Generation abgestumpft (eBook)
146 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-9313-3 (ISBN)
Sandy Graf, Jahrgang 1978, verheiratet, lebt mit ihrer zwei- und vierbeinigen Familie in Leipzig und arbeitet als Wirtschaftsfachwirtin seit über 10 Jahren im Energiesektor. Die Autobiographie "Adoptierte Indianer kennen keinen Schmerz, oder doch?", erschienen im August 2022 im DeBehr Verlag, ist ihr Debütwerk. Ballsport jeglicher Art begeistert sie, insbesondere, wenn das Runde in das Eckige muss. Sie ist ehrenamtlich tätig in der Selbsthilfe zu den Themenfeldern Adoption und DDR Wochenkrippe.
KAPITEL II
ERNÄHRUNG UND TIERSCHUTZ – WIE YIN UND YANG?
DIE STEINZEIT LÄSST GRÜSSEN
Ist der Mensch ein Allesfresser? Oder sind unsere Vorfahren ursprünglich Sammler von pflanzlicher Nahrung gewesen und erst die Erkenntnis, zu damaligen Zeiten nicht am Ende der Nahrungskette zu stehen, sondern sich mittendrin und damit in Lebensgefahr zu befinden, hat uns zu Jägern werden lassen? Ist die Jagd und damit das tierische »Abfallprodukt« Fleisch eine pure Überlebensstrategie gewesen? Ich würde dem Ganzen zudem gern unterstellen wollen, dass zu jenen Zeiten ein Wildtier ganzheitlich genutzt worden ist: Fleisch als Protein- sowie Energiequelle, Knochen zur Herstellung von Werkzeugen, Felle und Tierhäute als Bestandteile der Kleidung. So betrachtet könnte man konstatieren, dass die Tötung eines Tieres ansatzweise einen Sinn gehabt hat, wenn man außerdem bedenkt, wie groß »damals« sicherlich die Abhängigkeit von klimatischen Bedingungen beziehungsweise von der geografischen Lage des Lebensraumes gewesen ist.
In der Zwischenzeit sind ein paar Jahrtausende vergangen, mir nichts, dir nichts befinden wir uns im 21. Jahrhundert. Die Jäger- und Sammlermentalität tragen wir noch in uns, gegebenenfalls weniger auf die Nahrungssuche sowie –beschaffung bezogen, sondern vielmehr in Hinblick auf zum Beispiel Geld, Anerkennung oder unnütze Dinge, die sich hinter geschlossenen Schranktüren stapeln. Somit könnte ich dieser urzeitlichen, steinzeitlichen oder was auch immer zeitlichen Kausalität trotzen und mittels meines freien Willens abwägen und letztlich entscheiden, welche Art der Ernährung für mich persönlich aus moralischen sowie ethischen Gründen in Frage kommt. Ich könnte also entscheiden (so wie Sie auch), dass für mein leibliches Wohl kein Tier leiden oder sterben muss. Und da dies so ist, überführe ich den Konjunktiv in den Indikativ, also das Mögliche in die Wirklichkeit, und oute mich als Mensch, der sich pflanzenbasiert ernährt (Veganismus). Es ist in der Tat ein Outing, was einem im Alltag, für mein Empfinden, ähnlich viel Mut abverlangt, wie das, homosexuell zu sein. In beiden Fällen besteht die berechtigte Angst, dass man abgestempelt, angefeindet oder aggressiv angegangen wird, dass man mit Ablehnung sowie Ausgrenzung »bestraft« wird, weil man in den Augen des Gegenübers nicht »normal« ist oder isst.
