Französische Affairen (eBook)

Ansichten von Frankreich
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
328 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560113-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Französische Affairen -  Karl Heinz Götze
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?Französische Affären? von Karl Heinz Götze ist eine Mischung aus Essay, Denkbild und Reportage - eine sehr gelungene, denn der Text ist bei allem Scharfsinn immer unterhaltend, bei aller Kenntnis immer elegant. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Karl Heinz Götze, geboren 1947 in Hofgeismar, war Professor für deutsche Literatur und Zivilisation an der Universität Aix-en-Provence. Er hat Bücher über die Geschichte der Germanistik, über Böll, Koeppen und Weiss, über das heutige Frankreich und über die französische Küche veröffentlicht. Bei S. Fischer erschien zuletzt »Französische Affären« und »Les Chefs«. Seit 2015 pendelt er zwischen der Provence und Frankfurt.

Karl Heinz Götze, geboren 1947 in Hofgeismar, war Professor für deutsche Literatur und Zivilisation an der Universität Aix-en-Provence. Er hat Bücher über die Geschichte der Germanistik, über Böll, Koeppen und Weiss, über das heutige Frankreich und über die französische Küche veröffentlicht. Bei S. Fischer erschien zuletzt »Französische Affären« und »Les Chefs«. Seit 2015 pendelt er zwischen der Provence und Frankfurt.

Vorwort


Damit das von Anfang an klargestellt wäre: In Frankreich wird der 2 CV nicht mehr gebaut, die Baskenmütze ist aus der Mode gekommen, die Zahl der Bistros geht drastisch zurück, während die Zahl der McDonald-Niederlassungen steigt, die Gauloises sind jetzt blond, und Irma la Douce arbeitet nicht mehr auf der Straße.

Eine Träne für Irma la Douce, für die romantischen Clochards unter den Seine-Brücken, für die Angler in ihrer Nachbarschaft, für die Arbeiter von Billancourt. Eine Träne, damit etwas Verlorenes gebührend betrauert sei und der Blick frei wird, um Neues wahrzunehmen. Um neu wahrzunehmen.

Auf dem Abschied vom alten Frankreich muß hier sogleich bestanden werden, weil er uns Deutschen besonders schwerfällt. Nehmen wir den 2 CV. Der Wagen, dessen Erfolg der ehemalige Citroën-Direktor Jacques Wolgensinger aus den Attributen erklärte, »die ihm fehlen: Leistung, Schnelligkeit, Status, Luxus, Aggressivität«, wurde zuletzt in Deutschland besser verkauft als in Frankreich. Daß die Franzosen ihn nicht mehr kauften, hatte vielleicht mit entwickeltem Stilempfinden zu tun. Zum Deux-chevaux passen einfach keine weißen Scheinwerfer und kein TÜV, die beide nun auch in Frankreich obligatorisch sind.

Anderes Beispiel: Hierzulande wirbt seit Jahren ein schnurrbärtiger Baskenmützenbauer mit »Isch«-Akzent kräuterhackend für eine Frischkäsesorte, dem in Frankreich niemand seinen Käse abnehmen würde. »Der Käsefreund mit Baskenmütze wirkt in Frankreich lächerlich«, überschrieb jüngst die Frankfurter Rundschau einen Bericht über Euro-Werbung.

Abschied von liebgewonnenen Frankreichbildern haben auch und gerade die Intellektuellen zu nehmen. Heinrich Bölls hübsche »Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral« aus dem Jahre 1963, in der ein deutscher Tourist einem phlegmatischen, seinen Bedürfnissen lebenden Atlantikfischer zu erklären versucht, wie man durch viel Arbeit, moderne Technik und Kapitalbildung zu einem glücklichen Leben kommen könne, hat zwar Aufnahme in französische Schulbücher gefunden, ist aber zugleich anachronistisch geworden, denn der Sohn jenes Fischers hat längst den Fang gesteigert und Tiefgefrieranlagen installiert, derweil ihm die deutschen Touristen im Hafen erklären, daß er Frieden mit der Natur halten solle.

