Der Dirigent (eBook)

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2015 | 1. Auflage
150 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560338-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Dirigent -  Fritz Busch
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1940 hat Fritz Busch während einer Schiffsreise bereits in seiner Stuttgarter Zeit um 1920 begonnene Aufzeichnungen weitergeführt. Erst 1961 wurden sie aus dem Nachlaß veröffentlicht: Einsichten, Einhörungen in Beruf und Berufung des Dirigenten, den Umgang mit Partituren, Sängern, Orchester, Chor. In Ästhetik und Repertoire verleugnet sich naturgemäß nicht der generationsbedingte musikalische Standort. Die Erkenntnisse und Lehren Fritz Buschs, sein Ethos bewahren absolute Gültigkeit. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Fritz Busch wird am 13. März 1890 in Siegen geboren. Er studiert, eng verbunden mit dem ein Jahr jüngeren Bruder Adolf, überragendem Geiger und Kammermusiker, in Köln, begegnet Reger und anderen Meistern, wird, Urmusikant und Universalmusiker, selber sehr früh ein Meister, mit 21 Jahren Städtischer Musikdirektor in Aachen, mit 28 leitender Kapellmeister der Stuttgarter Oper. 1922-1933 prägt er als Sächsischer Generalmusikdirektor eine denkwürdige Ära der Dresdner Staatsoper. Mit seinem Künstlertum bewährt sich sein Charakter. Im Exil repräsentiert Fritz Busch nobel deutsche Musikkultur; lockende Angebote aus dem »Dritten Reich« lehnt er ab. Als Wanderer sucht er in Konzertinstituten und Opernhäusern Skandinaviens, Süd- und Nordamerikas Bleibendes hinzustellen. Mit Carl Ebert macht er die Festspiele in Glyndebourne zu einem Muster der Opernkunst. Am 14. September 1951 stirbt Fritz Busch in London.

Fritz Busch wird am 13. März 1890 in Siegen geboren. Er studiert, eng verbunden mit dem ein Jahr jüngeren Bruder Adolf, überragendem Geiger und Kammermusiker, in Köln, begegnet Reger und anderen Meistern, wird, Urmusikant und Universalmusiker, selber sehr früh ein Meister, mit 21 Jahren Städtischer Musikdirektor in Aachen, mit 28 leitender Kapellmeister der Stuttgarter Oper. 1922–1933 prägt er als Sächsischer Generalmusikdirektor eine denkwürdige Ära der Dresdner Staatsoper. Mit seinem Künstlertum bewährt sich sein Charakter. Im Exil repräsentiert Fritz Busch nobel deutsche Musikkultur; lockende Angebote aus dem »Dritten Reich« lehnt er ab. Als Wanderer sucht er in Konzertinstituten und Opernhäusern Skandinaviens, Süd- und Nordamerikas Bleibendes hinzustellen. Mit Carl Ebert macht er die Festspiele in Glyndebourne zu einem Muster der Opernkunst. Am 14. September 1951 stirbt Fritz Busch in London. Grete Busch, 1886 als Tochter des Publizisten und Reichstagsabgeordneten Friedrich Boettcher in Freiburg geboren, wuchs im heimatlichen Mengeringhausen, in Florenz und Berlin auf. An der Berliner Musikhochschule, in die Joseph Joachim sie aufnahm, studierte sie Geige. 1911 heiratete sie Fritz Busch. Vierzig Jahre lang hat sie sein Leben geteilt. Nach seinem Tode schrieb sie, ruhelos auf Reisen, seine Biographie. Sie starb 1966 in Indianapolis. Thomas Mayer (1907–2002), Dirigent, kam 1947 als Assistent von Fritz Busch an die Metropolitan Opera, New York.

