Umbrüche (eBook)

Neues und Altes aus der jüdischen Welt

Gisela Dachs (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
200 Seiten
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag
978-3-633-77779-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Umbrüche -
Systemvoraussetzungen
23,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Wir leben heute in vieler Hinsicht in einer Welt voller Umbrüche, gesellschaftlich, kulturell, politisch, sogar sprachlich. Für die Juden waren solche Zeitenwenden historisch oftmals zweischneidiger Natur - sie konnten Hoffnung auf eine bessere Zukunft geben, bedeuteten aber vielfach auch Unterdrückung.

Dieser Almanach begibt sich auf eine Spurensuche nach jenen Aspekten, die sich mit radikalem Wandel im jüdischen bzw. israelischen Kontext beschäftigen. In den Beiträgen wird unter anderem die talmudische Herkunft des hebräischen Begriffes für Krise beschrieben sowie der Übergang des Hebräischen von einer heiligen zur säkularen Sprache. Darüber hinaus geht es um die dramatischen Veränderungen innerhalb der ultraorthodoxen Welt, um Umbrüche in der Gedenkkultur nach dem Ende der Zeitzeugenschaft oder den veränderten Umgang mit Humor und Religion nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo in Paris, aber auch um die Entstehung einer queeren Kultur in Israel seit den 1950er Jahren.

Mit Beiträgen von Maya Barzilai, Itamar Ben-Ami, Saverio Campanini, Philipp Lenhard, Till von Rahden, Galili Shahar u. a.



Gisela Dachs ist Publizistin, promovierte Sozialwissenschaftlerin und Professorin am Europ&auml;ischen Forum der Hebr&auml;ischen Universit&auml;t Jerusalem. 2016 erschien der von ihr herausgegebene <em>L&auml;nderbericht Israel</em> im Auftrag der Bundeszentrale f&uuml;r politische Bildung. Seit 2001 ist sie die Herausgeberin des J&uuml;dischen Almanachs. Sie lebt in Tel Aviv.

Zu diesem Almanach


In seinem Buch Vom Ursprung und Ziel der Geschichte schrieb Karl Jaspers, dass es ruhige Zeitalter gibt, »in denen zu bestehen scheint, was für immer ist, und die sich selbst als endgültige empfanden. Und es gibt Zeitalter der Wende, in denen Umwälzungen erfolgen, die im äußersten Fall bis in die Tiefe des Menschseins selbst zu dringen scheinen« (1950). Wir leben heute zweifellos in einer Welt voller Umbrüche – sei es in weltpolitischer, gesellschaftlicher, kultureller, technologischer, philosophischer oder sprachlicher Hinsicht. Für Juden waren solche Zeitenwenden in der Vergangenheit oftmals zweischneidiger Natur – sie konnten Hoffnung auf eine bessere Zukunft geben, bedeuteten aber vielfach auch Unterdrückung. Dieser Almanach begibt sich auf eine Spurensuche nach jenen Aspekten, die sich mit radikalem Wandel im jüdischen und israelischen Kontext beschäftigen, historisch und in der Gegenwart. In seinem Eröffnungsessay beschäftigt sich Galili Shahar ethymologisch mit dem Konzept der Krise in Bezug auf den hebräischen Begriff »Mashber«. Der Umbruch wird dabei nicht nur als ein kritisches Ereignis gesehen, sondern als ein Vorgang der Tradition, als Antwort, betrachtet. Der Sprache, genauer gesagt, den gedruckten Buchstaben, widmet sich auch der Text von Nitzan Chelouche, wenn auch aus einer ganz anderen Perspektive. Sie erzählt die Geschichte von Rafael Frank (1865-1920), Kantor in der jüdischen Gemeinde in Leipzig und Entwerfer der weitverbreiteten Schrift Frank-Rühl-Hebräisch, der einst über die langfristigen negativen Auswirkungen der lateinischen Schriftformen auf hebräische Schriften klagte, die er teilweise auf die in Basel, Köln und Prag entwickelten Schriften zurückführte. Später störten sich die Nazis an diesen Druckbuchstaben, die ihnen nicht deutsch genug schienen. Die gotische Schrift musste aus allen Verlautbarungen der Partei, aus Zeitungen und Schulbüchern entfernt werden, da diese »in Wirklichkeit aus Schwabacher Judenlettern« bestünde.

