Kindliche Aggressivität (eBook)

Theorie und Praxis der konfliktlösenden Erziehung
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
138 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560854-8 (ISBN)

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Kindliche Aggressivität -  Hartwig Röhm
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Hartwig Röhm setzt sich mit der Aggressionsforschung auseinander. Dazu gehören u. a. die Theorien Freuds und Mitscherlichs ebenso wie die von Konrad Lorenz und Hans Zulliger. Darüber hinaus untersucht er die Möglichkeit der Anwendung der Theorien auf die Praxis konfliktlösender Erziehung aller Altersstufen - von der ersten Trotzreaktion des Kleinkindes bis zur pubertären Widerspenstigkeit. Aber Erziehung ist für Röhm nicht zuletzt auch Selbsterziehung des Erziehers. Darum ist sein Beitrag zum Problem der Aggression bei Kindern gleichzeitig auch eine Untersuchung der Aggression des Erziehers. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Hartwig Röhm, geb. 1941, studierte Psychologie in Tübingen und Sonderpädagogik in Reutlingen mit dem Diplomabschluß in Psychologie. Nach der 1. und 2. Staatsprüfung für das Lehramt an Sonderschulen arbeitete er bei einer Erziehungsberatungsstelle und anschließend als Sonderschullehrer. Von 1970-1973 war er wissenschaftlicher Assistent an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, Institut für Sonderpädagogik, später Professor an der Fachhochschule für Sozialwesen in Mannheim.

Hartwig Röhm, geb. 1941, studierte Psychologie in Tübingen und Sonderpädagogik in Reutlingen mit dem Diplomabschluß in Psychologie. Nach der 1. und 2. Staatsprüfung für das Lehramt an Sonderschulen arbeitete er bei einer Erziehungsberatungsstelle und anschließend als Sonderschullehrer. Von 1970–1973 war er wissenschaftlicher Assistent an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, Institut für Sonderpädagogik, später Professor an der Fachhochschule für Sozialwesen in Mannheim.

Aggression – ein spontan-triebhaftes Geschehen


Freud


Von den zahlreichen Entdeckungen FREUDs über die Arbeitsweise des Psychischen gilt heute vieles – nicht nur unter den Psychoanalytikern im engeren Sinne – als erhärtet. Manches wurde durch seine Schülerschaft modifiziert; anderes wurde fallen gelassen oder blieb doch zumindest heftig umstritten. Eine heftig umstrittene Annahme FREUDs stellt das Postulat eines Todestriebes dar. Im ganzen sieht es heute so aus, daß nur noch sehr wenige Psychoanalytiker – etwa MENNINGER (1938) – die Todestriebhypothese für richtig halten. Ein größter Teil läßt neben dem Sexualtrieb einen endogenen Aggressionstrieb als eine zweite energetische Antriebsquelle für das menschliche Verhalten aufrecht. In der gegenwärtigen Psychoanalyse werden allerdings deutliche Tendenzen merkbar, die der Versagungshypothese größere Bedeutung zumessen. So verweist z.B. LOCH darauf, daß aggressiv-destruktive Akte kein »primäres biologisches Bedürfnis oder Ziel« (Loch 1970, S. 256) darstellen, sondern stets im Zusammenhang mit Einschränkung und Versagung der Lebenstriebe zu erklären seien. Der Psychoanalytiker AMMON (1970) hat in seinem Buch »Gruppendynamik der Aggression« ganz entschieden eine Todestrieb- wie eine Destruktionstrieblehre abgelehnt. Aggression ist in seinem Modell eine zentrale Ich-Funktion im Sinne des lateinischen ad-gredi. Aggression, so verstanden, stehe im Dienst der produktiven Selbstrealisation. Sie sei konfliktfrei; ihre Motive seien bewußt. Libido wird als die treibende Kraft, Aggression als die tragende Kraft vorgestellt. Davon streng abzuheben sei die destruktive Aggression, die sinnlos nach außen gerichtete Zerstörung. Diese Aggressionsform wird aufgefaßt als eine »Reaktion auf Frustrierung«[2] (Ammon 1970, S. 5). Sie entspringe dem Konflikt, sei unbewußt motiviert, durch irrationale Momente stigmatisiert. Die Destruktion sei psychodynamisch auf Frustrierungen in frühester Jugend rückführbar und somit ohne Annahme eines Triebes verstehbar.

