Beethoven (eBook)

und seine Zeit

(Autor)

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2015 | 1. Auflage
212 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560370-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Beethoven -  Paul Nettl
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Paul Nettl, ein guter Kenner der Biographie des großen Komponisten Ludwig van Beethoven, hat diese Zeugnisse zusammengestellt und, das Verständnis des Lesers fördernd, kommentiert und erläutert. Eigene Forschungen des Herausgebers erweitern die biographischen Details auf interessante Weise. So entsteht vor dem Blick nicht nur ein überaus fesselndes Porträt Beethovens, sondern die Darstellung weitet sich zu einem Panorama der Zeit und der Zeitgenossen. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Paul Nettl (1889-1972) war Musikwissenschaftler.

Paul Nettl (1889–1972) war Musikwissenschaftler.

Zweites Kapitel Wiener Gesellschaft Verwandtschaftliches


Seit dem 16. Jahrhundert standen unter allen europäischen Fürsten die Habsburger als Liebhaber und Förderer der Musik an erster Stelle. Manche von ihnen haben sich als Komponisten und Ausübende ausgezeichnet. Im 17. Jahrhundert waren es Ferdinand III., Leopold I. und Joseph I., deren Kompositionen hoch angesehen waren und die sogar in unseren Tagen der Publikation würdig befunden werden. Karl VI. und seine Tochter Maria Theresia waren beide ausgezeichnete Klavierspieler, und von dem Sohn der großen Kaiserin, Joseph II. (17801790), weiß man, daß er ein guter Baßsänger war, Viola, Cello und Klavier spielte und sich als Begleiter und Partiturspieler betätigte. Täglich wurde nach Tisch musiziert, und dreimal in der Woche fanden größere Konzerte statt, bei denen die Komponisten F.L. Gaßmann und Salieri, der spätere Lehrer Beethovens, bisweilen auch Kapellmeister Umlauf mitwirkten. Indes hat sich der Kaiser nur langsam mit den »Modernen«, zu denen Haydn und Mozart gehörten, befreundet. Weniger musikfreundlich zeigte sich sein Nachfolger Leopold II. (17901792), wogegen seine Gattin, Kaiserin Louise, viel Verständnis für die Oper aufbrachte. Franz I. von Österreich (17921835) war überaus musikliebend und selbst musikalisch, doch zu stark mit politischen Angelegenheiten beschäftigt. Aktiver im musikalischen Leben war seine zweite Gattin, Maria Theresia, die als Prinzessin beider Sizilien geboren war und 1807 starb. Nicht selten wirkte sie bei Hofkonzerten als Sängerin mit. Beethoven hat ihr später das Septett op. 20 gewidmet. Die größte Bedeutung als Musiker in der Wiener Zeit hatte jedoch Erzherzog Rudolph (17881832), der Sohn Leopolds II. Es ist selbstverständlich, daß die gesamte Wiener Hocharistokratie und, ihr nachstrebend, der mittlere und niedere Adel sowie das Bürgertum es dem Hofe gleichtun wollten und dabei die hohen Herrschaften oft weit übertrafen. Manche dieser Adligen hatten ihre eigenen Kapellen, unter denen jene des Fürsten Esterházy hervorgehoben sein mag. Aber auch die Fürsten Lichtenstein, Lobkowitz und Kinsky hatten ihre ständigen Musikergruppen, die, wenn es nötig war, auch über den Sommer auf die Landgüter mitgenommen wurden. Vor allem waren es die böhmischen Adeligen, wie Lobkowitz, Kinsky, Lichnowsky, die auch in Prag oder auf dem Land, wie die Lobkowitz’ in Raudnitz oder die Lichnowskys in Grätz (Schlesien), residierten. Viele der bekanntesten Virtuosen und ausübenden Künstler des 18. Jahrhunderts begannen als Mitglieder solcher adeligen Kapellen, und es ist kein Zufall, daß zahllose Virtuosen dieser Zeit tschechische Namen tragen. Meist wurden nur solche Leute als Angestellte und Diener in adeligen Familien zugelassen, die ein Instrument beherrschten. Dies ist mit ein Grund für die »patriarchalische« Bedeutung, die die Musik im 18. Jahrhundert hatte, zu einer Zeit, da der »musicien servant« eine ständige Figur des gesellschaftlichen Lebens war. Noch Haydn und Mozart mußten in roter Musikerlivree bei Hofkonzerten erscheinen. Oft entwickelten sich die freundschaftlichsten Verhältnisse zwischen Musikern und Aristokraten, und es kam vor, daß die Haus- oder Lieblingsmusiker mit auf Reisen genommen wurden. Mozart mußte mit seinem Erzbischof von Salzburg nach Wien reisen. Anton Salieri, einer der Lehrer Beethovens, war Gast beim Fürsten Schwarzenberg, ein anderer Lehrer unseres Meisters, Johann Schenk, Gast beim Fürsten Auersperg, Mozart reiste mit Lichnowsky nach Berlin, Dittersdorf mit dem Grafen Lamberg nach Troppau.