Zu dieser Zeit bricht in Berlin ein heute weitgehend vergessener Architekt auf, um nach Palästina zu emigrieren. Seine Spuren allerdings finden sich an vielen Orten. Es handelt sich um Ossip Klarwein, der in Deutschland evangelische Kirchen gebaut und in Israel die Knesset entworfen hat. Jacqueline Hénard zeichnet seinen Lebensweg nach, der wie das Schicksal seiner gesamten Generation von existenziellen Erschütterungen geprägt war. Zu den deutschen Emigranten gehörten damals auch Pioniere, die später die israelische LGBTQ-Geschichte formen werden. Iris Rachamimov erzählt von dem beispiellosen Kampf der Rina Nathan (1923-1979), die als Mann eingewandert war und sich im jungen Staat Israel die erste geschlechtsangleichende Operation erstritten hat.

Es gibt mehrere historische Daten, die als Wendepunkte der jüdischen Geschichte gelten. Dazu gehört die Schwellenzeit um 1800, als sich die Ständegesellschaft auflöste und die Moderne langsam Gestalt annahm. Für die Juden des deutschsprachigen Europas eröffnete diese Entwicklung gänzlich neuartige Möglichkeiten, für das rabbinische Judentum hingegen evozierten sie eine existenzielle Bedrohung. In ihrem Beitrag konzentriert sich Simone Lässig auf die Frage, welche Strategien die Juden des deutschen Sprachraums seinerzeit zur Bewältigung dieser Umbrüche entwickelt haben, und stellt dabei das Judentum der Schwellenzeit als Ressource von Resilienz und als Experimentierfeld kultureller Innovation vor.

Vielversprechend schien die Märzrevolution 1848, als europäische Völker um nationale Unabhängigkeit, gegen Tyrannei und politische Rechte kämpften. Die jüdischen Erwartungen in das transformative Potenzial des Völkerfrühlings – das dann aber doch nicht eingelöst werden konnte – waren hoch. Klarsicht bewies die Prager Bürgersfrau Amalie Taubels, die dem bürgerlichen Engagement für die Juden nicht traute. Philipp Lenhard verschafft uns Einblicke in ihren von tiefer Skepsis geprägten Briefwechsel mit ihrer Schwester.

Dass Juden im Allgemeinen als Minderheit gelten, die sich von der Mehrheit unterscheidet, ist zunächst einmal eine einfache Rechnung. Darauf bezugnehmend, dient der Begriff der Minderheit etwa als Paradigma, um die jüdische Geschichte in größere Erzählungen der europäischen Geschichte zu integrieren. In seinem Beitrag erläutert Till van Rahden, wie dabei in Vergessenheit geriet, dass das Begriffspaar sich erst in der Umbruchszeit nach dem Ersten Weltkrieg herausgebildet hat, als sich die Ideen der Demokratie und des homogenen Nationalstaats durchsetzten.

Als weitgehend einmalig ist der »Topos Bukowina« in die Geschichtsschreibung eingegangen, auch weil Juden dort zeitweise den Löwenanteil der Bevölkerung gestellt hatten. Das Gebiet, auf dem einst fünf Ethnien friedlich zusammenlebten und das so oft wie kein anderes den »Besitzer« gewechselt hat, galt nicht nur als Inbegriff der Völkervielfalt in der einstigen Österreichisch-Ungarischen Monarchie, sondern stand auch gleichzeitig für die Blütezeit jüdischen Lebens in seiner Hauptstadt Czernowitz. Andrei Corbea-Hoișie geht auf die vielen Umbrüche in der Bukowina ein, die heute in der Ukraine liegt und auch der erste Wirkungsort Paul Celans war.

