Homosexualität (eBook)

Die Geschichte eines Vorurteils
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
444 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560350-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Homosexualität -  Gisela Bleibtreu-Ehrenberg
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Die Ethnologin und Soziologin Gisela Bleibtreu-Ehrenberg weist anhand umfassender, subtiler kulturhistorischer Untersuchungen nach, daß die Ächtung der Homosexuellen in unserem Kulturbereich Jahrtausende alt ist. Ihre Abhandlung plädiert für den Abbau der gegen die Homosexualität gerichteten diffusen Vorurteile, die in einer arbeitsteiligen, hochspezialisierten Industriegesellschaft keinerlei sozialen Sinn mehr haben. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Fernschreiberin, Telefonistin, Abitur über den 2. Bildungsweg, Studium der Ethnologie und Soziologie, Religionswissenschaft und Psychologie in Bonn (Dr. phil., M. A.), nach längerer Tätigkeit in politischen Organisationen, Pressearbeit und in der Begabtenförderung Publikationen zu völkerkundlichen und sexualwissenschaftlichen Themen. Mitarbeit an ethnologischen, sexualwissenschaftlichen und feministischen Lexika und zahlreichen Readern.

Fernschreiberin, Telefonistin, Abitur über den 2. Bildungsweg, Studium der Ethnologie und Soziologie, Religionswissenschaft und Psychologie in Bonn (Dr. phil., M. A.), nach längerer Tätigkeit in politischen Organisationen, Pressearbeit und in der Begabtenförderung Publikationen zu völkerkundlichen und sexualwissenschaftlichen Themen. Mitarbeit an ethnologischen, sexualwissenschaftlichen und feministischen Lexika und zahlreichen Readern.

Einleitung


Vor nunmehr fast einem Jahrzehnt – präzise am 7. Mai 1969 –[1] hat der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit eine teilweise Streichung des früheren § 175 des Strafgesetzbuches beschlossen, der heftige Meinungskämpfe in allen Fraktionen voraufgegangen waren. Als lediglich teilweise muß diese Streichung insofern bezeichnet werden, als auch gegenwärtig noch sexuelle Kontakte unter Partnern desselben Geschlechts nur dann nicht mehr verboten sind, wenn entweder beide volljährig oder aber beide minderjährig sind.

Seitens der CDU/CSU begründete seinerzeit Dr. h.c.Güde seinen und den Entschluß seiner Parteifreunde, sich dem Beschluß zur Streichung der Strafbarkeit der sog. ›einfachen Homosexualität‹ (nämlich der unter Volljährigen) anzuschließen, mit dem Argument, daß dieser insbesondere deshalb gefaßt worden sei, »weil das unbestreitbare Phänomen der angeborenen gleichgeschlechtlichen Unzucht« in einem Schuldstrafrecht ernste Schwierigkeiten biete. Wieso diese Probleme entfallen, sofern es sich um homosexuelle Handlungen zwischen einem Volljährigen und einem Minderjährigen handelt – besonders etwa in dem Fall, daß der eine gerade volljährig und der andere siebzehndreiviertel ist –, bleibt dabei offen. Unabhängig davon jedoch verdeutlichen die in dieser Erklärung benutzten Wendungen (indem sie die logisch unmögliche Vorstellung ausdrücken, etwas Angeborenes könne unzüchtig sein), in welch geringem Maße selbst angesichts des bewußten Willens zu einer humaneren Ausgestaltung des Sexualstrafrechts von einer Reduktion der emotionalen Vorbehalte gegen die Homosexualität gesprochen werden konnte.

Denn Dr. Güdes Worte besagen ihrem Sinn nach ja nichts anderes, als daß Homosexualität krankhaft sei – eine Art angeborenes Leiden wie Hasenscharten oder Klumpfüße – und daß man schlechterdings niemanden dafür bestrafen dürfe, daß er von Geburt an verkrüppelt sei. Der bei Dr. Güde angesprochenen moralischen Perspektive des Entschlusses zur teilweise Streichung des § 175 nahm sich dann der damalige Justizminister Dr. Ehmke (SPD) an, indem er hinsichtlich der Auffassung seiner Partei ausführte, es sei »übrigens ein Mißverständnis, das auch noch durch weitere Aufklärung zu bekämpfen ist, wenn man unterstellt, die Entkriminalisierung bestimmter Verhaltensweisen bedeute etwa eine moralische Billigung des nicht mehr strafbaren Verhaltens«.

