Goethe - Leben und Werk (eBook)

Zweiter Teil: Summe des Lebens
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2015 | 1. Auflage
614 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560426-7 (ISBN)

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Goethe - Leben und Werk -  Karl Otto Conrady
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Karl Otto Conrady zeichnet in seiner Biographie alle wichtigen Stationen des Goetheschen Lebens auf dem Hintergrund der von Kriegen und der Französischen Revolution bestimmten Epoche nach. Seine Darstellung, die von einer genauen Kenntnis der Briefe und Tagebücher Goethes und seiner Zeitgenossen zeugt sowie zahlreiche Ergebnisse der Goethe-Forschung aufarbeitet, vermittelt ein differenziertes Bild dieser für ihre Zeit exemplarischen Persönlichkeit. Sie bietet darüber hinaus einen Einblick in das umfangreiche dichterische Werk, seine naturwissenschaftlichen Studien und seine politische Tätigkeit am Hof von Weimar. Der zweite Teil der Biographie umfaßt die Zeit von 1789-1832, von der Französischen Revolution über die Zusammenarbeit mit Schiller bis zu Goethes Tod. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Karl Otto Conrady, geb. 21.2.1926 in Hamm/Westf., Dr. phil., war seit 1961 ord. Professor für Neuere deutsche Literatur in Saarbrücken, Kiel (1962-1969) und dann bis zu seiner Emeritierung 1991 an der Universität zu Köln. Neben seinen literaturhistorischen Arbeiten wurde weithin bekannt die von ihm herausgegebene Sammlung deutscher Gedichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, die unter dem Titel ?Das große deutsche Gedichtbuch? seit 1977 in mehreren Ausgaben erschien, zuletzt 2008 (bei Artemis & Winkler). Autobiografisches, auch im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Hochschullehrer und der Beschäftigung mit der Geschichte der deutschen Germanistik, findet sich im Band ?Klärungsversuche. Essays zu Literatur und Zeitgeschehen? (München 2005).

Karl Otto Conrady, geb. 21.2.1926 in Hamm/Westf., Dr. phil., war seit 1961 ord. Professor für Neuere deutsche Literatur in Saarbrücken, Kiel (1962–1969) und dann bis zu seiner Emeritierung 1991 an der Universität zu Köln. Neben seinen literaturhistorischen Arbeiten wurde weithin bekannt die von ihm herausgegebene Sammlung deutscher Gedichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, die unter dem Titel ›Das große deutsche Gedichtbuch‹ seit 1977 in mehreren Ausgaben erschien, zuletzt 2008 (bei Artemis & Winkler). Autobiografisches, auch im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Hochschullehrer und der Beschäftigung mit der Geschichte der deutschen Germanistik, findet sich im Band ›Klärungsversuche. Essays zu Literatur und Zeitgeschehen‹ (München 2005).

Deutsche Reflexe


Die Reaktion auf das ebenso aufsehenerregende wie verwirrende Geschehen war bei den Deutschen, die nur Beobachter waren, sehr unterschiedlich. Sie reichte von enthusiastischer Zustimmung bis zu prinzipieller Ablehnung. Dazwischen gab es das Für und Wider abwägende Meinungen, Versuche zu differenzierten Beurteilungen, Nachdenken über mögliche Konsequenzen für die bunte Vielfalt der deutschen Territorien, wo weder von gemeinsamer politischer Willensbildung eines kräftigen Bürgertums noch von der Fähigkeit zu geschlossenem Handeln die Rede sein konnte. Zudem ließ der Ablauf der Revolution mit den Septembermorden von 1792 und der Hinrichtung des Königs im Januar 1793 viele, die anfangs gejubelt hatten, zurückschrecken. So schrieb beispielsweise Klopstock 1789 das Gedicht Kennet euch selbst:

Frankreich schuf sich frei. Des Jahrhunderts edelste Tat hub

Da sich zu dem Olympus empor!

Bist du so eng begrenzt, daß du sie verkennest, umschwebet

Diese Dämmerung dir noch den Blick,

Diese Nacht: so durchwandre die Weltannalen und finde

Etwas darin, das dir ferne nur gleicht,

Wenn du kannst. O Schicksal! das sind sie also, das sind sie,

Unsere Brüder, die Franken; und wir?

Ach ich frag’ umsonst; ihr verstummet, Deutsche! Was zeiget

Euer Schweigen? bejahrter Geduld

Müden Kummer? Oder verkündet es nahe Verwandlung

Wie die schwüle Stille den Sturm,

Der vor sich her sie wirbelt, die Donnerwolken, bis Glut sie

Werden, und werden zerschmetterndes Eis?

