Musik und Macht (eBook)

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2015 | 1. Auflage
314 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560577-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Musik und Macht -  Fred K. Prieberg
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Fred K. Prieberg geht der Frage nach, wozu der Staat die Musik brauchte - oder mißbrauchte - und ob sie überhaupt dazu taugt, sozusagen »hoheitliche« Ansprüche zu erfüllen. Er beschreibt politische Festrituale, Sympathiewerbung, tönende Politpropaganda, eben Musik als Identifikations- und Machtmittel, in verschiedenen Systemen, und er zeigt Ursachen und Konsequenzen von Verhaltensmöglichkeiten am Beispiel einzelner Musiker. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Fred K. Prieberg (1928-2010) war Musikwissenschaftler und Rundfunkautor. Veröffentlichungen zum Thema Musikpolitik, Neue Musik, u. a. ?Musik im NS-Staat? (1982) und ?Musik und Macht? (1991).

Fred K. Prieberg (1928–2010) war Musikwissenschaftler und Rundfunkautor. Veröffentlichungen zum Thema Musikpolitik, Neue Musik, u. a. ›Musik im NS-Staat‹ (1982) und ›Musik und Macht‹ (1991).

»Ingenieure der menschlichen Seele«?


Wer einen Schlagersänger fragt, weshalb er sich ausgerechnet die Musik zum Metier erwählt hat, bekommt mit schöner Regelmäßigkeit eine geradezu klassische Antwort: »Ich will den Menschen Freude schenken!« Das ist ein Bekenntnis zur Gesellschaft, zur Nächstenliebe, zu einer allumarmenden Geste, wie sie dem künstlerisch Begabten nun einmal anstehen. So etwas wirkt in Interviews immer gut; Positivismus ist eine moralische Größe, und auch davon abgesehen scheint Musik sehr wohl anwendbar zur Beglückung der vielen, die nach Glück gieren, weil unsere Welt bekanntlich der Glückserwartung doch nicht ausreichenden Spielraum läßt.

»Freudemachen« zählt, wo es die Hörerschaft so will, zu den Symptomen des Metiers. Der Großteil der Tonkunst und der in ihr tätigen Künstler existiert für die Unterhaltung. So ein Beruf sollte natürlich den Mann und die Frau hinreichend ernähren; sonst lohnte er sich am Ende gar nicht. In Interviews mit Schlagersängern erübrigt es sich wohl, von Geld zu reden … Punktum, man hat es und spricht nicht darüber. Zudem ist es in unserer Gesellschaft keineswegs eine Schande, wenn endlich einer das Wort von der »brotlosen Kunst« Lügen straft. Wer Leistung bietet, der muß unangefochten den gerechten Lohn kassieren dürfen. Und der Beruf des Musikers erbringt – wie der des Industriearbeiters – nun wirklich eigene, unmittelbare Leistungen, deren Gegenwert ihm, anders als dem Industriearbeiter, zur Gänze zufließt, sofern es ihm glückt, mit eignem Instrumentarium, Selbstverlag und ohne Agenturen auszukommen.

Das ist, ich weiß es, reichlich betriebsfremd gedacht. Auf diese oder jene Art gibt jeder Musiker und erst recht einer aus der Sparte Unterhaltung große Summen seines Mehrwerts ab. Aber das ist stets selber erarbeitetes Geld. Der Künstler nutzt seine eigenen Produktionsmittel und Produktivkräfte. Er ist kein Konzernchef, der sich von seiner Belegschaft miternähren lassen muß. Wenn sich so ein tätiger Künstler dann doch mal einen Rolls-Royce kauft, tut er das von dem Geld, das er erspielt und ersungen hat. Soziale Mißgunst ist da nicht angebracht. Möglich, daß er auch noch ein Privatflugzeug anschafft. Das sollte keine Neider aufregen. Musiker haben nun einmal nicht die Verpflichtung, ihr Geld zu verschenken. Musikmachen ist nämlich ohnehin schon ein sozialer Akt … am Ende auch da, wo die Freude der Zuhörer nicht ganz ungetrübt sein sollte.