Faßt man die zitierten Aussagen der Sprecher der beiden größten Parteien des Deutschen Bundestags zusammen, so ergibt sich, daß eine Abmilderung des § 175 beschlossen wurde, weil man sich dazu durchgerungen hatte, Homosexuelle zwar für krank zu halten, homosexuelles Verhalten aber nach wie vor unmoralisch fand. Nichts kann schlagender erhellen, wie zutiefst vorurteilsgeprägt das Klima der damaligen Diskussion gewesen ist.

Daß im zurückliegenden Jahrzehnt denn auch (man möchte sagen: selbstverständlich) von einem Verschwinden der Ächtung insbesondere der männlichen Homosexualität auch nach Abmilderung ihrer Strafbarkeit keine Rede sein konnte, ist nicht sehr erstaunlich. Was über zweitausend Jahre lang in unserem Kulturbereich zum festen Katalog derjenigen Verhaltensweisen gehört hat, die anständige Menschen ablehnen, wird für die öffentliche Meinung nicht quasi über Nacht zu einer reinen Privatsache, die hinsichtlich des Urteils, das man sich über seinen Nachbarn, Arbeitskollegen oder Verwandten macht, völlig unerheblich ist.

Im Fall der unehelichen Mutterschaft oder neuerdings der legalisierten Abtreibung läßt sich das gleiche beobachten. Umstände oder Handlungen, die vom Gesetzgeber entpönalisiert sind, werden – unabhängig von ihrer realen sozialen Bedeutung oder Unwichtigkeit – noch längst nicht mit jener Neutralität angesehen, die man im Abendland traditionellerweise z.B. gewissen Verhaltensweisen hinsichtlich der Ernährung (etwa Vegetarismus) entgegenbringt, nämlich achselzuckender Gleichgültigkeit. Denn nichts ist zählebiger als das Festhalten an Normen und Werten, die schon in früher Kindheit anerzogen wurden, d.h. während einer Zeit, in der der einzelne zum Verständnis und kritischen Abwägen dessen, was ihm beigebracht wird, noch nicht entfernt imstande ist. Deshalb bedarf es mehr als des berühmten ›Federstrichs‹ des Gesetzgebers, um die Ächtung der Homosexualität abzubauen oder wenigstens abzumildern. Dies um so mehr, als die Geschichte dieser Ächtung lang und verwickelt ist und ganz deutlich vor allem auf einer diffusen Angst vor der Homosexualität als eines gewissermaßen ansteckenden moralischen Makels beruht und ferner auf Furcht vor den Homosexuellen selbst, in denen nicht nur die Massenzeitungen, sondern leider weite Kreise der Bevölkerung bis heute nichts als ›Unholde‹ sehen.

Daß ich den Motiven jener emotional begründeten Furcht vor Homosexualität und Homosexuellen nachgegangen bin, beruht ursprünglich auf einem nicht ganz ernst zu nehmenden Anlaß, nämlich einer Wette, die ich gewann. Mein Wettgegner hatte im Verlauf einer allgemeinen Unterhaltung über die möglichen Ursachen homosexuellen Verhaltens bemerkt, ich als »verheiratete Frau« sei wohl kaum geeignet, bei diesem Thema mitzureden, da es zweifellos für Damen zu delikat sei. Natürlich protestierte ich; ich fühlte mich, wie einem das als Frau bei der Unterhaltung mit Männern öfters passiert, nicht ernst genommen. Mein Widerspruch kam aber nicht an, sondern ich erhielt zur Antwort: »Ich wette, Sie würden sich gar nicht trauen, die Frage persönlich aufzugreifen. Sie ist einfach zu heikel.« Ich traute mich doch; das Ergebnis ist dies Buch.

Vor Jahren erschien eine Schrift deutscher und niederländischer Autoren, auch Theologen, mit dem betont originellen Titel Der homosexuelle Nächste[2]. Darin wurde in allerbester Absicht, freilich manchmal mit ziemlich unerträglicher Betulichkeit, um mehr Verständnis für diese sexuell deviante Minorität geworben. Mein Buch befaßt sich mit dem »homosexuellen Nächsten« nun nicht. Es geht vielmehr den Ursachen des starken Widerwillens nach, den Heterosexuelle so häufig im Zusammenhang mit der Diskussion der Homosexualität und dem Sexualverhalten einzelner Homosexueller empfinden und beschäftigt sich deshalb in erster Linie mit den Gefühlen der Heterosexuellen, mit uns selbst.

