Psychiatrie (eBook)

Eine Einführung

(Autor)

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2015 | 1. Auflage
268 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560891-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Psychiatrie -  Peter Kutter
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Der Nervenarzt Peter Kutter fühlt sich der traditionellen deutschen Psychiatrie ebenso verpflichtet wie der modernen, von der Psychoanalyse geprägten dynamischen Psychiatrie. Seine Ausführungen fußen auf den Ergebnissen jahrzehntelanger Forschungen in vielen Ländern, auf eigenen Erfahrungen in der Nervenklinik sowie den Geschichten von Kranken. »Ohne die Krankengeschichten hätte dem Buch«, so bekennt der Autor, »die unmittelbare Begegnung mit dem seelisch leidenden Menschen gefehlt.« Eine Einführung, die um gegenseitiges Verständnis wirbt. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Peter Kutter (1930-2014), Prof. Dr. med., Arzt und Psychoanalytiker, war von 1963 bis 1973 in Stuttgart als frei praktizierender Psychotherapeut tätig und lehrte danach Psychoanalyse im Fachbereich Psychologie an der Goethe-Universität in Frankfurt. Er war Lehr- und Kontrollanalytiker der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung und Verfasser zahlreicher Bücher und Aufsätze zu psychoanalytischen Themen.

Peter Kutter (1930–2014), Prof. Dr. med., Arzt und Psychoanalytiker, war von 1963 bis 1973 in Stuttgart als frei praktizierender Psychotherapeut tätig und lehrte danach Psychoanalyse im Fachbereich Psychologie an der Goethe-Universität in Frankfurt. Er war Lehr- und Kontrollanalytiker der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung und Verfasser zahlreicher Bücher und Aufsätze zu psychoanalytischen Themen.

I Einführung


Vor Jahren wurde ich zufällig Zeuge, wie eine Frau in einer Buchhandlung dem Verkäufer verschämt und scheu einen Zettel zeigte und fragte: Haben Sie etwas darüber? Der Buchhändler verneinte. Da er mich kannte, reichte er mir den Zettel. Darauf standen zwei Worte: »Morbus Bleuler«. Nun weiß jeder Arzt, daß mit diesem lateinischen Wort und dem Eigennamen unter Medizinern die Diagnose »Schizophrenie« umschrieben wird. An dieser Krankheit litt wahrscheinlich die Dame, die sich Aufklärung darüber in einer Buchhandlung holen wollte. Blitzschnell ging ich die Reihe der psychiatrischen Bücher im Geiste durch: das Handbuch der Geisteskrankheiten von Oswald Bumke[1], den zweibändigen »Hoff«[2], das in vielen Auflagen erscheinende Lehrbuch von Manfred Bleuler[3], dem berühmten Sohn des berühmten Eugen Bleuler, dessen Eigename die rätselhafte Geisteskrankheit so gut vor den Patienten verbergen ließ, kleine Kompendien und vieles mehr. –

Es war keines darunter, das man der Frau mit gutem Gewissen hätte empfehlen können. Zu viel hätte sie bei der Lektüre mißverstanden. An zu vielen Stellen hätten sich nur neue beunruhigende Fragen ergeben, so daß sie im Endeffekt mehr belastet als entlastet worden wäre. Schon damals dachte ich, es müßte ein Buch geben, das man ohne Sorge nicht nur interessierten gebildeten Laien in die Hand geben, sondern das selbst ein an einer psychiatrischen Krankheit leidender und genesender Mensch lesen könnte. Ein solches Buch müßte gerade heute den ohnehin stiefmütterlich behandelten Nervenkranken genügend Informationen vermitteln; sind doch die Zeiten, in denen der Arzt autoritär sein Wissen für sich behielt, während der Patient als Abhängiger alles ungeprüft akzeptierte, zwar noch nicht vorbei, werden sich aber bei weiterer progressiver Entwicklung der Gesellschaft hoffentlich ändern.

Arzt und Patient bilden eine Zwei-Personen-Beziehung, in der der eine dem anderen Respekt schuldig ist, in der gegenseitige Anerkennung die Einstellung zueinander bestimmt und in der beide Beteiligte bemüht sind, den Zustand, der den Patienten zum Arzt führte, zu bessern. In gegenseitiger Kooperation suchen beide nach der Diagnose. In derselben Zusammenarbeit finden sie auch die optimale Therapie. Der Patient unterwirft sich nicht dem Arzt. Der Arzt beherrscht den Patienten nicht, sondern beide stehen als gleichberechtigte Partner einander gegenüber.

