Rohrgeflecht -  Marina Frey

Rohrgeflecht (eBook)

Band 1

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
128 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-3258-3 (ISBN)
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Der Inhalt des Buches ergab sich aus den Fragestellungen in Flechtkursen. Es handelt sich um ein Buch aus der Praxis für die Praxis: Materialeigenschaften, Werkzeuge und Färbetechniken. Verschiedene Muster vom Wiener Geflecht bis hin zum Sternengeflecht und Sonnengeflecht werden detailliert beschrieben. Genaue Skizzen geben einen Überblick, wie Geflechte symmetrisch in Möbel eingearbeitet werden.

Marina Frey Im Anschluss an eine Handwerksausbildung studierte ich u.a. Pädagogik mit Schwerpunkt Erwachsenenbildung. Heute kombiniere ich meine handwerklichen Kenntnisse mit der Tätigkeit als Dozentin.

Geflochtene Sitzmöbel – kurzer historischer Überblick


Funde von Grabbeigaben, Malereien oder Statuen geben Auskunft darüber, dass geflochtene Stühle bereits in vorchristlicher Zeit existieren.

→ Die Sammlung des Ägyptischen Museums in Kairo zeigt einen Stuhl samt Mattengeflecht aus Schilfblättern. Das Geflecht ist um die Zargen des Stuhls gewickelt. Dieses Möbelstück ist datiert auf das Ende des Neuen Reichs (etwa 1070 v. Chr.).5

Abb. 4: Stuhl mit Mattengeflecht, Ägypten, um 1070 v. Chr.

→ Die Römer nutzen ebenso geflochtene Möbel. In einer Grabkammer bei Köln befinden sich zwei sich gegenüberstehende in Stein gemeißelte Stühle nach einem Vorbild aus Weidengeflecht. Sie stammen aus der Zeit um 200 n. Chr.6 Ein ähnliches geflochtenes Sitzmöbel aus der römischen Kaiserzeit findet sich an einem Grabrelief aus Remagen. Es ist im Trierer Provinzialmuseum ausgestellt.

Abb. 5: Geflochtenes Sitzmöbel in römischer Grabkammer, um 200 n. Chr., Weiden bei Köln

In vielen Kulturen verliert sich die Spur der Stühle – sie sind den wenigen Herrschern unter dem Begriff »Thron« vorbehalten. Der Stuhl hat die Funktion eines privilegierten Sitzes.

Da Stuhlflechtrohr aus tropischen Gebieten stammt, kann nur grob lokalisiert werden, woher die Tradition des Rohrstuhls kommt. Auch zeitlich ist keine genaue Angabe möglich. Angeblich importieren buddhistische Mönche das geflochtene Sitzmöbel in Form von Hockern im 16. Jahrhundert von Indien nach China. Nach Europa können Rohrstühle nur über den Handel eingeführt worden sein. Über die ersten Handelsrouten der Portugiesen verlassen nicht nur Gewürze und Seide, sondern auch andere tropische Waren und zudem auch Bräuche und Handwerkstechniken den asiatischen Kontinent. 1600 gründen die Engländer die sog. »East India Company« und 1602 die Niederländer die »Vereenigde Oostindische Compagnie«. So verlieren die Portugiesen die Vormachtstellung ihrer Seemacht. Engländer und Niederländer teilen sich die entsprechenden Handelsprivilegien. Im Rahmen der Importe der East India Company ist im Nationalarchiv von Kew »Rattans« in den überlieferten Zollaufzeichnungen bereits gelistet.

Der rege Handel zwischen Südostasien und Europa beeinflusst das Leben auf beiden Kontinenten. Stühle gibt es bis dato lediglich in China. In anderen asiatischen Ländern sitzt man traditionell auf Sitzmatten oder den besagten kleinen Hockern nach indischem Vorbild, den sog. »Morhas«.7

Morhas bestehen aus zwei massiven Rattanringen, die mit Bambusstäben verbunden werden. Flechtrohr dient hier der Befestigung. Die Steckverbindungen zwischen Bambusrohren und Rattanringen sind mit Stuhlflechtrohr umwickelt. Schon damals werden kleine Bohrungen im Material genutzt, um das Geflecht der Sitzfläche einzuziehen. Die Sitzfläche ist entsprechend geflochten.

Abb. 6: Morha

Die Technik des Achteckgeflechts oder Wiener Geflechts (manchmal auch als Wabengeflecht bezeichnet), die traditioneller Weise durch Bohrungen in einen Holzrahmen gezogen wird, stammt ursprünglich aus dem asiatischen Raum.8 Ende des 16. Jahrhunderts bringen chinesische Kaufleute diese Art zu flechten nach Batavia (heutiges Jakarta).

Die ältesten heute erhaltenen Geflechte aus Stuhlflechtrohr in Europa sind auf das 17. Jahrhundert zu datieren:

Im »Rijksmuseum voor Volkenkunde Leiden« (Völkerkundemuseum Leiden) wird der ursprünglich aus Indonesien stammende »Stuhl des Radjas von Solor« (um 1650) aufbewahrt.9 Der Stuhl des Radjas von Solor wird in der folgenden Abbildung lediglich vereinfacht gezeigt. Geschnitzte Ornamente dekorieren das Holz der Zarge, Zargenpfosten und Lehne.