Beruf und Berufung


Dieses Buch verdankt seine Entstehung nur dem Wunsche, anderen zu helfen und ihnen die Erfahrungen einer mehr als dreißigjährigen Berufsarbeit zugänglich zu machen. Es gibt geborene Dirigenten, die man sich nur in ihrer Berufsausübung, »dirigierend«, vorstellen kann, ebenso wie es geborene Instrumentalisten oder Sänger gibt. Jedoch besteht ein wesentlicher Unterschied: das Material des Dirigenten sind lebendige Menschen, während in den anderen Fällen ein totes Instrument gemeistert oder die Funktion der eigenen Kehle, mehr oder weniger instinktiv, beherrscht werden muß. Die Gefahr der Scharlatanerie, des Arbeitens mit falschen Mitteln, ist beim Dirigenten schwerer erkennbar als beim sonstigen Interpreten. Die meisten Hörer vermögen richtige von falschen, häßliche von schönen Tönen zu unterscheiden, während sie selten in der Lage sind, den Sinn oder die Wahrheit eines Schlages zu beurteilen. Demgemäß spielt die Erfahrung auf unserem Gebiete eine weit größere, ja vielleicht die entscheidende Rolle. Ein Menuhin konnte allein infolge seines Talents und nach der Anleitung guter Lehrer mit zwölf Jahren technisch und musikalisch einwandfrei klassische Konzerte spielen. Ein Dirigent gleichen Alters ist weit schwerer vorstellbar. Toscanini sagte mir einmal nach einem Konzert in der Scala in Mailand, das ich sehr schön gefunden hatte und über dessen Verlauf ich ihm meine Bewunderung aussprach: »Es ist noch alles nichts; es mag ganz gut gewesen sein – zufrieden werde ich erst sein, wenn jeder Musiker im Orchester genauso fühlt wie ich.« Und kurz darauf: »Ist es nicht traurig, daß ich, obwohl ich schon über ein Menschenalter dirigiere, erst jetzt beginne zu verstehen, wie man es machen muß?« Er war damals etwa sechzig Jahre alt.

Die Erziehung zum Dirigenten, die Erlernung des Handwerks ist weit komplizierter und beschwerlicher als z.B. die eines Geigers, und sie wird durch die heutigen Zeitumstände keineswegs erleichtert. Das entsprechende Talent vorausgesetzt, bedarf der Dirigent eben in höchstem Maße einer Erfahrung, die er nur in der ständigen Arbeit mit einem Orchester oder Chor erreichen kann. Jeder begabte Musiker kann, wenn er sein Instrument gewählt hat, sich ein solches leihen oder kaufen. Das Gleiche ist dem Dirigenten unmöglich. Wo es in einzelnen Fällen geschah und noch manchmal geschieht, indem ein mit reichen Geldmitteln gesegneter junger Mensch ein Orchester mietet, kommt nur Unheil heraus. Der Zweck dieses Buches ist also, durch Mitteilung eigener Erfahrung und Geständnis begangener Irrtümer und Fehler anderen, die mit Liebe und Begabung den schweren Weg gehen wollen, diesen Weg zu erleichtern. Wenn auch jeder seine eigenen Erfahrungen machen und seine eigenen Fehler begehen muß, die ihm niemand abnehmen kann, so muß ich doch gestehen, daß ich froh und dankbar gewesen wäre, wenn mir ein Dirigent von Können und Erfahrung im Anfang meiner Laufbahn sein Wissen mitgeteilt hätte. Statt dessen mußte ich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, mir das meinige mühselig erwerben und viel Arbeit und Zeit unnötig verlieren oder falsch anwenden, die im anderen Falle für Besseres hätten gebraucht werden können.

