Schon wieder abgehauen (eBook)
288 Seiten
Gräfe und Unzer (Verlag)
978-3-8338-9758-0 (ISBN)
Karin Michalke, geboren 1976 in Altomünster, lebt und arbeitet als Drehbuchautorin auf einem Hof in der Nähe von Bayrischzell. Sie studierte an der Hochschule für Film und Fernsehen in München und schrieb u.a. die Drehbücher für Marcus H. Rosenmüllers Kultfilme 'Beste Zeit', 'Beste Gegend' und 'Der Räuber Kneissl'. Einem breiten Publikum wurde sie bekannt durch ihren Roman 'Auch unter Kühen gibt es Zicken' (2012), in dem sie mit hinreißender Selbstironie von ihrem Job als Teilzeit-Sennerin auf einer Alm erzählt.
Karin Michalke, geboren 1976 in Altomünster, lebt und arbeitet als Drehbuchautorin auf einem Hof in der Nähe von Bayrischzell. Sie studierte an der Hochschule für Film und Fernsehen in München und schrieb u.a. die Drehbücher für Marcus H. Rosenmüllers Kultfilme "Beste Zeit", "Beste Gegend" und "Der Räuber Kneissl". Einem breiten Publikum wurde sie bekannt durch ihren Roman "Auch unter Kühen gibt es Zicken" (2012), in dem sie mit hinreißender Selbstironie von ihrem Job als Teilzeit-Sennerin auf einer Alm erzählt.
Hinweis zur Optimierung
Impressum
Vorwort
2006 | Nie wieder Rockstars
2007 | Keine Wunder
2008 | Almsommer und Hühnerhälse
2009 | Halsband und Stacheln
2010 | Keine Fjorde in Ingolstadt-Nord
2011 | Wenn's knallt
2012 | A Sauviech is er
2013 / 1 | Von wilden Hunden und Wölfen
2013 / 2 | Paradies im Maschendrahtzaun
2014 | Kopfüber in den Ozean
2015 | Was hat ein Ochsenfrosch mit wahrer Liebe zu tun?
2016 | Lebenstraum. Nix für Weicheier
2017 | Böse Katze. Braver Hund
2018 | Billy und die Brotzeit
2019 | Diddy, 'auf!
2021 | Lauf, Billy, lauf …
2022 | Berserker und Himmelsstürmer
2024 | Neuer Zirkus
Danke
Viten
2006 Nie wieder Rockstars
»Schau ihn dir wenigstens an.« Meine Nachbarin hat eine Annonce ausgedruckt. Platziert sie strategisch schlau zwischen unseren Kaffeetassen.
»Ähm …«, sage ich. Und dreh mich weg, um die Espressokanne noch mal zu stopfen.
Ich werde nicht auf die Annonce schauen. Ich habe mein Leben sehr gut sortiert, endlich einmal. Extrem übersichtlich. Unter Vermeidung jeglicher Aufregung und Zweifel. Es gibt mich, meinen lila Fernsehstuhl und ab 14 Uhr die tägliche Etappe Tour de France. Ich komme hervorragend klar.
»Ich glaube wirklich, dass er zu dir passt.« Meine Nachbarin lächelt die Annonce an und dann mich. Sie heißt Mathilde, aber alle sagen Tilo. Sie ist wie eine große Schwester zu mir und wahrscheinlich hält sie’s nicht aus, wie ich lebe. Allein. In meiner 50 Quadratmeter großen Dachgeschosswohnung.
»Passt schon«, murmle ich. »Mir geht’s gut.«
»Jeder Mensch braucht jemanden!«, lächelt sie. »Ich seh euch schon richtig zusammen. Ich fühl’s.«
Ihre Hände streichen über das Foto. Mein Gott. Man kann ja fast nicht nicht hinschauen.
Er ist ein Rockstar. Bernsteinaugen, geschmeidig wie ein Tiger, Tennisball im Maul.
»Wir könnten gemeinsam Gassi gehen«, sagt Tilo. Immer, wenn sie was durchsetzen will, klingt ihre Stimme wie Glitzer. »Du kannst ja nicht ewig hier oben eingeigelt bleiben.«
»Doch«, sage ich. Und wünsche mir einen Topf Spaghetti mit Ketchup und Mayonnaise. Tilo würde nicht im Traum Ketchup und Mayonnaise auf irgendwas tun.
Ich mache eine Prozedur daraus, die Kaffeekanne auf der Herdplatte zu bewachen. Vielleicht, damit ich nicht noch mal auf das Foto schaue. Weil:
»In den verlieb ich mich. Kenn ich alles. Mach ich nie wieder.«
Tilo legt ungläubig ihre grazile Hand auf die Annonce. »Das kannst du doch nicht vergleichen!«
»Doch. Genau das vergleich ich.«
Sie rührt in ihrem Espresso, während ich Milch schäume für meinen. Tilos Augen sind voller Verständnis. Voller Güte. Diese Art Güte … können nur Menschen haben, die oberhalb der Chaosgrenze leben. Nicht wie ich, vom Schreiben für eine Vorabendserie, ein Job, für den ich »viel zu kantig denke, das will der Fernsehzuschauer nicht«.
