Wanderlehrer und Winkelschulen - Heinrich Lippert

Wanderlehrer und Winkelschulen

im Gebiet des ehemaligen Fürstbistums Passau (1780 – 1850)
Buch | Hardcover
416 Seiten
2024 | 1. Auflage 2024
Ohetaler Verlag
978-3-95511-190-8 (ISBN)
29,90 inkl. MwSt
Heinrich Lippert
Wanderlehrer und Winkelschulen
Wanderlehrer und Winkelschulen repräsentieren zwei Phänomene aus der Anfangszeit der Errichtung ordentlicher Volksschulen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, wo sie in den deutschsprachigen, sowie einzelnen, daran angrenzenden Räumen nachgewiesen werden können.
Auf dem Gebiet des ehemaligen Fürstbistums Passau haben sie eine weite Verbreitung gefunden. Als Vorform oder Notbehelf entstanden Winkelschulen in der Regel auf Privatinitiative dort, wo die Existenz oder die Erreichbarkeit ortsnaher staatlicher Volksschulen nicht gegeben war.
Tragisch gestalteten sich häufig die Lebensumstände der meist männlichen, in den Winkelschulen unter- richtenden Lehrpersonen. Hier fanden sie in einem von klimatischer Ungunst und der Armut der Dorfbe-wohner geprägten Lebensumfeld einen temporären Zufluchtsort ohne wirkliche Berufsperspektive, mit mini-maler Subsistenz und wenig Achtung.
Kaum besser erging es ihnen, wenn sie als Wanderlehrer turnusmäßig in den Bauernhäusern einer oder mehrerer Ortschaften die dort ansässigen Kinder gegen geringes Schulgeld, Unterkunft und Verpflegung unterrichten mussten.
Mit der Einführung und der weiteren Verbreitung der öffentlichen Volksschulen ist dieser Schultypus nach und nach verschwunden. Hat er bis dahin einem offenbar vorhandenen Bedürfnis nach elementarer Bildung mehr schlecht als recht entsprochen, so darf sein Wert dennoch nicht unterschätzt werden.

Inhaltsverzeichnis
2. Einleitung. . 6
3. Historische Beschreibung des Untersuchungsgebietes. . 8
3.1. Das Fürstbistum Passau. . 8
3.2. Der Regierungsbezirk Niederbayern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .14
4. Die schulische Situation in Bayern um 1800 im Überblick . 16
4.1. Zur allgemeinen Lage des Elementarschulwesens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .16
4.2. Die Lehrerbildung in Bayern bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. . 20
4.2.1. Allgemeine Hinweise zur Lehrerbildung vor 1800. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
4.2.2. Zentrale Verordnungen zur Lehrerbildung ab 1800. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .23
4.2.3. Das Normativ vom 29. September 1866 – Geburtsstunde der Präparandenschulen ��������������������������� .27
5. Die Erscheinungsform der Winkelschule. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
5.1. Terminologische Abgrenzung des Begriffes „Winkelschule“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .30
5.1.1 Allgemeine Darstellung. . 30
5.1.2. Darstellung bezogen auf das Untersuchungsgebiet . 44
5.2. Literarische Erwähnungen der Klipp,- Heck- und Winkelschulen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
5.3. Rechtliche und politische Maßnahmen zur Verhinderung von Winkelschulen � 49
5.4. Die Winkelschulen als Gegenstand der Landtagsdebatte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
5.5. Zur Verbreitung von Winkelschulen . 58
5.5.1. Verbreitung von Winkelschulen im deutschsprachigen Raum . 58
5.6.2. Verbreitung von Winkelschulen in der Stadt Passau. . 64
5.5.3. Verbreitung von Winkelschulen im Untersuchungsgebiet. . 67
6. Beschreibung der einzelnen Winkelschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
6.1. Die Winkelschule Altreichenau. . 68
6.2. Die Winkelschule Berbing. . 69
6.3. Die Winkelschule Bernhardsberg. . 71
6.4. Die Winkelschule Burgholz. . 73
6.5. Die Winkelschule Dorn. . 77
6.6. Die Winkelschule Duschlberg/Ostermühl. . 92
6.7. Die Winkelschule Exenbach. . 103
6.8. Die Winkelschule Glotzing. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .104
6.9. Die Winkelschule Großwiesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .106
6.10. Die Winkelschule Gsenget. . 111
6.11. Die Winkelschule Haag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .112
6.12. Die Winkelschule Heiligenbrunnmühle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .114
6.13. Die Winkelschule Hintereben. . 115
6.14. Die Winkelschule Höppelhof. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .120
6.15. Die Winkelschule Hunaberg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .122