Dieses Buch wendet sich an alle, die guten Willens sind, und sollte, wenn es meine Absichten überzeugend darzustellen in der Lage ist, auch Kreisen, die sich mit dem Dirgentenberuf als Selbstzweck nicht befassen, wie z.B. Kritiker, die ihn zu beurteilen haben, Solisten, die mit ihm in praktische Berührung kommen, oder Komponisten, Anregungen und Aufklärungen geben. Ich werde nicht vermeiden können, von meiner eigenen Person zu sprechen, da ja die Erfahrungen und Erkenntnisse von mir selbst, aus meiner eigenen Natur heraus gewonnen sind. Es führen gewiß verschiedene Wege zum Ziel; hier kann ich nur die von mir beschrittenen mitteilen. Es versteht sich von selbst, daß trotzdem die eigene Person soweit wie möglich hinter dem Ganzen zurücktreten soll. Ich beabsichtige nicht, wie ein Tenor »Erfolge« aufzuzählen oder eine Biographie zu schreiben, die das eigene, im Grunde so unwesentliche »Ich« verherrlicht. Das aufrichtige Bekenntnis eigener Fehler und begangener Irrtümer wird, so hoffe ich, die hiermit verbundenen Absichten im wahren Licht erscheinen lassen. »Vergessen Sie nie«, so schreibt Verdi einmal, »daß es sich hier nicht um eine Forderung des Künstlers handelt, sondern ausschließlich um eine solche der Kunst.« Setzen wir statt »Forderung« die bescheidenen Worte: Ansichten, Erfahrungen oder persönliche Erkenntnisse, so habe ich den Sinn der vorliegenden Arbeit am besten klargestellt.

Soweit wie möglich werde ich mich einer Polemik fernhalten, die bei törichten Menschen nur den Eindruck persönlichen Neides oder eitler Empfindlichkeit erwecken könnte. Sie wird sich dort nicht immer vermeiden lassen, wo nur eine scharfe, deutliche Darstellung oder Ablehnung unehrlichen, schwindelhaften Gehabens zur Klarheit führen oder zur Rettung der Kunst beitragen kann. Der Dirigent vermag viel mehr als andere Interpreten durch Äußerlichkeiten zu bestechen, und mancher »Erfolgreiche« entbehrt oft wirklichen Könnens, das nur ein guter Musiker zu erkennen vermag.

Schuberts Frage, wenn man ihm von einem ihm unbekannten Komponisten erzählte, lautete immer: »Kann er was?« Es gibt viele Fälle in unserem Beruf, wo eine solche Frage zum Beispiel von Orchestermusikern, die am sichersten den Wert ihres Führers zu beurteilen imstande sind, mit einem glatten »Nein« beantwortet werden würde, obwohl sein »Erfolg« das Gegenteil zu beweisen scheint. Jedoch: wahren Erfolg hat auf die Dauer nur der Tüchtige. Gewiß braucht derjenige, der mit lauteren Mitteln arbeitet, oft eine längere Spanne Zeit, um allgemein anerkannt zu werden, ebenso wie das Unechte eines Tages verschwindet, wenn auch nicht immer so schnell, wie man es wünschen sollte.

Das oben erwähnte Beispiel Toscaninis, der im Alter von sechzig Jahren das aufrichtige Gefühl hatte, noch am Anfang zu stehen, beweist die Schwierigkeit eines Berufes, der viele so leicht dünkt. Confucius sagt: »Zu wissen, was man weiß, und zu wissen, was man nicht weiß, das ist das Kennzeichen eines, der weiß.« Erfolge, die einem guten Äußeren und temperamentvollem Gebaren zu verdanken sind, dürfen niemand dazu verführen, die Darstellung einer Beethovenschen Sinfonie durch einen Nichtskönner deshalb für vollkommen zu erklären. Es gibt nicht viele, die wahrhaft guten Willens sind und mit ihrem Stoff ringen, wie es Jakob mit dem Engel tat. Erleiden sie eines Tages Schiffbruch, finden sie nicht den Erfolg, den Dirigenten für sich erhoffen, so liegt die Schuld nur bei ihnen selbst, sei es nun an Mangel an Talent und Können oder – recht häufig – an Charakterfehlern.

