Die funktionellen Sexualstörungen (eBook)

Beeinträchtigte Liebesfähigkeit
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2015 | 1. Auflage
250 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560900-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die funktionellen Sexualstörungen -  Werner W. Kemper
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1943 verfasste Werner W. Kemper seine Abhandlung über ?Die funktionellen Sexualstörungen?, die erstmals 1950 erschien und 1974 eine Neubearbeitung und Erweiterung durch den Autor erfuhr. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Werner W. Kemper, Jahrgang 1899, Dr. med., Internist, wurde von 1928-33 noch am alten Berliner Psychoanalytischen Institut zum Analytiker ausgebildet. Bis 1948 war er in psychosomatischer Praxis sowie als Sexualforscher, später auch als Lehranalytiker, Dozent und Gründer eines psychosomatischen Instituts und einer Poliklinik in Berlin und anschließend für zwei Jahrzehnte in gleichen Funktionen in Rio de Janeiro tätig. Er kehrte 1967 nach Berlin zurück, wo er 1976 starb.

Werner W. Kemper, Jahrgang 1899, Dr. med., Internist, wurde von 1928–33 noch am alten Berliner Psychoanalytischen Institut zum Analytiker ausgebildet. Bis 1948 war er in psychosomatischer Praxis sowie als Sexualforscher, später auch als Lehranalytiker, Dozent und Gründer eines psychosomatischen Instituts und einer Poliklinik in Berlin und anschließend für zwei Jahrzehnte in gleichen Funktionen in Rio de Janeiro tätig. Er kehrte 1967 nach Berlin zurück, wo er 1976 starb.

Einführung


Die nervös bedingten mehr oder minder schweren Beeinträchtigungen der Geschlechtsfunktion sind weit verbreiteter, als dies die Durchschnittssprechstunde, zumal die eines vielbeschäftigten praktischen Arztes, ahnen läßt. Sie betreffen beide Geschlechter und – was auch heute immer noch verkannt wird – alle sozialen Schichten des Volkes gleichermaßen. Erfahrungsgemäß ist gleichfalls wenig bekannt, wie schwer der seelische Druck und die sonstigen verhängnisvollen Rückwirkungen derartiger Störungen auf die Gesamtpersönlichkeit wiegen. Insbesondere der Mann fühlt sich beispielsweise bei einer Impotenz »im Mark« seiner Persönlichkeit getroffen. Allgemeine Unsicherheit, charakterliche Unausgeglichenheit, zunehmende Unzuträglichkeiten im Umgang mit den Mitmenschen, Nachlassen der Lebensfreude und der Berufstüchtigkeit, ja sogar manchmal völlig unerklärlich erscheinende Selbstmorde haben öfter, als der Außenstehende und auch der Arzt weiß, hier ihren geheimen Grund. Nicht minder gewichtig sind die Rückwirkungen auf die Ehe: beim noch Unverheirateten Angst vor Eingehen der Ehe; beim Verheirateten schwerstes Minderwertigkeitsgefühl und damit Gefährdung der Ehe, allmähliche Entfremdung des frustrierten Partners, Bedrückung durch Nichterfüllbarkeit des Wunsches nach Kindern und anderes.

All diese Zusammenhänge sind, wie gesagt, wenig bekannt, noch weniger das Wesen dieser Erkrankungen. Man weiß, daß es »nervöse« Störungen sein sollen. Aber was heißt das? Neurologische Erkrankungen? Wer sich auch nur etwas mit diesem Gebiete befaßt hat, weiß, daß es zwar auch derartig bedingte Formen gibt, weiß aber auch, daß sie nur wenige Prozent ausmachen. Also muß es sich um »funktionelle« Störungen handeln. Was liegt aber funktionellen Störungen ursächlich zugrunde? Konstitutionelle Faktoren? Sogenanntes Endogenes? Oder Psychogenes, von dessen Bedeutung für das Zustandekommen von nervös-funktionellen Erkrankungen seit einem halben Jahrhundert zunehmend die Rede ist? Und wenn beide zusammen von ätiologischer Bedeutung sein sollten, wie verhalten sie sich dabei zueinander?