Das bedeutet natürlich auch, daß mancher sich allmächtig wähnende Arzt von seinem Sockel heruntersteigen muß. Das geht nicht ohne die schmerzliche Einsicht, daß die individuellen und gesellschaftlichen Verhältnisse sich verändern, kommt aber nicht nur dem Patienten, sondern auch dem Doktor selbst zugute. Ein trotz seiner Geistes- oder Gemütskrankheit human behandelter Patient wird nämlich viel eher zu dem bereit sein, was wir in der Psychoanalyse schon lange »therapeutische Allianz« oder »Arbeitsbündnis« nennen.

Den Patienten Informationen zu liefern, die die Entwicklung zu gegenseitiger Partnerschaft von Arzt und Patienten begünstigen, ist also erklärtes Ziel dieses Buches. Die eingangs geschilderte Begegnung gab hierzu nur den ersten Anstoß.

Die Vorlesungen zur Einführung in die Psychiatrie für nicht-ärztliche Ausbildungskandidaten in Psychotherapie und Psychagogik an der Stuttgarter Akademie für Psychotherapie und Tiefenpsychologie, die der Autor in den Jahren 19631969 gehalten hat, gaben den zweiten Anstoß.

Die Ziele dieser Vorlesungsserie waren folgende: Sie sollten dem Hörer einen systematischen Überblick geben, aber auch durch möglichst lebendige Zeichnung der Krankheitsbilder und eindringlicher Schilderung der Krankheitsgeschichten ein Erlebnis dieser in vielem auch heute noch so rätselhaften Verirrungen des Geistes und der Seele vermitteln. Dabei sollte nach Möglichkeit vermieden werden, etwaige eigene Ängste zu mobilisieren. Die übergeordneten Gesichtspunkte waren: Mißverständnisse zu klären und Vorurteile abzubauen, wie sie gerade auf dem Gebiet der Geistes- und Gemütskrankheiten auch heute noch sehr verbreitet sind. Die Ziele dieser Vorlesungen sind auch die Ziele dieses Buches, dem jene zugrunde liegen.

Hier wie dort kommt es darauf an, das dunkle Niemandsland zwischen den eigentlichen Geistes- und Gemütskrankheiten einerseits und den Neurosen andererseits zu erhellen, Grenzen abzustecken in dem heute weit erforschten, aber immer noch in vielem unbekannten »Land der Seele«. Man stelle sich eine Art Landkarte vor, in der die einzelnen psychischen Krankheiten ihren Platz haben, wo es Gruppen zwischen Ländern gibt, die zusammen gehören nach Geschichte und Gestalt, Länder, die einander ähnlich sind und deren Randgebiete ohne scharfe Grenzen ineinander übergehen, aber auch Länder, die wie Blöcke fremdartig und scharf abgegrenzt einander gegenüberstehen. So wie der Geograph die Erde und deren Aufgliederung in Länder beschreibt, so beschreibt der »Psychograph« die Erscheinungen der verschiedenen Seelenstörungen, zeigt die Grenzen auf zwischen den einzelnen Krankheiten, informiert über ihr Bild und darüber hinaus über das, was dahinter verborgen ist.

Dazu gehört immer die Geschichte der Krankheiten, verstehen wir doch Psychiatrie wie Psychoanalyse als individual-historische Wissenschaften. Der augenblickliche Querschnitt wird also immer durch eine Längsschnittbetrachtung ergänzt werden müssen. Der »Psycho-Graph« ist also immer auch »Psycho-Historiker«.

Informationen über die Gegenstände allein würden nicht genügen, wichtig sind auch Informationen über die Methoden, mit denen die Gegenstände erforscht werden. Das sind in unserem Zusammenhang die Methoden, mit denen der Arzt zur Diagnose der Krankheit kommt. Dabei bedient er sich nicht nur einer phänomenologischen Beschreibung dessen, was er als neutraler Beobachter sehen kann oder mit Hilfe verschiedener ergänzender Untersuchungsverfahren wie etwa Labor- oder Röntgenmethoden zusätzlich feststellt. Er berücksichtigt vielmehr auch das psychoanalytische Verfahren, bei dem der Arzt zugleich teilnehmender Beobachter ist und zu dessen Methodik neben der empirischen Beobachtung die Introspektion, also das Hineinschauen in die Seele, ebenso gehört wie die Empathie, das sich Hineinfühlen in den anderen.

