Was die Wörter erzählen (eBook)

Eine kleine etymologische Fundgrube
eBook Download: EPUB
2011 | 1. Auflage
176 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-41192-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Was die Wörter erzählen -  Waltraud Legros
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»Ab und zu ist es schön, sich einfach anzusehen, was Sprache alles kann.« Warum sagen wir, der Wein ist »alle«, wenn die Flasche leer ist, »geben etwas auf« - den Brief wie den Plan - oder benutzen »mutterseelenallein« als vermeintlich ur-deutsches seelenvolles Wortgebilde? Waltraud Legros zerlegt gängige Alltagswörter in ihre Bestandteile, nimmt Wendungen wie »nicht ganz bei Trost sein« unter die Lupe und berichtet von etymologischen Wurzeln. So erfahren wir in diesem äußerst unterhaltsamen und dabei lehrreichen Buch, was die Wörter über die Sprache erzählen - und diese wiederum über uns, die wir sie benutzen, verändern und erneuern.  

Waltraud Legros, geb. 1938 in Klagenfurt, promovierte über Hugo von Hofmannsthal.  Lehrtätigkeit an Gymnasien und Universität, zahlreiche Publikationen zu Sprachdidaktik und Sprachbegabung. Sie lebt in Mours Saint Eusèbe. 

Waltraud Legros, geb. 1938 in Klagenfurt, promovierte über Hugo von Hofmannsthal.  Lehrtätigkeit an Gymnasien und Universität, zahlreiche Publikationen zu Sprachdidaktik und Sprachbegabung. Sie lebt in Mours Saint Eusèbe. 

Wanderwörter


»Die deutsche Sprache kommt ab, eine andere schleicht sich ein!« Dieser Warnruf stand nicht etwa gestern in der Zeitung, sondern im Jahre 1689 im ›Altberliner Bilderbogen‹. Damals klagte ein gewisser Hans Ludwig über den »französisch-deutschen Modegeist«, ähnlich wie heute so mancher gegen die anglo-amerikanischen Eindringlinge wettert, welche unsere ehrwürdigen europäischen Kultursprachen bedrohen. »Heute muß alles französisch sein«, hieß es vor über dreihundert Jahren, »wer nicht französisch kann, kommt zu Hofe nicht an, ... wer nicht französisch redet, der muß ein Dummkopf sein.« In die heutige Zeit übersetzt, ergäbe das etwa: »Wer heute nicht mit einem handy durch die Straßen rennt, sich nicht regelmäßig um seine fitness kümmert, wer von Aussehen und Kleidung spricht statt von look und outfit, der ist nicht etwa ein Dummkopf, viel schlimmer: Er ist einfach nicht in!« Und man müßte hinzufügen, daß die Anglizismen gar nicht daran denken, »sich einzuschleichen«, im Gegenteil: Sie kommen angesurft und bestimmen, was Sache ist. Wie soll man sich dagegen wehren?

Die Frage ist alt wie die Welt. Schon immer haben Menschen, die andere Länder eroberten, ihre Wörter mitgebracht, ihre Gedanken und Bräuche, ihre Siebensachen und deren Namen. Caesar und das Christentum brachten die lateinische Sprache in die Länder nördlich der Alpen; die Kreuzzügler, die Ordensbrüder des Deutschen Ritterordens, die Kaufleute der Hanse trugen deutsche Vokabeln bis weit über die Grenzen ihres angestammten Landes; die von Richelieu angeworbenen Söldnerheere des Dreißigjährigen Kriegs, später die aus Frankreich vertriebenen Hugenotten, noch später die französischen Revolutionsemigranten bescherten der deutschen Alltagssprache eine Unzahl von Wörtern, die wir aus unserem Wortschatz nicht mehr wegdenken könnten. Oder haben wir etwa ein deutsches »Pendant« gefunden für »Bluse«, »Soldat«, »Balkon«, »Partei« oder »Garage«?

