Kolonialismus (eBook)

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2015 | 1. Auflage
130 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560505-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kolonialismus -  Andreas Eckert
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FISCHER KOMPAKT. Verlässliches Wissen kompetent, übersichtlich und bündig dargestellt. Eine knappe Darstellung der Geschichte kolonialistischer Expansion - vom 16. Jahrhundert bis zur Dekolonisation nach dem Zweiten Weltkrieg. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Andreas Eckert ist Professor für die Geschichte Afrikas an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zahlreiche Veröffentlichungen zum Kolonialismus und zu Afrika im 19. und 20. Jahrhundert.

Andreas Eckert ist Professor für die Geschichte Afrikas an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zahlreiche Veröffentlichungen zum Kolonialismus und zu Afrika im 19. und 20. Jahrhundert.

Grundriss


Was ist Kolonialismus?


Inzwischen hat sich weitgehend herumgesprochen, dass die Globalisierung nicht erst in den 1980er Jahren mit der Krise des Sozialstaates, neuen Kommunikationsmöglichkeiten und der Explosion der Finanzmärkte begann. Versteht man unter Globalisierung »den Aufbau, die Verdichtung und die zunehmende Bedeutung weltweiter Vernetzung« (Osterhammel/Petersson), so wurde dieser Prozess bereits im frühen 16. Jahrhundert irreversibel. Seit dieser Zeit setzten Entdeckungsreisen und regelmäßige Handelsbeziehungen Europa, Afrika, Asien und Amerika erstmals in einen direkten Kontakt. Diese Vernetzungen wuchsen kontinuierlich, um etwa drei Jahrhunderte später mit dem Beginn des revolutionären Zeitalters eine neue Dynamik zu erlangen. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs kam es zu wachsenden Gleichförmigkeiten in Staat, Religion, politischen Ideologien und ökonomischen Praktiken. Diese Entwicklung lässt sich nicht allein an großen Institutionen wie Kirchen, königlichen Höfen und Rechtssystemen ablesen, sondern etwa auch an der Art und Weise, wie Menschen sich kleideten, sprachen, aßen und ihre familiären Beziehungen regelten. Aus diesen sich zügig vertiefenden Verbindungen zwischen verschiedenen Gesellschaften gingen zahlreiche hybride politische Ordnungen, gemischte Ideologien und komplexe Formen wirtschaftlicher Aktivitäten hervor. Diese Verknüpfungen erhöhten gleichzeitig jedoch das Bewusstsein von Differenz oder gar Antagonismus vornehmlich zwischen den Eliten verschiedener Gesellschaften.

Die wachsende Betonung von Vernetzungen und Verflechtungen steht für die Einsicht, dass die Entstehung der modernen Welt als »gemeinsame Geschichte« gedeutet werden kann, in der verschiedene Kulturen und Gesellschaften eine Reihe zentraler Erfahrungen teilten und durch ihre Interaktion und Interdependenz die moderne Welt gemeinsam konstituierten. Der Verweis auf Interaktionen darf freilich nicht dazu führen, Ungleichheit, Macht und Gewalt aus den Augen zu verlieren. Beziehungen etwa zwischen Europa und der außereuropäischen Welt waren häufig hierarchisch oder gar repressiv. Diese Beziehungen werden gemeinhin mit dem Begriff »Kolonialismus« erfasst. Mit dem wachsenden Interesse an der Globalisierung und ihrer Geschichte gerät der »Kolonialismus« wieder verstärkt in den Blick. Dieses Themenfeld ist wie kaum ein anderes von transnationalen und transkulturellen Vernetzungen geprägt. Wenn das, was heute als Globalisierung in aller Munde ist, eine frühere Phase hat, so ist diese untrennbar mit der kolonialen und imperialen Expansion der europäisch-westlichen Staaten seit den »Entdeckungsfahrten« des 16. Jahrhunderts verbunden.