Keiner hat das Frankreichbild der Deutschen – gerade auch der frankophilen Deutschen – so griffig auf einen bis heute fortwirkenden Begriff gebracht wie Friedrich Sieburg mit seinem Buch Gott in Frankreich? Sieburgs Buch ist eine Hommage – an die Zurückgebliebenheit. Das Leitmotiv: Sieburg schätzt Frankreich, »weil ich schwach genug bin, mich in einem altmodischen und unordentlichen Paradies lieber aufzuhalten als in einer blitzblanken und trostlosen Musterwelt«. Frankreich ist »statisch«, Deutschland »dynamisch«; Frankreich ist »eigensinnig und überholt«, ist die »schöne Vergangenheit«; in Frankreich hat ein jeder Mensch eine handgearbeitete Seele, während die bei uns »in Serie hergestellt« werden. Sieburg schrieb sein Buch 1927, in der Zeit, als Frankreich zwischen den Kriegen eine lange Stagnationsperiode durchlief. Seine Thesen konnten aber auch nach 1945 fortwirken, denn Westdeutschland modernisierte sich weiter, orientierte sich am technischen Fortschritt, am Konsum, wurde zu einer »blitzblanken Musterwelt«, während Frankreich das »unordentliche Paradies« bleiben sollte – schon unseren Ferien zuliebe.

Sieburgs Denkmuster wirkt weiter auch in zeitgenössischen Büchern über Frankreich. Frankreich ist wunderbar, aber eben auch hoffnungslos altmodisch. Wunderbar hoffnungslos altmodisch, während unser Land, hoffnungsvoll neumodisch, der Wunder bar wäre, gäbe es nicht das Wirtschaftswunder. In diesem (unserem) Bild vermag sich Frankreich weniger denn je wiederzuerkennen, zumal die Hauptfiguren des Tableaus Bauern, Kleinhändler oder Boutiquiers sind, also die Teile der alten Mittelschichten, die gerade ihre soziale Basis verlieren, nicht aber die »Cadres« der neuen angestellten Mittelschichten aus Wirtschaft, Medien und Staatsbürokratie, an denen sich Frankreich heute viel eher orientiert.

Frankreich ist kein Paradies, aber auch keine Illusion. Frankreich ist ein Land im Umbruch, das es schwer damit hat, seine neue innere Verfassung und seine neue Rolle in der Welt zu finden. Die Rolle einer Weltmacht wird es nicht mehr sein, aber die Rolle eines europäischen Museums charmanter Rückständigkeit oder eines europäischen Freizeitparks kann es auch nicht sein. Die Vorstellungen vom Paradies müssen wir vielleicht ebenso wie die großen politischen Utopien, mit denen Frankreich die Welt so reich versorgt hat, für eine Weile woanders suchen.

Gerade deshalb, weil auch Frankreich am Ende eines Sonderwegs angekommen ist und die Konvergenzen der EG-Staaten sich im Zuge ihrer wirtschaftlichen Verschmelzung immer deutlicher abzeichnen, stellt sich die Frage nach der Bewahrung der Identität des Landes um so nachhaltiger. Die leidenschaftlichen öffentlichen Auseinandersetzungen um die Volksabstimmung über »Maastricht« haben das gezeigt. Jede Identität bildet sich aber als Bewußtsein der Differenz im Spiegel des anderen. So sind wir es den französischen Nachbarn, aber vor allem auch uns selbst schuldig, liebgewonnene Illusionen über Frankreich zu verabschieden, ein von der Wirklichkeit überholtes Frankreichbild ins Museum zu stellen und Platz zu schaffen für Skizzen des Gegenwärtigen und des Künftigen – nicht nur Frankreichs, sondern darin auch Deutschlands.

Dazu will das vorliegende Buch beitragen. Es ist aus den Erfahrungen eines Berufslebens in zwei Ländern zugleich entstanden, aus immer neuen Anläufen, ein nahes, fremdes Land zu verstehen. Am einfachsten ist es am Anfang. Diese Erfahrung hat schon der Frankreichkorrespondent Kurt Tucholsky gemacht: »Nach zwei Monaten verstand ich alles – hätte mich jemand gebeten, ihm eine Monographie über Frankreich zu schreiben, ich hätte angenommen; aber zum Glück hat mich damals keiner gebeten. Nach einem halben Jahr begann das Bild sich langsam zu verdunkeln, die Fäden liefen wirr, da waren Widersprüche, die ich nicht zu lösen vermochte … Nach drei Jahren verstand ich gar nichts mehr. Wie ist der Franzose?«

Ja, wie ist er, der Franzose? Wie ist sie, die Französin? Die richtige Antwort auf diese Frage hat Tucholsky auch später nicht gehabt. Die Frage ist so unausrottbar wie unbeantwortbar. Aber es können Annäherungen versucht werden. Dies freilich nur dann mit Aussicht auf Einsicht, wenn man sie nicht als Frage nach einem unverlierbaren, unwandelbaren französischen Wesen begreift, sondern als Frage nach dem Vorgang, wie sich aus Tradition und Gesellschaft Identitäten formen.

