Die Lösung für alle deine Probleme: Gibt's nicht -  Verena Fiebiger,  Sina Haghiri

Die Lösung für alle deine Probleme: Gibt's nicht (eBook)

Fachbuch-Bestseller
Was du trotzdem für deine Psyche tun kannst
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
232 Seiten
Beltz (Verlag)
978-3-407-86798-8 (ISBN)
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Wäre es nicht schön, wenn wir die eine Lösung für ein emotional stabileres Leben finden könnten? Dieses Buch ist Enttäuschung und Versprechen zugleich. Es liefert zwar kein Patentrezept, zeigt aber realistisch und persönlich, wie es uns besser gehen kann. Ob Schlafprobleme, hohe Ansprüche, Grübelschleifen, Neid, Wut oder Grenzüberschreitungen: Gemeinsam mit dem Psychotherapeuten Sina Haghiri ergründet die Journalistin Verena Fiebiger, welche Strategien uns nicht nur kurz-, sondern auch langfristig helfen, gelassener durchs Leben zu gehen. Eine herrlich ehrliche und selbstironische Zwischenbilanz darüber, was wir in unserem Leben mehr tun und was wir besser lassen sollten, um Ordnung in unser Gefühlschaos und unsere vermeintlichen Unzulänglichkeiten zu bringen.

Verena Fiebiger hat u.a. Entwicklungspsychologie und Sprachtherapie studiert und beim Bayerischen Rundfunk volontiert. Sie arbeitet als Autorin, Moderatorin und Sprecherin. 2018 hat sie »Die Lösung« entwickelt, einen der erfolgreichsten deutschsprachigen Psychologie-Podcasts. Mental Health ist definitiv mehr als ihr Hobby.

Deine Psyche ist politisch


»Es geht im Leben darum,
dass man ein bisschen zu sich passt,
nur ein bisschen.«1

In diesem Buch steht nicht die Lösung und auch nicht das Rezept für dauerhafte Zufriedenheit im Leben. Auch wenn es genau das ist, was viele von uns suchen: Lebensregeln, an die wir uns halten können, um nie wieder Rückschritte, Scheitern und Verlust erleben zu müssen. Gewissheiten, als wären wir aus Stein, Tricks und so etwas wie eine »finale Selbsterkenntnis«, um Schmerzen zu vermeiden, die unser Dasein zwangsweise mit sich bringt.

Leider kommen wir nicht auf diese Welt und können einfach unseres Glückes Schmied sein. Es kommt schon auch auf die Beschaffenheit des Hammers an, der uns in die Hand gedrückt wird, ob es überhaupt eine Glut gibt, in der wir das Eisen erhitzen können und ob uns jemand zeigt, wie das eigentlich geht: ein Schmied sein. Um das Bild dieses Sprichworts nicht weiter auszureizen: Es ist nicht egal, wo wir herkommen. Da unsere Kindheit viele Jahre dauert, sind wir über einen langen Zeitraum von unseren frühen Bezugspersonen abhängig und durch unsere gemächliche emotionale wie mentale Reifung überaus anfällig für Verletzungen, an deren Narben wir unter Umständen ein Leben lang kratzen.

Wie wir uns entwickeln, ist abhängig von unserer Persönlichkeit, aber auch davon, in welchem Wertesystem und in welchen gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen wir aufwachsen, ob im Krieg oder Frieden, und ob unsere Eltern und Großeltern Krieg oder Frieden erlebt haben. Ob wir Armut oder Wohlstand kennen, ob uns als Kind auf Augenhöhe und mit Fürsorge oder mit Abwertung und Härte begegnet wurde. Wie psychisch reif die Umwelt war, in die wir geboren wurden und welche familiären Aufträge wir erhalten haben. Familiäre Aufträge sind eher die Regel als die Ausnahme, sie werden dann problematisch, wenn sie uns dauerhaft überfordern, nicht altersgerecht sind, nicht flexibel an unsere Fähigkeiten angepasst werden und uns in eine Rolle zwingen, die dazu führt, dass wir nicht zu uns selbst passen.

Im Umkehrschluss bedeutet das nicht, dass Kinder chronisch unter solchen Umständen leiden. Und auch die von uns mit einer von Gewalt und Entbehrungen geprägten Kindheit müssen nicht zu gewalttätigen Erwachsenen werden. Sie haben aber ein erhöhtes Risiko, psychisch zu erkranken und sind womöglich ein Leben lang auf der Suche nach ihrem verschütteten guten Kern. Fest steht auch, wenn wir auf die Extreme schauen: Despoten blieb, so zeigen es die Erkenntnisse der psychohistorischen Forschung, eine Kindheit mit liebevoller Zuneigung versagt.2 Gewalt wurde in diesen Biografien oft mit Liebe verwechselt. Eine Erkenntnis, die Taten weder relativieren noch entschuldigen soll, sondern verdeutlichen, wie relevant psychische Gesundheit für den Frieden ist.

Die Idee zu diesem Buch entstand kurz vor Beginn des Ukrainekriegs und lag dann lange Zeit brach, weil ich zwischenzeitlich über dem Gedanken verzweifelt bin, dass all die sehnlichen Versuche von Gesellschaften, psychisch gesünder zu werden, immer vergeblich sein müssen, wenn zeitgleich an einem anderen Ort der Welt Menschen sich abermals für Generationen traumatisieren. Traumatisierte und auch sehr gestresste Erwachsene haben weniger Ressourcen für die Nöte ihre Kinder. Sie und ihre Nachkommen können sich in zwei gegensätzlich wirkende Richtungen entwickeln: Sie reagieren sehr sensibel auf Stress, können situationsabhängig aber auch besonders resilient erscheinen. Vom sogenannten Post Traumatic Growth, also posttraumatischem Wachstum, spricht man in der Wissenschaft bei Menschen, die extremen Stress und lebensbedrohliche Krisen erlebt haben und danach erstaunlich gut durchs Leben kommen.