Und so können wir auch heute nicht verhindern, daß die Wörter mit den Dingen ins Land kommen. Wir haben weder die Jeans erfunden, noch das dazugehörige T-shirt, auch nicht den Computer, den Job, den Streß oder den Walkman. Barbarisch sind nicht die Wörter einer anderen Sprache, barbarisch ist die Art, mit ihnen umzugehen: Powerfrau, Haarspray, Fitmacher sind hybride Gebilde – wie übrigens auch Herzinfarkt, Pferdelotto oder Ölkrise … Doch wenn jemand lieber sagt, er sei down, wenn er sich mies fühlt, und high, wenn es ihm richtig gutgeht, dann sollte man ihm das nicht übelnehmen. Die Zeit wird schon zu wählen wissen und uns sagen, was bleiben soll und was nicht. Auch »fair«, »charmant«, »Skandal« und »Galerie« waren einmal solche Modewörter, und sie haben sich, wie viele andere auch, in der deutschen Sprache bestens eingelebt.

Wörter wandern eben. Sie sind Handelsreisende in Sachen Weltanschauung und Lebenskunst (was immer man darunter verstehen mag), und sie haben sich nie besonders um Staatsgrenzen oder Bündnisse gekümmert. Viele waren Eintagsblüten einer Mode, andere haben Kassandrarufen von drohender Überfremdung sowie erzürnten Sprachpolizisten tapfer standgehalten, wieder andere sind innerhalb des Landes umgezogen. Und alle haben sie etwas zu erzählen. Was wären wir, was wären unsere Sprachen ohne diese Wanderwörter?

ABENTEUER


Es gibt eine ganze Reihe von Wörtern, die wir zwar als deutsch empfinden, die sich aber weder in sinnvolle Einheiten zerlegen noch als Ableitung oder Abwandlung von deutschen oder germanischen Stammwörtern identifizieren lassen. Abenteuer zum Beispiel: Ob es sich um ein waghalsiges Unternehmen handelt, um eine nicht ungefährliche Reise oder eine Liebesaffäre, wir wissen alle, was das Wort bedeutet und was in ihm mitschwingt: Spannung, Aufregung, Gefahr, Ungewöhnliches, Unerwartetes. Trotzdem stockt die Feder, und nicht nur bei Kindern, wenn wir es schreiben sollen. Wie von selbst bietet sich Abend-teuer an, was zwar den Sinn nicht gerade erhellt, sich aber zumindest deutscher ausnimmt. Und Kinder kommen mit »Abend«, das sie mit Dunkelheit, Nacht, mit Ins-Bettgehen-Müssen verbinden, sicherlich besser zurecht als mit »Aben«, das doch wohl wirklich nichts aussagt.

»Abenteuer« ist, wie die Erwachsenen wissen, ein teilweise eingedeutschtes Lehnwort. Es kommt vom lateinischen adventura und bezeichnet das, »was auf einen zukommt«, also ein kommendes Ereignis. Genaugenommen ist »Abenteuer« unserem friedlichen »Advent« näher als irgendeinem aufregenden Wagnis. Doch die verschiedenen Sprachen haben das Wort aufgenommen und seinen Sinn verändert: Das lateinische adventura wurde zum italienischen avventura, dann zum französischen aventure und schließlich zum deutschen »Abenteuer«.

 

Auch Marzipan läßt sich nicht in genußvolle Silben zerlegen. Die Italiener nennen es marzapane, die Spanier mazapan, die Franzosen massepain, und dies sind lauter Wörter, die in der jeweiligen Sprache ebensowenig nach Mandeln, Zucker und Rosenwasser schmecken wie »Marzipan«. Etymologen (diese Sprach- und Wortforscher, die ihre Berufsbezeichnung vom griechischen etymos – »wahr« – herleiten und die es also wissen müssen) erzählen von einer langen Reise: Zur Zeit der Kreuzzüge entdeckten die Kreuzfahrer mautaban, ein arabisches Wort, das das Bildnis Christi auf den byzantinischen Münzen bezeichnete. Nach und nach wurde mautaban der Name für ein Hohlmaß, dann für eine Schachtel und schließlich für das süße Mandelbrot, das diese Schachteln enthielten. Im 16. Jahrhundert suchte die Volksetymologie nach einer etwas weniger entlegenen Herkunft und behauptete, Marzipan käme von Marci panis, dem »Markusbrot«. Warum nicht? Die sogenannte Volksetymologie ist zwar keine Wissenschaft, aber es geht ja vor allem um die schöne Geschichte. Schließlich heißt der »Etymologe« wörtlich übersetzt »Wahr-sager«, und dem geht es bekanntlich mehr um Magie als um Wahrheit.