FREUDs Todestriebhypothese wird 1920 zum ersten Mal ausführlich argumentiert. Von jetzt an verstärkt sich in FREUDs Schriften eine pessimistische Grundauffassung über die menschliche Natur, die in resignierenden Bemerkungen zur Auswirkung des Destruktionstriebes für das menschliche Zusammenleben kumuliert. Es scheint ihm ungewiß, wer schließlich Sieger im Streit der beiden unsterblichen Mächte, Eros und Thanatos, sein wird (Freud 1930). In einer Antwort im Briefwechsel mit EINSTEIN weist FREUD der Vorstellung der Kontrolle des Trieblebens bzw. der Verhinderung von Kriegen mit Hilfe der Vernunft den Rang einer »höchstwahrscheinlich« utopischen Hoffnung zu. Andere Vorschläge zur Verhinderung von Kriegen – wie etwa das Abtreten von Souveränitätsteilen an eine international autorisierte Institution – scheinen ihm zwar gangbare Wege zu sein, er steht jedoch dem Glauben an einen raschen Erfolg solcher Maßnahmen äußerst skeptisch gegenüber. »Ungern denkt man an Mühlen, die so langsam mahlen, daß man verhungern könnte, ehe man das Mehl bekommt« (Freud 1933 d, S. 24).

FREUDs Auffassung über die Natur der Aggression wandelt sich im Laufe seines Lebens. Sein Denken historisch nachvollziehend, lassen sich drei Phasen aufzeigen.

Er behandelt in einem 1. Stadium, in welchem der Schwerpunkt seiner Bemühungen der menschlichen Sexualentwicklung gilt, aggressive Momente sozusagen mit der linken Hand. Aggression spielt in seinem Denken zunächst eine nebensächliche Rolle, die sich im Moment des Sadismus zu verdichten scheint. Im Zuge der psychosexuellen Entwicklung werden sadistische Tendenzen als Aggressionskomponenten der Sexualtriebentwicklung verstanden. So faßt FREUD eine Neigung des Säuglings während der späten oralen Phase zum Beißen als einen Ausdruck oralsadistischer Impulse auf. Er bezeichnet diese Entwicklungszeit als das »oralsadistische Stadium«. In der analen Phase werden sadistische Neigungen, zu verletzen und andere beherrschen zu wollen, durch bemerkenswerte Intensität und Häufigkeit auffällig. In der ödipalen Phase richtet sich die Aggression, die sich bis zu Todeswünschen steigert, vorwiegend auf den gleichgeschlechtlichen Elternteil, den das Kind als Rivalen um die Gunst des heterogeschlechtlichen Elternteils auffaßt. In einem Aufsatz über die infantile Genitalorganisation leitete FREUD (1923 b, S. 291ff) die zum kindlichen Charakter gehörende Grausamkeit von einem Bemächtigungstrieb ab, der die prägenitale Organisation insofern kennzeichnet, als die Hemmung, welche den Bemächtigungstrieb vor dem Schmerz des anderen haltmachen läßt, sich in der Form des Mitleids erst später entwickelt. Ganz im Gegensatz zu seiner späteren Auffassung ist hier der nach außen, auf Objekte gerichtete Sadismus das Primäre vor dem Masochismus.

