Herzbrüche (eBook)

Szenen aus der psychotherapeutischen Praxis
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2015 | 1. Auflage
172 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560363-5 (ISBN)

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Herzbrüche -  Claudia Erdheim
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Claudia Erdheim verarbeitet in ?Herzbrüche? ihre Erfahrungen mit einer primärtherapeutischen Gruppe. Während der Therapieprozeß zu Anfang noch hin und her pendelt zwischen Trauer und einer gewissen Komik, steigert er sich im weiteren Verlauf zur Katastrophe. Dazwischen liegen Rivalitätskämpfe, Abhängigkeiten und Idealisierung des Therapeuten. Emotionen, Aggressionen geraten außer Kontrolle und nehmen schließlich überhand. Dem Therapeuten entgleitet das Geschehen. In leicht wienerischem Dialekt und Stakkato-Stil bricht alles aus der Erzählerin heraus, was sie beobachtet, erlebt und erlitten hat. Witzig, wütend und verstört durcheilt sie die Zeit dieser mißglückten Psychotherapie. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Claudia Erdheim wurde 1945 als Tochter einer Psychoanalytikerin in Wien geboren. Studium der Philosophie und Logik in Wien, München und Kiel. Lehraufträge. 1984 erschien ihr Buch ?Bist du wahnsinnig geworden??, das die Geschichte ihrer Kindheit und die Mutter-Tochter-Beziehung zum Inhalt hat.

Claudia Erdheim wurde 1945 als Tochter einer Psychoanalytikerin in Wien geboren. Studium der Philosophie und Logik in Wien, München und Kiel. Lehraufträge. 1984 erschien ihr Buch ›Bist du wahnsinnig geworden?‹, das die Geschichte ihrer Kindheit und die Mutter-Tochter-Beziehung zum Inhalt hat.

I


Was interessiert mich der Penis von der ihrem toten Schwiegervater. Mir ist das peinlich, daß die ständig vom Penis redet. Die tut doch bloß so, als ob ihr das nicht peinlich wär. Das letzte Mal hat der eine die ganze Zeit vom Onanieren geredet. Das hat mir eigentlich nichts gemacht. Nur wie der Harms gesagt hat: wir nehmen Sie doch schon alle an die Brust, Herr Krause hat mehr Busen als ich; das war mir schon peinlich. Die Haas hat so was nie gesagt. Kann die nicht endlich von was anderem reden. Den andern macht das gar nichts. Heute sind so viele Leute da. Einer hat sich sogar noch einen Stuhl von der Veranda holen müssen. Alle schaun mich an. Blöd, daß ich nicht unsichtbar bin. Am liebsten würd ich mich umdrehn. Ein bißchen nach rechts kann ich mich drehn und schaun, was für Bücher der Harms hat. Ich muß ihn heute unbedingt nach der Adresse von diesem Steger fragen. Nach der Stunde geht das nicht; da darf man nichts mehr sagen; da muß man gleich verschwinden. Wenn nur nicht so viele Leute da wärn. Anschaun kann ich eh niemanden. Die Haas hab ich auch immer in der Stunde gefragt, wenn ich was wissen wollte. Die redet immer noch vom Penis vom Schwiegervater. Das ist mir doch wurscht, daß der Schwiegervater gestorben ist. Traurig ist sie, sagt sie. Man merkt aber gar nichts. Die redet so, als ob sie das alles gar nichts angeht. Langweilig ist das. Schade, daß die Ärztin nicht da ist, die letztes Mal da war. Die war ganz sympathisch. Auf jeden Fall muß ich heute die Adresse vom Steger rauskriegen. Mir wird das immer peinlicher. Will die den Penis verschlucken? Kaum ist sie gesessen, hat sie schon angefangen und vom Penis vom toten Schwiegervater geschwätzt. Weil’s ihr angeblich so schlechtgeht, hat sie gleich angefangen. Die tut sich aber sehr leid. Ausdrücken kann sie sich auch nicht. Die »einzigste« sagt sie immer. Dabei glaubt sie, daß sie sich gewählt ausdrückt. Daß ich nicht lach. Wie die Leute schon ausschaun. No ja, das hat nichts zu sagen. Der Thomas schaut auch aus wie ein Pülcher und ist ein Genie. Dürfte ich einmal den Gefühlsstrom unterbrechen; ich möchte gerne die Adresse von diesem Steger haben. So red ich immer. Oi je, das hätt ich lieber nicht tun solln. Am liebsten würd ich verschwinden. Jetzt sitz ich wieder so angenagelt da. Ich sitz immer so angenagelt da, besonders wenn ich einen Scheiß gemacht hab. Grad wenn ich am liebsten wegrennen will und verschwinden, kann ich mich nicht mehr rühren. Alle schaun mich jetzt an. Warum sind sie alle so wütend? Wenn Sie sich nicht anpassen können, dann bleiben Sie gleich weg. Zack. Ich hab doch gar nichts getan. Im Seminar mach ich das ja auch so, da unterbrech ich ja auch manchmal. Und die Haas hab ich ja auch immer was gefragt während der Stunde. Sie strecken uns den nackten Hintern hin. Zack. Die nächste Watschen. Der könnte sich auch ein bißchen vornehmer ausdrücken. Jetzt sind alle gegen mich. Jetzt redet der einfach jemand anderen an, weil er mich ausschalten will. Blöd, daß ich so angenagelt bin. Ich halt mich ganz fest an der Sessellehne an. Der Harms sagt gar nichts. Gott sei Dank, die eine ist jetzt ganz nett und freundlich. Jetzt fragen sie mich aus. Ich wollt ja gar nichts erzählen. Ich wollte ja nur diese Adresse haben. Ich will aber nicht sagen, wie alt ich bin. Jetzt werden sie zudringlich. Der Harms lächelt eigentlich so ganz freundlich. Vielleicht schmeißt er mich doch nicht raus. Wann haben Sie das letzte Mal mit Ihrem Mann geschlafen. Das ist doch ein widerlicher Kerl. Ich kann ja sagen, daß mir das peinlich ist. Ich muß das ja nicht beantworten. So ein Trottel. Jetzt weist ihn der Harms aber zurecht und nimmt mich in Schutz. Gott sei Dank. Hoffentlich fang ich nicht zu weinen an. Ich halt mich eh schon so fest an der Sessellehne an. Nützt auch nichts. Wenn Sie so aggressiv sind, nimmt Sie in Süddeutschland niemand. Das kommt jetzt von Harms. Jetzt ist alles aus. Ist das jetzt ein Hinauswurf? Aber er hat das noch ganz freundlich gesagt. Ein bisserl kommen mir jetzt doch die Tränen. Ich könnt im Boden versinken. Die neben mir berührt meine Hand, so ganz spontan. Ich will das nicht; die soll die Hand wieder wegtun. Das ist ja nett gemeint. Dagegen tun kann ich auch nichts. Ich bin völlig gelähmt. Ich sitz immer noch so versteinert da. Nur nicht bewegen. Vielleicht sind doch nicht alle gegen mich. Die blöde Gans glaubt, ich red Schwäbisch. Was geht das die an, von wo ich komm. Sind doch eh alle Piefke. Aber sie haut mir wenigstens nicht eine rein. Bei der Haas hab ja auch Stunde um Stunde immer nur ich geredet. Ich bin sowieso der interessanteste Fall.

