zu betrachten. Indem wir gedankenverloren und routiniert den eigenen Körper berühren, versetzen wir ihn in jeden neuen Tag und in eine ruhige oder qualvolle Nacht. Unsere Fingerspitzen besitzen mehr Tastrezeptoren als jeder andere Teil des Körpers. Außerdem haben die Nervenenden an den Fingerspitzen eine Qualität, die sich von anderen Sensoren unterscheidet, sie sind mit jenen Bereichen des Gehirns verbunden, die Hormone produzieren und mit Wohlbefinden und stillem Glück verbunden werden. Berühren wir unseren Körper, unsere Haare, rauschen die Gefühle mit uns davon, nicht wie in einem Drogenrausch, sondern eher gedämpft, so wie jetzt: im Schnitt zwischen Morgen und Tag oder zwischen Abend und Nacht, wenn wir unsere Gesichter waschen, unsere Haare kämmen und Ruhe vor dem Schlaf finden wollen.

Es ist Morgen, und nach der alltäglichen Begegnung zwischen Fingern und Kopfhaut im Badezimmer wartet draußen eine große Welt der Begegnung mit vielen Menschen auf mich. Ich trete auf die Straße, komme an meinen Arbeitsplatz, muss mich mit meinem Körper in den nicht mehr privaten Raum einordnen. Schon auf dem Weg dorthin habe ich mich verändert. Die persönlichen Gefühle vor dem Badezimmerspiegel trage ich in meinem Inneren. Von außen beobachte ich mich selbst und passe auf, dass ich keine ungeschriebenen Gesetze breche – durch fettige Haare oder zu viele Schuppen auf meinen meist schwarzen Kleidern. Inzwischen bin ich nicht mehr eins und heil, sondern doppelt und gespalten.

Doch genau dort, im Spalt zwischen meinen beiden Ichs, erkenne ich eine Möglichkeit. Es ist an der Zeit. Ich stehe wieder auf. Ich will wissen, warum ich meinem Haar gegenüber immer so zögerlich war und solche Schwierigkeiten hatte, es zu respektieren. In diesem Spalt entsteht ein Durchzug. Ich sehe die anderen Menschen nur schemenhaft, Frisuren, Farbe und Form aber sehe ich deutlich. Wie bringt ihr zustande, was mir nicht gelingt?, möchte ich ihnen zurufen.

Die alltäglichen Schönheitsrituale und -normen waren immer schon Gegenstand von Kritik und Hohn. Ich kann bestätigen, dass schon die alten Römer (vgl. Tacitus, ich weigere mich, seine Bemerkungen über die Haarmode zu zitieren, sie sind so verächtlich) diese Kunst beherrschten. Wer Make-up auflegt, ist im schlimmsten Fall ein Opfer von Gehirnwäsche. Zu den größten Mythen gehört, dass Feministinnen und lesbische Frauen per se kurzhaarig und ungeschminkt sind.

Die Trends und Haarikonen der Geschichte wurden kanonisiert, es gibt selbstverständliche Fixpunkte für die endlose Diskussion über Schönheit, flüchtige Macht und oft auch Untergang. Die französische Königin Marie Antoinette und ihre Perücken etwa haben Kulturforscher, Regisseure und Schulbuchverfasser gleichermaßen fasziniert. Marilyn Monroes blondes Haar wurde seit den 1950er Jahren unaufhörlich von allen Seiten analysiert. Auch Coco Chanel wurde mit ihrem Pagenkopf zu einer Ikone. Beyoncé und ihre Haargebilde sind regelmäßig ein Thema in den Lifestyle-Magazinen. Und dann haben wir noch all die namenlosen Fotomodelle, deren einzige Aufgabe es ist, Ikonen ihrer selbst zu werden und die Vorstellung einer schönen Frau zu verkörpern; sie ballen sich zu einer anonymen Masse zusammen, verheddert in ihren langen Beinen und ihrem langem Haar, das zum Teil ihre Gesichter verdeckt, alle so skulptural und schön.

Möge ich immer so gesund bleiben, dass ich meinen Körper weiter spüre, er ist meine Existenzgrundlage. Einige Male schon habe ich das Gefühl in meinem Körper verloren. Nicht im ganzen Körper, nur in einem Teil davon, eine Taubheit, die sich in meinem verrückten Alltag bemerkbar machte. Einmal verlor ich meinen linken Fuß. Er war noch da, ich konnte damit gehen und darauf stehen, doch ich spürte ihn nicht mehr. Jemand hätte mir zwei Zehen abhacken können, und ich hätte ruhig dabei zusehen können, wie das Blut herausströmt. Die Ursache der Gefühllosigkeit befand sich einen halben Meter weiter oben im Körper, im Rücken, der aufgrund eines angeborenen Defekts ein ziemlich unkontrollierbares Eigenleben führt und gern einmal Nerven einklemmt. Nach einer Operation bekam ich den Fuß zurück und pflege seither zu just diesem Körperteil ein besonders liebevolles Verhältnis.

Bei einer anderen Operation passierte hingegen das Umgekehrte. Ich wurde zum dritten Mal am Nacken operiert, und die...

Erscheint lt. Verlag 11.6.2018
Übersetzer Ursel Allenstein
Zusatzinfo Mit zahlreichen Abbildungen
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Original-Titel Hår
Themenwelt Literatur
Sonstiges Geschenkbücher
Schlagworte Friseure • Frisuren • Geschenkidee • Haare • Haarschnitt • insel taschenbuch 4652 • IT 4652 • IT4652 • Kulturgeschichte • Mode
ISBN-10 3-458-75819-4 / 3458758194
ISBN-13 978-3-458-75819-8 / 9783458758198
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