Dabei standen von Beginn meiner Recherchen an drei Fragen im Vordergrund. Erstens: Warum wird im Abendland Homosexualität geächtet oder bestraft, bei vielen außereuropäischen Völkern aber nicht? Und ich erinnerte mich an die Worte meines Lehrers, Professor Trimborn, der anläßlich einer akademischen Veranstaltung einmal den Satz hingeworfen hatte: »In Pflanzerkulturen ist Sodomie weder geächtet noch wird sie bestraft!«

Zweitens fiel mir auf, daß all jene Gründe, die im Lauf von buchstäblich Jahrtausenden für die soziale Notwendigkeit der Ächtung und Bestrafung von Homosexuellen angeführt worden waren, entsprechend dem jeweils herrschenden Zeitgeist differierten. Daß Homosexualität etwas Schlimmes sei, darüber war man sich immer einig, nur warum sie schlimm sein sollte, darüber schwankten die Meinungen erheblich. Das erschien mir sonderbar und verlieh in meinen Augen diesen wechselnden Ansichten mit stets derselben Grundabsicht den Charakter dessen, was der italienische Soziologe Vilfredo Pareto »Derivationen« genannt hat.[3] Er versteht darunter vorgeschobene Begründungen, die vom eigentlichen Motiv ablenken, es verbergen sollen. Derivationen werden nicht wissentlich produziert, quasi in böser Absicht, sondern sind das Ergebnis unbewußt ablaufender Verschleierungsprozesse. Wenn aber die angeblichen Gründe für die Notwendigkeit der Homosexuellenverfolgung Derivationen waren, wie sah dann das dahinter steckende Motiv in Wahrheit aus?

Drittens wurde ich bei meinen Nachforschungen sehr bald mit der seltsamen Tatsache konfrontiert, daß durch die Jahrhunderte hindurch Homosexuelle für feige und hinterhältig gehalten wurden. Erklärungen, gar Beweise dafür ließen sich nicht ausmachen. Anfangs vermutete ich, diese Verdächtigung hinge vielleicht damit zusammen, daß Homosexuelle durchgängig für weibisch erachtet wurden und werden. Letzterer Vorstellung liegt deutlich ein traditioneller Denkfehler zugrunde: Zum Sexualakt gehören bekanntlich zwei, und wenn zwei Männer gemeinsam Sex machen, so agiert dabei der eine von ihnen zwangsläufig als Frau. Dies jedenfalls ist eine noch heute gängige landläufige Meinung. Selbst wenn man sie als zutreffend unterstellte (was sie nicht ist), bliebe doch die Frage, wie denn dann der zweite, ›aktive‹ Partner einzustufen wäre – etwa als heterosexuell? Daß man so nicht argumentieren kann, liegt auf der Hand. Doch selbst dann, wenn man das ›weibische Wesen‹ aller Homosexuellen insgesamt einmal für gegeben hielte: sind Feigheit und Hinterhältigkeit etwa spezifisch weibliche Eigenschaften? Das zu behaupten fällt sicher nicht einmal dem wütendsten Antifeministen ein. So blieb für mich diese Unterstellung der Feigheit lange Zeit in höchstem Grade rätselhaft.

Um diesen drei Fragen nachzugehen, erwies es sich als nötig, sowohl juristische wie historische Werke heranzuziehen, und während ich mich damit befaßte, drang ich nach und nach immer weiter und tiefer in unsere abendländische Kulturgeschichte ein. Erst in ihren Wurzeln fand ich die Ursachen für die bis heute anhaltende Ächtung der männlichen Homosexualität. Die Darstellung der Entwicklung und Ausformung dieser Ächtung muß...

Erscheint lt. Verlag 15.6.2015
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Ächtung • Asengott • Bataver • Begriff • Berücksichtigung • Derivation • Deutschland • Eruler • Ethnographie • Ethnologie • Folter • Fragestellung • Fußfaßen • Germanenfrage • Hexe • Hexenbegriff • Hexerei • Homosexualität • Hungersnot • Jahrzehnt • Ketzerei • Komponente • Kriegerideal • Kulturbereich • Männerliebe • Mehrzahl • Meinungskampf • München • Naturkatastrophe • Österreich • Perpetuierung • Preußen • Problematik • Rom • Sachbuch • Schamanismus • Schamanistisch • Schicht • Schwul • Sexualverhalten • Sodomie • Sodomiebestrafung • Soziologie • Strafgesetzbuch • Strafrecht • Streichung • Stuttgart • Subsumierung • Teufelsbuhlschaft • Todesstrafe • Tötung • Umstand • Unruhen • Unterstellung • Untersuchung • Unzuchtsdelikt • Verbrechen • Vorurteil • Zauber • Zauberausübung
ISBN-10 3-10-560350-6 / 3105603506
ISBN-13 978-3-10-560350-5 / 9783105603505
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