Rudolf Virchow (eBook)

Der große Arzt und Politiker
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2015 | 1. Auflage
430 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560727-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Rudolf Virchow -  Manfred Vasold
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Rudolf Virchow (1821-1902) war nicht nur einer der Begründer der medizinischen Wissenschaft, sondern er setzte sich auch immer wieder für Reformen im Gesundheitswesen ein. Er war Mitbegründer der liberalen Fortschrittspartei und als Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses einer der schärfsten Widersacher Bismarcks. Eine von Manfred Vasold spannend erzählte Biographie und zugleich eine Sozialgeschichte Deutschlands im 19. Jahrhundert. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Manfred Vasold, geb. 1943 in Nürnberg, studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Philosophie in den USA und in Frankreich, 1978 promovierte er an der Universität Erlangen. Bis 1981 war er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Verlagslektor tätig, danach freiberuflich als Übersetzer und Publizist.

Manfred Vasold, geb. 1943 in Nürnberg, studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Philosophie in den USA und in Frankreich, 1978 promovierte er an der Universität Erlangen. Bis 1981 war er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Verlagslektor tätig, danach freiberuflich als Übersetzer und Publizist.

Erstes Kapitel Pommern


»Wir sind des festen Glaubens, daß der wahre Bürgersinn
am besten durch genaue Kenntnis der Gegenwart
und Vergangenheit des Vaterlandes wie der Vaterstadt
geweckt werde.«

Rudolf Virchow (1843)

Die Virchows stammen aus Pommern. Im hinteren Teil dieser alten preußischen Provinz, zwischen der Oder und der Weichsel, stößt man auch heute noch in der lieblich gewellten Ebene des Baltischen Landrückens auf Spuren ihres Namens: der Virchow-See erstreckt sich, halben Wegs zwischen Neustettin und Bublitz, inmitten sandiger, kiefernbestandener Wälder von Ost nach West; und an seinem südwestlichen Ufer schmiegt sich eine kleine Ortschaft an den See, die einst Sassenburg hieß; sie trägt heute wieder einen polnischen Namen, Stare Wierzchowo, das heißt Alt-Virchow. Das einstige Dorf Virchow, wenige Kilometer südöstlich von Falkenburg gelegen, oder gut fünfzig Kilometer nordwestlich der alten deutsch-polnischen Grenzstation Schneidemühl, ist gleichfalls umgeben von flachen moorigen Seen und unendlichen Nadelwäldern auf sandiger Flur.

Dort oben, im Nordosten des alten Deutschen Reiches, waren die Virchows zu Hause. Sie sind teils deutschen, teils slawischen Ursprungs, was nicht weiter erstaunen kann, denn jahrhundertelang haben Deutsche und Slawen in diesem Raum Seite an Seite gelebt. Rudolf Virchow leitete den Namen des Dorfes Virchow von Virch, Vircho her; den Namen des Sees von den alten slawischen Formen Wireno, Wurow.[1] Aber geboren ist Rudolf Virchow ein Stück weiter westlich, in Schivelbein, einem kleinen Städtchen in der hinterpommerschen Neumark gelegen, »in einem jener transversellen, der Ostsee parallelen Täler, welche die pommerschen Flüsse … so gern zu bilden pflegen. Die Rega, welche zuerst in nordwestlicher und nördlicher Richtung ihren Lauf genommen …, hat sich mit einer bedeutenden Biegung nach Süden zugewendet, nachdem sie fast an ihrem nördlichen Winkel vor den Überresten des Klosters vorbeigeströmt ist; … (sie) wendet sich eine halbe Stunde vor der Stadt plötzlich nach Westen und durchströmt das ungefähr eine Stunde lange Tal, dessen sanft abfallende, aber ziemlich hohe Ränder nebst dem torfigen Wiesengrund auf eine frühere Seebildung hindeuten. Wo sich das vielfach gewundene Flußbett am meisten gen Westen dem Talrande nähert, liegt das Städtchen, doch so tief, daß man von dem umliegenden Plateau kaum die Kirchturmspitze wahrnimmt.«