6.16. Die Winkelschule Hundsruck. . 123
6.17. Die Winkelschule Kafering. . 125
6.18. Die Winkelschule Kasberg. . 128
6.19. Die Winkelschule Kleinphilippsreut. . 130
6.20. Die Winkelschule Krinning. . 144
6.21. Die Winkelschule Lackenhäuser. . 145
6.22. Die Winkelschule Leizesberg. . 146
6.23. Die Winkelschule Leopoldsreut. . 149
6.24. Die Winkelschule Ludwigsreut. . 160
6.25. Die Winkelschule Manzenberg. . 163
6.26. Die Winkelschule Meßnerschlag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .166
6.27. Die Winkelschule Mitterfirmiansreut. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .167
6.28. Die Winkelschule Neumühle/Hauzenberg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .177
6.29. Die Winkelschule Nirsching. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .178
6.30. Die Winkelschule Nottau/Leopoldsdorf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .179
3
6.31. Die Winkelschule Oberkümmering. . 181
6.32. Die Winkelschule Oberneureuth. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
6.33. Die Winkelschule Raßberg. . 184
6.34. Die Winkelschule Reichling. . 186
6.35. Die Winkelschule Riedelsbach. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
6.36. Die Winkelschule Rossbühl (Rastbüchl). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
6.37. Die Winkelschule Ruhmannsdorf. . 190
6.38. Die Winkelschule Schimmelbach/Grübling. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
6.39. Die Winkelschule Schleifermühle (Saghäusl). . 196
6.40. Die Winkelschule Schmiding (Hinterschmiding). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
6.41. Die Winkelschule Schönau (Möselberg). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
6.42. Die Winkelschule Glashüttenort Schönbrunn. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..............................................218
6.43. Die Winkelschule Schwarzenthal. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
6.44. Die Winkelschule Stüblhäuser. . 222
6.45. Die Winkelschule Thalberg. . 224
6.46. Die Winkelschule Thurnreuther Mühle. . 226
6.47. Die Winkelschule Umbach. . 234
6.48. Die Winkelschule Vorderfreundorf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
6.49. Die Winkelschule Waldkirchen. . 238
6.50. Die Winkelschule Wildenranna. . 240
6.51. Die Winkelschule Windpassing. . 243
6.52. Die Winkelschule Wolkar. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
6.53. Die Winkelschule Ziering (Züring). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
6.54. Grenzübergreifender Schulbesuch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248
7. Bedingungskomplex zur Entstehung von Winkelschulen im Untersuchungsgebiet � 250
7.1. Physische Faktoren. . 250
7.1.1 Die klimatischen Verhältnisse im Untersuchungsgebiet. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..................................250
7.1.1.1. Lufttemperatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
7.1.1.2. Windverhältnisse. . 253
7.1.1.3. Schneefälle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
7.1.1.4. Die Niederschläge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
7.1.1.5. Ausgewählte Daten aus dem Klimaatlas von Bayern. . 261
7.2. Soziokulturelle Faktoren. . 264
7.2.1. Aufklärung und Schulunterricht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
7.2.2. Die Durchsetzung der Schulpflicht als ein Faktor für die Entstehung von Winkelschulen 270
7.2.3. Die Schulsprengelverordnungen. . 276
7.2.4. Armut als Bedingungsfaktor für die Entstehung von Winkelschulen. . 277
8. Die Wanderlehrer . 284
8.5.1. Lebensläufe einzelner namentlich bekannter Wanderlehrer. . 293
Franz Dobisch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
Joseph Esterl. . 293
Joseph Hable. . 295
Joseph Krieger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
Joseph Michal. . 306
Franz Seraph Mornheim. . 307
Jakob Stumvoll. . 312
8.5.2. Zur Genealogie einzelner namentlich bekannter Wanderlehrer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315
8.5.3. Zeitliche Einordnung des Wirkens namentlich bekannter Winkelschullehrer � 349
8.5.4 Liste der Bittgesuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
8.5.5. Streitfälle betreffend die Wanderlehrer im Zusammenhang mit ihrer Berufsausübung 359
8.5.5.1. Die Streitsache Katharina Zech – Joseph Krieger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359