Kolonialismus ist zu Recht von dem Historiker Jürgen Osterhammel als ein »Phänomen von kolossaler Uneindeutigkeit« charakterisiert worden, das definitorisch kaum zu bändigen sei. Osterhammel selbst hat gleichwohl den Versuch einer Zähmung unternommen und folgenden, zugespitzten Definitionsvorschlag unterbreitet: Kolonialismus, schreibt er, sei »eine Herrschaftsbeziehung zwischen Kollektiven, bei welcher die fundamentalen Entscheidungen über die Lebensführung der Kolonisierten durch eine kulturell andersartige und kaum anpassungswillige Minderheit von Kolonialherren unter vorrangiger Berücksichtigung externer Interessen getroffen und tatsächlich durchgesetzt werden. Damit verbinden sich in der Neuzeit in der Regel sendungsideologische Rechtfertigungsdoktrinen, die auf der Überzeugung der Kolonialherren von ihrer eigenen kulturellen Höherwertigkeit beruhen.« Diese knappe Begriffsbestimmung bringt wesentliche Aspekte des Gegenstandes jenseits seiner fortdauernden »Ausdifferenzierung« auf den Punkt und bietet daher eine gute Grundlage auch für die vorliegende Darstellung.

Die Geschichte des Kolonialismus war mitnichten ein einheitlicher, geradliniger Prozess, welcher seit der iberischen Landnahme in Mittel- und Südamerika im sechzehnten Jahrhundert unaufhaltsam voranschritt und schließlich zur Zeit des Ersten Weltkriegs seinen Höhepunkt erreichte, als das Festland der Erde etwa zur Hälfte von Kolonien bedeckt war. Der Kolonialismus bestand vielmehr aus einer Vielzahl von Kolonialismen, entzieht sich mithin allzu simplen Schemata, wie sie auch hierzulande lange für populäre antikolonialistische Theorien von Hobson über Lenin bis hin zum aktivistischen »Tiers-Mondisme« kennzeichnend waren. Die Errichtung kolonialer Herrschaft war zudem eine langwierige, ungleichmäßige Angelegenheit und durch ein komplexes Konkurrenzgeflecht geprägt, in dem nicht selten Europäer gegen Europäer und Einheimische gegen Einheimische standen. Es gab vielerorts Widerstand gegen die kolonialen Eroberer aus Europa, aber ebenso Arrangement und Kooperation (von Throtha).

Ein zentraler Aspekt des Kolonialismus war dennoch die Gewalt, in der Regel keineswegs ein Ausdruck der Stärke, sondern der Schwäche der europäischen Kolonialherren. Koloniale Herrschaft blieb immer prekär. Zugleich war sie hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten ambivalent. Zwar folgten koloniale Gesellschaften grundsätzlich dem Prinzip der Distanz. Die oberen Ebenen des kolonialen Staates und der Wirtschaft waren per definitionem europäisch, räumliche Segregation, Paternalismus und Herablassung gegenüber einheimischen Kulturen und Versuche der systematischen Ausbeutung von Einheimischen stellten die Regel dar (Staat). Gleichwohl wurden diese Grenzen immer wieder durchbrochen, und so lassen sich koloniale Gesellschaften zumindest ansatzweise durch die Gleichzeitigkeit von Trennung und Verbindung charakterisieren. Diese Verbindungen manifestierten sich – freilich in immer noch hierarchischer Weise – etwa in den sexuellen Beziehungen zwischen männlichen Kolonisierenden und einheimischen Frauen. Überdies kamen die Kolonialherren schon aus Kostengründen und angesichts der geringen Zahl europäischer Administratoren in den meisten Fällen nicht umhin, auf einheimische Kräfte zurückzugreifen, um die Maschinerie des kolonialen Staates in Gang zu halten. Oft waren es diese Kräfte, die sich später gegen die Kolonialherren wendeten und den Prozess der Dekolonisation vielerorts entscheidend vorantrieben. »Dialektik des Kolonialismus« hat Wolfgang Reinhard dieses Phänomen treffend benannt.

