Alltagsrätsel des Seelenlebens (eBook)

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2015 | 1. Auflage
168 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560899-9 (ISBN)

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Alltagsrätsel des Seelenlebens -  Hans Driesch
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Hans Driesch, Schüler Ernst Haeckels, gilt als Neubegründer der vitalistischen Lehre. Ausgehend von Problemen der Psychophysik, behandelt er hier alltägliche Erscheinungen wie Wahrnehmung und Erinnerung, wobei sich immer wieder Beziehungen zu parapsychologischen Phänomenen ergeben. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Hans Driesch (1867-1941), Biologe und Philosoph, hatte zuerst an der Universität Köln und dann in Leipzig einen Lehrstuhl für Philosophie inne.

Hans Driesch (1867–1941), Biologe und Philosoph, hatte zuerst an der Universität Köln und dann in Leipzig einen Lehrstuhl für Philosophie inne.

III. Die Erinnerung


Als wir die verschiedenen, von uns »zentripetal« genannten Formen einer Verkoppelung von materiellen Geschehen und bewußtem Erleben aufzählten (S. 19f.), also die, welche von außen her das Ich betreffen, ergaben sich drei Formen der physiko-psychischen Verkoppelung: die Wahrnehmung, die Beeinflussung von Trieben und Gefühlen durch Hormone und die Erinnerung.

Von der ersten dieser Formen redeten wir ausführlich.

Über die zweite haben wir gar nicht geredet und wollen es auch nicht, da wir hier, abgesehen von dem schlichten Bestehen des Sachverhaltes, eben gar nichts wissen, ja, sogar nicht einmal etwas ahnen, was immerhin angesichts der Genese der Erlebnisse des reinen Innenlebens, wenn auch nur in sehr geringem Grade, der Fall war. Das »Wie« ist hier völlig dunkel: Man denke etwa an die psychischen Folgen der Sterilisation.

Wir wenden uns jetzt der dritten Gruppe der zentripetalen Verkoppelung zu, also dem Erlebnis der echten Erinnerung, in seiner Verkoppelung mit Zuständen des Leibes. Hier werden wir Ergebnisse erhalten, und zwar sehr verblüffende.

Die Erinnerung ist die seltsamste aller Formen des Erlebens und zugleich die Grundlage vieler anderer seiner Formen, die nicht selbst »Erinnerungen« im engen Sinne des Wortes sind, zumal der »schlichten« Vorstellung.

Die Untersuchung der Erinnerung soll nun von uns auf einen sehr breiten Boden gestellt werden; d.h., es soll versucht werden, das Problem der Erinnerung so vollständig wie möglich zu behandeln, wobei wir hinsichtlich des Begriffs einer »vollständigen Behandlung« auf frühere Erörterungen (S. 12) verweisen. Die Behandlung soll jedoch so erfolgen, daß alles, was man Neben-Sachverhalte nennen könnte, d.h. alle Sachverhalte, die zu dem das eigentliche Problem bildenden Sachverhalt in mehr oder weniger loser Beziehung stehen, nur insofern behandelt werden sollen, als sie für die Hauptfrage irgendwie von Bedeutung sind.

1. Der Grundsachverhalt


Den Sachverhalt, welcher eine Frage, ein »Problem« vor unsere Augen stellt, und mit dessen Klarstellung daher, wie gesagt wurde, jede vollständige Behandlung eines Problems zu beginnen hat, schlugen wir vor (Seite 13), den Grund-Sachverhalt des Problems zu nennen, im Unterschiede von dem Ur-Sachverhalt, mit welchem Worte in meiner Sprache[30] der Sachverhalt »ich habe bewußt etwas« oder »ich erlebe«, der die letzte Grundlage alles Wissens überhaupt, also aller Philosophie und Wissenschaft, ist, bezeichnet wird.

Der Grund-Sachverhalt in Sachen des Erinnerungs-Problems, besteht nun darin, daß ich in der Abfolge meiner Erlebnisse gewisse Inhalte vorfinde, denen ein nicht weiter zerlegbarer »Ton«, den wir den Ton des »Damals« nennen wollen, anhaftet. Diese Erlebtheiten sind im Jetzt erlebt, tragen aber ein gewisses Etwas an sich, das mir sagt: Sie waren ihrem Inhalte nach schon erlebt gewesen, sei es einmal oder öfter.

