Karl der Grosse

Alessandro Barbero, geboren 1959 in Turin, ist Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität von Ostpiemont in Vercelli. Er hat verschiedene Bücher zur mittelalterlichen Geschichte veröffentlicht, u. a. das "Wörterbuch des Mittelalters " (1998). Er schreibt regelmäßig für das Feuilleton von "La Stampa" sowie für andere Zeitschriften. Barbero hat drei Romane verfasst, darunter den Bestseller "Das schöne Leben des Edelmannes Robert Pyle und die Kriege der anderen", der 1996 mit dem Strega- Preis ausgezeichnet und in sieben Sprachen übersetzt wurde.

EINLEITUNG
Paderborn, Sommer 799
1. GESCHICHTE DER FRANKEN
Die Besiedlung Galliens
Das fränkische Königtum
Die Geburt Karls des Großen
Gedächtnis und Propaganda
Die Pippiniden an der Macht
2. DER KRIEG GEGEN DIE LANGOBARDENEine schwierige Aufteilung
Franken und Langobarden: eine alte Feindschaft
Der Krieg von 773/774
Die Folgen der fränkischen Eroberung
Vom"regnum Langobardorum"zum"regnum Italiae"Zwischen Geschichte und Legendenbildung
3. KRIEGE GEGEN DIE HEIDEN
Der Krieg gegen die Sachsen
Die Kriege gegen die Muslime
Die Kriege gegen die Awaren
4. DIE WIEDERGEBURT DES RÖMISCHEN REICHES
Die Allianz zwischen dem Papsttum und den Franken
Die kaiserlichen Ambitionen des fränkischen Hofes
Die Krönung im Jahr 800
Das neue Römische Reich und der Erdkreis in der Diplomatie
5. KARL DER GROSSE UND EUROPA
Germanen und Römer
Das Ende der antiken Welt und die Geburt Europas
6. DER MENSCH UND SEINE FAMILIE
Der Körper des Königs
Das tägliche Leben
Die Familie des Königs
7. DIE REGIERUNG DES KAROLINGERREICHES DIE INSTITUTIONEN
Der König und seine Untertanen
Die Zentralregierung
Die Lokalregierung
Die Regierungsfunktion der Kirchenmänner
8. DIE REGIERUNG DES KAROLINGERRREICHES DIE RESSOURCEN
Der Staatsbesitz
Die wirtschaftliche Nutzung des Fiskus
Der Fiskus und seine Beschäftigten
Die Benefizien auf Ländereien des Fiskus und der Kirche
Die Steuern
Besteuerung: eine drückende Last?
9. DIE REGIERUNG DES KAROLINGERREICHES DIE JUSTIZ
Die Richter
Das Gerichtsverfahren
Karl der Große und die Reform der Justiz
10. EIN BILDUNGSPROJEKT
Die Studien eines Königs
Die Gelehrten an der Königspfalz.
Die Kirchenreform
Liturgische und schulische Reformen
Bücher und Bibliotheken
Die Wahrung des Glaubens
11. DIE FRÄNKISCHE KRIEGSMASCHINERIE
Wie die Franken kämpften
Die Rekrutierung
Die Strategie
12. EINE NEUE WIRTSCHAFTSFORM
Die Legende von der geschlossenen Wirtschaft
Der landwirtschaftliche Betrieb im Villikationssystem
Die Tauschwirtschaft
Eingriffe des Königs
Ein Dorf zur Zeit Karls des Großen
13. PATRONAGE UND LEIBEIGENSCHAFT
Eine Gesellschaft auf der Grundlage der Patronage
Alle Männer des Königs
Die bäuerliche Welt
Potentes und pauperes
14. DAS ALTER UND DER TOD
Das Scheitern Karls des Großen?
Der Kampf gegen die Piraten
Die Verfügungen für die Nachfolge
Der Tod Karls des Großen
Anmerkungen
Kommentierte Bibliographie
Register der Personen und Ortsnamen
Stammtafeln

