Buntes Jägerleben (eBook)
176 Seiten
Leopold Stocker Verlag
978-3-7020-2270-9 (ISBN)
Erinnerungen auf dem Ansitzbock
Die Schüsse sind verhallt. Bis zum Ende der heutigen Bewegungsjagd bleiben noch etwa 20 Minuten. Ich sitze auf einem Ansitzbock an einer Abteilungslinie. Es ist ein professionell hergerichteter Stand, der einen guten Blick in die Kiefernbestände beidseits des Weges erlaubt. Man kann das Wild rechtzeitig anwechseln sehen, und so geht ein erlebnisreiches Jagdjahr mit einem nicht so häufigen Weidmannsheil an einem warmen, schneefreien Januartag zu Ende: Im Kiefernbaumholz vor mir liegen im Bestand ein Kalb und einige Meter weiter das zugehörige Tier. Doublette.
Während ich warte und dabei immer wieder einmal zu den vor mir liegenden Stücken blicke, ziehen Bilder jagdlicher Ereignisse aus fünf zurückliegenden Jahrzehnten an meinem geistigen Auge vorbei. Die Erlebnisse vieler Jahre beginnen sich zu vermischen, längst vergangene Augenblicke werden so lebendig, als seien sie gerade geschehen, andere mögen dabei übersehen worden sein, obwohl sie sich doch erst vor kurzer Zeit ereignet haben.
Plötzlich erscheint mir alles wie Gegenwart: Menschen, Hunde, Tiere, Landschaften rund um die Jagden werden lebendig – Bilder früherer Jagden ziehen wie auf der Leinwand vorbei.
Was spielen vergangene Zeiten oder geographische Nähe in solchen Augenblicken noch für eine Rolle? Grenzen, Entfernungen lösen sich auf. Die Jagderlebnisse an der deutschen Nordseeküste fließen bruchlos über in jene, die in den Alpen stattfanden. Die einst reichen Niederwildjagden Norddeutschlands lösen sich auf im Schrei der Brunfthirsche in der Heide und den niedersächsischen Mittelgebirgen. Kanada scheint direkt an das ehemalige Deutsch-Südwest zu grenzen. Finnland und Schweden liegen gleich nebenan.
Der jagdliche Jahresablauf wird gegenwärtig – Schnepfen, Bockjagd, Feistzeit, Brunft von Rothirsch, Muffel, Damhirsch, Treib- und die späteren Bewegungsjagden – dazwischen finden nächtlicher Ansitz und Pirsch auf Sauen statt. Aber dann ist die Reihenfolge doch auch wieder eine ganz andere. Da werden hier noch schnell Kaninchen gestöbert, dort wird am Lagerkorn auf Tauben angesessen, und abends geht es noch auf den Entenstrich.
Wann hatte es eigentlich begonnen? Möglicherweise schon in dem Augenblick, als der zum Heimaturlaub aus Russland zurückkehrende Vater – noch in Wehrmachtsuniform – auf der Koppel am Ufer des vor der Haustür liegenden Sees zwei bunte Fasanenhähne sah, die Flinte aus dem Gewehrschrank holte und einen der Vögel im Beisein des Sohnes schoss. So sinne ich vor mich hin, bis die Uhr das Ende des Ansitzes anzeigt und das Bergen des Wildes beginnt. Schließlich ist auch das erledigt, die Stücke sind aufgebrochen und auf dem Fichtengrün des Streckenplatzes abgelegt. Die verschiedenen Proben für die Untersuchungen der unterschiedlichsten Institute sind bei Sauen und Rotwild entnommen. Die Feuer werden entzündet, Jagdleiter, Schützen, Hundeführer und Bläser nehmen ihre vorgegebenen Positionen ein. Mit den Flammen steigt der Rauch auf. Manchmal sieht man vor lauter Qualm fast gar nichts mehr. Die Brüche werden verteilt, die Signale steigen zum Himmel, die Hunde fallen laut heulend mit ein – dann das „Halali“ und „Jagd vorbei“. Fröhlich fahre ich nach Hause – es war wieder einmal so routiniert und professionell wie immer und doch zugleich so packend und spannend wie am ersten Tag!