Wie andere seiner intellektuellen Zeitgenossen, sah Celan später aber weniger im Raum als in der Zeit den Schlüssel zu ihren individuellen und kollektiven Erfahrungen. Anstelle räumlicher Kategorien wie Grenzen, Territorium oder nationale Herkunft verstanden sie wesentliche und temporale Begriffe wie menschliche Endlichkeit, Zeitgenossenschaft, Geburt oder Leben als Antwort auf die dramatischen Umbrüche. In seinem Beitrag konzentriert sich Nitzan Lebovic auf die Rezeption »dreier Wendungen«, die das 20. Jahrhundert prägten – die frühe Zeitenwende der Modernität; die Zeitenwende des Holocaust, und schließlich die jüngste Zeitenwende der 2000er Jahre oder das Zeitalter des Anthropozäns.

Mit der Frage, wie in Deutschland heute an die Schoa erinnert werden soll und welche Herausforderungen damit verbunden sind, beschäftigt sich Anja Siegemund angesichts der neuesten Umbrüche in der deutschen Erinnerungskultur. Dabei geht es nicht nur um das Ende der Zeitzeugenschaft, sondern auch um politische Debatten. In ihrem sehr persönlichen Essay zeichnet sie die Linien einer sich immer mehr zuspitzenden Frontenlage nach, fragt nach alten und neuen Bündnissen und warnt vor einem Kampf ums Zentrum der Erinnerung.

Vivianne Berg wirft in diesem Kontext einen Blick auf die Schweiz, wo man sich in der Öffentlichkeit erst relativ spät, in den 1990er Jahren, zu den Schattenseiten im Umgang mit der eigenen Geschichte bekannte. Seither allerdings haben Publikationen, Ausstellungen und Stadtrundgänge auf für Schweizer Verhältnisse dramatische Weise verdeutlicht, dass man nicht frei von Makel ist.

Anfang 2020 breitete sich weltweit das neuartige SARS-Cov-2-Virus aus. Und so kam es, wie es das schon immer im Umfeld von Krankheiten gab, auch im 21. Jahrhundert zur Verbreitung von Verschwörungsmythen, die sich gegen Juden richten. In seinem Essay zeichnet Gideon Botsch nach, wie dabei antisemitische Codes und Bilder reproduziert wurden, die im Zeitalter der sozialen Medien eine präzedenzlose Reichweite entwickelten.

Ortswechsel nach Israel. Im Januar 2023 war dort, ausgelöst durch eine geplante »Justizreform«, eine breite Bürgerbewegung entstanden, deren Ausmaß sowohl Befürworter wie Gegner überraschte. Die Demonstranten sahen sich als Wegbereiter einer neuen Ära, und viele glaubten, dass es niemals in der Geschichte des Landes etwas Vergleichbares gegeben habe. Ohne diese Einzigartigkeit in Frage stellen zu wollen, verweist Denis Charbit in seinem Essay auf die Kontinuität der Protestbewegungen hin und versucht, die Ereignisse in die bewegte politische Geschichte des Landes einzuordnen. Michael Elm wirft einen soziologischen Blick auf die weitgehend säkulare Protestbewegung, die versucht – bei offenem Ausgang – sich die eigene Heimat neu anzueignen.

Die jüngsten Entwicklungen haben auch zu einer neuen Sichtbarkeit der Ultraorthodoxie in Israel geführt. Mit diesem »charedischen Momentum« befasst sich Itamar Ben Ami in seinem Beitrag. Er beschreibt dabei die Transformation, die die Ultraorthodoxie in Israel erfahren hat, nachdem das streng religiöse Millieu in Europa fast vollständig ausgelöscht worden war. ...

Erscheint lt. Verlag 29.10.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte aktuelles Buch • bücher neuerscheinungen • Charlie Hebdo • Israel • Judentum • Jüdisches Leben • Nahostkonflikt • Neuerscheinungen • neues Buch • queere Kultur • Zeitzeugen des Holocaust
ISBN-10 3-633-77779-2 / 3633777792
ISBN-13 978-3-633-77779-2 / 9783633777792
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 3,5 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Der Machtwandler

von Tobias Blasius; Moritz Küpper

eBook Download (2023)
Klartext Verlag
18,99