Von den Höhen ringsumher »erblickt man die ganze Ebene von Schivelbein mit ihren Dörfern und die Talbildung des Döbritz-Sees. Im Sommer ist diese schöne Stätte mit einer dichten Blumendecke überzogen, und das Auge des Botanikers entdeckt unter dem duftenden Thymian, dem großblütigen Klee der Hügel, der knäueligen Glockenblume, den Centaureen und Senecios auch die selteneren Blüten des Steinbrechs und des Sommerröschens«.[2]

Es ist Rudolf Virchow selbst, der hier erzählt. War Virchow denn nicht Arzt und Politiker, in späteren Jahren auch Ethnologe und Archäologe? Gewiß, das alles war er; aber in seiner ersten Veröffentlichung aus dem Jahr 1843 zeigt er Bilder aus der Geschichte seines Heimatorts Schivelbein an der Rega, zu seinen Lebzeiten ein Ackerstädtchen von gut zweitausend Einwohnern. Warum er darüber etwas geschrieben hat? Als der junge Virchow in Berlin Medizin studierte, wurde von den Medizinstudenten ein Studium generale verlangt; Virchow belegte also ein Kolleg in preußischer Geschichte. Gleich in der ersten Stunde saß er unweit des Katheders, von dem Professor Preuß vortrug. Nun soll Preuß ihn gefragt haben, woher er käme. Virchow: Aus Schivelbein. Preuß: Ob er etwas wüßte über dessen Geschichte. Virchow: Nur das, was man als Kind eben so hört. Preuß: Er solle das doch einmal aufschreiben. Virchow verfaßte daraufhin einige Beiträge über die Geschichte seiner Vaterstadt und ließ sie, den ersten davon anonym, in den »Baltischen Studien« abdrucken, die seit 1832 in Stettin erschienen.

Rudolf Virchows Geburtshaus in Schivelbein.

Die Geschichte Pommerns ist heute etwas in Vergessenheit geraten, und da Virchow aus diesem Land kommt und darüber geschrieben hat, wollen wir uns in seinen historischen Schriften ein wenig umsehen. Natürlich ist schon dem jungen Virchow bekannt, daß er auf altem slawischen Boden aufwächst, der einen slawischen Namen trägt: Pome bedeutet im Altslawischen ›neben‹, ›bei‹, und moriz heißt ›Meer‹; Pommern ist also das Land am Meer. In Flurnamen, Flüssen, Bächen und Seen haben sich unzählige slawische Namen bis in die Gegenwart erhalten – wie denn auch ein großer Teil von Pommern, Pomorze, heute wieder im Besitz slawischer Völkerschaften ist.

Lange bevor deutsche Siedler sich dort niederließen, kam ein Mann der Kirche ins Land, Otto von Bamberg. Er brachte in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts den Pommern das Evangelium. Aber Pommern wurde nicht dem großen Ostbistum Magdeburg zugeschlagen, es blieb zunächst bei Bamberg, bis der Papst Wollin zum Bischofssitz bestimmte. Vor der Erschließung dieses Landes im späten Mittelalter, schreibt Virchow, »war doch vorwaltend alles öde, und die wenigen Weideplätze, das Wild und die Bienen lockten das genügsame, seßhafte Slavenvolk kaum zur Urbarmachung größerer Strecken. In einer Zeit, wo das Holz selbst kein Gegenstand des Interesses war, konnte daher über den Besitz solch rohen Landes wenig Hader und nach ihm wenig Verlangen sein«.[3]