8.5.5.2. Die Streitsache Kaspar und Leopold Gaisbauer – Joseph Krieger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363
8.5.5.3. Die Streitsache Martin Plöchl - Joseph Krieger. . 367
8.5.6. Die Einkommen der Wanderlehrer im Untersuchungsgebiet. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
4
9. Ouellenverzeichnis:. . 400
10. Literaturverzeichnis:. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402
11. Abkürzungsverzeichnis. . 405
12. Namen, Orte, Berufe und Besonderheiten. . 406
13. Längen-, Flächen- und Hohlmaße. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414
14. Der Autor. . 415

2. Einleitung Betrachtet man die Chroniken einzelner Schulen des Unteren Bayerischen Waldes, so fällt auf, dass viele Darstellungen in der einschlägigen Literatur ihren Anfang mit dem Hinweis auf die Existenz einer vermeintlichen Winkelschule nehmen oder erste unterrichtliche Maßnahmen durch sogenannte Wanderlehrer beschrieben werden. Die oft nur punktuellen, mitunter vagen und durch exakte Quellenangaben nicht immer belegbaren Hinweise auf derartige schulische Vorläuferinstitutionen lassen es aber lohnenswert erscheinen, das Vorkommen der Winkelschulen dezidiert zu untersuchen und eventuell vorhandene charakteristische Merkmale zu eruieren. Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Erfassung der Winkelschulen nach ihrer räumlichen Verteilung im Untersuchungsgebiet sowie die exemplarische Darstellung ihrer Entwicklung. Die Analyse des Bedingungsgefüges und damit die physischen als auch die sozialen und wirtschaftlichen Ursachen, die zur Entstehung dieser Schulen beigetragen haben, finden hier ihren Platz. Winkelschulen waren Vorläufer und erste Stufe einer sich über den Typus der tolerierten Notschule bis hin zur institutionalisierten staatlichen Elementarschule vollziehenden Entwicklung. Zeitgleich und parallel zu diesen existierten Winkelschulen, wenn die Erreichbarkeit der nächsten ordentlichen Schule durch ungünstige klimatische und topographische Verhältnisse, lange Schulwege und große Schulsprengel oder auch Kleidermangel bei den Schülerinnen und Schülern, besonders in den Wintermonaten, eingeschränkt oder unmöglich war, auch mit staatlichem Wissen. Die Armut weiter Teile der Bevölkerung und der Gemeinden machte den Schulhausbau und die Anstellung eines ordentlich geprüften und vom Staat angestellten Lehrindividuums unmöglich. Hier war die Beschäftigung wenig qualifizierter Lehrpersonen ohne staatliche Überwachung günstiger und sicherte diesen sonst beschäftigungslosen und mitunter der Verarmung preisgegebenen mittellosen Unterrichtenden eine, wenn auch sehr bescheidene, Subsistenz. Die Eltern profitierten im Gegenzug durch ein geringeres Schulgeld und weniger obrigkeitliche Überwachung, z. B. bezüglich des Schulbesuchs ihrer Kinder. Die Wiederholung und Präzisierung bereits bestehender Schulpflichtverordnungen durch den Erlass vom 23. Dezember 1802, in dem Kurfürst Max IV Joseph bestimmt hatte, dass „ ... allenthalben alle schulfähige(n) ... Kinder vom 6ten bis wenigst ins vollstreckte 12te Jahr ihres Alters die Schule besuchen sollen,“1 war sicher auch ursächlich für die Entstehung von Wander- und Winkelschulen. Die angestrebte Einführung der Schulpflicht forderte die Errichtung von allgemeinbildenden Pflichtschulen, die damit verbundenen Hindernisse bedingten den Fortbestand oder die Neugründung, gewissermaßen ein Ausweichen auf Winkelschulen, mit. Einen Schwerpunkt der Untersuchung bilden die dort beschäftigten Lehrkräfte. Sie sollen hinsichtlich ihres Lebenslaufes und ihres beruflichen Werdegangs einer näheren Betrachtung unterzogen werden, die auch eine Analyse ihrer Lebensumstände und ihrer Abstammung implementiert. Methodisch ist die Untersuchung dieses Phänomens dadurch erschwert, dass Winkelschulen in der Regel als Privatschulen galten und so weder von Seite des Staates noch der Kirche große Beachtung fanden. Entsprechend existieren wenige schriftliche Belege. Erst wenn diese Schulen wenigstens den Status einer anerkannten Notschule zugebilligt bekamen, wird der amtliche Schriftwechsel und damit die Quellenlage ergiebiger. Mit der Durchsicht der einschlägigen Akten zu den in Betracht kommenden Schulen auf der Ebene der Gemeinden, der Landgerichte und der Regierung, sowie der Lokal- und Distriktschulinspektionen unter dem Aspekt der Erwähnung einer Winkelschule, bildet den ersten Schritt der Untersuchung. Diese können zusammen mit Schulchroniken und Pfarrakten zur Verifizierung oder Falsifizierung von Angaben in der Literatur beitragen. Genealogische Daten aus den Pfarrmatrikeln der entsprechenden Gemeinden liefern Informationen zur Abstammung und den Familienverhältnissen der Wander- und Winkelschullehrer. 