Ich war 21 Jahre alt, als man mir den Posten des Städtischen Musikdirektors in Aachen übertrug; als ich wenige Jahre später zum Hofkapellmeister in Stuttgart ernannt wurde, bekam ich viele Briefe von älteren Kollegen, die mich um meine Fürsprache bei der Besetzung des frei werdenden, vielbegehrten Postens in Aachen baten. In manchen standen die Worte: »Sie haben in Ihrem jungen Leben bereits so viel Glück gehabt, daß ich Sie bitte, einen Unglücklichen nicht zu vergessen.« Dies hat mich schon in jungen Jahren sehr erbost. Ich war keineswegs reif für die Stellung, die man mir anvertraut hatte, und ich denke mit Kummer an musikalisch Unzulängliches zurück, das ich heute gern vergessen möchte. Immerhin hatte ich trotz meiner Jugend schon über tausend Konzerte während einer dreijährigen Tätigkeit in Pyrmont und anderen Städten dirigiert und konnte auf eine vielseitige und harte Arbeit zurückblicken. Mein »Glück« waren eine gute Gesundheit, das mir vom Schicksal verliehene Gramm Talent, meiner musikalischen Erziehung günstige Lebensumstände und eine große Liebe zur Musik in all ihren Formen, die ich, soweit es meine damaligen geringen Kräfte erlaubten, mit Ernst ausführte.

In Pyrmont hatte ich unter anderem ein Schumann-Fest organisiert und geleitet. Das Hauptwerk bildete ›Manfred‹ mit Ludwig Wüllner als Gast. Der Chor war aus Kurgästen zusammengestellt, darunter viele junge Damen, die mit großer persönlicher Begeisterung dem »genialen« Dirigenten folgten und keine Probe versäumten. Ich selbst konnte die Partitur lesen, das Ganze geschickt zusammenhalten und wohl auch mit gewissem Temperament dirigieren. Nach Durchspielen der Ouvertüre in der ersten Orchesterprobe sah ich Wüllner an, erwartend, daß der erfahrene und berühmte Künstler nunmehr aufstehen, mich umarmen und mich wenigstens mit dem Epitheton »wunderbar« oder »großartig« bedenken würde. Statt dessen sah er mürrisch vor sich hin, ohne mir die geringste Aufmerksamkeit zu schenken. Dies besserte sich auch nicht im Verlauf der Probe, obwohl sie äußerlich sozusagen reibungslos verlief.

Ich begleitete Wüllner in sein Hotel und fragte ihn nach längerem Schweigen, das allmählich peinlich zu werden drohte: »Waren Sie mit meinem Dirigieren, meinen Tempi usw. zufrieden? Sie haben das Werk so oft schon dargestellt, daß ich mich freuen würde, Ihre Meinung zu hören.« Nach einer längeren Pause sagte Wüllner in seiner etwas pathetischen Art: »Junger Freund, es ist leicht zu bemerken, daß Sie Talent haben. Darüber hinaus besitzen Sie gar nichts, jedenfalls nicht die leiseste Ahnung von dem wahren Ausdruck, der großen Schönheit und dem Geist eines Werkes, dem mit temperamentvollem Dirigieren allein weiß Gott nicht gedient ist.« Auf meine Bitte, mir sein Urteil näher zu begründen, sagte er: »Junger Freund, dies würde Stunden dauern, und ich muß leider fürchten, daß Sie weder den Willen noch die Geduld haben werden, meine Kritik oder, besser gesagt, meine...

Erscheint lt. Verlag 15.6.2015
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Arturo Toscanini • Autobiographie • Dirigent • Dresden • Fritz Busch • Glyndebourne • Kopenhagen • Ludwig Wüllner • Mailand • New York • Orchester • Orchesterprobe • Pamina Arie • Partitur • Richard Strauss • Sachbuch • Schallplatte • Schlagtechnik • Sena Jurinac • Stuttgart • Taktstock • Tonaufzeichnung • Tonband • Wiener Philharmoniker
ISBN-10 3-10-560338-7 / 3105603387
ISBN-13 978-3-10-560338-3 / 9783105603383
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