Die Erlebnisse, die wir hier meinen, heißen Erinnerungen. Ihr Original, d.h. der einstige Erlebnisinhalt, welcher in Erinnerungsform jetzt den Ton des »Damals« trägt, ihn aber selbstverständlich, als er erstmalig war, nicht besaß, kann sowohl eine Wahrnehmung als auch ein aus dem Innenleben stammendes Etwas, ein Phantasiegebilde, Traumgebilde, Gefühl, Gedankeninhalt usw. sein; ja, ich kann mich auch eines Erinnerungserlebnisses erinnern.

Daraus ergibt sich des weiteren, daß Erinnerungserlebnisse anschaulich oder unanschaulich sein können – um allgemein verständliche, wenn schon undefinierbare Begriffe zu verwenden. Anschauliche Erinnerungen sind aber nicht etwa nur die Kopien früherer Wahrnehmungen, sondern können, wie schon gesagt ward, auch die Kopien von Traumbildern, Phantasiebildern usw. sein.

Das anschauliche Erinnerungserlebnis, wenn es optisch ist, kann schemenhaft-flächig wie eine Schwarzweißzeichnung oder leibhaftig und farbig sein; das zweite ist bei Jugendlichen (»Eidetiker«) häufig, bei Erwachsenen selten der Fall. Leibhaftig-farbige Erinnerungen unterscheiden sich von den Originalen, deren Kopien sie sind, seien das Wahrnehmungen, Traumbilder, Halluzinationen oder was sonst, nur durch den »Damals«-Ton. Eben dieser »Ton« stempelt sie sozusagen zu »Erinnerungen«. Fehlt er einem anschaulichen Erlebnis, so bedarf es bekanntlich stets einer besonderen Untersuchung, wenn festgestellt werden soll, ob es sich um eine Wahrnehmung, eine schlichte Vorstellung, eine Phantasie, ein Traumerlebnis oder was sonst handle.

Sowohl simultane wie sukzessive frühere Erlebnisinhalte können erinnert werden; man könnte in diesem Sinne von Zustands-Erinnerung und Vorgangs-Erinnerung reden.

Bedeutsamer aber als dieser Unterschied ist die Scheidung von terminfreier und terminbehafleter oder »datierter« Erinnerung. Die terminfreie Erinnerung trägt den bloßen Ton des »Damals«, des »Es war schon einmal da«. Terminbehaftet oder datiert ist dagegen eine Erinnerung, wenn sie einer bestimmten Stelle der vergangenen Zeit zugeordnet ist. In diesem Falle sind die von den Erinnerungen getragenen Damals-Töne spezifisch und stehen zu anderen solchen Tönen in der durch die Worte »früher« – »später« bezeichneten Beziehung.

Die schlichte anschauliche »Vorstellung« im engeren Sinne des Wortes[31] ist nicht im eigentlichen Sinne ein Erinnerungserlebnis, wenn schon die Möglichkeit ihres Auftretens von vergangenen Erlebnissen abhängt. Denn ihr fehlt der ausdrückliche Ton des »Damals«, sei er datiert oder nicht, welche Erinnerung erst zu »Erinnerung« macht.

Die Unterscheidung zwischen schlichter Vorstellung, terminfreier Erinnerung und terminbehafteter Erinnerung wird für den theoretischen Teil dieser Studie von großer Bedeutung werden.

Das reine Erinnerungserlebnis ist eine Sache des Innenlebens, also etwas anderes als das »Wiedererkennen« eines schon im Wege der Wahrnehmung erfaßt gewesenen Inhalts. Freilich tritt in das Wiedererkennen, gewissermaßen als Komponente, ein gewisser Erinnerungsfaktor hinein, und so werden wir denn, eben mit Rüchsicht auf diese Komponente, auch gelegentlich das wahrnehmungshafte Wiedererkennen in unseren Betrachtungen heranziehen.

