Magd, Metz' oder Mörderin (eBook)

Frauen vor frühneuzeitlichen Gerichten
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
350 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560125-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Magd, Metz' oder Mörderin -  Ulinka Rublack
Systemvoraussetzungen
14,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Erzählt wird die Geschichte von Frauen, die in den Gerichtsakten des 16. und 17. Jahrhunderts auftauchen - nicht etwa als Hexen, sondern als Kindsmörderinnen, Ehebrecherinnen oder gerissene Beutelschneiderinnen. Ulinka Rublack malt ein plastisches und farbiges Bild von der Lebenswirklichkeit »gewöhnlicher« Leute in einer Zeit, die durch die Reformation und den Dreißigjährigen Krieg geprägt war, und verbindet damit höchst spannend Kriminalitäts- und Alltagsgeschichte. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Ulinka Rublack, geboren 1967, studierte in Hamburg und Cambridge und lehrt seit 1996 Europäische Geschichte der Frühen Neuzeit am St John's College in Cambridge/GB. Sie gehört zu den Begründerinnen des Cambridge Centre for Gender Studies. Zu ihren wichtigen Veröffentlichungen zählen u.a. 'Magd, Metz' oder Mörderin. Frauen vor frühneuzeitlichen Gerichten' (1998), 'Die Reformation in Europa' (2003), 'Dressing Up: Cultural Identity in Renaissance Europa' (2010).

Ulinka Rublack, geboren 1967, studierte in Hamburg und Cambridge und lehrt seit 1996 Europäische Geschichte der Frühen Neuzeit am St John's College in Cambridge/GB. Sie gehört zu den Begründerinnen des Cambridge Centre for Gender Studies. Zu ihren wichtigen Veröffentlichungen zählen u.a. "Magd, Metz' oder Mörderin. Frauen vor frühneuzeitlichen Gerichten" (1998), "Die Reformation in Europa" (2003), "Dressing Up: Cultural Identity in Renaissance Europa" (2010).

1. Einleitung


Matthäus Merians Topographien haben eine der bleibendsten Vorstellungen deutscher Städte des 17. Jahrhunderts geschaffen. Noch heute schaut man die Stiche mit Vergnügen und Staunen an. Die Aufsicht auf Memmingen zeigt beispielsweise die Umgrenzung, Größe, Tore, Märkte und Gassen sowie die wichtigsten Gebäude der oberschwäbischen Stadt. Die Natur in dieser Stadt ist eine kultivierte, nicht zum Nutzen bestimmte: Den einzig sichtbaren Garten finden wir nahe der Frauenkirche (B), und er ist geometrisch angelegt; es gibt mehrere Baumgruppen sowie einzelne Laubbäume auf kleinen Rasenstücken. Der in die Stadt führende Bach ist schmal und droht nicht mit Fluten. Er verläuft im Halbbogen durch die Stadt und wird den Papiermachern, Färbern, Gerbern und anderen Handwerkern gedient haben. Die Stadt ist leer. Man sieht weder Menschen noch Tiere (und dabei ist jeder dieser Orte voller Schweine, Pferde, Ziegen, Kühe und Federvieh). Auch außerhalb der so wohl befestigten Mauern, die Zeitgenossen die Stärke der Stadt zeigten, auf den gestrichelt angedeuteten Wegen, bewegt sich niemand; überdies ist das Umland weiß gelassen, unausgefüllt. Nichts verweist auf die Nutzung des Bodens. Ebensowenig blicken wir auf die Spuren der Bauern, Ausbürger, Händler und Fahrenden, sondern auf kirchliche und kommunale Gebäude, vor allem aber Bürgerhäuser. Diese gleichen sich überwiegend in ihrer Größe und zeigen sich in der Seitenansicht langgezogen, also geräumig. Unter diese mittelgroßen Häuser mischen sich überall größere Gebäude. Wollte man aufgrund des Stiches mutmaßen, wo in Memmingen die Reichen und die Armen wohnten, fiele dies schwer. Noch wahrscheinlicher ist jedoch, daß einem bei der Betrachtung des Merianschen Stichs die Frage nach arm und reich, nach Macht und Konflikten in der Stadt gar nicht erst in den Sinn kommt. Auch deshalb ist der Blick auf die Stiche vergnüglich, machen sich die gerahmten Städteansichten als Wohnzimmerschmuck gut. Sie bestätigen ein Bild von der Geschichte als Schaukasten übersehbarer Ordnungen und begrenzter, menschlich geschaffener und bewältigter Welten.

