Licht, Raum und Zeit (eBook)
228 Seiten
dpunkt (Verlag)
978-3-98890-194-1 (ISBN)
David duChemin ist ein Fotograf, Schriftsteller und Abenteurer, der auf Vancouver Island, Kanada, lebt. Er ist Autor von Bestsellern wie »Das Handwerkszeug des Fotografen«, »Die Seele der Kamera« und »Das Herz der Fotografie« sowie anderer Bücher. Seine Arbeiten finden Sie online auf davidduchemin.com.
David duChemin ist ein Fotograf, Schriftsteller und Abenteurer, der auf Vancouver Island, Kanada, lebt. Er ist Autor von Bestsellern wie »Das Handwerkszeug des Fotografen«, »Die Seele der Kamera« und »Das Herz der Fotografie« sowie anderer Bücher. Seine Arbeiten finden Sie online auf davidduchemin.com.
01
Im Kopf des Fotografen
Großartige Fotos zu machen – also überzeugende Bilder jenseits des Offensichtlichen, ganz zu schweigen von den Bildern, in denen wir unser Innerstes ausdrücken – hängt von mehr ab als nur von den technischen Möglichkeiten unserer Kameras. Das wissen wir. Bilder, die mehr können, als einem technischen Mindeststandard zu genügen (z. B. scharf zu sein), entstehen im Kopf. Die Herausforderung ist also eine kreative, keine technische, und hat man erst einmal die handwerklichen Basics gemeistert, dann liegt genau hier die reichste Belohnung für harte Arbeit.
Warum wird also in der großen Welt der Fotografie so wenig über Kreativität und innere Zustände gesprochen? Und wenn doch, warum dann mit diesem Bild des kameraschwingenden Fotografen der mit dem Auslöser auf Dauerfeuer zuvor Ungesehenes einzufangen hofft? Schon näher an unserem Verständnis von Kreativität liegt der Einsatz solch mächtiger Techniken wie Mehrfachbelichtungen und Intentional Camera Movement (ICM) – aber wenn man den Begriff »Kreativität« auf derlei eher impressionistische oder abstrakte Stile einschränkt, was bleibt dann für uns? Was ist mit den inneren Zuständen und den Gedanken derjenigen unter uns, die etwas Schönes oder sehr Persönliches schaffen wollen, aber ihre Selbstzweifel und Denkbarrieren nicht überwinden können?
Kreativität ist nicht gleichbedeutend mit oder beschränkt auf die krassesten Innovationen; sie ist nicht das exklusive Terrain derjenigen, die sich als »Künstler« bezeichnen. Der Mechaniker, der an meinem Lkw schraubt, ist kreativ. Das muss er auch sein, denn ich habe ein paar Extrawünsche an ihn, wegen denen er sich mit ein paar interessanten Problemen befassen muss. Dasselbe gilt für Ingenieure und Wissenschaftlerinnen, Lehrerinnen und Ärzte. Jeder, der schon einmal vor einem Problem oder einem Hindernis stand und darüber nachgedacht hat, wie er es umgehen kann, oft angefangen bei der bescheidenen Frage »Was wäre, wenn …?«, ist kreativ. Das Problem kann naheliegenderweise künstlerischer, für einen Fotografen aber auch technischer oder konzeptioneller Natur sein. Für den Fotografen, der mit Menschen arbeitet, könnte es zwischenmenschlicher Art sein. Sich dieser Herausforderung zu stellen und die eigene Denkweise anzupassen, wenn die übliche Herangehensweise nicht zu fruchten scheint – das ist es, worum es bei Kreativität geht. Fast jede Frage, die mit »Wie kann ich …?« beginnt, schreit geradezu nach einer kreativen Antwort – und die kommt aus unserem Inneren.