Tilo nippt an ihrer Tasse. Wortlos.
»Es muss ja kein Hund sein«, nuschle ich und überflute meinen Kaffee mit Milchschaum. »Ich hol mir ein anderes Tier. Ich mag zum Beispiel gerne … Fische. Ich hol mir einen Fisch.«
Tilo nimmt keine Milch im Kaffee. Zucker auch nicht. Niemals. Ihre schmalen Finger rühren trotzdem. Elegant. »Ein Fisch ist kein Sozialpartner.«
»Einem Fisch kann ich alles erzählen. Ein Fisch ist immer da, wo ich ihn haben will. Für einen Fisch muss ich kein anderer Mensch werden. Ein Fisch ist der perfekte Sozialpartner.«
»Ein Hund freut sich, wenn du nach Hause kommst. Ein Hund geht mit dir laufen. Ein sportlicher wie der da …« Sie schiebt die Annonce, auf die ich nicht schaue, näher zu mir: »… kann auch mit zum Radfahren. Auf Skitouren. Baden am See.«
Ich weigere mich, die Buchstaben zusammenzusetzen. Nein, nicht mal die Überschrift …
Sportlicher, temperamentvoller Labrador-Mix sucht den einen Menschen, dem er vertrauen kann.
Oh Mann.
Ich schüttle den Kopf. Ich bin nicht »der eine Mensch«. Für niemanden. Auch nicht für einen hübschen Labrador-Mix. Und Rad fahren, Skitouren oder baden am See geh ich schon lange nicht mehr.
Tilo hat einen Golden Retriever. Gonzo. Gonzo betet Tilo an. Für Gonzo besteht die ganze Welt nur aus Tilo. Tilo hat Gonzo mit dem kleinen Finger unter Kontrolle. Tilo hat auch ihr Leben mit dem kleinen Finger unter Kontrolle.
Ich bin 30. Aber ich schwöre, irgendwas unter Kontrolle – hatte ich noch keine einzige Sekunde. Ich schiebe die Annonce zurück zu Tilo. Ich glaube, sie wird sie auf meinem Küchentisch liegen lassen, wenn sie wieder geht. Und in den Untiefen meines Gehirns weiß ich, dass sie recht hat.
Aber einer wie der da ist gefährlich. Für mich zumindest. Nie wieder werde ich mich an ein Lebewesen verlieren, das auch nur eins der folgenden Attribute besitzt: Männlich. Gut aussehend. Selbstbewusst. Und ein Rockstar.
Nach dem letzten Exemplar dieser Art – andere Spezies, aber gleiches Prinzip – bin ich nach Indien gefahren, um halbwegs von ihm wegzukommen. Ashram. Ayurveda. Himalaya. Das ganze Programm. Ich bin geläutert. Erleuchtet. Im Reinen mit dem, was ist. Und, glauben Sie mir, es war kein Spaß.
Das wird mir auf keinen Fall noch mal passieren. Es wird für mich nur noch neutrale, sichere, überschaubare Kontakte geben. Simple, angenehme Beziehungen. Fische.
Keine Rockstars.
Mann oder Hund.
Einfach keine Rockstars.
Ich warte, bis Tilo ihren Kaffee ausgetrunken hat. Ihr Leben ruft. Kinder, Schule, Haushalt, ein gut laufendes Steuerbüro, Papagei, Friseur, Pilates, Golden Retriever.
Sie küsst mich auf die Wange, wünscht mir alles Beste und ich soll sie anrufen! Vielleicht mal Gassi gehen, mit Gonzo, und … »Schau ihn dir wenigstens an.«
Ein Hauch von Chanel wabert um mich herum, als ich die Wohnungstür hinter ihr schließe. Klack-klack-klack machen Tilos Absätze auf der alten Treppe. Elegant und leicht. Für einen Moment horche ich. Horche ihr nach und höre ein Klopfen, das nicht von ihren Schritten kommt, sondern von mir. Ba-bumm. Ba-bumm. Herz. Klopft. Unbeirrbar. Einfach ein Muskel, der seinen Job macht. Kein Grund zur Aufregung.
Dann geht die Haustür.
Und dann Stille. Ruhe.
Ruhe, in der ich die Falten in meinem T-Shirt rascheln höre.
Vollkommene Ruhe. Durchschnaufen. Allein. Allein ist der beste Zustand. Das ist einfach so.
Aber dann, wenn die Schritte verhallt sind und die Wohnung leer, ist es … Dann sehe ich die Schatten. Dunkle Flecken, die mein Leben auf mir hinterlassen hat. Die sich ausbreiten wie Tentakel, nach mir greifen. Die Ruhe ist eine Krake.
»Schau ihn dir wenigstens an«, hat Tilo gesagt.
Schau ihn dir wenigstens an.
Ich falte die Annonce. Ins Altpapier damit. So macht es die Vernunft. Das ist der kluge Weg. Ich gehe den klugen Weg.