Lange Zeit ist die Geschichte des Kolonialismus als Geschichte dynamischer europäischer Helden auf zivilisatorischer Mission geschrieben worden (Mission). Demnach agierten im kolonialen Kontext ausschließlich die Europäer, während die Einheimischen lediglich reagierten. Jüngere Forschungen stellen diese Sichtweise jedoch immer nachhaltiger in Frage. Sie betonen die Handlungsspielräume der Kolonisierten und beschreiben die koloniale Situation als einen Prozess ebenso vielfältiger wie widersprüchlicher Auseinandersetzungen. Kolonisierte nutzten in diesem Zusammenhang alle nur verfügbaren Ressourcen, welche die Präsenz von Europäern bot. Ohne die mit dem Kolonialismus einhergehende Gewalt und Ausbeutung verniedlichen zu wollen, ist es unerlässlich, auf die Anstrengungen und Möglichkeiten der Kolonisierten hinzuweisen, eigene Lebensformen im und mit dem Kolonialismus durchzusetzen.

Die Epoche des Kolonialismus ist weit davon entfernt, ein Monolith zu sein, dennoch lassen sich einige Zäsuren festmachen. Einen zentralen Einschnitt stellten die neunziger Jahre des fünfzehnten Jahrhunderts dar, die durch drei für die Geschichte des Kolonialismus markante Ereignisse geprägt sind. Am 12. Oktober 1492 landete Christoph Kolumbus auf einer westindischen Insel, die er sogleich in San Salvador umbenannte und für Spanien in Besitz nahm. Am 7. Juni 1494 vereinbarten Spanien und Portugal im Vertrag von Tordesillas die Teilung der Welt in zwei Einflusszonen. Und am 18. Mai 1498 ging Vasco da Gama im südwestindischen Kalikut an Land. Obgleich es bereits in der europäischen Antike »koloniale Phantasien« gab, gehen die genannten Ereignisse doch einher mit dem Beginn der kapitalistischen Durchdringung der Welt. Sie markieren daher den Beginn einer neuen Epoche.

Einen weiteren grundlegenden Einschnitt in der Geschichte des Kolonialismus bedeuteten in der Folge die Aufklärung und die industrielle Revolution seit Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Im Zuge der Aufklärung setzte sich ein universalistisches Denken durch, welches es ermöglichte, europäische Maßstäbe an den Rest der Welt anzulegen und gleichzeitig Europa für einzigartig zu erachten. »Im 18. Jahrhundert verglich sich Europa mit Asien; im 19. hielt es sich für unvergleichlich« (Osterhammel). Überdies diente dieses Denken gar noch als Movens und Legitimation für das imperiale Ausgreifen Europas in der Welt. Mit der industriellen Revolution kam es in bis dahin unbekannter Dichte zum Aufbau wirtschaftlicher Verflechtungen und zu einer Explosion des Welthandels (Wirtschaft). Der technologische Vorsprung Europas wuchs. Ein globales Wettrennen nach Rohstoffen und Absatzmärkten setzte ein, welches entscheidend den Hochimperialismus in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts stimulierte. Europas wirtschaftliche Sonderstellung etwa gegenüber Ostasien seit dem 19. Jahrhundert war weniger durch kulturelle oder politische Überlegenheit begründet. Sie basierte vor allem auf günstigen Kohlevorkommen und dem Handel mit dem amerikanischen Kontinent. Kohle, welche zunehmend Holz ersetzte, und die »Neue Welt« ermöglichten es Europa, entlang ressourcenintensiver und arbeitssparender Pfade...

Erscheint lt. Verlag 15.7.2015
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Afrika • Aimé Césaire • Amerika • Asien • Brasilien • Christoph Kolumbus • Dekolonisation • Dietmar Rothermund • East India Company • Erster Weltkrieg • Expansion • Fischer Kompakt • Hernán Cortés • Horst Pietschmann • Indien • Jürgen Osterhammel • Karibik • Kolonialherrschaft • Kolonialismus • Missionierung • Sachbuch • Unabhängigkeit • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-10-560505-3 / 3105605053
ISBN-13 978-3-10-560505-9 / 9783105605059
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