Der zerbrochne Krug. Textausgabe mit Kommentar und Materialien (eBook)
136 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-960582-1 (ISBN)
Heinrich von Kleist (18. 10. 1777 Frankfurt a. d. O. - 21. 11. 1811 zwischen Potsdam und Berlin am heutigen Kleinen Wannsee) bewegte sich in romantischen Dichterkreisen, seine bis heute modern wirkenden Dramen und Erzählungen entziehen sich allerdings schematischen Stil- und Epochenzuordnungen.
Heinrich von Kleist (18. 10. 1777 Frankfurt a. d. O. – 21. 11. 1811 zwischen Potsdam und Berlin am heutigen Kleinen Wannsee) bewegte sich in romantischen Dichterkreisen, seine bis heute modern wirkenden Dramen und Erzählungen entziehen sich allerdings schematischen Stil- und Epochenzuordnungen.
Der zerbrochne Krug
Anhang
1. Zur Textgestalt
2. Anmerkungen
3. Leben und Zeit
4. Das Motiv des zerbrochenen Kruges
5. Zentrale Namensmotive: Adam, Eve und Ödipus
6. Rezeptionsgeschichte
7. Literaturhinweise
[5]Szene: Die Gerichtsstube
Erster Auftritt
Adam sitzt und verbindet sich ein Bein. Licht tritt auf.
LICHT. Ei, was zum Henker, sagt, Gevatter Adam!
Was ist mit Euch geschehn? Wie seht Ihr aus?
ADAM. Ja, seht. Zum Straucheln braucht’s doch nichts, als Füße.
Auf diesem glatten Boden, ist ein Strauch hier?
Gestrauchelt bin ich hier; denn jeder trägt
Den leidgen Stein zum Anstoß in sich selbst.
LICHT. Nein, sagt mir, Freund! Den Stein trüg jeglicher –?
ADAM. Ja, in sich selbst!
LICHT. Verflucht das!
ADAM. Was beliebt?
LICHT. Ihr stammt von einem lockern Ältervater,
10Der so beim Anbeginn der Dinge fiel,
Und wegen seines Falls berühmt geworden;
Ihr seid doch nicht –?
ADAM. Nun?
LICHT. Gleichfalls –?
ADAM. Ob ich –? Ich glaube –!
Hier bin ich hingefallen, sag ich Euch.
LICHT. Unbildlich hingeschlagen?
ADAM. Ja, unbildlich.
Es mag ein schlechtes Bild gewesen sein.
LICHT. Wann trug sich die Begebenheit denn zu?
ADAM. Jetzt, in dem Augenblick, da ich dem Bett
Entsteig. Ich hatte noch das Morgenlied
Im Mund, da stolpr’ ich in den Morgen schon,
20Und eh ich noch den Lauf des Tags beginne,
Renkt unser Herrgott mir den Fuß schon aus.
LICHT. Und wohl den linken obenein?
ADAM. Den linken?
[6]LICHT. Hier, den gesetzten?
ADAM. Freilich!
LICHT. Allgerechter!
Der ohnhin schwer den Weg der Sünde wandelt.
ADAM. Der Fuß! Was! Schwer! Warum?
LICHT. Der Klumpfuß?
ADAM. Klumpfuß!
Ein Fuß ist, wie der andere, ein Klumpen.
LICHT. Erlaubt! Da tut Ihr Eurem rechten Unrecht.
Der rechte kann sich dieser – Wucht nicht rühmen,
Und wagt sich eh’r aufs Schlüpfrige.
ADAM. Ach, was!
30Wo sich der eine hinwagt, folgt der andre.
LICHT. Und was hat das Gesicht Euch so verrenkt?
ADAM. Mir das Gesicht?
LICHT. Wie? Davon wisst Ihr nichts?
ADAM. Ich müsst ein Lügner sein – wie sieht’s denn aus?
LICHT. Wie’s aussieht?
ADAM. Ja, Gevatterchen.
LICHT. Abscheulich!
ADAM. Erklärt Euch deutlicher.
LICHT. Geschunden ist’s,
Ein Greu’l zu sehn. Ein Stück fehlt von der Wange,
Wie groß? Nicht ohne Waage kann ich’s schätzen.
ADAM. Den Teufel auch!
LICHT (bringt einen Spiegel). Hier! Überzeugt Euch selbst!
Ein Schaf, das, eingehetzt von Hunden, sich
40Durch Dornen drängt, lässt nicht mehr Wolle sitzen,
Als Ihr, Gott weiß wo? Fleisch habt sitzen lassen.
ADAM. Hm! Ja! ’s ist wahr. Unlieblich sieht es aus.
Die Nas hat auch gelitten.