 

Porzellan, das feine, zerbrechliche, hat immerhin einer ganzen Reihe von Verwandlungen standhalten müssen, bis es zum Stolz unserer Vitrinen wurde. Angefangen hat es ganz trivial mit dem lateinischen porcus, dem Schwein, und seinem italienischen Diminutiv porcella, zunächst Schweinchen, dann aber familiäre Bezeichnung für die weibliche Scheide. Die Venezianer veredelten Bild und Wort, indem sie auch eine Meeresmuschel – oder vielmehr eine Meeresschnecke mit weißglänzender Schale porcella nannten. Und als das erste Porzellan aus China kam, meinten sie zunächst, diese hauchzarten Gebilde seien aus zerriebenen weißen Muscheln hergestellt und nannten diese Materie porcellana, das das Deutsche dann als »Porzellan« übernommen hat.

 

Der Hugenotte hat eine andere Reise hinter sich: »Eidgenossen« nannten sich die Genfer, die sich 1520 gegen den Herzog von Savoyen verbündet hatten. Die Franzosen verballhornten diese »Eidgenossen« zu eyenets, dann zu huguenots, und bezeichneten mit diesem Spottnamen alle Anhänger des Calvinismus, die um die Mitte des 16. Jahrhunderts immerhin ein Fünftel der französischen Bevölkerung ausmachten. Als 1685 Ludwig XIV. das Edikt von Nantes aufhob (welches seit 1598, nach blutigen Machtkämpfen zwischen protestantischem Adel und katholischem Königshaus, Religionsfreiheit gewährt hatte), suchten viele Calvinisten Zuflucht im Ausland, vornehmlich im protestantischen Norden Deutschlands, wo sie »Hugenotten« genannt wurden.

 

Auch unsere Boulevardpresse war mit einer Rückfahrkarte unterwegs. Das so französisch klingende Wort boulevard ist in der Tat deutschen Ursprungs. Es ist eine Lautassimilation von »Bollwerk«, dem Festungswall, einem Wort, das außer in Resten alter Stadtmauern nur noch im »Böllerschießen« weiterlebt, und eben in der zitierten »Boulevardpresse«. Denn diese Gazetten wurden zunächst – in Frankreich zumindest – in den peripheren Stadtvierteln verkauft, auf den boulevards, die etwa unserem »Ring« oder »Gürtel« entsprechen, also ursprünglich der Festungsmauer entlangliefen und daher immer kreisförmig sind (im Gegensatz zu den geradlinigen avenues). Inzwischen ist die Boulevardpresse allerdings auch im Stadtinneren daheim, und sie kommt manchmal einem verbalen Böllerschießen recht nahe. Aber dafür wollen die Etymologen bitte nicht verantwortlich gemacht werden!

 

Daß mutterseelenallein ein eingewandertes Wort ist, mag erstaunen. Mutter-seelen-allein: deutscher geht’s doch nicht! Von Mutter und Vater, Gott und der Welt verlassen, sozusagen ein Superlativ der Einsamkeit. Und das bedeutet das Wort wohl, nur ist es eben nicht so urdeutsch, wie wir meinen, denn es kam folgendermaßen zustande: Am Anfang war da das französische moi tout seul, »ich ganz allein«. Dieses moi tout seul ergab in der phonetischen Eindeutschung zunächst »mutterseel«. Ein schönes Wort zwar, aber der Sinn war weg. Man fügte also den Sinn hinzu, »allein«, und schuf das schöne...

Erscheint lt. Verlag 1.12.2011
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Wörterbuch / Fremdsprachen
Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Sprachwissenschaft
Schlagworte deutscher Wortschatz • Deutsche Sprache • eBook • Etymologie • Sachbuch • Sprache • Sprachgeschichte • Wortherkunft
ISBN-10 3-423-41192-9 / 3423411929
ISBN-13 978-3-423-41192-9 / 9783423411929
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