Wenn heute große Verleger oder in USA private Stiftungen, große Handelsfirmen oder Radiogesellschaften Kompositionsaufträge erteilen, so treten sie die Nachfolge der Adeligen des ancien régime an. Nicht selten verfolgten diese adeligen Besteller dabei egoistische Zwecke, wie jener Graf Walsegg, der bei Mozart das berühmte Requiem bestellte, das unter seinem eigenen Namen aufgeführt werden sollte. Man bestellte nicht nur bei anerkannten Komponisten, sondern auch bei Musikern geringeren Ansehens. So kaufte Fürst Grassalkovicz und Graf Batthyany von Adalbert Gyrowetz sechs Symphonien, und Graf Auersperg gab Singspiele bei Johann Schenk in Auftrag. Damals gab es noch keine Konzertunternehmungen. Wollte ein Künstler oder ein Komponist ein Konzert veranstalten, das ihm finanziell etwas eintragen sollte, mußte er »subskribieren« lassen, d.h. Karten im voraus verkaufen. Die Adeligen bestellten oft zehn, fünfzehn oder mehr Sitze. Hier ist der Ort, eine Revue der bedeutendsten aristokratischen Mäzene passieren zu lassen, die zur Zeit der Ankunft Beethovens in Wien die musikalische Szene der österreichischen Hauptstadt beherrschten. Franz Joseph Max Fürst Lobkowitz (17721818) hatte damals, am 2. August 1793, eine Prinzessin Schwarzenberg geheiratet. Ein Violinspieler ansehnlicher Fertigkeit, gab er sich der Musik und dem Theater mit solcher Liebe hin, daß er sein ganzes Einkommen dafür verschwendete und nach 20 Jahren vollständig Bankrott machte. Die Gräfin Lulu Thürheim schreibt in ihren Erinnerungen über ihn: »Dieser Fürst war ein gutmütiges Kind und der größte Musiknarr, den man finden kann … In seinem Schlosse Eisenberg gaben sich die Künstler die Tür in die Hand, und es wurde ohne Unterlaß getafelt.« Später, im Jahre 1807, wurde er Mitdirektor des Hofburgtheaters und noch 1812, ein Jahr vor seinem Bankrott, an Stelle des Grafen Ferdinand Palffy, Hoftheaterdirektor. Der ganze Palast mit dem Musikzimmer zwischen dem großen Festsaal und dem Speisesaal ist erhalten. Für Beethoven hat er zeitlebens ein besonderes Interesse gezeigt, doch gab es manchmal »Krach«, wenn sich der Meister von dem Fürsten nicht verstanden glaubte. In Raudnitz in Böhmen hatte der Fürst reiche Güter – er führte den Titel »Herzog von Raudnitz« –, und auch im dortigen Schloß wurde, wie die noch heute bestehende Musikbibliothek zeigt, unter Leitung des Kapellmeisters Anton Cartellieri ausgiebig musiziert.