Der Autor fühlt sich also der traditionellen deutschen Psychiatrie ebenso verpflichtet wie der modernen, von der Psychoanalyse geprägten dynamischen Psychiatrie. Ursprünglich dachte er, beide Bereiche getrennt voneinander darzustellen. Er ließ sich aber bei einem Vorgespräch von Herrn Dr. Ernst Klett rasch überzeugen, daß gerade in der Kombination beider wissenschaftlichen Ansätze in ein und demselben Buch eine besondere Chance für eine weitere konvergierende Annäherung beider in Deutschland noch getrennten und sich vielerorts befehdenden Wissenschaftsgebiete liege.

In diesem Zusammenhang hat der Leser auch Anspruch auf Informationen darüber, welche Spezialisten welches Spezialgebiet betreuen; herrscht doch gerade darüber beim Laien große Unklarheit. Da es standesrechtlich dem Arzt verboten ist, der Öffentlichkeit über seine besonderen Kenntnisse und Erfahrungen Informationen zu geben, geschieht es allzu oft, daß Kranke eine jahrelange »Irrfahrt« hinter sich bringen müssen, mit erfolglosen Behandlungsversuchen, ehe der Patient den Arzt findet, den er über seine Krankheit am besten befragen kann. Wie nötig solche Informationen sind, geht schon witzigdrastisch aus der vorwurfsvollen Mitteilung einer nervenleidenden Patientin an ihren Hausarzt hervor, die ihm nach erfolglosen Versuchen, ihre Krankheit mit Beruhigungsmitteln verschiedener Art zu heilen, triumphierend verkündete: jetzt erst habe sie den richtigen Arzt gefunden, sie sei jetzt nämlich beim »Psychopathen«!!

Ich möchte hierüber schon jetzt sagen: Der Nervenarzt beherrscht bei uns in Deutschland die organischen Nervenkrankheiten, wie Nervenentzündung, multiple Sklerose oder Ischias und gleichzeitig die Geistes- und Gemütskrankheiten, wie Schizophrenie, Melancholie oder Hirnadersklerose, seien diese nun organischer oder seelischer Natur. Die erstgenannte Krankheitsgruppe umfaßt das Gebiet der Neurologie als der Lehre über Diagnose und Therapie der Nervenkrankheiten im engeren Sinne. Die an zweiter Stelle genannte Krankheitsgruppe stellt als Psychiatrie – wörtlich aus dem Griechischen übersetzt – die eigentliche »Seelenheilkunde« dar; das heißt für deutsche Verhältnisse die Diagnose und Therapie der Geistes- und Gemütskrankheiten. Die Diagnose stellt dabei der traditionelle Psychiater ausschließlich beschreibend, aufgrund bestimmter Symptome. Die Therapie ist nach Symptomgruppen (das sind die sogenannten »Syndrome«) gegliedert und besteht heute vorwiegend in der Verordnung beruhigender, anregender oder ausgleichender Arzneimittel, von denen die pharmazeutische Industrie zahllose, von Jahr zu Jahr mehr, dem Arzt zur Verordnung anbietet. Der traditionelle Nervenarzt muß beide Fachgebiete während seiner klinischen Ausbildung erlernt haben, wenn er auf seinem Praxisschild als Nervenarzt firmieren will. Dabei hat er aber in der Regel eines der Gebiete bevorzugt. Der eine ist also mehr Fachmann in Neurologie und der andere mehr in Psychiatrie. Es gibt sogar einige wenige Spezialisten, die sich ausschließlich der Neurologie, also der Lehre über die organischen Nervenkrankheiten, widmen. Sie alle nennen sich »Nervenärzte«. Der Laie weiß nicht, ob sich sein Nervenarzt mehr in Neurologie oder mehr in Psychiatrie auskennt. Der Arzt darf es streng genommen dem Patienten auch nicht...

Erscheint lt. Verlag 15.12.2015
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Alkoholismus • Drogen • Drogenabhängigkeit • Drogenmissbrauch • Geisteskrankheit • Melancholie • Nervenklinik • Psychiatrie • Psychopathie • Psychose • Psychotherapie • Sachbuch • Schizophrenie • Selbsttötung • Sigmund Freud • Trugwahrnehmung
ISBN-10 3-10-560891-5 / 3105608915
ISBN-13 978-3-10-560891-3 / 9783105608913
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