Nach dem Wetter atmen sie kaum, die Lüfte, die Bäche

Rieseln, vom Laube träufelt es sanft,

Frische labet, Geruch’ umduften, die bläuliche Heitre

Lächelt, das Himmelsgemälde mit ihr;

Alles ist reg’ und ist Leben und freut sich! Die Nachtigall flötet

Hochzeit! Liebender singet die Braut!

Knaben umtanzen den Mann, den kein Despot mehr verachtet,

Mädchen das ruhige, säugende Weib!

Aber 1793 widerrief der vormals Begeisterte. Im Gedicht Mein Irrtum klagte er: „Ach, des goldenen Traums Wonn’ ist dahin, / Mich umschwebet nicht mehr sein Morgenglanz, / Und ein Kummer wie verschmähter / Liebe kümmert mein Herz.“

An Informationen aus dem revolutionären westlichen Nachbarland mangelte es in den deutschen Gebieten nicht. Zeitungen und Zeitschriften druckten Artikel über die Ereignisse bei den „Franken“, den „Neu-Franken“, wie sie bald hießen, und was in der Nationalversammlung verhandelt wurde, war nachzulesen, wenn auch verkürzt oder wegen der Zensur gefiltert. Paris war immer beliebtes Ziel mancher Reisender gewesen; jetzt waren die mündlichen und schriftlichen Berichte derer, die sich in diesen bedeutungsschweren Monaten und Jahren dort aufhielten oder aus der Hauptstadt zurückkamen, begehrt, wurden aber auch beargwöhnt von denen, die fürchteten, daß die Landsleute von revolutionären Gedanken angesteckt werden könnten. Tatsächlich flackerten ein paar Unruhen auf, in Sachsen, in Bayern, in Mecklenburg und Schlesien, aber sie blieben bedeutungslos; die Feudalherrschaft mit ihren Privilegien behielt die Oberhand. Erst als die Franzosen linksrheinische deutsche Gebiete eroberten, kam es dort zu ernsthaften Versuchen, ein demokratisch-republikanisches Gemeinwesen zu etablieren. Doch was unter dem Schutz und Druck einer fremden Besatzungsmacht errichtet wurde, war nicht von Wunsch und Willen der Mehrheit der Bevölkerung getragen.

Auch diesseits des Rheins bildeten sich Jakobinerzirkel. Erst neuere Forschungen haben das Wirken deutscher Jakobiner, das zur Vorgeschichte der Demokratie gehört, der Vergessenheit entrissen, mit der eine nationalkonservative und nationalistische Geschichtsschreibung seit dem 19. Jahrhundert bestrafte, was nicht in ihr Konzept paßte. Allerdings bieten, was hier wenigstens beiläufig erwähnt sei, die Begriffe ‚Jakobinismus‘ und ‚Jakobiner‘ in Deutschland einige Schwierigkeiten. Manche Zeitgenossen stempelten in polemisch-diffamierender Absicht jeden zum Jakobiner, der Sympathien für gesellschaftliche Veränderungen bekundete und deshalb der Umwälzung in Frankreich nicht prinzipiell ablehnend gegenüberstand. Dabei gab man, wie das in solchen Fällen immer zu geschehen pflegt, auf Differenzierungen wenig acht. Gleichgültig, ob jemand auf durchgreifende Reformen hoffte oder die vollständige Revolution herbeiwünschte, das Schimpfwort ‚Jakobiner‘ wurde jedem nachgerufen. Doch sind, will man der damaligen Wirklichkeit gerecht werden, Unterscheidungen angebracht. Reformistische Liberale fühlten sich anderen Verfahren der Veränderung verpflichtet als radikaldemokratische Theoretiker und Praktiker, die die volle, alle Bevölkerungsschichten beteiligende Volkssouveränität durchsetzen und das Bestehende gänzlich, auch unter Anwendung von Gewalt, beseitigen wollten. Zudem haben fast alle, die man den Jakobinern zuzählen kann, Entwicklungen durchlaufen, die einen Wandel der politischen Positionen bedeuteten. Darum erscheint es angebracht, von jakobinischen Lebensphasen und jakobinischen Schriften zu sprechen, die dadurch gekennzeichnet sind, daß in ihnen ein radikaler Demokratismus vertreten und die Revolution mit all ihren Konsequenzen als Mittel zur Veränderung nicht grundsätzlich ausgeschlossen, sondern im Blick auf die französischen Ereignisse bewußt mit einkalkuliert wird. Was die Jakobiner publizierten, folgte deshalb einem anderen Prinzip, als es jener Satz aus den italienischen Kunsterfahrungen eines Karl Philipp Moritz und Goethe formulierte: „Es ist nämlich ein Vorrecht des Schönen, daß es nicht nützlich zu sein braucht“ (vgl. Bd. I 502). Ganz im Gegenteil bildeten jakobinische Autoren eine politisch-operative Literatur für die aktuelle Verwendung in der prosaischen Wirklichkeit aus, und zwar in vielfältigen Formen, vom Flugblatt bis zur Rede, vom Gedicht bis zum dramatischen Dialog, um nur dies zu nennen und die Zeitschriften ganz zu übergehen. Es war didaktische Literatur, die dem Volk klarmachen wollte, warum es arm war und wie dieser Zustand geändert werden könnte.