Dies ist aber von vielen Faktoren abhängig, da Resilienz, also psychische Widerstandsfähigkeit, auch viel damit zu tun hat, was vor einem schrecklichen Ereignis in Form von genetischen Vorteilen und zwischenmenschlichen Erfahrungen in der Waagschale lag und ob wir nach dem Ereignis auf Unterstützung trafen. Wenn die Aufarbeitung solcher Traumata nicht gelingt, ziehen sich die psychischen Folgen des Krieges, das belegt die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts, noch Generationen nach Kriegsende fort. Die Kinder und Enkel:innen sind es, die in Psychotherapien ihre unter der kollektiven Schuld und Verdrängung vergrabenen Familiengeschichten und transgenerationalen Traumata aufarbeiten.

Somit gibt es zwei Enden, von denen aus wir das Streben nach psychischer Gesundheit angehen können. Das eine: Wir ändern grundlegend alle Strukturen, die uns physisch und psychisch krank machen, bekämpfen Armut und soziale Ungerechtigkeit. Entwickeln Werkzeuge gegen die sogenannten Ismen, also Sexismus, Klassismus, Antisemitismus, Antiziganismus und Rassismus und beenden Ausbeutung und kriegerische Konflikte. Wir setzen uns für die körperliche und seelische Unversehrtheit von Kindern ein, indem wir uns mit Entwicklungspsychologie auseinandersetzen, bevor wir Eltern werden oder spätestens dann. Junge Familien bekommen automatisch in den ersten Lebensjahren ihres Kindes unkomplizierte psychologische Beratung und Familienhilfe, auf Wunsch eine längere Elternzeit bei gleichzeitiger Jobgarantie. Das Schulsystem wird revolutioniert.

Dazu müsste definiert werden, was Wachstum auch bedeuten kann: Wie kann eine Gesellschaft aussehen, in der innere Entwicklung, wie z. B. die Fähigkeit, sich ohne ständiges Kaufen regulieren zu können, auch Wachstum bedeutet? In der wir zur Ruhe kommen, Entspannung und Leichtigkeit empfinden können, auch ohne Kurztrip mit dem Flugzeug. Ideen zu einer gerechteren Zeitkultur, wie die Abkehr von der 40-Stunden-Woche hin zu einer standardmäßigen kurzen Vollzeit, veranschaulichen, mit was wir unsere Zeit auch füllen könnten, wenn wir den Schwerpunkt unseres Lebens wieder mehr zu den zwischenmenschlichen Begegnungen verschieben. In der während einer Arbeitswoche ausreichend Zeit für Sorgearbeit, soziales wie politisches Engagement bliebe.3 Mit was könnten wir uns dann befassen, welche konkreten Pläne würden wir umsetzen, um diese Welt zu einem lebenswerteren Ort zu machen? Viele Einzelpersonen, politische wie überparteiliche Gruppierungen und Vereine nehmen sich längst all dieser Themen an. Unzählige Menschen arbeiten in jeder freien Minute ehrenamtlich, um gesellschaftliche Missstände positiv zu beeinflussen. Auch wenn sich dies oft vergeblich anfühlen mag, da politische Akteure gegenteilige Entscheidungen treffen, ist diese Perspektive absolut notwendig, wenn wir psychische Gesundheit als systemisch eingebettet und beeinflussbar verstehen und psychische Erkrankungen damit als Folge eines kranken Systems betrachten.

Das andere Ende, von dem aus wir zu mehr psychischer Gesundheit gelangen können, ist mit dem Blick auf uns als Individuen. Wie fühlen, denken und verhalten wir uns innerhalb einer Gemeinschaft? Wie können wir, vielleicht auch mithilfe einer Fachperson, verstehen und bearbeiten, was da als Schmerz in uns bohrt? Was uns daran hindert, die Person zu sein, die wir sind. Auch wenn unsere Probleme weniger individuell sind, als wir glauben, müssen wir sie allein in unserem Zimmerchen ertragen. Dabei will ich auf den Vorwurf gegenüber der Psychoanalyse und anderer Psychotherapieformen eingehen, dass der hyperindividualistische Blick, das Behandeln der Probleme des Individuums eigentlich nur Nabelschau und ein Herumdoktern an Symptomen seien, #psychoprivilege eben, und die wissenschaftlich messbaren Erfolge zudem weder groß noch langfristig genug. Man darf berechtigterweise die Frage stellen, ob das Suchen nach der inneren epikurischen Mitte nicht doch in den Schrank der Privilegien wandern sollte angesichts der Weltlage und der Menschen, die keine Wahl haben und keine Möglichkeit, sich Hilfe zu holen. In diesen Zeiten können Menschen doch nicht ernsthaft darüber sprechen, wie man jetzt eine gesunde Morgenroutine hinbekommt. Oder wie man lernen kann, sich leichter zwischen zwei Sorten Joghurt zu entscheiden.

Unter dieser trüben Lampe empfinde auch ich es als logische Konsequenz, dass unsere Spezies einfach noch nicht weit genug ist, dauerhaft ihren Platz auf diesem Planeten einzunehmen. Was bringt all die Psychoedukation in aufgeräumten Vorgärten angesichts unserer nicht enden wollenden Fähigkeit zu hassen, zu rächen, zu morden und unsere Gefühle zu betäuben, um...

Erscheint lt. Verlag 9.10.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
ISBN-10 3-407-86798-0 / 3407867980
ISBN-13 978-3-407-86798-8 / 9783407867988
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