Die Fotografie erfordert nicht nur kreatives Denken, sondern erfordert auch Handeln. Wir machen Fotos. Und jedes einzelne davon bietet uns die Chance, ganz konkrete Entscheidungen darüber zu treffen, was dieses Foto aussagen soll, worum es darin gehen und wie es aussehen soll. Wenn Sie Ihr Gehirn also nicht auf Programmautomatik geschaltet haben, stellt sich bei jedem Foto, das Sie machen, die Frage nach der Brennweite, dem Abstand zum Motiv, der Schärfentiefe, der Schärfe, der Belichtung, wie Sie mit Bewegung umgehen, wie viel vom Motiv Sie im Bildausschnitt zeigen bzw. nicht zeigen, wo Sie die Kamera aufstellen und in welchem Moment unter vielen Sie den Auslöser drücken. Im Großen und Ganzen mag Fotografie sehr technisch sein, aber warum Sie fotografieren und wie Sie obige Aspekte miteinander kombinieren – das ist kreativ.
Nach dem Drücken des Auslösers treffen Sie Entscheidungen bei der Bildauswahl: Welches Bild wirkt am stärksten, setzt die von Ihnen beabsichtigte Wirkung am ehesten um oder sagt Ihnen am meisten zu? Bei der anschließenden Bearbeitung treffen Sie kreative Entscheidungen, um Ihrem Bild den letzten Schliff zu geben: Hellen Sie es auf oder dunkeln Sie es ab? Erhöhen oder verringern Sie den Kontrast? Wie gehen Sie mit Farben um und mit den Einstellungen für Farbton, Sättigung und Luminanz? Und wie präsentieren Sie Ihre Arbeit? Handelt es sich um ein einzelnes Bild, das groß gedruckt und an die Wand gehängt wird, oder ist es Teil einer Serie oder eines größeren Werks, das am besten als Bildband zur Geltung kommt? Dies sind alles kreative Entscheidungen, auf die es keine richtige oder falsche Antwort gibt. Solange Sie sich mit diesem notwendigerweise technischen Handwerk beschäftigen, werden dies auch technische Entscheidungen sein – aber es geht hier nicht um »entweder oder«, sondern um »sowohl als auch«: Diese Entscheidungen sind zugleich technisch und kreativ.
Die Bücherregale in meinem Büro sind größtenteils mit Fotobüchern gefüllt. Keine Bücher über, sondern Bücher mit Fotografien. Die Meister sind alle vertreten: Ernst Haas, Elliott Erwitt, Sally Mann, Saul Leiter, Josef Koudelka, Walker Evans und Galen Rowell, neben vielen anderen. Dazu gesellen sich neuere Stimmen und einige, von denen Sie vermutlich noch nie gehört haben. Kämen Sie auf einen Besuch vorbei, würde ich Sie einladen, eines dieser Bücher aus dem Regal zu ziehen oder vom Couchtisch zu nehmen. Dort liegt James Nachtweys Inferno. Ebenso Sam Abell. Es gibt auch mehrere Bände von Edward Burtynsky. Und Amaze, von meiner lieben Freundin Cristina Mittermeier. Wenn Sie einen dieser Bände aufschlagen, sehen Sie nicht nur, was eine Kamera leisten kann, sondern auch, wie kreativ ein Mensch denkt, wenn er sich mit der technischen Seite unseres Handwerks auseinandersetzt und dabei etwas schafft, das mehr ist als die Summe seiner Teile.
Darüber hinaus werden Sie eine unbestreitbare Vielfalt in dem sehen, was diese Fotografinnen und Fotografen in ihren Werken erforschen, was sie darüber sagen und wie sie es tun. Der Stil (oder die Stimme) wird sich jeweils unterscheiden, selbst bei denjenigen, die dieselbe Kamera mit demselben Können benutzen. Warum sind sie so unterschiedlich? Weil sie unterschiedlich darüber denken, wie und warum sie die Werkzeuge ihres Handwerks einsetzen.