Abb. 7: Vereinfachte Darstellung eines Zargenausschnitts

Abb. 8: Vereinfachte Darstellung des Stuhls des Radjas von Solor

Die Einfuhr des Materials Rattan nach England bedeutet die Geburtsstunde des Handwerks »Chair Caning«. In der Zeit zwischen 1665 und 1720 gewinnen Rohrstühle in England derart an Popularität, dass sie zur regelrechten Modeerscheinung werden. Es ist überliefert, dass in diesem Zeitraum der Markt für Polsterstühle zusammenbricht. Polsterer reichen zweimal erfolglos eine Petition beim Parlament ein, mit dem Wunsch, die Aktivitäten der Stuhlflechter einzuschränken.10

In Deutschland sind die ersten Sitzmöbel mit derartigen Geflechten um 1700 zu datieren. Sie werden als »englische Stühle aus spanischem Rohr«11 bezeichnet. Typisch ist das Flechtwerk in der hohen Lehne wie auch der Sitzfläche.

Diese Art des Sitzmöbels, reich verziert, ist in Berlin im Schloss Charlottenburg oder im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zu sehen.

Abb. 9: Englischer Stuhl aus spanischem Rohr

In Berlin haben sechs Korbmacher um 1715 – also etwa fünfzehn Jahre nach Bekanntwerden dieser Technik in Deutschland – das Zunftprivileg des sog. »spanischen Rohrstuhlbeziehers«.12

Stile


Nicht nur Kunst und Architektur sind Spiegel gesellschaftlicher und technischer Um- und Aufbrüche. Ebenso zeichnen der Möbelbau, die Konstruktionsverfahren, Materialien und Dekorationen gesellschaftliche Verhältnisse. Das Mobiliar und damit verbunden die Wohnkultur ist immer auch in einem Zusammenhang zu den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der entsprechenden Zeit zu sehen.

Die folgende Einteilung der Epochen soll einen kurzen Einblick in die Geschichte geflochtener Stühle geben. Das Rohrgeflecht an sich erfüllt dabei zwei völlig unterschiedliche Aufgaben: Einerseits dient es als Sitzfläche, andererseits existieren Stühle mit Achteckgeflecht, bei denen das Geflecht lediglich die Funktion der Polstergurte übernimmt: Auf den ersten Blick scheint die Sitzfläche flach gepolstert, auf den zweiten Blick bildet das Achteckgeflecht die Basis der Polsterung (z. B. Thonets Salonmöbel).

Das dargestellte System der Epochen bietet nur eine kurze Übersicht, um die Herkunft des eigenen zu flechtenden Stuhls besser einschätzen zu können. Eine Vollständigkeit der Ausführungen kann im Rahmen dieses Manuskripts nicht realisiert werden. So trifft einerseits die Konstruktion eines Stuhls eine Aussage über dessen Herkunft, andererseits erleichtern spezifische Elemente des Möbels die Zuordnung zu bestimmten Ländern und Gegenden. In England beginnt mit dem Ende des 17. Jahrhunderts eine eigenständige Stil- und Kulturentwicklung. Die Möbelstile werden nicht wie im übrigen Europa nach französischen Herrschern, sondern nach englischen benannt: »William and Mary-Style«, »Queen Anne-Style«, »Georgian-Style«, »Regency-Style« und der viktorianische Stil. Auch nach dem Tischler Thomas Chippendale ist eine englische Stilrichtung benannt.

Ebenso ist der Aspekt, höfische von bürgerlichen Sitzmöbeln zu unterscheiden, nicht zu vernachlässigen. Wobei es Wechselwirkungen zwischen repräsentativen Möbeln des Hofes und denen des Bürgertums gibt. Der Charakter höfischer Sitzmöbel (so wird sogar die Mode wie z. B. das Tragen von Reifröcken der jeweiligen Zeit beim Bau von Sitzmöbeln berücksichtigt) beeinflusst nicht nur den der bürgerlichen Einrichtungen, sondern auch umgekehrt. Beispielsweise entwickeln sich Abraham Roentgens Möbel – begehrt an europäischen Höfen – auf der Basis eines bürgerlichen Zeitgeschmacks.13

Eine Klassifizierung im Sinne einer klaren Einteilung ist zudem schwierig, da Mischformen von Stilelementen keine Seltenheit sind. Aber fest steht, dass das Schaffen eines neuartigen Stils ohne die bereits bestehenden Stile nicht denkbar ist: Es kommt zu Übernahmen, eine Weiterentwicklung findet statt oder aber es folgt eine konsequente Ablehnung des Vergangenen.

Barock und Rokoko


Das Barock wird in drei Phasen gegliedert: Frühbarock (1600-1650), Hochbarock (1650-1730) und Spätbarock (1730-1770). Das Spätbarock ist auch unter der Bezeichnung Rokoko bekannt.

Die Epoche umfasst gesellschaftlich gesehen sowohl die Zeit der Gegenreformation, die Phase des Absolutismus, aber auch die Anfänge der Aufklärung. Begünstigt durch die katholische Kirche kommt das Barock in einigen deutschsprachigen Gegenden zur vollen Entfaltung. Deutschland ist also nicht nur konfessionell (katholisch und protestantisch), sondern auch stilistisch geteilt. Bedingt durch die Folgen des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) hat das Barock in Deutschland seine Blütezeit um die Jahrhundertwende (1700).14

Barockstühle sind geschmückte Prachtstühle, sie repräsentieren das Leben des Adels und des Klerus. Der für Barockaltäre typische Knorpelstil kommt auch im Möbelbau zur Anwendung. Als wichtige Dekorationselemente gelten zudem florale Motive wie Blumen und...

Erscheint lt. Verlag 26.9.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber
ISBN-10 3-7597-3258-5 / 3759732585
ISBN-13 978-3-7597-3258-3 / 9783759732583
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