So wie immer? Nein, nur bei oberflächlicher Betrachtung ist es so wie immer – bei genauem Hinsehen ist Jagd eben doch immer wieder voller neuer Erlebnisse und neuer Spannungen. Allein deswegen ist sie in allen Bereichen und Varianten im Jahresablauf immer wieder so unglaublich reizvoll und neu, oft ähnlich, aber sich – ungeachtet der teilweise erheblich veränderten Rahmenbedingungen – niemals exakt wiederholend.
So fuhren wir in unserer Jugend im Emsland, manchmal noch vor Schulbeginn, mit dem Fahrrad in die nahegelegene Heide, um die Birkhähne bei der Balz zu beobachten, lauschten dabei zugleich dem klagenden Ruf des Goldregenpfeifers und freuten uns am Triller des Großen Brachvogels. Ach ja, damals zählte der Große Brachvogel zwar noch zum jagdbaren Wild, wurde aber nicht mehr bejagt.
Wenige Jahre später schossen wir im Spätsommer an guten Tagen Bekassinen, bis die Schultern schmerzten und der Patronenvorrat verbraucht war. Rebhühner, Fasanen und Hasen gab es so reichlich, dass man schon einmal Mühe hatte, die Beute zu schleppen. Bei der Jagdhütte brutzelten wir die eben erlegten Kaninchen am Spieß und sangen dazu das Lied vom „Freien Wildbretschützen“.
Doch inzwischen scheint das Lied mehr und mehr aus unserem Brauchtum zu schwinden. Wann haben wir eigentlich zum letzten Mal fröhlich eines der vielen schönen Jägerlieder in vergnügter Runde gesungen? Ich muss zugeben, das ist lange her. Doch ich denke gern daran zurück. So seien hier nun einige Erinnerungen aus einem an Erlebnissen wahrhaft reichen Jägerleben wachgerufen.
Hirsche, blasende Sauen, Fasanen und Enten stehen vor meinem geistigen Auge, wenn ich an „meine“ ersten jagdlichen Erlebnisse denke. Dabei handelte es sich stets „nur“ um Beobachtungen, die ein kleiner Junge in Deutschlands Osten an der Seite des urlaubsweise aus Polen/Russland kurzfristig heimgekehrten Vaters machte, aber sie sind so gegenwärtig und lebendig, als wären sie erst gestern geschehen.
Vor dem Rauch des Feuers ziehen Bilder vergangener Jagden am geistigen Auge vorbei – als hätten sie erst gestern stattgefunden.
Bald nach Kriegsende folgten solchen Beobachtungen in der neuen Heimat im Westen die ersten Schüsse mit der aus einem gegabelten Ast, Gummi von zerschnittenen Fahrrad- oder Autoschläuchen und einem Stückchen Leder selbst gebastelten Zwille auf die Sperlinge am Kaffhaufen. Dann wurde dieses Steinzeitgerät durch das Luftgewehr ersetzt. Die Spatzenjagd wurde zur Perfektion entwickelt. So lernte man früh, genau zu beobachten, ausdauernd anzusitzen und präzise zu zielen.
Noch in dieser Entwicklungsphase durfte ich regelmäßig die vom Bio-Lehrer abonnierte „Wild und Hund“ lesen. Ich habe die Zeitschrift damals geradezu verschlungen und viel aus ihren Artikeln gelernt.