1 Churpfalzbairisches Regierungs- und Intelligenzblatt, München 1802, S. 911 6 Arbeiten zu den Winkel- und Wanderschulen auf dem Lande im langen 19. Jahrhundert, die diese zusammenfassend oder vergleichend behandeln, sind nicht vorhanden. Meist handelt es sich nur um die Darstellung singulärer Schulstandorte. In seiner Rezension über Thomas Töpfers Werk zu den Leipziger Winkelschulen, unter dem Titel ‚Die Freyheit der Kinder‘, betont der Schweizer Historiker Heinrich Richard Schmidt die Notwendigkeit der Erforschung der vormodernen Schulwirklichkeit und beklagt dabei insbesondere die Vernachlässigung des niederen Schulwesens. Schmidt fordert weitere Untersuchungen zum Thema Winkelschulen: „Das Werk Thomas Töpfers deckt mit den in Sachsens Städten dominanten ‚Winkelschulen‘ einen in der Forschung bislang als ‚terra incognita‘ zu bezeichnenden Bereich des Schulwesens auf - und zwar in Sachsen als dominant. Ob auch städtische Gesellschaften in anderen Territorien eine vergleichbare Struktur aufwiesen, muss die weitere Forschung zeigen. Und die tut dringend Not, will die zentrale Kultur-Transfer-Instanz Schule endlich den ihr gebührenden Platz in der Frühneuzeitgeschichte einnehmen. Auch steht zu vermuten, dass das ländliche Schulwesen, besonders im Elementarbereich, nicht diese Vielfalt von gewerblichen Schulen gekannt hat und dass gemeindlich betriebene Dorfschulen die Regel waren. Aber auch hier wird es noch Forschung zu den ‚Winkelschulen‘ brauchen, um die schiefe Perspektive allein auf die protostaatliche Schule zu korrigieren.“2 Winkelschulen sind in allen Regionen Deutschlands und in angrenzenden Nachbarstaaten (Dänemark, Niederlande, Österreich, Schweiz) in unterschiedlichen Zeiträumen vom 16. bis ins 19. Jahrhundert nachweisbar. Im Gebiet des ehemaligen Fürstbistums Passau erlebten sie ihre Hochzeit um das Jahr 1800. Eng verbunden mit dem Typus Winkelschule war das Auftreten von Wanderschulen, bzw. der Wanderlehrer. Diese unterrichteten turnusmäßig in den Wohnstuben der Ortsbewohner gegen Unterkunft, Kost und geringes Schulgeld die Kinder eines Dorfes oder sie wanderten zwischen mehreren Ortschaften. „Im Gegensatz zum Phänomen der Wanderlehrer im Zusammenhang mit der schulischen Versorgung der Kinder vorwiegend im ländlichen Raum im ersten Drittel des langen 19. Jahrhunderts steht die Entwicklung des landwirtschaftlichen Vortragswesens, das sich als Beitrag zur beruflichen Fortbildung der bäuerlichen Bevölkerung auf Initiative von Behörden und landwirtschaftlichen Organisationen seit der Jahrhundertmitte entwickelte, beispielgebend für die Wanderlehrer in der andragogischen Volksbildung.“3 Obwohl sie schon durch ihre Terminologie eine Abwertung erfuhren und in ihrer Existenz durch die staatlichen Behörden vielerorts bekämpft wurden, bleibt zu überlegen, ob den Winkelschulen als Vorläuferinstitution des ordentlichen Elementarschulwesens nicht ein wenn auch bescheidener Beitrag zur Vermittlung elementarster Grundtechniken und die Funktion einer wegbereitenden Einrichtung für den Aufbau eines funktionierenden institutionalisierten Volksschulwesens zu Beginn des 19. Jahrhunderts zukommt. 2 Rezension zu Thomas Töpfer: Die Freyheit der Kinder, Leipzig 2012 von Schmidt, H.R.: „Winkelschulen“ und „Bürgerschulen“ - Die lokale Bildungsnachfrage als Movens der Schulentwicklung in Sachsen, in: Historische Zeitschrift, Band 299, 2014, S. 99 – 105. 3 Vgl. Barth, S.: Wanderlehrer, Redner, Vortragende. Mobile Lehrkräfte und ihre Vorträge in der Volksbildung im 19. Jahrhundert, Wiesbaden 2020. 7

Erscheinungsdatum
Zusatzinfo Viele historische Karten und Bilder
Verlagsort Grafenau
Sprache deutsch
Maße 210 x 297 mm
Gewicht 1000 g
Themenwelt Literatur
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Regional- / Landesgeschichte
Sozialwissenschaften Pädagogik
Schlagworte Lippert Heinrich • Ohetaler Verlag • Wanderlehrer und Winkelschulen
ISBN-10 3-95511-190-3 / 3955111903
ISBN-13 978-3-95511-190-8 / 9783955111908
Zustand Neuware
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