"Das Reich Karls des Großen hat dem, was wir Europa nennen, zum ersten Mal Gestalt verliehen."Lucien Febvre"... So schildert der Autor nicht nur die Biographie Karls. Vielmehr entwirft Barbero ein weites Panorama der gesamten Epoche. ... Dass sich der Autor auf dem neusten Forschungsstand bewegt, ist für einen profilierten Historiker selbstverständlich. Studenten freuen sich über Fußnoten und Literaturhinweise. Barbero ist aber auch Romanautor. Und dass er hervorragend schreiben kann, macht dieses Buch nicht nur interessant, sondern auch richtig spannend."(P.M. History, Juli 2007)

"EINLEITUNG
PADERBORN, SOMMER 799
Im Juli des Jahres 799 hat Karl, der König der Franken, mit seinem Gefolge in Paderborn, mitten im eroberten Sachsenland, ein Lager aufgeschlagen. Ringsum herrscht geschäftiges Treiben von Maurern und Zimmerleuten. Täglich treffen ganze Wagenkolonnen, beladen mit Ziegelsteinen und Kalkmörtel, über die Lehmstraßen ein; weiteres Baumaterial wird auf dem Wasserweg mit Lastkähnen und Frachtbooten herangeschafft. Denn der König läßt mitten in diesen Wäldern und Sümpfen eine neue Stadt erbauen. Sie soll der Vorposten der Christenheit unter den vor kurzem bekehrten Heiden dieser Gegend sein, hier sollen ein Palast und eine Basilika entstehen, die mit den Bauten in Aachen konkurrieren können. Doch der König hat selbst keine Zeit, an seine Bauvorhaben zu denken; momentan interessieren ihn nicht einmal seine militärischen Pläne, denn er wartet sorgenvoll auf die Rückkehr seines Sohnes Karl, der bis zur Elbe vorgedrungen ist, um mit den slawischen Stämmen zu verhandeln, die beiderseits des Flusses siedeln. Papst Leo III. ist in Paderborn eingetroffen, und ihm war die Nachricht vorausgeeilt, in Rom sei ein Aufstand ausgebrochen. Die Feinde des Papstes sollen sich seiner bemächtigt, ihm die Augen ausgestochen und die Zunge abgeschnitten haben, bevor die göttliche Vorsehung mit einem Wunder einschreiten konnte, das ihm zur Flucht verhalf. (1)
Die Ankunft des Papstes war dann eigentlich eine Enttäuschung, denn man konnte sofort sehen, daß er immer noch Augen und Zunge besaß; doch Leo III. erklärte, durch ein erneutes Wunder seien sie nachgewachsen, und aus Höflichkeit hat man so getan, als ob man ihm glaubte. Nicht daß der König besonders geneigt gewesen wäre, diesen Mann geduldig anzuhören, über den seit jeher zu viele Klatschgeschichten im Umlauf sind und den er selbst zu seiner Wahl auf den Papstthron mit einem ungewöhnlich strengen Brief beglückwünscht hat, worin er ihn aufforderte, sich anständig zu verhalten und niemandem Anlaß zu Verdächtigungen zu geben. (2) Doch Leo III. ist nun einmal der Papst, und der König der Franken, in dem alle den wahren Schutzherrn der lateinischen Kirche sehen, muß alles tun, was in seiner Macht steht, damit die Person des Papstes respektiert wird. Also wird er nach Rom gehen, obwohl er herzlich wenig Lust dazu hat, er wird den Aufstand niederschlagen und die Autorität des Papstes in den Augen der Welt wiederherstellen. Wie gut unterrichtete Kreise um den König halblaut hinzufügen, wird er das allerdings nur unter der Bedingung tun, daß die Gerüchte um den Papst nicht allzuviel Wahres enthalten.
Was in der Hitze und im Staub dieses Paderborner Sommers während der Gespräche zwischen dem Papst und dem König entsteht und langsam Gestalt annimmt, ist eine aufregende Idee: Wenn Karl nach Rom kommt, werden ihn die Einwohner der Stadt, die ja immerhin das Volk der Römer darstellen, zum Kaiser ausrufen, genauso wie sie einst Augustus und Konstantin zu Kaisern gemacht haben. Und damit wird der König der Franken in jeder Hinsicht zum Nachfolger der römischen Kaiser aufsteigen, mit den gleichen Rechten wie der basileus, der im fernen Konstantinopel regiert, und niemand wird sich seinen Entscheidungen über die Angelegenheiten Roms, ja der gesamten Christenheit, widersetzen können.(...)"