Eine vegane Ernährungsweise ist jedoch durchaus »normal« und in vielen Punkten, wissenschaftlich fundiert, auch als gesund einzustufen. Sich vegan zu ernähren, bedeutet zum Beispiel nicht automatisch, einen Vitamin-B12-Mangel zu haben. Jede Ernährungsform kann sich, wenn sie einseitig und damit nicht ausgewogen ist, nachteilig auf den menschlichen Organismus auswirken. Sich Gedanken darüber zu machen, ob und wie der eigene Nährstoffbedarf bestmöglich gedeckt werden kann, ist sowohl für die vegane (= rein pflanzliche) Variante als auch für die omnivore (= pflanzliche und tierische Mischkost) von Vorteil. Meiner Ansicht nach sollten wir uns grundsätzlich nicht scheuen, in regelmäßigen Abständen mit dem Arzt oder der Ärztin unseres Vertrauens zu besprechen sowie auf der Grundlage von entsprechenden Tests auszuwerten, bei welchem Spurenelement, Vitamin oder Mineralstoff ein künstlicher Booster sinnvoll ist. Nicht selten kann bei einem veganen Ernährungsstil auf Nahrungsergänzungsmittel verzichtet werden, je nach Facettenreichtum im täglichen pflanzenbasierten Speiseplan sowie abhängig von der individuellen körperlichen Grunddisposition.
Für mich ist Salat, wenn ich ehrlich sein darf, noch nie so mein Ding gewesen, auch nicht zum Vorgaukeln eines pseudo-gesunden Essverhaltens beim 1. Date. Zu groß geschnittene Eisberg- oder Feldsalat-Stücke, die sich nur ungalant von der rechten in die linke Wangentasche schieben lassen, sind hinsichtlich einer attraktiven Erscheinung eher kontraproduktiv. Außerdem bleibt fast immer ein peinliches Stück Grün in der Zahnfront hängen, entweder vom Salat selbst oder vom Dressing. Ein schüchternes Anlächeln wird damit zur doppelten Herausforderung. Der Gang in den Supermarkt offeriert glücklicherweise weit mehr als nur Salatblätter. Und ja, ich esse gern herzhaft gefüllte Wraps, ich mag Burger, Döner, Schnitzel, Bratwürste und Nuggets, wähle hierfür jedoch aus ethischen Gründen die entsprechenden fleischlosen Alternativen. Für mich persönlich ist die Bezeichnung für solche Ersatzprodukte absolut nebensächlich. Ob vegane Wurst ebenfalls Wurst heißen kann und darf, tangiert mich eher peripher mit sekundärer Relevanz. Für alle, die sich, so wie ich, nicht so gern die Kochschürze überwerfen und nicht selbst den Kochlöffel schwingen möchten, bieten die immer zahlreicher werdenden veganorientierten Restaurants Gelegenheit zum Ausprobieren, Staunen und Wiederkommen.
Ich gebe zu, es hat eine gewisse Zeit gedauert, bis ich hundertprozent-Veganerin »geworden« bin, denn es ist ein Prozess, eine individuelle Entwicklungsreise, ein Sich-Beschäftigen mit seinen persönlichen Wertvorstellungen sowie den Rahmenbedingungen der Lebensmittelindustrie und insbesondere der Massentierhaltung. Tiere wie Rinder, Schweine, Hühner, Enten und andere verfügen so wie wir Menschen über ein Bewusstsein, eine subjektive Wahrnehmung der Wirklichkeit. Sie sind intelligente, sozial agierende Wesen, stehen unter- und miteinander in Verbindung. Sie empfinden Schmerzen und haben einen Überlebenswillen.