Was haben die andern schon für Probleme. Außerdem bin ich auch Analytikerkind. Das ist sonst niemand. Auf jeden Fall ist das was Besonderes, zumindest was Besondereres als die anderen. Jedenfalls hier. Und was haben die anderen schon für eine Kindheit gehabt. Wer hat schon so eine besondere Kindheit gehabt wie ich. Das sind doch ganz gewöhnliche Leute. Sie sind doch ein sehr kluges Mädchen. Jetzt ist der Harms wieder freundlich. Ich weiß schon, man kann Patienten nicht in so einem Zustand weggehn lassen. Das hat die Grandy oft erzählt. Jetzt hab ich ja meinen ersten Auftritt gehabt. In der ersten Stunde hab ich kein Wort gesagt. Aber ich brauch nur den Mund aufzumachen, und schon passiert ein Unglück. Wenn mir nur nicht die Tränen runterrinnen würden. Der Kerl, der mich vorhin so angemacht hat, redet mich jetzt an. Ob ich in die Kneipe mitgehn will. Jetzt ist er auf einmal ganz freundlich. Er hat Probleme mit den Frauen, erzählt er mir. No ja, das haben hier doch alle. Aber sonst hat ihm die Therapie schon viel gebracht. Er geht schon zehn Jahre zum Harms. Wenn ich nur zu heulen aufhören könnte. Jetzt ist wieder die Katastrophe ausgebrochen. Es hat doch alles keinen Sinn. Bei der Haas ist die Analyse schiefgegangen und jetzt das. Der Alte streichelt mir über den Kopf, spielt sich da als Papa auf. Ich will das nicht. Aber dagegen tun kann ich auch nichts. Jetzt auf einmal reden sie mir alle freundlich zu. Die Gruppe trägt und lauter solchen Scheiß. Eine flüstert einer anderen zu, daß sie sich schämen würde, wenn sie so weinen würde. Ich schäm mich eh bis in den Tod hinein. Aber abstellen kann ich’s auch nicht. Warum bin ich nur mitgegangen? Eigentlich bin ich ja ganz gern unter Leuten. Ich kenn eh kein Schwein. Dabei bin ich so weg. Im Zug rinnen mir immer noch die Tränen runter. Das kenn ich ja. So bin ich oft von der Haas nach Hause gefahren. Jetzt stürzt wieder die Welt ein. Der Erdheim sagt, ich soll da nicht mehr hingehn. No ja, ich hab schon viel ausgehalten; so schnell geb ich’s auch wiederum nicht auf. Schiß hab ich schon, wieder hinzugehn. Aber nächste Woche wird’s wieder besser sein. Und sagen werd ich halt so schnell nicht wieder was.

