Deutsche Richterschaft 1919-1945 (eBook)

Krisenerfahrung, Illusion, politische Rechtsprechung
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
280 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560385-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Deutsche Richterschaft 1919-1945 -  Ralph Angermund
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Ralph Angermund liefert eine auf intensiven Archivrecherchen beruhende Darstellung der Richterschaft in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. Entschuldigende Mythen werden ebenso widerlegt wie vorschnelle Pauschalverurteilungen. Angermunds Arbeit wurde 1989 mit dem Preis der Ruhr-Universität Bochum ausgezeichnet. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Ralph Angermund, Dr. phil., geb. 1956, studierte Geschichte, Politische Wissenschaft, Germanistik und Pädagogik; 1981-1985 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ruhr-Universität Bochum (Forschungsprojekt »Herrschaftsalltag im Nationalsozialismus«); 1985/86 Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung; 1987-1989 Redakteur bei der Zeitschrift »Aus Politik und Zeitgeschichte«, Beilage zu »Das Parlament«, Bundeszentrale für politische Bildung; 1988 Mitarbeit an der Ausstellung »Justiz und Nationalsozialismus« des Bundesministers der Justiz; ab 1989 Mitarbeiter der Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen.

Ralph Angermund, Dr. phil., geb. 1956, studierte Geschichte, Politische Wissenschaft, Germanistik und Pädagogik; 1981–1985 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ruhr-Universität Bochum (Forschungsprojekt »Herrschaftsalltag im Nationalsozialismus«); 1985/86 Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung; 1987–1989 Redakteur bei der Zeitschrift »Aus Politik und Zeitgeschichte«, Beilage zu »Das Parlament«, Bundeszentrale für politische Bildung; 1988 Mitarbeit an der Ausstellung »Justiz und Nationalsozialismus« des Bundesministers der Justiz; ab 1989 Mitarbeiter der Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen.

Einleitung


1942 gab es im Großdeutschen Reich 14048 Richter[1]. Sie dienten einem Regime, das die Grundrechte aufgehoben und die Prinzipien des Rechtsstaates restlos beseitigt hatte. Die Willkürherrschaft dieses Regimes war mit dem Recht und einem unabhängigen Richtertum unvereinbar. Das Recht war für die Nationalsozialisten kaum mehr als ein Mittel für ihre politischen Zwecke, und dementsprechend war ihr Verständnis der Aufgaben des Richters. Nach den sogenannten Richter-Leitsätzen zum Beispiel, die der Reichsjuristenführer Hans Frank im Januar 1936 präsentierte, hatte sich der Richter widerspruchslos in den Dienst des NS-Staates zu stellen, die Rechtsquellen in dessen Sinne auszulegen und alle Entscheidungen und Äußerungen des »Führers«, gleich ob sie in einem Gesetz festgelegt seien oder nicht, ohne Prüfung als geltendes Recht zu akzeptieren. Auf dem Boden der NS-Weltanschauung stehend, habe der Richter »die konkrete völkische Gemeinschaftsordnung zu wahren, Schädlinge auszumerzen, gemeinschaftswidriges Verhalten zu ahnden und Streit unter Gemeinschaftsgliedern zu schlichten«[2]. Aufgabe der Richterschaft war damit also nicht zuletzt auch die Vernichtung politischer, rassischer und asozialer »Volksschädlinge«.

Es ist heute unstrittig, daß die deutsche Richterschaft diese Anforderungen weitestgehend erfüllt hat. Bis in die letzten Kriegstage hinein wandten deutsche Richter die Unrechtsgesetze des Dritten Reiches an und unterdrückten Gegner des Nationalsozialismus, »Defaitisten« und andere »Volksschädlinge« mit drakonischen Strafen. Bilanz ihrer Rechtsprechung sind weit über 16500 Todesurteile, von denen die meisten zwischen 1939 und 1945 gefällt wurden. Spuren des Widerstands oder der Verweigerung finden sich hingegen in den Akten der Justiz des Dritten Reichs nur in höchst seltenen Fällen. Der Wuppertaler Gerichtsassessor Martin Gauger, der 1934 als Christ den Eid auf Hitler verweigerte und schließlich, nachdem er sich 1940 dem Wehrdienst entzogen hatte, den Tod im KZ Buchenwald fand, oder der Brandenburger Amtsgerichtsrat Lothar Kreyßig, der – auch aus christlicher Überzeugung – gegen die Euthanasieaktionen protestierte, gehören zu den ganz wenigen Richtern, die in offenen Gegensatz zum NS-Regime traten[3]. Die übergroße Mehrheit ihrer Kollegen ließ keine Distanz oder Zweifel gegenüber dem Dritten Reich erkennen[4]. Sie verhielten sich gegenüber »Führer und Reich« absolut loyal oder trieben gar, wie u.a. Hans Robinsohn[5], Ernst Noam und Wolf-Arno Kropat[6] in ihren Studien über die Rechtsprechung gegen Juden deutlich gemacht haben, die Zerstörung des Rechtsstaates immer weiter voran.