Allerdings bleibt zu bedenken, daß die Zahl aktiver Jakobiner in Deutschland klein war und fundierte Diskussionen über das epochemachende Geschehen in Frankreich nur in den Zirkeln derer stattfinden konnten, die über die strittigen politischen Probleme Bescheid wußten und ausgebildet genug waren, um lesend und womöglich schreibend an den geistigen und politischen Auseinandersetzungen der Zeit teilzunehmen. Das waren, verglichen mit der Gesamtzahl der Bevölkerung, nicht eben viele. Wieland etwa, der schon 1772 in seinem Roman Der Goldne Spiegel, oder die Könige von Scheschian das Thema der Erziehung zum guten Fürsten aufgegriffen, Fragen einer vernunftgerechten Staatsverfassung behandelt hatte (vgl. Bd. I 305) und weiterhin ‚politisch‘ zu nennende Dichtung schrieb, versorgte seine Leser und damit auch die Weimarer Kreise fortlaufend, besonders in seiner Zeitschrift Teutscher Merkur, mit Betrachtungen zur Französischen Revolution. Es waren skeptische Überlegungen, die er anstellte, und je weiter die Revolution fortschritt, desto größer wurden seine Zweifel, ob die revolutionären Änderungen und die dabei eingesetzten Mittel zum proklamierten Ziel einer besseren und wirklich menschenwürdigen Gesellschaft führen könnten. Unerschütterlich baute der Dichter des Goldnen Spiegel auf seine Hoffnungen, Reformen innerhalb des Bestehenden würden möglich sein und ausreichen. Den Schritt darüber hinaus mochte er nicht mitvollziehen. Zudem pochte er wie viele andere auf die Besonderheit der deutschen Verhältnisse, in denen ein revolutionärer Umsturz weder möglich noch sinnvoll sei.

Aber auch dort, wo die verfügbaren Informationen über Frankreich aufgenommen und das Nachdenken über die erwünschte oder abgelehnte Staats- und Gesellschaftsform intensiviert wurden, blieb vieles, was sich bei den Neu-Franken ereignete, unklar. Das lag nicht an einem Mangel an Nachrichten, sondern daran, daß so schwer zu durchschauen war, was wirklich vor sich ging. Die Schübe der Revolution mit ihren offenkundigen und verborgenen Antriebskräften, sozialen Spannungen und Widersprüchen, mit ihren wechselnden Führungsgruppen und teilweise schonungslosen Richtungskämpfen waren für die beobachtenden Zeitgenossen so schwierig zu erfassen und zu bewerten wie für die spätere Forschung. Aufs Grundsätzliche zielende theoretische Abhandlungen und Kampfschriften für und wider die Revolution begleiteten auch in Deutschland von früh an die aufsehenerregenden Vorgänge seit 1789. Schon 1790, also noch bevor die weitere Entwicklung zu erkennen war, legte der Engländer Edmund Burke seine Reflections on the Revolution in France vor, jene wirkungsvolle Grundschrift gegen eine revolutionäre Veränderung des Hergebrachten und Bestehenden, die Friedrich Gentz alsbald ins Deutsche übertrug (Betrachtungen über die französische Revolution). Aber im gleichen Jahr feierte Joachim Heinrich Campe in seinen Briefen aus Paris zur Zeit der Revolution geschrieben den Beginn einer neuen Zeit und drückte die Hoffnungen der Begeisterten aus:

Wir werden zum ersten Mal ein großes Reich sehen, worin das Eigentum eines jeden heilig, die Person eines jeden unverletztlich, die Gedanken zollfrei, das Glauben ungestempelt, die Äußerung desselben durch Worte, Schriften und Handlungen völlig frei und keinem menschlichen Richterspruch mehr unterworfen sein wird; ein Reich, worin keine privilegierten, keine gebornen Volksbedrücker, keine...

Erscheint lt. Verlag 15.7.2015
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Biographie • Epigramm • Farbenlehre • Frankreich • Hoftheater • Italien • Jena • Kunsterziehung • Lebensverwirklichung • Mainz • Marienbad • Revolution • Sachbuch • Sonett • Theaterroman • Wahlverwandtschaft • Walpurgisnacht • Weimar • Wilhelm Meister
ISBN-10 3-10-560426-X / 310560426X
ISBN-13 978-3-10-560426-7 / 9783105604267
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