Wenn Sie mit meinen Texten vertraut sind, dann wissen Sie, dass ich das Handwerk und die Zeit, die es bis zu seiner instinktiven Beherrschung braucht, nicht abtun will. Ist dies Ihr erstes Buch aus meiner Feder, sollten Sie wissen, dass ich diese Fähigkeiten in höchstem Maße schätze. Unser Handwerk ist nichts für Faule oder Nachlässige. Schließlich brauchen wir Techniken, mit denen wir kreativ sein können, und jedes Werkzeug bietet kreative Möglichkeiten, die andere nicht haben. Aber unsere Fertigkeiten werden immer durch unsere Werkzeuge und den Kontext begrenzt, in dem wir arbeiten. Es wird immer Probleme geben, die wir lösen müssen.
Wir brauchen nicht noch mehr von dem, was es bereits gibt. Wir brauchen weder Konformität noch Konsens. Was wir brauchen, sind Köpfe, die offen dafür sind, sich auf Herausforderungen und Kreativität einzulassen.
Vielleicht kommt Ihnen das bekannt vor: Sie sehen eine Szene, die Ihre Aufmerksamkeit erregt. Sie halten an, blicken durch den Sucher, drücken auf den Auslöser und schauen schnell auf das Kameradisplay (wenn Sie digital fotografieren) – nur um festzustellen, dass das Resultat nicht so aussieht, wie Sie es sich vorgestellt haben. Sie ändern die Einstellungen und versuchen es noch einmal. Fehlanzeige. Ein weiterer Versuch mit einem anderen Objektiv. Wieder nichts. Die Technik wird der Szene einfach nicht gerecht. Was zum Teufel ist mit dieser Schrottkamera los, für die Sie so viel Geld ausgegeben haben?
An der Kamera ist nichts auszusetzen – sie ist wahrscheinlich besser als alle Kameras zusammen, mit denen der Großteil der besten Fotografien des 20. Jahrhunderts gemacht wurden. Schließen wir technische Fehler aufgrund ihrer Seltenheit aus, ist das, was nicht funktioniert, unser Ansatz: die Art und Weise, wie wir über die Werkzeuge denken, die wir verwenden.
Es kommt darauf an, wie wir denken und dies ist ein Buch über das Denken. In einigen Fällen ist es ein Buch über Gedanken. In einigen Fällen geht es auch um Gefühle, denn ich sehe keine Möglichkeit, die beiden zu trennen: Unser emotionaler Zustand kann bei dem, was wir schaffen, sowohl ein Hindernis als auch eine Hilfe sein. Konkret geht es in diesem Buch um Fotografen als kreative Wesen. Wir alle wissen, wie unsere Kameras funktionieren, aber wie funktioniert Kreativität? Wie arbeiten wir? Das ist eine der Fragen, denen wir auf diesen Seiten nachgehen. Wenn Sie besser verstehen, wie Ihre Kreativität als Werkzeug funktioniert, können Sie sie besser einsetzen, sich wohler fühlen und weniger frustriert sein – mit sich selbst und mit dem, was Sie erschaffen.
Stephen Shore, den ich auf den folgenden Seiten noch öfter erwähnen werde, sagte: »Ich glaube, dass ein guter Fotograf eine Kombination aus zwei Dingen ist: zum einen aus interessanten Wahrnehmungen und zum anderen aus dem Verständnis dafür, wie die Welt von einer Kamera in ein Foto übersetzt wird.« Wie wir die Welt wahrnehmen, ist eine Frage des kreativen Denkens, ebenso wie die Art und...
Erscheint lt. Verlag | 1.10.2024 |
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Übersetzer | Boris Karnikowski |
Verlagsort | Heidelberg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Freizeit / Hobby ► Fotografieren / Filmen |
Schlagworte | authentische Bilder • bessere Fotografin • besserer Fotograf • Bewusstsein • Bildqualität • Fotografisches Auge • Inspiration • Qualität • starke Bilder • Technik |
ISBN-10 | 3-98890-194-6 / 3988901946 |
ISBN-13 | 978-3-98890-194-1 / 9783988901941 |
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