Sofort tun sich weitere Fragen auf: Gibt es auch auf diesem so schwer faßbaren und schwer übersehbaren Gebiete klar umrissene Krankheitsbilder, wie wir sie sonst in der klinischen Medizin kennen- und abzugrenzen gelernt haben? Wenn ja, welches sind die Ordnungsprinzipien, nach denen wir eine Einteilung vornehmen können? Nach der Symptomatik? Erlaubt aber die für funktionelle Erkrankungen charakteristische Wandelbarkeit und Flüchtigkeit der Symptomatik überhaupt eine korrekte Einteilung? Erlauben die Symptome eine Beurteilung betreffs des Schweregrades einer derartigen Störung? Oder finden wir ein und dasselbe Symptom bei verschieden schweren Veränderungen der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen, so daß also nicht das Symptom, sondern die ihm zugrundeliegende Struktur das Entscheidende wäre? Wie können wir ferner verstehen, daß ein und derselbe Patient einem bestimmten Partner gegenüber eine bestimmte funktionelle Sexualstörung aufweist, zur gleichen Zeit aber einem andern Partner gegenüber durchaus normal »funktioniert«?

Es verwundert nicht, wenn bei ätiologisch und diagnostisch so schwer faßbaren Störungen eine klare Indikation über die einzuschlagende Behandlungsweise gleichermaßen kompliziert zu sein scheint. Gibt es für dieses Gebiet überhaupt eine generell gültige Behandlungsmethode? Scheinbar nein, denn zweifellos haben, wie auf kaum einem andern Gebiete der Medizin, die allerverschiedenartigsten, z.T. ausgefallensten Verfahren Erfolge aufzuweisen, angefangen mit dem Zaubertrank oder dem »Besprechen« durch eine weise Frau bzw. einen Kurpfuscher, dann die Elektrotherapie oder Stärkungsmittel mechanischer oder pharmazeutischer Art, insbesondere die moderne Hormontherapie bis zur Hypnose und psychoanalytischen Behandlung. Wie ist der Erfolg so grundverschiedener Methoden bei ein und derselben Erkrankungsart zu verstehen? Wie zu verstehen, daß manche Fälle »auf Anhieb« heilen, und sogar endgültig, andere nach schönen Anfangserfolgen bald wieder rückfällig werden? Andere erst nach langwieriger Behandlung heilen und wieder andere unbeeinflußt bleiben? Und daß dazu noch die schwer oder nicht heilbaren Fälle sich in ihrer Symptomatik keineswegs in typischer Weise von den schlagartig heilbaren unterscheiden? Oder gibt es Kriterien, um die Schwere eines Falles erkennen zu können? Gibt es ferner Kriterien, um die im gegebenen Falle indizierte Methode der Behandlung vorher mit Sicherheit bestimmen zu können? Was leisten diese einzelnen Therapiearten? Was leistet insbesondere die Psychotherapie, mag sie in Form sogenannter »kleiner« Psychotherapie mehr suggestiv angewandt sein, mag sie als »große« Psychoanalyse herangezogen werden?

All diesen und noch anderen Fragen möchte unsere Arbeit nachgehen und klärende Antworten zu geben versuchen. Wir werden sehen, daß auch dieses Gebiet medizinisch genauso exakt zu erfassen ist, wie wir es auf den sonstigen Gebieten der Medizin gewohnt sind, wenngleich hier genetisch und therapeutisch eine Reihe von Gesichtspunkten mit herangezogen werden müssen, die manchem Mediziner fremdartig erscheinen mögen, weil sie außerhalb seines gewohnten Denkbereiches liegen. Nicht nur was Ätiologie, Pathogenese und Diagnostik, sondern auch was Indikation und Leistungsfähigkeit der einzuschlagenden Behandlungsmethoden anbelangt, vermögen wir heute auch für dieses Gebiet klare und verbindliche Angaben zu machen. Dies soll im folgenden ausgeführt werden, wenngleich der Umfang unserer Schrift nicht viel mehr als eine Skizzierung erlaubt. Immerhin dürfte sie für eine grundsätzliche Orientierung ausreichen. Detailliert dargestellte Verläufe der einzelnen Behandlungsstunden von instruktiven Kurzkrankengeschichten der verschiedenen funktionellen Sexualstörungen werden im praktischen Hauptteil der Schrift dann das Gemeinte illustrieren.