»Das Land Schivelbein, welches am Ende des 13. Jahrhunderts von Pommern zur Neumark gelangt war, wurde 1319 vom Kurfürsten Waldemar an die Familie der Edlen von Wedel und von diesen 1384 an den Deutschen Orden in Preußen verkauft. Der setzte einen Vogt nach Schivelbein, welcher, als 1402 die ganze Neumark von den Deutschherren erworben ward, die Verwaltung dieses ganzen Gebietes übernahm und seitdem den Titel eines Vogts der Neumark zu Schivelbein führte … Wir sehen daher eine Reihe der ausgezeichnetsten Brüder des Ordens als Vögte der Neumark. Ihre selbständige Stellung in einem Lande, welches den Deutschen Orden zwar als Oberlehnsherrn anerkannte, aber fest an seinen alten Rechten und Privilegien hing, scheint ihnen einen gleichen Rang mit den Komturen in Preußen gegeben zu haben, und viele von ihnen stiegen unmittelbar zu den höchsten Gebietiger-Ämtern des Ordens empor. So erscheint in der Mitte des 15. Jahrhunderts Walter von Kirschkorb, gewöhnlich Kerskorf genannt, der, während er von 1423 bis 1428 die Vogtei der Neumark rühmlich verwaltete, schon 1424 Komtur von Danzig wurde. 1434 erhob ihn darauf der Hochmeister Paul von Rußdorf, der sich seines Rates vielfach bediente, zu der hohen Würde eines Großkomturs und 1436 eines Ordenstrappiers und Komturs von Christburg. Wahrscheinlich legte er dies Amt wegen Altersbeschwerden nieder, und der ihm so sehr freundlich gesinnte Hochmeister erteilte ihm als Lohn für seine Treue und Verdienste um den Orden 1440 das Amt Schivelbein mit allem Zubehör. So erscheint er jetzt als Vogt von Schivelbein, aber nicht der Neumark, vielmehr sehen wir neben ihm, zum ersten Male getrennt, als Vögte der Neumark Hans von Stockheim und Georg von Egloffstein.«[4]

»Es waren eben mehrere, für unsere Gegenden und für den Deutschen Orden sehr wechselvolle unheilschwangere Jahrzehnte vergangen. Das erste Dezennium dieses [15.] Jahrhunderts hatte die lange Zeit des segensreichen Wirkens des Ordens für Preußen beendigt; in der Tannenberger Schlacht war seine ganze Blüte gebrochen, und Tage voller Elend und Demütigung gingen über das bedrängte Land … Eben damals aber hatte das Kostnitzer [Konstanzer] Konzil den edlen Huß verbrannt, und seine fanatischen Anhänger trugen das Racheschwert weithin durch die katholischen Länder. Jagiel von Polen, dessen tiefgewurzelter Haß gegen den Orden nur mit Hannibals Römerhaß verglichen werden kann, warb die rohen Scharen der Hussiten und durchzog mit ihnen 1433 die Neumark und Preußen bis ans Baltische Meer, rings unsägliche Öde und niegesehenen Jammer zurücklassend.«[5]

»Nachdem fehlt aber wieder die Kunde bis zum Jahre 1454, wo der Besitz des Landes wechselte. Längst schon hatten der erste und zweite Friedrich, aus dem Hause Hohenzollern, im Besitz der Kurmark Brandenburg, ihre Augen auch auf den Erwerb der Neumark gerichtet, welche von alters her dazugehört hatte. Trotz der dringendsten Verlegenheiten hatte sich der Hochmeister immer gesträubt, dies wichtige Land zu veräußern; allein jetzt war die Lage der Finanzen zu dürftig, die Verbindung innerer und äußerer Feinde zu mächtig, als daß längeres Zögern möglich erschien. Ludwig von Erlichshausen … verkaufte daher 1454 am Freitag Cathedra Petri (22. Februar) die Neumark und bald darnach Driesen und Schivelbein an den Kurfürsten von Brandenburg.«[6]

In Schivelbein wie im ganzen deutschen Osten waren die Bettelorden reichlich vertreten; sie missionierten und predigten vor allem in den Städten. In Schivelbein stand ein Kloster der Kartäuser, und der junge Virchow hat voller Ingrimm über das Leben dieser Mönche geschrieben und das Kommen der protestantischen Reformation freudig gefeiert: »Sie hatten für die Kultur des Landes und die Bildung des Volkes aller Wahrscheinlichkeit...

Erscheint lt. Verlag 15.12.2015
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Anatomie • Anthropologie • Berlin • Biographie • Bismarck • Charité • Deutschland • Ernst Haeckel • Frankreich • Kaiserreich • Katholische Kirche • Kulturkampf • Literaturverzeichnis • Ludwig Büchner • Materialismus • Militär • Oberschlesien • Preußen • Robert Koch • Rudolf Virchow • Sachbuch • Seuchen • Würzburg
ISBN-10 3-10-560727-7 / 3105607277
ISBN-13 978-3-10-560727-5 / 9783105607275
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