Wie gestaltete sich das städtische Leben? Ein Beispiel: Im Juli des Jahres 1608 kam es in Memmingen zu einer Auseinandersetzung. Den Bierwirten wurde im Rathaus die neue Bierordnung verlesen. Alle mußten eidlich beschwören, ihr zu folgen. Unter den Versammelten war Anna, die Frau des Bierwirts Michel Müller, die jeder Lange Anna nannte. Zusammen mit drei Männern verließ sie wütend die Ratsstube. Man sollte euch allen die Hand abschlagen, schnaubte sie, ihr seid dort drinnen gestanden wie die Ölgötzen. Es geht genauso zu wie im Gericht, keiner darf ein Wort reden. Einer der Bierwirte fragte zurück, was ihr denn an der Ordnung unrecht gewesen sei. Außerdem habe man sowieso gehorsam zu sein, wenn die »Herren« etwas wollten. Du, Lange Anna, warf er ihr vor, »bist immer gescheiter als andere Leute«. Er spottete, »meine Herren werden bald den Rat mit Weibern besetzen müssen«. Bald wurde Anna wegen »unbescheidener Reden« verhaftet, und man verhörte Zeugen.[1]

Memmingen in Matthäus Merians Topographia Sveviae

Diese Arbeit befaßt sich mit Konflikten von Frauen in frühneuzeitlichen Gemeinschaften und der Rolle des Rechts in ihnen. Sie basiert auf der Lektüre tausender Fälle, in denen man zwischen 15001700 Frauen vor südwestdeutschen Gerichten begegnet, insbesondere als Angeklagte in Kriminalprozessen. Untersucht wurden vor allem Fälle im protestantischen Württemberg, dem größten Territorium des Südwestens, in drei protestantischen Reichsstädten, Memmingen, Esslingen und Schwäbisch Hall, und im katholischen Konstanz.[2] So wie im Fall der Langen Anna verdeutlichen die in Gerichtsquellen registrierten Rechtsüberschreitungen Historikern häufig erst zeitgenössische Normen. Vor allem zeigen sie die spezifischen Kontexte auf, in denen Normen geltend gemacht wurden und ihre Wirkung entfalteten. Gleichzeitig verzeichnen sie mögliche Handlungsräume innerhalb bestehender Ordnungsgefüge im Moment ihrer Bedrohung. Die Dynamik sozialer Beziehungen und die Konflikthaftigkeit von Herrschaft während der Frühen Neuzeit werden sichtbar. Die »Geschichten«, die in diesen Quellen aufgehoben, angedeutet und abgebrochen sind, bereichern zudem unsere Vorstellungskraft von den Welten, in denen sich frühneuzeitliche Menschen bewegten, ihren materiellen Welten und Gefühlswelten. Sie faszinieren, weil sie uns seltene Einblicke in das Lachen, den Ärger, Protest und die Phantasien dieser Männer, Frauen und Kinder geben, obwohl ihre Worte durch die Verhörsituation, die Angst vor Tortur und Strafen und den protokollierenden Gerichtsschreiber geprägt sind. Das Erzählen als Methode sucht aber vor allem nach einer einfühlenden Annäherung an die Dimensionen vergangener Menschlichkeit.[3] So wird zudem ein Verstehen der Handlungslogiken und Lebenswelten frühneuzeitlicher Menschen sowie die Beschreibung von Herrschaftspraxen möglich. Ein auf der Ebene alltagsweltlicher Erfahrungen ansetzender historischer Verstehensprozeß ist notwendig, um diese Gesellschaft und ihren Wandel komplex zu erfassen.