In einer 2. Periode untersucht FREUD intensiver eine Gruppe von Trieben, die er als Ich- oder Selbsterhaltungstriebe bezeichnet. Das Ziel dieser Triebgruppen ist die Erhaltung der eigenen Person, während die Sexualtriebe in erster Linie auf die Erhaltung der Art ausgerichtet sind. Das Verhältnis der beiden Triebarten ist teilweise gleichgerichtet; zuweilen geraten die beiden Antriebsenergien – FREUD nennt die Energiebesetzung der Sexualtriebe »Libido«, die der Ichtriebe in einer mittleren Epoche »Interesse« – allerdings in scharfen Widerspruch. Die neurotische Erkrankung ist das Ergebnis des Abwehrkampfes der Selbsterhaltungstriebe gegen die das Ich bedrohenden Sexualtriebe. Die elementarsten Selbsterhaltungstriebe sind Hunger und Durst. In der dynamischen Betrachtungsweise des Psychischen spielen diese Triebregungen insofern keine Rolle, als ihr Schicksal eindeutig festgelegt ist, da es keine vielfältigen Modifikationen der Ziele, wie etwa bei den Sexualtrieben, gibt. In dieser Phase wird die Aggressionshandlung nun von FREUD als ein Instrument der Selbsterhaltungsbestrebungen und der Icherweiterungstendenz gedeutet. Die Aggression wird nicht mehr als ein Teil libidinöser Energien verstanden, sondern unter dem Aspekt des Ichinteresses. Objekte, die eine Quelle von Unlustempfindungen darstellen, werden zum Ursprung von Haßrelationen. Die Auffassung von der genetischen Triebfundierung der Aggression wird vorübergehend, zugunsten der Annahme einer nicht-biologischen Aggressionsquelle, die FREUD in der Bedrohung von Wunschregungen sieht, aufgegeben. »Das Ich haßt, verabscheut, verfolgt mit Zerstörungsabsichten alle Objekte, die ihm zur Quelle von Unlustempfindungen werden, gleichgültig, ob sie ihm eine Versagung sexueller Befriedigung oder der Befriedigung von Erhaltungsbedürfnissen bedeuten« (Freud 1915, S. 230). Aggression stellt eine primordiale Reaktion dar, die dann einsetzt, wenn die Grundtendenz des Organismus, Schmerz zu vermeiden und Lust zu gewinnen, gestört wird[3].

In einer 3. Periode wird die Rolle der Aggression mehr als zuvor betont und ihre hervorragende Bedeutung dargestellt. Skizzieren wir kurz, wie es zu dieser Neuorientierung seines Menschenbildes kam.

Bei der Reflexion über den Narzißmus wurde für FREUD (1914) der Gegensatz von Ichtrieben und Sexualtrieben zweifelhaft. Die Selbsterhaltungstriebe erweisen sich in seinem Denken als ursprünglich ebenfalls sexueller Natur. Sie unterscheiden sich in ihren Manifestationen nur dadurch von den Sexualtrieben, daß sie nicht ein äußeres Objekt (Objektlibido), sondern das eigene Ich als Objekt (Ichlibido) haben. »Die Selbsterhaltungstriebe waren also auch libidinöser Natur, es waren Sexualtriebe, die anstatt der äußeren Objekte das eigene Ich zu Objekten genommen hatten« (Freud 1923 a, S. 231). FREUD entwickelte für eine kurze Zeit die Vorstellung eines energetischen Monismus. Es gibt nur eine Form psychischer Energie, die Libido, die sich in zwei Formen – der Objektlibido und der Ichlibido – äußert. Dieser Standpunkt konnte FREUD nicht befriedigen. Seine psychologische Phantasie schien Gegensätze zu benötigen, um produktiv werden zu können. Die »Ahnung von einer Gegensätzlichkeit innerhalb des Trieblebens« (Freud 1933 a, S. 109) fand, denn auch bald durch die Geschehnisse des Ersten Weltkrieges Nahrung. Die Kriegsereignisse zwangen FREUD fortan, das Phänomen der zwischenmenschlichen Brutalität in seinem Menschenbild zu akzentuieren.

1920 formuliert er seine weiträumigen Überlegungen über die beiden antagonistischen Triebgruppen, die das menschliche Leben determinieren. Um es gleich vorweg zu sagen, FREUD sprach im Zusammenhang mit seiner Todestriebhypothese ganz klar von der »Unsicherheit unsrer Spekulation« und der Möglichkeit, daß der ganze »künstliche Bau von Hypothesen umgeblasen wird« (Freud 1920, S. 65). In bescheidener Weise räumt er ein, daß die Zusammenhänge, die er gefunden zu haben glaubte, ihm allerdings der Beachtung würdig erschienen. Man kann nicht so tun[4], als ob FREUD sich des spekulativen Charakters...

Erscheint lt. Verlag 15.12.2015
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Aggression • Aggressionsentwicklung • Aggressionshandlung • Aggressionskontrolle • Aggressionspädagogik • Aggressionstrieb • Aggressionsverhalten • Aggressivität • Disziplinkonflikt • Entwicklungspsychologie • Kind • Kleinkind • Kultivation • Milde • Sachbuch • Trotzphase
ISBN-10 3-10-560854-0 / 3105608540
ISBN-13 978-3-10-560854-8 / 9783105608548
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