Es ist jetzt 11.30 Uhr. Noch drei Stunden, bis die elfte Etappe anfängt. Das Feld hat die Berge erreicht. Die Tour de France rettet meine Nachmittage. Ich sehe die Terminator-Beine in die Pedale treten. Treten, treten, treten. Immer gleich. Sausen sie dahin. Bis ich vom Zuschauen in Trance verfalle. Treten, treten, treten. Keine Gedanken mehr. Keine Fragen. Nichts, was ich tun muss. Bis fast halb sechs.
Schau ihn dir wenigstens an.
Längst ist es meine eigene Stimme, die das sagt. Wie ein Ohrwurm. Ich fange an in Schubladen zu kramen. Um ihn nicht mehr zu hören, den Ohrwurm. Ich habe aufgehört zu rauchen. Noch nicht sehr lange her, aber dieses Mal definitiv. Keine Sucht mehr für mich: Zigaretten nicht, Liebe nicht und Hoffnung auf ein glückliches Leben oberhalb der Chaosgrenze auch nicht.
Ich könnte Staub saugen, bis die Etappe anfängt. Mein Bettzeug raushängen. Ordnung und Klarheit schaffen.
Genau. Das mach ich.
Und wie ich meine beiden Küchenstühle wegrücke, damit ich mit meiner Düse unter den Tisch komme, denke ich: Wie groß ist er gleich noch mal … 62 Zentimeter. Das ist ungefähr so hoch wie der Stuhl, oder? Ich messe nach. Der Stuhl hat 40. Okay. 62 ist groß. Aber aussehen tut er richtig toll.
Ba-bumm. Ba-bumm. Macht mein Herz.
Kein Problem. Ein Herz ist ein Muskel. Bloß ein Muskel. Und ich sauge weiter.
Vernünftig sein ist so viel sinnvoller. Gleichgewicht halten. Auf der sicheren Seite bleiben. Ruhig werden. Zielgerichtet. Kein Erdbeben mehr sein.
Ich muss einfach weitersaugen. Ich konzentriere mich. Auf den Boden. Die Brösel …
Bevor ich sie stoppen kann, grabscht meine Hand nach dem gefalteten Papier. Er schaut direkt in die Kamera. Zum Eisbergeschmelzen. Eisberge wie mein Herz.
Ich lese:
Billy-Joe ist im Grunde seines Herzens ein toller Kerl. Nur manchmal reagiert er noch (zu) stark auf seine Umgebung. Trotz seiner Größe ist er ein sehr unsicherer Hund. Neue Menschen und Situationen bringen ihn leicht aus dem Gleichgewicht. Billy-Joe wünscht sich einen Menschen, dem er sein Vertrauen schenken kann und der ihm die sportliche Auslastung bieten kann, die er braucht. Kinder sollten nicht in seinem Haushalt leben.
Er ist hübsch. Viel zu hübsch. Viel zu viele Dinge gleichzeitig in seinem Blick. Gute, witzige Dinge. Ein Sunnyboy-Grinsen. Aber auch die anderen. Die dunklen, glühenden, alles durchdringenden Dinge. Zerbrochen und überlebt.
Ba-bumm. Ba-bumm. Macht mein Herz.
Er ist wie ich.
Da ist ein Fühlen. Eine Verbindung. Wie ein unsichtbarer Faden, von ihm zu mir …
Ich schiebe die Annonce weg. Ans südlichste Ende meines Küchentischs. Es ist bloß ein Foto. Eine Momentaufnahme. Den Rest bilde ich mir ein. Reine Projektion. Alles gut, ich fahr da nicht hin. Auf keinen Fall. Keine Fäden zu irgendwelchen Herzen. Nix mehr. Ich bin ein Hochhaus. Aus Stahlbeton und Glas. Da kommt niemand rein. Die … können mich alle.
Ich ihn auch, übrigens. Wie sich knapp zweieinhalb Stunden später rausstellen wird.
Ich parke meinen VW Passat mit Kilometerstand 387.002 in der Garageneinfahrt einer Villa in Grünwald. Ich klingle. Warte auf den Türsummer. Ein diskretes Bssss. Mehr nicht. Keine Sprechanlage, kein »Hallo, kommen Sie rein«. Nur Bssss.
Ich schiebe mich durch das schmiedeeiserne...
Erscheint lt. Verlag | 7.10.2024 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Tiere / Tierhaltung |
Schlagworte | Hundeerziehung • Hundepersönlichkeit • Hundepsychologie • Hundeschule • Hundetraining • Hundeverhalten • Hund-Mensch-Beziehung • Leinenführigkeit • Lesebuch • Mensch-Hund-Beziehung • Schwieriger Hund • Seelenpartner • Tierliebe • Tierpsychologie • traumatisierter Hund • Vertrauen aufbauen • Welpenerziehung • Welpenschule • Wesen des Hundes |
ISBN-10 | 3-8338-9758-9 / 3833897589 |
ISBN-13 | 978-3-8338-9758-0 / 9783833897580 |
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