Komplexe Systeme (eBook)

eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
130 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560307-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Komplexe Systeme -  Klaus Richter,  Jan-Michael Rost
Systemvoraussetzungen
14,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
FISCHER KOMPAKT. Verlässliches Wissen kompetent, übersichtlich und bündig dargestellt. Hinweise der Autoren auf neueste Entwicklungen, interessante Literatur und empfehlenswerte Links zu jedem Band finden sich im Internet.

Klaus Richter ist Professor für Theoretische Physik an der Universität Regensburg. Zahlreiche Veröffentlichungen zu: Komplexe Quantensysteme, Nichtlineare Dynamik, Nanostrukturen und molekulare Elektronik.

Klaus Richter ist Professor für Theoretische Physik an der Universität Regensburg. Zahlreiche Veröffentlichungen zu: Komplexe Quantensysteme, Nichtlineare Dynamik, Nanostrukturen und molekulare Elektronik. Jan-Michael Rost ist Direktor am Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme in Dresden und Professor für theoretische Quantendynamik an der TU Dresden. Zahlreiche Veröffentlichungen zu: Endliche Systeme, chaotische Dynamik, die Rolle der Zeit und isolierter Objekte für die Naturbeschreibung.

2 Komplexe Phänomene auf dem Weg ins Chaos


Im Folgenden werden wir anhand der Modellierung des Generationenverhaltens einer Tierpopulation auf deduktivem Weg Einsicht gewinnen in die wesentlichen Elemente komplexen Verhaltens. Dazu gehören Selbstähnlichkeit, Kritikalität und Empfindlichkeit gegenüber Anfangsbedingungen, um nur einige der wichtigsten Stichworte zu nennen, denen wir im Folgenden noch oft begegnen werden. Einen parallelen, induktiven Einstieg in komplexes Verhalten bietet das dritte Kapitel über zelluläre Automaten. Die zeitliche Zu- und Abnahme einer Tierpopulation, der Umsatz einer Firma, ganz allgemein Wachstumsprozesse, können unerwartete Entwicklungen zeigen, von einer Stabilität über lange Zeiträume, über zyklisches Verhalten bis hin zu einem langsamen Niedergang. Der Grund dieser Vielfalt der Phänomene liegt an den Rahmenbedingungen begrenzter Ressourcen, welchen die Wachstumsprozesse unterliegen. Hierdurch kommt es zu einem Rückkopplungsmechanismus, der Nichtlinearität erzeugt und damit die Möglichkeit von Chaos und komplexem Verhalten eröffnet.

Szenarien und Phänomene am Beispiel einer Tierpopulation


Wenn man sich eine Population von Kaninchen vorstellt, die sich mit einer bestimmte Rate vermehren, so wird diese Rate durch das zur Verfügung stehende Nahrungsangebot beeinflusst. Gibt es wenige Kaninchen, dann steht pro Kaninchen viel Nahrung zu Verfügung, die Reproduktionsrate erhöht sich. Dadurch entstehen viele Kaninchen, was die Nahrung je Kaninchen reduziert und zu sozialem Stress führt, es kommt zu einer Verringerung der Reproduktion. Aufgrund dieser Überlegung erwartet man ein zyklisches Verhalten der Population. Dies kommt in der Tat vor, ist aber nur eines der vielfältigen Phänomene, die auftreten. Für unser Beispiel sind mindestens drei sehr unterschiedliche Szenarien denkbar, je nach gegebenen Umweltbedingungen:

Szenario I: Man kann eine fast beliebige Menge von Kaninchen aussetzen, nach einigen Generationen pendelt sich die Population auf einen stabilen Wert ein.

 

Szenario II: Über mehrere Jahre (Generationen) oszilliert die Population zwischen einem Maximal- und einem Minimalwert, z.B. mit einer zweijährigen Periode. Dies ist das oben angesprochene zyklische Verhalten.

 

Szenario III: Die Population schwankt von Generation zu Generation sehr stark, zeigt chaotisches Verhalten.

Überraschenderweise sind diese Phänomene mit einer einzigen, einfachen mathematischen Vorschrift, die wir unten im Detail diskutieren werden, formalisierbar. Dabei zeigt sich, dass die verschiedenen Szenarien durch Veränderung der Stärke der Rückkopplung auseinander hervorgehen und dem universellen Prinzip der Selbstähnlichkeit gehorchen.

Universelle formalisierte Beschreibung


Es war der belgische Mathematiker und Soziologe Pierre François Verhulst (18041849), der kurz vor seinem Tod dieses Wachstumsverhalten bei begrenzten Ressourcen zum ersten Mal mathematisch modellierte, und zwar mit einer Gleichung, die später die logistische Gleichung genannt wurde. Die logistische Abbildung wiederum ist eine in der Zeit diskretisierte Form der Gleichung. Dies heißt, dass die Abbildung das Verhalten einer Variablen, zum Beispiel der Generationsstärke x einer Population, nicht kontinuierlich in der Zeit beschreibt, sondern nur in diskreten Schritten. Dies ist so, als ob man die Population in einem festgelegten Gebiet jedes Jahr einmal zählen würde (was übrigens durchaus üblich ist in der Biologie, um Wanderungstendenzen etc. zu erfassen). Die Größe der Population im n-ten Jahr nennen wir dann xn, z.B. ist x3 die Population im dritten Jahr. Wenn r die Reproduktionsrate ist, dann wird die nächste Generation mit der vorigen über xn+1 = r · xn zusammenhängen. Dies ist eine typische iterative Vorschrift, die, oft angewandt, eben iteriert, zu überraschenden Resultaten führen kann. Dabei drückt man xn als Bruchteil der größten jemals vorkommenden Population aus. Dies garantiert, dass alle xn kleiner als eins sind.