So sehr Patienten wie Arzt gleichermaßen beglückende schlagartige Heilungen gerade auf diesem Gebiete auch möglich sind, darf nicht verschwiegen werden, daß ein großer Teil dieser Erkrankungen einer recht langwierigen Behandlung bedarf. Deshalb muß ausdrücklich betont werden, daß die in unserer Schrift angeführten Krankengeschichten sich auf ausgewählte Fälle beziehen, bei denen eine Kurzbehandlung angebracht erschien. Andernfalls würde beim Leser ein unberechtigter therapeutischer Optimismus geweckt. Die Gründe für unsere einseitige Auswahl waren folgende: Eine wirklich zureichende Darstellung der Krankengeschichte eines mit »großer« Psychotherapie (Psychoanalyse) behandelten Patienten würde für sich allein einen Umfang beanspruchen, der das Doppelte dieser Schrift ausmachte. Ferner lag uns daran, zu zeigen, wie in geeigneten Fällen durch sachkundiges Wissen eine den Patienten schwer quälende Symptomatik verhältnismäßig leicht und schnell behoben werden kann. (Der schwer quälende oder lärmende Charakter einer Symptomatik bedeutet nämlich noch nicht, daß ihr nun auch eine schwere Strukturschädigung zugrunde liegen müsse.) Schließlich soll unsere Schrift auf die Bedürfnisse des praktischen Arztes und Nervenarztes zugeschnitten sein, den erfahrungsgemäß Kranke mit Störungen geringeren Schweregrades relativ häufig aufsuchen, und nicht auf die Spezialpraxis des Fachpsychotherapeuten bzw. Psychoanalytikers, bei dem sich bevorzugt die schweren Fälle einzufinden pflegen, die bisher anderweitig erfolglos behandelt wurden. Immerhin sei nochmals ausdrücklich wiederholt, daß aus der unverhältnismäßig kurzen Behandlungsdauer der zur Illustration herangezogenen Krankengeschichten nicht allgemeingültige Schlüsse dahingehend gezogen werden sollten, daß bei Patienten mit gleicher oder ähnlicher Symptomatik ein ähnlicher Erfolg in der Regel in gleich kurzer Zeit zu erwarten ist.

Wenn für unseren klinischen Beitrag zu diesem Thema der Untertitel »Beeinträchtigte Liebesfähigkeit« gewählt wurde, so sollte dadurch deutlich zum Ausdruck gebracht werden, daß es bei all diesen Funktionsabläufen um mehr geht als um das gestörte oder normale Funktionieren eines vom lebendigen Gesamtorganismus des Menschen mehr oder weniger isoliert gedachten »Sexualapparates«. Je größer die Erfahrungen über die mannigfaltigen funktionellen Störungen auf diesem Gebiete sind, um so eindeutiger zeigt sich, daß all diese Störungen in ihren so verschiedenartigen Formen (die im einzelnen gleich aufgezeigt werden sollen) nur dann richtig verstanden und damit erst einer wirklichen Behandlung zugeführt werden können, wenn wir sie als Beeinträchtigung der leib-seelischen Gesamtpersönlichkeit werten und sie außerdem noch in die ganze zwischenmenschliche Lebenssituation des Erkrankten einbeziehen. Regelmäßig ergibt sich nämlich, daß hinter dieser scheinbar lokalen Störung des »Geschlechtsapparates« stets eine charakterlich verankerte Beeinträchtigung der Liebesfähigkeit steht. Sie ist gegenüber der jeweiligen Symptomatik das Primäre, also die eigentliche Krankheit, und damit das eigentliche therapeutische Problem. Da die nachstehenden Krankengeschichten dies im einzelnen ausführen werden, sei hier vorwegnehmend kurz angedeutet, daß es sich dabei beispielsweise um eine Hemmung der Zärtlichkeit, um eine Unfähigkeit zur vollen Hingabe, um eine unbewußte Angst vor dem Sexualvollzug (s. Krankengeschichte 4), um falsch verstandene Schuld gegenüber allem Sexuellen, um Fehlvorstellungen vom Wesen des »Männlichen« und des »Weiblichen«, um falsch ausgetragene Geschlechtsrivalität, um enttäuschte Erwartungsvorstellungen vom Partner, um schuldbedingte Fehlprojektionen auf ihn und um vieles andere an charakterlich...

Erscheint lt. Verlag 15.12.2015
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Adolf Portmann • Befruchtung • Geschlechtsfunktion • Geschlechtsverkehr • Homosexualität • Hormontherapie • Impotenz • Liebesfähigkeit • Orgasmus • Potenz • Psychotherapie • Sachbuch • Sexualstörung • Sterilität • Störung
ISBN-10 3-10-560900-8 / 3105609008
ISBN-13 978-3-10-560900-2 / 9783105609002
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