KÄLBCHEN NUMMER ›25.908‹
Kuhmilch entsteht, nachdem eine Kuh ein Kälbchen geboren hat. Damit die Kuhmuttermilch dem Menschen zugutekommt und nicht dem Kälbchen, werden Kuh und Kalb schon kurze Zeit nach der Geburt getrennt, für immer. Bei uns Menschen würden wir an dieser Stelle von einem traumatischen Ereignis sprechen, einem No-Go. In Bezug auf eine Kuh und ihr Kalb geht das Leben aber einfach weiter, für das Muttertier täglich an der Melkmaschine, für ihren Nachwuchs später entweder ebenfalls als Milchlieferant, wenn es ein weibliches Kalb ist, oder es endet nach nur wenigen Wochen im Schlachthaus, wenn es männlich ist. Der Watson-Artikel »Nur 115 Tage leben« und die darin beschriebene Geschichte über Kälbchen Nummer ›25.908‹, welches auf einem Bioland-Milchviehbetrieb geboren worden ist, haben mich so tief getroffen, dass ich letztlich dankbar dafür bin, auf diese Story gestoßen und damit wachgerüttelt worden zu sein, weil es für mich persönlich dazu beigetragen hat, dass meine Ernährungsdevise nur lauten kann: ausschließlich vegan, jetzt und sofort! [15] Die Bilder und Worte des Artikels, welches den (Un-)Sinn und den Verlauf des kurzen Lebens dieses Kälbchens aufzeigen, ließen mich betroffen, beschämt und traurig zurück. Es ist darin von einem Kälbchen mit großen braunen Augen, dichten Wimpern und hellbraunem Fell die Rede, einem Kälbchen wie aus dem Bilderbuch, noch dazu verschmust, hüpfend, springend, verspielt, ein Kälbchen, welches sich genüsslich hinter den Ohren kraulen lässt. Nach nur 115 Tagen, also nach nicht einmal vier Monaten und mit einem Gewicht von 241,5 Kilogramm, endet das Leben dieses zauberhaften Wesens auf dem Schlachthof durch Bolzenschuss und Aufschlitzen der Kehle. Ich kann Sie nur inständig bitten, diesen Artikel ebenfalls zu lesen und ihn auf sich wirken zu lassen. Es geht mir dabei nicht um ein Anklagen der Landwirte oder eine Schuldzuweisung an diese, ganz gleich, welche Hof- oder Betriebsgröße vorliegt, ganz gleich, ob konventionelle oder ökologische Tierhaltung betrieben wird. Es ist das Hinterfragen des Systems an sich. Gegebenenfalls kann der Artikel für Sie ebenfalls ein Schlüssel zu neuen Vorsätzen sein, ganz unabhängig vom Neujahrstag.
Gestatten Sie mir die Frage: Haben wir unsere Gehirne und Herzen durch die Begrifflichkeit »Nutz«-Tier unempfänglich werden lassen gegenüber der Tatsache, dass wir für das gesichts- und formlose Stück Fleisch auf unserem Teller (indirekt oder direkt) töten? Wir verdrängen dies bewusst und wollen uns selbst damit vergessen lassen, dass sich hinter der Scheibe Salami oder dem Hack halb und halb als jeweilige Endprodukte jedoch mindestens ein fühlendes Lebewesen verbirgt, welches für uns getötet worden ist und zu Dumpingpreisen in der Kühltruhe des Supermarktes landet. Stattdessen kreieren wir Scheinargumente, um uns zu überzeugen beziehungsweise zu entlasten. Schlussendlich ist die ungeschönte Realität die folgende:
Tier-Fleisch essen = Tier getötet.
Bio-Tier-Fleisch essen = Tier getötet.
Weniger Tier-Fleisch essen = Tier getötet.
Ganz bewusst Tier-Fleisch essen = Tier getötet.
Nur ganz selten Tier-Fleisch essen = Tier getötet.
Tier-Fleisch mit Tierwohl-Label essen = Tier getötet.
Vom Bauern nebenan = Tier getötet.
Vom Metzger des Vertrauens = Tier...
Erscheint lt. Verlag | 21.10.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Lebenshilfe / Lebensführung |
Geisteswissenschaften ► Psychologie | |
Schlagworte | abgestumpft gleichgültig • Gesellschaft Gesellschaftskritik Soziales Umwelt • Selbstfindung Reflexion Selbstreflexion Denkanstoß • Soziologie • verantwortungsbewusst Herausforderung Eigenverantwortung |
ISBN-10 | 3-7597-9313-4 / 3759793134 |
ISBN-13 | 978-3-7597-9313-3 / 9783759793133 |
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