Der Weg zu der Einsicht, daß die Richterschaft dem NS-Regime widerspruchlos und oft mit Übereifer gedient hat, war für die bundesdeutsche Justiz lang und schwierig. Die Frage nach den Vermengungen von Recht, richterlichem Handeln und Politik, die die Geschichte der NS-Justiz unweigerlich aufwirft, stellte man in den fünfziger Jahren nicht gern, zumal dabei das damals gepflegte Bild vom Richter als wissenschaftlich-wertfrei entscheidenden »Gesetzespriester« rasch ins Wanken geraten wäre. Vor allem aber berührte die Frage nach der Rolle der Justiz im Nationalsozialismus einen wunden Punkt des demokratischen Neubeginns nach 1945, nämlich die weitgehend ungebrochene personelle Kontinuität zwischen den Justizapparaten des Dritten Reiches und der Bundesrepublik.

Wie in anderen Bereichen von Staat und Gesellschaft fand nach 1945 auch in der Justiz der Westzonen keine wirkliche »Entnazifizierung« statt. Die meisten der Richter, die die Alliierten in den ersten Nachkriegsmonaten wegen ihrer NS-Vergangenheit zunächst vom Dienst suspendiert oder in Internierungslager eingewiesen hatten, kehrten oft schon nach wenigen Monaten zurück. Angesichts der Nachkriegswirren, die u.a. in einer außerordentlich hohen Kriminalitätsrate ihren Niederschlag fanden, glaubte man auf eine funktionierende Rechtspflege nicht verzichten zu können. Diese war jedoch aufgrund des drückenden Personalmangels, der nach der Suspendierung der »Parteigenossen« an den Gerichten entstanden war, nicht mehr gewährleistet. Versuche, die Rechtspflege durch den verstärkten Einsatz von Laienrichtern oder – wie in der sowjetischen Besatzungszone – durch in Schnellkursen ausgebildete »Volksrichter« aufrechtzuerhalten, machte man nicht. Nach sehr oberflächlichen »Entnazifizierungs«-Verfahren ließ man statt dessen das alte Personal zurückkehren. In der Britischen Zone zum Beispiel waren 1948 rund 90 Prozent aller Landgerichtsräte und Landgerichtsdirektoren ehemalige Mitglieder der NSDAP. Etliche dieser Richter waren vor der rigiden Entnazifizierungspolitik der Sowjets in den Westen geflohen und sorgten dort an einigen Gerichten für eine größere Zahl von »Parteigenossen«, als es sie dort vor dem Kriegsende gegeben hatte[7]. Hinter Forderungen, wie sie z.B. in der Widerstandsgruppe des Kreisauer Kreises zur »Wiederherstellung der Rechtsordnung« und zur »Bestrafung von Rechtsschändern« während der NS-Zeit formuliert worden waren, blieb man weit zurück[8].