Ein übergreifendes Thema der Untersuchung sind frühneuzeitliche Ordnungsvorstellungen und ihr Einfluß auf die Gerichts- und Strafpraxis. Seit dem späten 15. Jahrhundert versuchten Obrigkeiten verstärkt, die gesamte Bevölkerung auf einen sehr begrenzten moralischen Verhaltenskodex zu verpflichten. Die Werte entsprachen ihrem christlichen Verständnis. Besonders wichtig waren die Verbote des Fluchens und Schwörens, des Luxus, der Spielerei, der Entheiligung der Sonn- und Feiertage sowie sexuell leichtfertigen Verhaltens. Obrigkeiten versuchten vermehrt, die Bestrafung von Vergehen gegen solche und ähnliche Verbote von kirchlichen Gerichten zu übernehmen. Frieden und Wohlstand schienen nur sicher, wenn Bürger die zehn Gebote beachteten, als gute Nachbarn und uneigennützig zusammenlebten. Sonst drohten Krieg, Hunger und Seuchen. Dieser erstarkte Moralismus war in den Städten besonders verdichtet und wirkte in die reformatorischen Bewegungen hinein. Protestanten verlangten die Versittlichung des Lebens und weitreichende Reformen, beispielsweise die Abschaffung des Priesterzölibats und der Konvente, das Verbot jeglicher Prostitution und die Stärkung der Institutionen der Ehe und des christlichen Haushalts.[4] Wo immer sich reformatorische Bewegungen durchsetzten, stießen sie politisches Handeln in diese Richtung an. Als Territorialherren in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ihre Herrschaft über Land und Leute zu festigen suchten, expandierten Sittenmandate überall.[5] Sie verbanden sich mit dem obrigkeitlichen Interesse an almosenunabhängigen Haushalten. Obrigkeiten versuchten vor allem verfrühte, der Lust anstatt der Vernunft geschuldete Heiraten zu unterbinden sowie Trinken, Feste, Geschenke und Kleiderluxus. Dies sollte die häusliche Wirtschaft stärken und den zur Kriegsführung und Unterhaltung des Hofs dringend benötigten Steuerfluß. Dieses Interesse verband Landesväter aller Konfessionen, und ihre politischen Maßnahmen glichen sich dementsprechend.

Der wohl regierte Haushalt war damit Garant gesellschaftlicher Ordnung. An seiner Spitze stand der Hausvater. Seine Pflicht war, im Haus für Frieden, Schutz, Nahrung und weise Zucht zu sorgen – so wie der Fürst im Land. Frauen, Kinder und das Gesinde schuldeten ihm Gehorsam. Obrigkeiten schritten im Interesse der Wahrung dieser Ordnung gegen das schlechte Hausregiment ein. Eine Ehefrau konnte beispielsweise ihren verschwenderischen oder gewalttätigen Mann anklagen, weil er sie nicht nährte und schützte. Verlangte sie aber eine Trennung, sahen Obrigkeiten dies in aller Regel als Infragestellung einer gesellschaftlichen Ordnung an, die auf der Herrschaft des Mannes über die Frau beruhte. Ebenso konnte eine Magd ihren Meister verklagen, wenn er ihr Lohn vorenthielt. Jeder verstand, daß geizige Meister das Gesinde zu Diebstahl verführten. Doch eine Entscheidung, künftig eigenständig zu arbeiten, erregte Mißfallen. Das Ideal des ganzen Hauses bekräftigte damit eine auf wechselseitigen Verpflichtungen beruhende, hierarchische Ordnung, deren Funktionieren jedoch zunehmend der obrigkeitlichen Kontrolle unterlag.[6]

Zudem wuchs die obrigkeitliche Abneigung gegen jene, die sich außerhalb dieses Idealgefüges bewegten. Prostituierte und Bettler bekamen dies als erste zu spüren.[7] Letztere sah man immer weniger als vom Schicksal gebeutelte Menschen, sondern als faul und unredlich, als eine gesellschaftliche Last. Am Ende des 16. Jahrhunderts zwang man junge, bettelnde und vagierende Männer in Württemberg zur öffentlichen Arbeit oder verbannte sie auf die Venedig verlassenden Galeeren.[8] Mobilität war der größte Feind eines auf stabile Haushalte gründenden Gesellschaftsbilds. Freie, mobile Arbeit wurde beispielsweise mit sexueller Freizügigkeit verbunden. Eine merkantile Verordnung über den Handel ins Ausland von 1645 bemängelte deshalb, daß von Feilträgern und Kremplern

»allerhand Sünden und Laster verübt werden, indem selbige, ohne Underschied, Männern, Weibern, Witwen und ledigen Burschen, hier und dort in Kammern, Stuben, Stallungen … zusammen schlupfen, in Worten und Werken ärgerlich leben, und in einem fast wilden barbarischen Wesen aufwachsen, und mit großer Verachtung des Gottesdienstes dahin...

Erscheint lt. Verlag 15.4.2015
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Beischlaf • Betrug • Bigamie • Diebstahl • Ehebruch • Eigentumsdelikt • Esslingen • Frankfurt am Main • Kindsmörderin • Memmingen • Mord • Sachbuch • Schwangerschaft • Strafegerechtigkeit • Stuttgart • Württemberg
ISBN-10 3-10-560125-2 / 3105601252
ISBN-13 978-3-10-560125-9 / 9783105601259
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 2,5 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Praktische Ansätze zur Gestaltung eigener KI-Lösungen

von Jakob J. Degen

eBook Download (2024)
tredition (Verlag)
24,99