Ausgangspunkt sind hier Erfahrungen, langjährige, zufällige, persönliche Erfahrungen, Erfahrungen, die über weite Strecken überhaupt nicht in der Perspektive gemacht wurden, sie zu einem Buch zu verarbeiten. Der zufällige, schweifende Blick nimmt anders wahr als derjenige, der schon genau weiß, wofür sich der Verleger interessiert. Das macht aber auch Grenzen aus. Über viele wichtige Bereiche der französischen Gesellschaft, etwa über die Armee und die Kirche, wird sich nichts finden, weil ich sie nicht erlebt habe. Meine Erfahrungen sind zuallererst die Erfahrungen eines deutschen Lehrers an französischen Hochschulen. Das unterscheidet dieses Buch von vergleichbaren, die zumeist von Journalisten geschrieben sind und berufsbedingt überwiegend mit der Sphäre der Pariser Berufspolitiker zu tun haben. Die »politique politicienne«, die »Politik der Politiker« kommt hier kaum vor. Freilich bilden die Erfahrungen an den Hochschulen nur den Ausgangspunkt. Sie sind erweitert durch Reisen im ganzen Land, durch Interviews, durch Reportagen aus Lebensbereichen, die dem Ausländer normalerweise verschlossen bleiben – von den Vierteln der Reichen und Mächtigen über die Elitehochschulen bis zu den Ghettos der Vorstädte. Zu den Erfahrungen und den »Ansichten« kommen also Reportagen. Dazu kommt schließlich auch die Lektüre. Die Lektüre der Presse zuerst, die Lektüre der französischen Gegenwartsliteratur, die mehr Aufmerksamkeit verdient, als die seit einem Dutzend Jahren eher auf französische Philosophie fixierte deutsche Öffentlichkeit wahrhaben möchte, die Lektüre französischer Geschichtswissenschaft und Gesellschaftstheorie. Es ist die neugierige Lektüre des Dilettanten, ein Ausdruck, der um die Jahrhundertwende gerade in Frankreich als Wort für die Haltung weitausgreifender Skepsis in Ehren stand und erst in unserer Fachleutegesellschaft in Verruf geriet. Der Dilettant, wie ihn Bourget, Anatole France, Hofmannsthal oder der junge Heinrich Mann verstanden, setzt sich über die Grenzziehungen der Denkschulen und Wissenschaftsdisziplinen hinweg, ohne freilich auf deren Erkenntnisse verzichten zu wollen.

Jedenfalls: Erfahrungen und Denken sind die beiden Grundelemente dieses Buches. Dabei ist der Radius des Gedankens natürlich weiter als der der Erfahrung, aber nirgends wird die Bindung des Denkens an die Erfahrung aufgelöst. Das garantiert nicht die Richtigkeit des Dargestellten, aber es mag doch seiner Authentizität zugute kommen.

 

Die folgenden Texte sind Essays in dem Sinne, wie Musil den Essay bestimmt, als Verfahren, das »in der Folge seiner Abschnitte ein Ding von vielen Seiten nimmt, ohne es ganz zu erfassen – denn ein ganz erfaßtes Ding verliert mit einem Male seinen Umfang und schmilzt zu einem Begriff ein …«. In einen einzigen Begriff, in eine einzige These...

Erscheint lt. Verlag 15.4.2015
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Aubervillier • Canal Saint-Denis • Deutschland • Essay • Frankfurt • Frankreich • Jacques Prévert • Karriereschule • Michel Guérard • Neuilly • Paquita Rodriguez • Paris • Paul Bocuse • Renault • Reportage • Robert Doisneau
ISBN-10 3-10-560113-9 / 3105601139
ISBN-13 978-3-10-560113-6 / 9783105601136
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