1949 wurde schließlich die überwiegende Mehrzahl der Richter, die zuvor dem NS-Regime gedient hatten, in die Dienste der Bundesrepublik übernommen. Dabei war die »Demokratietauglichkeit« der deutschen Richter während der Beratungen des Grundgesetzes noch heiß umstritten gewesen, insbesondere da sich abzeichnete, daß die Justiz in der zweiten deutschen Republik durch den Aufbau einer Verfassungsgerichtsbarkeit eine Schiedsfunktion in rechtlichen und politischen Streitfragen erhalten würde. SPD und KPD bezweifelten entschieden, daß sich die deutsche Richterschaft in einem demokratischen Rechtsstaat bewähren würde. Die SPD versuchte im Parlamentarischen Rat, die Aufnahme von Laien in das Bundesverfassungsgericht festzuschreiben, um durch die Beteiligung des »Nichtfachrichterelements« (CH. Schmid) eine demokratische Rechtsprechung zu gewährleisten. Zudem plädierte sie dafür, die »demokratische Zuverlässigkeit« der Bewerber für das Bundesverfassungsgericht durch Richterwahlausschüsse prüfen zu lassen. Die Umsetzung derartiger Vorschläge scheiterte jedoch an der konservativ-liberalen Mehrheit im Parlamentarischen Rat, die die Vergangenheit der Richterschaft weit positiver sah, ja z.T. sogar die Meinung vertrat, daß sich ein großer Teil der Richter im Rahmen des Möglichen gegen die NS-Unrechtsgesetze zur Wehr gesetzt habe. Vor allem sahen CDU/CSU und FDP in der Einschaltung von Wahlausschüssen die Gefahr, daß die Ernennung der Richter nach politischen Gesichtspunkten erfolgen könnte, und hielten nachdrücklich am traditionellen Berufsrichtertum fest[9].

Parallel zur Rückkehr der Richter der NS-Zeit an die Gerichte begann in der Justiz der Westzonen die »Aufarbeitung« der Jahre zwischen 1933 und 1945. Anstoß hierfür war insbesondere das »Nürnberger Juristenurteil«, das der US-Militärgerichtshof Nr. III Anfang Dezember 1947 gegen 16 Repräsentanten der NS-Justiz verkündete[10]. Dieses Urteil stufte die Justiz als kriminelles Werkzeug des NS-Unrechtsstaats ein und erklärte sie zahlloser Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig. »Der Dolch des Mörders« sei »unter der Robe des Juristen verborgen« gewesen[11].

Auf dieses Diktum reagierten die eben noch mit Entnazifizierungsverfahren bedrohten deutschen Juristen mit energischem Widerspruch. Dem »Nürnberger Juristenurteil« hielt man entgegen, daß die Richter sich keinesfalls willentlich oder wissentlich an Verbrechen des Dritten Reiches beteiligt hätten. Vielmehr seien nationalsozialistischer Terror und die Tradition des Rechtspositivismus, der zufolge der Richter an das staatliche Gesetz gebunden sei und dieses mit dem Recht gleichzusetzen habe, für die Instrumentalisierung der Justiz nach 1933 verantwortlich gewesen[12]. Insofern sei von den Richtern in der NS-Zeit auch keine Rechtsbeugung begangen worden, und zudem könne das, »was damals Recht war«, »heute doch nicht Unrecht« sein. Diese Auffassung bestimmte auch die Rechtsprechung der bundesdeutschen Gerichte gegen die ehemaligen Spitzen der NS-Justiz. Selbst Joachim Rehse, einem berüchtigten Richter des Volksgerichtshofs, wurde 1956 vom Bundesgerichtshof bestätigt, daß die Todesurteile, die er gegen Gegner des NS-Regimes verhängt hatte, im Rahmen des Vertretbaren gelegen und keine Verletzung des Rechts dargestellt hätten[13]. Im übrigen plädierte man in der bundesdeutschen Justiz dafür, die Vergangenheit auf sich beruhen zu lassen. »Wer von euch ohne Sünde ist« – so der Präsident des Bundesgerichtshofes Hermann Weinkauff 1954 –, »der werfe den ersten Stein.«[14]

Wenn man sich mit der NS-Zeit beschäftigte, dann im wesentlichen nur, um Beispiele richterlichen Widerstands ausfindig zu machen. Das...

Erscheint lt. Verlag 15.7.2015
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Berufsbeamtengesetz • Blutschutzgesetz • Curt Rothenberger • Gestapo • Hans Frank • KPD • Nationalsozialismus • NSDAP • Otto-Georg Thierack • Reichsjustizministerium • Richterbrief • Richterschaft • Sachbuch • SD • Sondergericht • SPD • Staatsanwaltschaft • Staatspolizei
ISBN-10 3-10-560385-9 / 3105603859
ISBN-13 978-3-10-560385-7 / 9783105603857
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