2. Beziehung der Erinnerung zu anderen Erlebnissen


Alles bis hierher Gesagte betrifft nur das, was wir den »Grundsachverhalt« unseres Problems genannt haben, nämlich das schlichte Dasein von Erinnerungen und gewisse Abwandlungen dieses Grundsachverhaltes, die später von Bedeutung werden könnten. Es wurde bis jetzt bloß etwas festgestellt; der Weg zur Lösung des Problems wurde noch nicht beschritten; ja, ein »Problem« wurde überhaupt noch gar nicht gesehen, sondern nur eben ein Sachverhalt, ein »Es gibt etwas« im Rahmen des unmittelbaren Erlebens.

Da nun aber das, was es hier »gibt«, im Rahmen des Erlebens überhaupt steht, so ersteht sofort jene Aufgabe, die für alles bewußte Erleben unausweichlich ist: Der Ursachverhalt »ich habe bewußt etwas« ist ja in dieser, der rein »kartesianischen«, Form noch unvollständig[32]. Vervollständigt lautet er »ich habe bewußt geordnetes Etwas«, und aus dieser, zunächst recht unbestimmten Schau – (hier paßt dieses Wort) – dessen, was »Ordnung« heißt, ergibt sich die, zunächst ebenfalls noch recht unbestimmte, Aufgabe der Rechenschaftsablage über die gerade hier, angesichts dieses Grundsachverhalts, in unserem Falle also der Erinnerung, bestehende Ordnung.

Unser Grundsachverhalt »Erinnerung« ist eben nicht allein da. Gerade sein »Damals«-Ton zeigt ja an, daß jedenfalls ein Gewisses an dem jetzt erinnerungsmäßig Erlebten schon erlebt worden war – was zu wissen, seltsam zu sagen, auch wieder nur »erinnerungsmäßig« möglich ist! Erinnerung hat jeweils ihren bestimmten Platz in der Reihe des Erlebten überhaupt, und gerade, daß sie einen Platz in einer Reihe hat, stellt eine Aufgabe im Sinne der Ordnungslehre vor uns.

Die sich hier als Aufgabe ergebende Ordnungsfrage ist, wie gesagt, zunächst sehr unbestimmt und allgemein; sie spezifiziert sich aber, sobald das Erinnerungserlebnis seinem Inhalt nach in die Gesamtheit des im Laufe der Zeit Erlebten gestellt worden ist, sofort zur Aufgabe des Vergleichens.

Da ist, so stellt sich heraus, ganz offenkundig eine Beziehung vorhanden zwischen dem erinnerungsmäßig Erlebten und einem früher ohne den »Damals«-Ton erlebt gewesenen Inhalt, nämlich eine Ähnlichkeits-Beziehung, ja, wohl gar, vom Damals-Ton abgesehen, die Beziehung einer Identität.

Ganz rein freilich ist, vom Damals-Ton abgesehen, die Identität der Inhalte zwischen dem jetzt Erlebten und dem erlebt Gewesenen sehr selten; bei Anschaulichkeiten, etwa einem optisch erfaßten Gesicht oder einer Landschaft, ist sie es sogar nie. Das Erinnerungsbild ist gefälscht[33], was man freilich nur indirekt, durch objektive Mittel, feststellen kann, etwa indem man »aus dem Gedächtnis« ein früher gesehenes Gebirge aufzeichnet und dann die Zeichnung mit dem wiederum im Original gesehenen Gebirge vergleicht.

Aber, trotz allem: In gewissen Zügen ist das Erinnerungserlebnis mit einem früheren Originalerlebnis identisch. Wie kommt das? Was heißt das? Sagt uns nicht...

Erscheint lt. Verlag 16.11.2015
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Alltag • Alltagsrätsel • Erinnerungserlebnis • Erinnerungsproblem • Erinnerungsstörung • Hellsehen • Hirn • Hirnspur • Hirnstörung • Hypnose • Hypothese • Naturlehre • Psychologie • Psychophysik • Rätsel • Sachbuch • Seelenleben • Wahrnehmung • Wissensinhalt
ISBN-10 3-10-560899-0 / 3105608990
ISBN-13 978-3-10-560899-9 / 9783105608999
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