Fürst Paul Anton Esterházy, der nach dem Tode seines Vaters das weltberühmte musikalische Institut in Esterház aufgelöst und Haydn nach 30jährigem Dienst entlassen hatte, war ein Jahr nach Beethovens Ankunft gestorben. Sein Sohn Nikolaus (17651833) hatte in Wien bedeutenden Einfluß, besonders im Direktions-Comité des Hoftheaters, dem er nach dem Rücktritt des Barons von Braun (1807) angehörte. Für ihn schrieb Beethoven im Spätwinter 1806 seine C-Dur-Messe. Fürst Joseph Kinsky, gestorben 1798, und vor allem dessen Sohn, Fürst Ferdinand (17811812), waren gleichfalls Förderer Beethovens, wie auch Fürst Carl Lichnowsky (17561814). Dieser Fürst hatte noch mit Mozart in Verbindung gestanden. Beethoven wohnte auch in der ersten Zeit seines Wiener Aufenthalts in seinem Haus in der Alserstraße, zuerst beim Buchdrucker Strauß, dann im Haushalt des Fürsten selbst. Durch die Verbindung mit ihm bekam der junge Meister unmittelbaren Zugang zum Wiener Musikleben. Wir können uns vorstellen, daß Beethoven es damals den jungen Adeligen gleichtun wollte. In seinem Notizbuch findet sich eine Eintragung, die darauf schließen läßt, daß er Tanzstunden nahm. Auch liest man von Ausgaben für Garderobe: »Schwarze seidene Strümpfe – 1 Dukaten, ein paar Winter seidene Strümpfe …« Und mit einem Stoßseufzer setzt er fort: »Alle Notwendigkeiten, z.B. Kleidung, Leinwand, alles ist auf. In Bonn verließ ich mich darauf, ich würde hier 100 Dukaten empfangen, aber umsonst. Ich muß mich völlig neu equipieren.« Sogar Reitunterricht wird genommen, doch ist der Schöpfer der Eroica niemals ein leidenschaftlicher Reiter geworden. Um Lichnowsky für das Leihen eines Reitpferdes nicht verpflichtet zu sein, kauft er selbst ein Pferd, aber bald vergeht ihm die Lust an den Ausritten in den Prater. Als er 1797 der Gräfin Browne seine 12 Klaviervariationen (Wo0 71) über den russischen Tanz aus dem Ballett »Das Waldmädchen« von Wranitzky widmet, erhält er schließlich ein schönes Reitpferd als Geschenk. Aber wie Ries uns mitteilt, ritt er es nur einige Male und vergaß es bald darauf. Die Erwähnung der eleganten Kleidung des jungen Beethoven und die Anschaffung eines Reitpferdes mag manchen Lesern als Hervorhebung unwesentlicher Details erscheinen. Und doch ist es charakteristisch, daß Beethoven mit vollem Bewußtsein die aristokratischen Allüren annimmt, um auch nach außen hin zu bekunden, daß er als par inter pares gelten will. Er ist nicht mehr ein Diener, wie es Mozart und Haydn waren, als Ebenbürtiger nimmt er seinen Platz in der Gesellschaft ein. Diese Tatsache ist auch für sein Schaffen von Bedeutung. Er ist der erste Komponist, der so schafft, wie es ihm sein Genie eingibt, der erste Künstler, der nicht für einen bestimmten Zweck, nicht auf Bestellung schreibt. Er selbst fühlt sich als Mittelpunkt der Gesellschaft, und seine Kunst erscheint ihm als der Mittelpunkt der Welt. Im Jahre 1800 setzt ihm Lichnowsky ein Jahresgehalt von 600 Gulden aus; ein anderes Mal schenkt er ihm seine...

Erscheint lt. Verlag 15.6.2015
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Anton Schindler • Berliner Philharmoniker • Biographie • Bonn • Christian Gottlob Neefe • Gottfried Fischer • Kammermusik • Klaviersonate • Ludwig van Beethoven • Orchester • Sachbuch • Sinfonie • Streichquartett • Therese Brunswick • Wien • Wiener Philharmoniker
ISBN-10 3-10-560370-0 / 3105603700
ISBN-13 978-3-10-560370-3 / 9783105603703
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