Was die Motivation zur Musikausübung angeht, befriedigt das doch eher für Werbezwecke nützliche Programm »Ich will den Menschen Freude schenken« auf die Dauer nicht. Das hört sich nett an, gewiß; es schafft Vertrauen und soll es auch, denn ein Schlagersänger ist aus dem Gröbsten heraus, sobald sein Publikum anfängt, ihn beim Vornamen zu nennen. Die sogenannten »ernsten« Komponisten und die Interpreten eben dieser »ernsten« Musik haben es viel schwerer, denn Ernst verträgt sich nicht gut mit Freude. Und daß Ernst im großen und ganzen etwas ist, das unser Leben einfach so mit sich bringt, verstärkt nur noch die Schwierigkeiten einer Ortsbestimmung. Was kann Musik eigentlich, wenn sie nicht gerade unterhält? Und wo bliebe die Befriedigung des E-Musikers, der kaum mit seinem Kollegen von der leichten Muse konkurrieren kann, sobald es darum geht, Freude zu schenken? Nun gut: Er vermittelt Information, deckt Bildungsbedürfnisse, beeindruckt, ergreift, erschüttert, ärgert Leute. Aber das tröstliche und erhebende Gefühl, den Menschen etwas geschenkt zu haben, kann sich bei ihm nicht so recht einstellen. Wäre dann Musik für ihn nur ein Brotberuf? Oder ist er ganz einfach darauf aus, sich mit ihrer Hilfe selber ein Denkmal zu setzen?

Die Frage hat, zugegeben, einen Unterton des Zweifels, des Mißtrauens. Unsterblichkeit ist ja eine ganz und gar nicht menschliche Kategorie. Deswegen sollten wir uns – für den Augenblick – mit dem Begriff »Selbstverwirklichung« begnügen. Der Große Duden übersetzt ihn mit »Entfaltung der eigenen Persönlichkeit durch das Realisieren von Möglichkeiten, die in einem selbst angelegt sind«. Also in unserm Fall durch Produktion oder Reproduktion von Musik. Indem jemand dies tut, stellt er sich selbst dar und verwirklicht sich selbst, sofern ihm das gelingt. Diese Einschränkung macht Sinn, denn allzuoft sind Hoffnung und Ehrgeiz stärker als die verfügbaren eigenen Möglichkeiten; dann stößt der verbohrteste Wirkungswille ins Leere. Ganz allgemein läßt sich Selbstdarstellung nicht von der menschlichen Existenz isolieren. Sie ist Kulturfaktor, vermittelt, wie auch immer, Befriedigung … oder, wie Freud formuliert hätte, Ersatzbefriedigung; zudem scheint es sich, gemessen an der auffälligsten Manifestation der Selbstdarstellung, um ein vorab männliches Phänomen zu handeln, um ein Moment des Wettbewerbs, der auf eine Entscheidung drängt: Wer ist der Größte?

Irgendein Mann am Stammtisch, der redet, was ihm gerade einfällt, betreibt eine Art Selbstdarstellung mit Hilfe mehr oder minder präziser Information oder verblasener Mythologie. Er politisiert, hört sich selber reden, bemerkt, wie seine Stimme den Raum füllt. Mit dem, was er sagt, vermittelt er den Zuhörern zugleich ein Selbstporträt: Er äußert sich so und so; also kann man erkennen, daß er so und so ist. Diese Selbstdarstellung endet, sobald niemand mehr zuhört, und das geht ihm auf, wenn er allein am Stammtisch sitzengelassen wird. Eine alltägliche Beobachtung. Sie auf den Künstler zu übertragen, mag gewagt anmuten. Weil dadurch Zusammenhänge sich erschließen, möchte ich das Wagnis eingehen.

Am Anfang sollte die Frage stehen, ob nicht jedes Selbst wirklich ist. Dann müßte diese gleichsam automatische Wirklichkeit wohl nicht noch eigens unter Beweis gestellt werden. Die Persönlichkeit, »wie sie ist«, braucht sich nicht zu produzieren. Tut sie es dennoch, so nährt sie den Verdacht, nicht das reale Selbst sei gemeint, sondern eine ganz andere »Wirklichkeit«, die gewollte, geträumte, nicht die sozusagen naturgetreue. »Wirklich« wäre in diesem Sinne nicht das unauffällige Jedermannsleben, die Normalexistenz zwischen unzähligen anderen Normalexistenzen … obwohl gerade solches die individuelle und gesellschaftliche Wirklichkeit darstellt, jedenfalls statistisch und immer deutlicher – und bedrückender –, je sprunghafter sich die Zahl der Menschen ringsum vermehrt. Die erstrebte andere »Wirklichkeit« beschwört den langen und dornenreichen Weg aus der Masse heraus »nach oben«, wo immer sich jemand den Gipfel des Erreichenwollens hindenkt. Um diese fiktive Wirklichkeit geht es dem Künstler, ihm besonders. Er setzt, um sich und vor allem seiner Umwelt diese zu vergegenwärtigen, alles daran, Wirkung auszuüben, möglichst Massenwirkung.