Der erste Schrotschuss
Den ersten Schrotschuss gab ich früh im Kielwasser des Vaters ab. Die Jagdhoheit lag noch bei den Engländern als damaliger Besatzungsmacht. So waren auch die Waffen der deutschen Jäger noch von den Engländern eingezogen. Trotzdem hatten es die Jagdpächter im Nachbardorf in Absprache mit einigen englischen Offizieren geschafft, im Winter eine Treibjagd auf Hasen zu organisieren. Am vereinbarten Sammelplatz trafen sich deutsche Jäger und Treiber und warteten auf die Engländer. Sie kamen pünktlich mit mehreren Jeeps und einem LKW. Von dessen Ladefläche aus reichten britische Soldaten den deutschen Jägern die Flinten. Andere übergaben ihnen die dazugehörigen Patronen. Zufällig stand ich zwischen den erwachsenen Jägern, und so wurde auch mir eine Flinte gereicht. Sie kam mir fast so lang vor, wie ich selbst groß war. Ich war total sprachlos. Doch übergab mir, ehe ich mich besinnen konnte, im nächsten Augenblick ein anderer Soldat eine so große Menge Schrotpatronen, dass ich sie kaum alle in meine Jackentaschen stopfen konnte. Ich war plötzlich Jäger unter Jägern! Niemand nahm an meinem Alter und an der ungewöhnlichen Relation von Körpergröße zu Flintenlänge Anstoß.
Dann sollte der erste Kessel angegangen werden. Natürlich war ich der Jüngste und konnte demzufolge am weitesten laufen. Also erhielt ich vom Jagdleiter den Auftrag, als erster Jäger loszumarschieren und damit die südliche und westliche Außengrenze des Kessels nach seinen Vorgaben zu markieren. Die nächsten Schützen folgten im üblichen Abstand. Die Grenze des Treibens führte entlang einer öffentlichen Straße.
Dort kam uns der Dorf-Sheriff auf seinem Fahrrad entgegen. Ihm musste sofort klar sein, dass hier ein Knabe, der noch viel zu jung war, um legal eine Waffe zu führen, die Spitze der Jäger anführte. Er stoppte und stellte unangenehme Fragen. Ich behauptete natürlich, die Flinte nur für einen weiter hinten nachfolgenden älteren Herrn zu tragen. Doch das Argument überzeugte überhaupt nicht. Die mit Patronen vollgestopften Taschen waren ja auch nicht zu übersehen. Es half alles nichts. Der Wachtmeister schritt zur Tat und nahm mir Flinte und Patronen ab. Ich musste ihm zum Sammelplatz und den Fahrzeugen der Engländer folgen, während der nachfolgende Jäger die weitere Führung zur Bildung des Kessels übernahm.
Bei den Fahrzeugen übergab mein Polizist zunächst den Engländern Flinte und Munition, um anschließend auf das Ende des Kessels und die Rückkehr des Jagdleiters zu warten. Ich stand ziemlich betroffen daneben. Doch es ging alles noch einmal glimpflich ab. Sheriff und Jagdleiter führten etwas abseits ein kurzes...
Erscheint lt. Verlag | 5.9.2023 |
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Zusatzinfo | bebildert |
Verlagsort | Graz |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Freizeit / Hobby ► Angeln / Jagd |
Schlagworte | Artenschwund • Bewegungsjagd • Bock • Damwild • Enten • Fasan • Feldhase • Gänse • Gesellschaftsjagd • Hase • Hirsch • Jagderlebnisse • Jagderzählungen • Jagdgeschichten • Jagdliche Praxis • jagdliches Wissen • Kiebitz • Klimawandel • Muffelwild • Nachtsichtgeräte • Niederwild • Rebhuhn • Rebhühner • Rehbock • Rehböcke • Rehwild • Rotwild • Schalldämpfer • Schwarzwild • Tauben • Wandel der Jagd • Wärmebildkameras • weidgerechte Jagd • weidmännisches Wissen |
ISBN-10 | 3-7020-2270-8 / 3702022708 |
ISBN-13 | 978-3-7020-2270-9 / 9783702022709 |
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