LICHT. Und das Auge.
ADAM. Das Auge nicht, Gevatter.
LICHT. Ei, hier liegt
Querfeld ein Schlag, blutrünstig, straf mich Gott,
Als hätt ein Großknecht wütend ihn geführt.
[7]ADAM. Das ist der Augenknochen. – Ja, nun seht,
Das alles hatt ich nicht einmal gespürt.
LICHT. Ja, ja! So geht’s im Feuer des Gefechts.
50ADAM. Gefecht! Was! – Mit dem verfluchten Ziegenbock,
Am Ofen focht ich, wenn Ihr wollt. Jetzt weiß ich’s.
Da ich das Gleichgewicht verlier, und gleichsam
Ertrunken in den Lüften um mich greife,
Fass ich die Hosen, die ich gestern abend
Durchnässt an das Gestell des Ofens hing.
Nun fass ich sie, versteht Ihr, denke mich,
Ich Tor, daran zu halten, und nun reißt
Der Bund; Bund jetzt und Hos und ich, wir stürzen,
Und häuptlings mit dem Stirnblatt schmettr’ ich auf
60Den Ofen hin, just wo ein Ziegenbock
Die Nase an der Ecke vorgestreckt.
LICHT (lacht). Gut, gut.
ADAM. Verdammt!
LICHT. Der erste Adamsfall,
Den Ihr aus einem Bett hinaus getan.
ADAM. Mein Seel! – Doch, was ich sagen wollte, was gibt’s Neues?
LICHT. Ja, was es Neues gibt! Der Henker hol’s,
Hätt ich’s doch bald vergessen.
ADAM. Nun?
LICHT. Macht Euch bereit auf unerwarteten
Besuch aus Utrecht.
ADAM. So?
LICHT. Der Herr Gerichtsrat kömmt.
ADAM. Wer kömmt?
LICHT. Der Herr Gerichtsrat Walter kömmt, aus Utrecht.
70Er ist in Revisionsbereisung auf den Ämtern
Und heut noch trifft er bei uns ein.
ADAM. Noch heut! Seid Ihr bei Trost?
LICHT. So wahr ich lebe.
[8]Er war in Holla, auf dem Grenzdorf, gestern,
Hat das Justizamt dort schon revidiert.
Ein Bauer sah zur Fahrt nach Huisum schon
Die Vorspannpferde vor den Wagen schirren.
ADAM. Heut noch, er, der Gerichtsrat, her, aus Utrecht!
Zur Revision, der wackre Mann, der selbst
Sein Schäfchen schiert, dergleichen Fratzen hasst.
80Nach Huisum kommen, und uns kujonieren!
LICHT. Kam er bis Holla, kommt er auch bis Huisum.
Nehmt Euch in Acht.
ADAM. Ach geht!
LICHT. Ich sag es Euch.
ADAM. Geht mir mit Eurem Märchen, sag ich Euch.
LICHT. Der Bauer hat ihn selbst gesehn, zum Henker.
ADAM. Wer weiß, wen der triefäugige Schuft gesehn.
Die Kerle unterscheiden ein Gesicht
Von einem Hinterkopf nicht, wenn er kahl ist.
Setzt einen Hut dreieckig auf mein Rohr,
Hängt ihm den Mantel um, zwei Stiefeln drunter,
90So hält so’n Schubiack ihn für wen Ihr wollt.
LICHT. Wohlan, so zweifelt fort, ins Teufels Namen,
Bis er zur Tür hier eintritt.
ADAM. Er, eintreten! –
Ohn uns ein Wort vorher gesteckt zu haben.
LICHT. Der Unverstand! Als ob’s der vorige
Revisor noch, der Rat Wachholder, wäre!
Es ist Rat Walter jetzt, der revidiert.
ADAM. Wenngleich Rat Walter! Geht, lasst mich zufrieden.
Der Mann hat seinen Amtseid ja geschworen,
Und praktisiert, wie wir, nach den
100Bestehenden Edikten und Gebräuchen.
LICHT. Nun, ich versichr’ Euch, der Gerichtsrat Walter
Erschien in Holla unvermutet gestern,
Vis’tierte Kassen und Registraturen,
Und suspendierte Richter dort und Schreiber,
Warum? ich weiß nicht, ab...
Erscheint lt. Verlag | 21.7.2014 |
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Reihe/Serie | Reclam XL – Text und Kontext |
Reclam XL – Text und Kontext | Reclam XL – Text und Kontext |
Zusatzinfo | 7 s/w-Abbildungen |
Verlagsort | Ditzingen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur |
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ISBN-10 | 3-15-960582-5 / 3159605825 |
ISBN-13 | 978-3-15-960582-1 / 9783159605821 |
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