Hoffentlich sieht mich niemand, wie ich komm. Ich geh lieber hinten herum. Ich hab so viel Luft im Magen und schon wieder diesen blöden Brechreiz. Das hab ich bei der Haas auch gehabt. Jetzt kommt dieser Typ, der mich letztes Mal so fertiggemacht hat. Ich versteck mich schnell hinterm Baum. Was hat er’s so eilig; es ist doch eh noch Zeit. Ich komm lieber nicht zu früh, sonst schaun mich die alle auf der Veranda an. Aber zu spät kommen darf ich auch nicht; auf gar keinen Fall. Zu spät kommen ist eine Katastrophe. Dann schaun einen erst recht alle an, wenn man reinkommt. Bei der Haas bin ich immer auf die Minute genau gekommen. Aber das weiß ich von der Grandy, daß die Analytiker das nicht mögen, wenn man zu früh oder zu spät kommt. Die Haas hat ja auch kein Wartezimmer gehabt. Heute sind wieder viele Leute auf der Veranda. So ein blödes Geträtsche vom Zahnarzt und den Kindern. Ich sag gar nichts. Konversation machen mag ich nicht, das kann ich nicht ausstehn. Hoffentlich fangt der Hokuspokus bald an. Die eine quatscht mich jetzt an. Wie die schon ausschaut. Überall hat sie irgendwelche Rüscherln; ein grünes Trachtenjackerl hat sie an. Primitives Germanenweib. Ich schau schnell in den »Spiegel«. Lesen tu ich eh nicht, ich tu nur so; ich kann mich doch jetzt nicht konzentrieren. Wenn ich zur Haas gegangen bin, war ich auch immer ein bisserl aufgeregt. Aber hier bin ich auch noch neu. Und außerdem gibt’s da noch andere Leute. Was hat er denn da für Bücher stehn? Playboy. Das schaut ihm ähnlich. Die Lolita. Typisch. Esslin, das absurde Theater. Wie kommt denn das da her? Alles durcheinander. Ludwig Thoma, Altaich. Lauter Taschenbücher aus den 50er Jahren. Hoffentlich setzt sich niemand auf meinen Platz. Ich muß schaun, daß ich möglichst schnell reinkomm. Auf die Bank kann ich mich auf gar keinen Fall setzen. Ich muß immer da sitzen, wo ich das erste Mal auch schon gesessen bin. Außerdem ist der Platz ganz gut. Genau gegenüber kann ich dem Harms nicht sitzen. Wo soll ich denn da hinschaun. Anschaun kann ich ihn ja nicht. So kann ich mich immer auf die Seite drehn und die Bücher anschaun. Kenn ich eh alles. Jetzt geht endlich die Tür auf. Jetzt muß ich mich konzentrieren, damit ich auch meinen Platz krieg. Daß das nur niemand merkt; nur nicht drängen. Wenn ich reingeh, schau ich schnell weg. Grüßen tu ich auch kaum.

Gruppensitzung

PAT 1 (sitzt auf dem dritten Sessel links vom Analytiker. Eine Frau Mitte 40. Matronenhaft. Leichte Dauerwelle. Winterkleid. Wirkt sehr bieder):

Ich versteh mich mit meinem Mann eigentlich sehr gut. Er ist nur nicht viel zu Hause, seit er in Bielefeld Professor ist. Und wenn er da ist, hab ich immer soviel zu tun. Der Beruf und die Kinder. Um die Kinder kümmert er sich gar nicht. Wenn er mehr da wäre, wären wir sehr glücklich. Ich leide sehr darunter, daß er so wenig da ist.

ANALYTIKER:

Sie...

Erscheint lt. Verlag 15.7.2015
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Aggression • Betroffenheit • Gruppentherapie • Herzbruch • Katastrophe • Krise • Psychotherapie • Sachbuch • Therapie • Therapiegruppe • Therapieprozeß • Wien • Witz
ISBN-10 3-10-560363-8 / 3105603638
ISBN-13 978-3-10-560363-5 / 9783105603635
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