Wenn wir mit den Urahnen x0 beginnen, so ist die nächste Generation durch x1 = r · x0 gegeben. Setzten wir dieses Ergebnis wiederum in x2 = r · x1 ein und iterieren damit die Abbildung, so ergibt sich x2 = r · r · x0, oder kurz x2 = · x0. Fortgesetzt bis zur n-ten Generation erhält man mit xn = rn · x0 ein exponentielles Wachstum. Konkret: Wenn wir annehmen, dass jedes Elternteil pro Jahr zu zwei Nachkommen führt, dann ist r = 2 und jede Generation ist doppelt so groß wie die vorige.

 

Man kann die Generationenfolge leicht graphisch konstruieren. Dazu zeichnen wir xn+1 in ein Diagramm nach oben auf der y-Achse ein und xn nach rechts auf der x-Achse. Oft schreibt man ganz allgemein x (die Werte auf der x-Achse) für xn und y oder ƒ(x) (die Werte auf der y-Achse) für xn+1. Die Wachstumsfunktion ƒ(x) = r · x ist nun einfach eine Gerade mit der Steigung r (fett in Abb. 1a). Zusätzlich benötigen wir noch eine Gerade y = x (dünn in Abb. 1). Mit diesen beiden Geraden kann man in einfacher Weise die Abfolge der Generationen x0, x1, x2,… bestimmen. Zeichnet man jeweils xn auf der x-Achse, so kann man xn+1 auf der y-Achse ablesen: Ausgehend von x0 auf der x-Achse wird der Wert senkrecht nach oben verfolgt, bis man die fette Kurve trifft (Wachstumsfunktion) – deren Wert ist bereits x1 und kann direkt horizontal auf der y-Achse abgelesen werden. Geht man horizontal statt auf die y-Achse auf die dünne Linie y = x, und dann wieder senkrecht nach unten auf die x-Achse, so hat man x1 zurück auf die x-Achse gebracht. Damit kann x1 als Ausgangspunkt für eine erneute Iteration dienen, die zu x2 führt, da ja x2 = ƒ(x1) gilt. Die Zickzackkurve ist die abgekürzte Darstellung, die direkt zu einer höheren Iteration xn, in Teil (a) zu x4, führt.

Man erkennt in Abbildung 1a, wie sich mit der Reproduktionsrate r = 2 die Populationsstärke von Generation zu Generation verdoppelt. Es entsteht ein unbeschränktes, ›exponentielles‹ Wachstum, welches typisch ist für unbegrenzte Ressourcen. Natürlich ist dies nicht besonders realistisch, oder präziser: trifft nur zu, wenn eine Population so klein ist, dass sich die beschränkten Ressourcen nicht bemerkbar machen. Was passiert, wenn eine Population so groß ist, dass sie ihren Lebensraum überstrapaziert, also nicht genügend Nahrung zur Verfügung steht?

Dies wird die Reproduktion negativ beeinflussen, und zwar umso mehr, je stärker die Population der gegenwärtigen Generation xn ist. Es war Verhulsts Idee, die Reproduktionsrate r durch r · (1xn) zu ersetzen und damit ein Element negativer Rückkopplung einzuführen:

Abb. 1: Graphische Konstruktion der Generationenfolge (x0, x1, x2,…) mit Ausgangspopulation x0 und Reproduktionsparameter r=2 für unbeschränktes Wachstum xn+1 = r · xn (Teil a) und für beschränktes Wachstum, xn+1 = r · (1–xn) · xn (Teil b).

Wenn nun xn groß ist (es sei daran erinnert, dass xn maximal 1 wird), dann sinkt die Reproduktion auf null. Ist dagegen xn sehr klein, ist die Reproduktion mit einem Parameter nahe dem ursprünglichen r kaum durch beschränkte Ressourcen behindert, wie oben schon überlegt. Mit dieser neuen Definition der Reproduktionsrate entsteht die logistische oder quadratische Abbildung,

War ƒ(x) bei unbeschränkten Ressourcen als lineare Funktion einfach eine Gerade (Abb. 1a), so ist sie nun, unter dem Einfluss von Rückkopplung durch beschränkte Ressourcen, als quadratische Funktion eine umgedrehte Parabel (Abb. 1b). Die Generationen können wir aber, wie gewohnt, konstruieren. Hierbei ergibt sich ein merkwürdiges neues Phänomen: Die Generationen streben über die Jahre n auf eine bestimmte Population x* zu, die sich nicht mehr ändert. Beginnt man mit einer anderen Ausgangspopulation x0, so erreicht man nach vielen Generationen wieder dieselbe Population x*. Startet man zufällig sofort mit x0 = x*, so bleibt die Population für jede Generation bei dem Wert x*. Man nennt...

Erscheint lt. Verlag 15.5.2015
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Alan Turing • Fischer Kompakt • Fraktal • Interaktion • Komplexität • Kritikalität • Kurt Gödel • Lawine • Materie • Messung • Naturerkenntnis • Nichtlinearität • Per Bak • Phasenübergang • Potenzgesetz • Quantumsystem • Regularität • Sachbuch • Selbstähnlichkeit • Selbstorganisation • Skalainvarianz • Steven Wolfram • Strukturbildung • Systemtheorie • Turingmaschine • Unvollständigkeitssatz • Zeichenkette
ISBN-10 3-10-560307-7 / 3105603077
ISBN-13 978-3-10-560307-9 / 9783105603079
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 8,5 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Praktische Ansätze zur Gestaltung eigener KI-Lösungen

von Jakob J. Degen

eBook Download (2024)
tredition (Verlag)
24,99