Karpaltunnel-Syndrom

Prim. Univ.-Doz. Dr. Udo Zifko ist Facharzt für Neurologie und Psychatrie und ärztlicher Leiter des neurologischen Kur- und Rehabilitationszentrums in Bad Pirawarth.
Univ.-Doz. Dr. Artur Worseg ist Facharzt für plastische Chirurgie und administrativer

Das Karpaltunnelsyndrom ist das häufigste Nervenengpass-Syndrom des Menschen und tritt bei etwa 0,1 bis 5 Prozent der Bevölkerung auf. Trotz dieser Häufigkeit der Erkrankung ist es vergleichsweise wenig bekannt. Von den Autoren wurden viele hundert Patienten mit dieser Erkrankung untersucht, behandelt und betreut. Die meisten Patienten waren bei der Mitteilung der Diagnose Karpaltunnelsyndrom sehr überrascht, und meist kam es zu zwei Aussagen: »Was ist das?« und »Ich habe immer geglaubt, die Beschwerden kommen von meiner Halswirbelsäule!« Diese beiden häufigen Äußerungen veranlassten uns, dieses Buch zu schreiben. Wir möchten dabei neben der Beschreibung der Krankheitssymptome und der Vorstellung der unterschiedlichen Behandlungsmethoden auch die verschiedenen notwendigen Untersuchungen vorstellen sowie andere Erkrankungen der Hand beschreiben. Dadurch sollen Sie einerseits erfahren, welche Störungen im Körper Ihre Beschwerden verursachen, und andererseits die Empfehlungen Ihrer behandelnden Ärzte besser verstehen. Wie immer bestehen in der Medizin oft unterschiedliche Behandlungsmöglichkeiten und unterschiedliche Erfahrungen der behandelnden Ärzte mit der einen oder anderen Methode. Daher werden alle anerkannten Behandlungsmöglichkeiten des Karpaltunnelsyndroms beschrieben. Dieses Buch soll Ihr theoretisches Wissen über die Krankheit erweitern und zeigt zusätzlich aber auch wertvolle Übungen zur Selbstbehandlung. Die Geschichte des Karpaltunnelsyndroms Das Karpaltunnelsyndrom wurde erstmalig vor ca. 150 Jahren vom Londoner Chirurgieprofessor James Paget beschrieben. Dieser berichtete von einem Mann, um dessen Handgelenk sich ein Seil geschlungen hatte, was in der Folge zu einer Schädigung des Handnervs (Nervus medianus) im Karpalkanal führte. Auf Grund der anhaltenden Beschwerden und der fehlenden Therapiemöglichkeiten musste damals der Arm dieses Mannes amputiert werden. Erst 1913 wurde die erste erfolgreiche Operation des Karpaltunnelsyndroms beschrieben, die dann in den 50er Jahren eine der häufigsten Handoperationen überhaupt wurde (Karpaltunnelspaltung). Ende der 80er Jahre wurde eine neue Technik der Karpaltunnelspaltung entwickelt (Schlüssellochchirurgie, endoskopische Karpaltunnelspaltung), die nun zunehmend Verbreitung findet. Der Vorteil dieser neuen operativen Behandlung des Karpaltunnelsyndroms liegt darin, dass die Hand nach dem operativen Eingriff innerhalb kürzester Zeit wieder voll eingesetzt werden kann. Anatomie der Hand Die menschliche Hand ist in ihrer Form und Funktion weit mehr als nur eine »Greifvorrichtung«. Sie stellt ein äußerst hoch entwickeltes und anpassungsfähiges Werkzeug dar, mit dem der Mensch für sich sorgen und seine Umwelt behandeln kann. Sie ist nicht nur ein sehr sensibles Tastorgan, das Blinden sogar teilweise das Augenlicht ersetzt, sie kann durch ihre Gebärden und Gesten auch ein wertvolles Gestaltungsmittel zwischenmenschlicher Kommunikation sein. Durch Schrift, Musik und gestaltende Kunst wird sie Ausdrucksmittel menschlichen Geistes und menschlicher Emotionen. Das alles ist durch eine äußerst feine und komplexe Hirnsteuerung möglich, welche vielfältige Bewegungskombinationen ermöglicht. Diese Gehirnimpulse werden über das Rückenmark zu den Nerven und danach zu sämtlichen Muskelfasern weitergeleitet. Jede Form der Schädigung der Hand (Verletzung, Nerveneinklemmung etc.) oder ihrer Steuerzentrale (Hirnschlag etc.) stellt daher eine weit über den reinen Funktionsverlust hinausreichende individuelle Beeinträchtigung dar. Der Hautmantel Die Kenntnis um den Aufbau und die Funktion der Haut der Hand ist speziell bei der Planung und der Auswahl operativer Verfahren wichtig. Im Vergleich zu anderen Körperregionen ist die Haut der Hand nämlich besonders kompliziert aufgebaut. Zu der reinen Schutzfunktion gegen äußere Einflüsse kommen die Aufgaben des Tastsinnes mit seinen unterschiedlichen Gefühlsqualitäten. Darüber hinaus muss die Haut besonders hohe Ansprüche bezüglich Elastizität und mechanischer Belastung erfüllen. Je nach Region ist die Haut der Hand von einer unterschiedlichen Anzahl von Nervenendigungen, Schweißdrüsen und Haarbälgen durchsetzt. Entsprechend der Beanspruchung der Hand bestehen große Unterschiede zwischen der beugeseitigen Haut, die hauptsächlich auf Druck beansprucht wird, und der gut verschieblichen Haut des Handrückens. So finden sich beugeseitig weder Haare noch Talgdrüsen - dafür aber reichlich Schweißdrüsen. Unter der Haut der Handfläche findet sich sogenanntes Baufett, um deren Strapazierfähigkeit zu erhöhen (Druckverteilung). Am Handrücken findet sich hingegen kaum Fett, wodurch die Haut in der Regel dünn und verschieblich ist. Bei Faustschluss treten in der Hohlhand bestimmte Falten auf (Handlinien, Lebenslinie, Kopflinie etc.). Für den Chirurgen sind diese Handfurchen wichtige Hilfslinien für die Aufsuchung darunterliegender Strukturen wie Nerven und Blutgefäße. Unter der Haut finden sich zahlreiche kleine Blutgefäße sowie Hautnerven. Wenn im Rahmen einer Operation oder Verletzung diese Hautnerven durchtrennt werden, können sie in die Narbe einwachsen und Schmerzen verursachen (Narbenneurome). Übergang Unterarm - Hohlhand Die Unterseite des Unterarms weist eine zarte, gut verschiebliche Felderhaut auf, unter der sich oberlächlich verlaufende Sehnen und Venen abzeichnen. Am auffallendsten ist die vorspringende Sehne des »Palmarmuskels«, der bei gebeugtem Handgelenk und angespannten Fingern meist deutlich vorspringt. Diese Sehne verbreitert sich in der Hohlhand und bildet eine bindegewebige, straffe Faserplatte zwischen dem Hautmantel und den Sehnenscheiden, Nerven und Gefäßen (Palmaraponeurose). Diese Palmaraponeurose unterstützt die Wölbung der Hand, dient der Sicherung beim Greifen von Gegenständen und bindet die Haut an die Unterlage. Diese Platte kann sich verdicken und zu einem Einziehen der Finger führen (Dupuytren'sche Kontraktur. Der Karpalkanal (Karpaltunnel) Der Karpalkanal stellt die Verbindung zwischen Unterarm und Hohlhand dar und beheimatet in gebündelter Form sämtliche Sehnen der Fingerbeuger sowie den Handnerv, der die Daumen- und Handmuskeln sowie die Haut des Daumens, des Zeigefingers, des Mittelfingers und einen Teil des Ringfingers versorgt. Dieser Nerv wird als »Nervus medianus« bezeichnet. Die besondere Bedeutung des Karpalkanals liegt darin, dass es durch raumfordernde Prozesse wie etwa Schwellungen, vorspringende Muskelbäuche oder aber auch Tumore zu einem Missverhältnis zwischen der Aufnahmefähigkeit des Kanals und seinem Inhalt kommen kann. Der Grund dafür liegt in dem Umstand, dass der Karpalkanal fast durchwegs von Knochen (Handwurzelknochen) begrenzt ist und sich daher nicht ausdehnen kann. Im Bereich des Handballens wird der Karpalkanal von einem kräftigen, ca. 2 x 2 cm großen, unelastischen Band bedeckt (mehr oder weniger das Dach des Karpalkanals, Retinaculum flexorum), und der Karpalkanal wird zum Karpaltunnel (knapp 1 cm Höhe).