Die Zielprojektion wird identisch mit dem Metier; Musik ist Mittel und Zweck zugleich. Solange er noch Gleicher unter Gleichen ist, braucht er Massenwirkung, um sich aus der Masse herauszuprofilieren. Dies ist um so schwieriger, als es in der Kunst keine strukturierenden Rangordnungen gibt, nichts derartiges wie beim Militär, in der Kirche, der staatlichen und kommunalen Verwaltung, wo zwecks Unterscheidung Titel, Dienstränge, Gehaltsklassen existieren. Der Musiker muß also – wenn nicht, wie es natürlich scheint, durch sein Œuvre – auf irgendeine andere Weise auffallen, einen »höheren« Grad entsprechend der hierarchischen Stufenleiter erringen. Seine Psychologie drängt ihn dazu; eine gewisse Unbescheidenheit kommt solcher Profilierung zugute. Die Lebenserfahrung lehrt, daß der Bescheidene zumeist auf der Strecke bleibt: So ist keine Karriere zu machen. Selbstverwirklichung bedarf des Ausdrucks, des möglichst unüberhörbaren. Sie hat, wenn sie gelingt, einen nicht zu unterschätzenden Nebenerfolg. Der Marktwert des Künstlers klettert entsprechend. Entscheidend scheint nicht zu sein, daß er überhaupt wirkt, sondern daß er in ganz bestimmter Weise wirkt, nämlich unterscheidungsfähig, und sich dadurch einen Namen verschafft, gekannt und bekannt wird und zunehmend erfolgreich.

Ein Komponist, der anfängt, ist zunächst so etwas wie ein »unbeschriebenes Blatt« vor dem erdrückenden Hintergrund gewaltiger, schier unübersehbarer Mengen bereits vollgeschriebener Blätter. Dieses Erbe übernimmt er als schicksalhafte Bürde. Was er zwecks Unterscheidung von allen anderen je beschriebenen Blättern benötigt, ist eben Profil, nämlich die eigene, höchst persönliche, noch nie dagewesene Handschrift.[20] Diese muß – im günstigsten Fall – unterscheidbar sein von jeder früher schon dokumentierten. Sie muß neu sein, jedenfalls unvertraut, doch nicht geradezu abstoßend, stets mit dem Urheber identifizierbar und dennoch vom Reiz des Fremdartigen. Das ganz breite Allerweltspublikum darf sich durch scheinbare Fremdartigkeit ruhig brüskiert fühlen; dies ist der überzeugende Beweis dafür, daß der Komponist sein spezielles Profil gefunden hat. Jenseits dieses Punktes braucht er kein optimal großes Publikum mehr. Sein Eigenwert ist etabliert, Selbstverwirklichung hat begonnen.[21] Entsprechend steigert sich die Selbsteinschätzung, die nun als Motivation für das Verlangen nach öffentlicher Förderung dienen kann. Es sind Presseverrisse und Aufführungsskandale, die Profil herstellen können. Die Konventionen von Publikum und Musikkritik arbeiten der Profilierung des Urhebers in die Hand; deren Rückständigkeit ist sicherer Gradmesser für die Fortschrittlichkeit des Komponisten.

Das in jeder Beziehung fortschrittlichste Profil eignet den Häuptern der Gorgonen. Wer sie anblickt, wird zu Stein; der Aufruhr der Sinne...

Erscheint lt. Verlag 16.11.2015
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Berlin • Bundeswehr • CDU • Deutschland • Frankreich • Georg Friedrich Händel • Gestapo • Hans Severus Ziegler • Konflikt • Macht • Magda Goebbels • Militär • Militärmusik • München • Musik • Nationalsozialismus • NSDAP • Paris • Propaganda • Robert Stolz • Sachbuch • Staat • Viktor Ullmann • Wien • Wilhelm Furtwängler
ISBN-10 3-10-560577-0 / 3105605770
ISBN-13 978-3-10-560577-6 / 9783105605776
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