Der Rucksack war doch viel zu schwer -  Katinka Stern

Der Rucksack war doch viel zu schwer (eBook)

Biografie
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2024 | 1. Auflage
170 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-4728-0 (ISBN)
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Licht und Schatten einer Kindheit in Zeiten des deutschen Wirtschaftswunders der 60er Jahre. Es beschreibt und durchleuchtet die Auswirkungungen von Erfahrungen, die Kriegsgenerationen erleiden mussten und deren nachhaltigen Prägungen. Welche Funktionen haben die sogenannten "Babyboomer"in den Familien übernommen? Wie haben sie den großen Paradigmenwechsel gemeistert? Was können zukünftige Generationen von ihnen lernen? Wie können wir uns auf den großen Transformationsprozess der Welt vorbereiten?

Es ist die autobiografische Lebensgeschichte einer hochsensiblen Frau, die sich nach langer Zeit selbst aus den dramatischen Verstrickungen ihres dysfunktionalen Familiensysems befreit hat. Es ist in Mut machendes Beispiel für den unbedingten Glauben an sich selbst und der Eigenermächtigung, mit Unterstützung einer verlässlichen, inneren, spirituellen Kraftquelle.

4. DIE FLUCHT IN ANDERE WELTEN


Nun aber wieder zur Familie.

Es entwickelte sich in der damaligen Gesellschaft ein zunehmend gesundendes Vertrauen in die Zukunft und ihren Möglichkeiten. Man kam so langsam zu einer gewissen Leichtigkeit und es wurde in dieser Zeit auch des Öfteren in privaten Räumen gefeiert. Unsere Eltern pflegten einen stabilen Bekanntenkreis aus dem näheren Umfeld.

Mit Erdbeerbowle, „Asbach uralt“ und Bier wurde auf das deutsche Wirtschaftswunder angestoßen. Bunt garnierte Eierplatten und Mettigel mit Zwiebelringen fehlten auf keiner Feier. Ob es Karneval oder Silvester war, die Kinder waren mittendrin und die Party begann. Man traf sich in der größten Wohnung, um die Sorgen des Alltags zu vergessen.

Nachdem wir Kinder unsere Verpflegung erhielten, zogen wir uns zum Spiel in die Kinderzimmer zurück. Somit waren die Erwachsenen unter sich und konnten ungestört und frivol feiern. Mit Alkohol ließ die Anspannung nach und auch so manche Hemmschwelle.

In dieser Zeit hatte ich, in einem unbeobachteten Moment, einen körperlichen Übergriff in sexueller Form, sprich: “Bad Touch“ erfahren. Die erste Verletzung meiner kindlichen Würde in dieser Form, erlebte ich mit ca. 5 Jahren.

Wir Mädchen wurden zum Gehorsam erzogen, sollten freundlich sein und keine Widerworte haben. Brav und angepasst gingen wir adrett durch das Leben und sollten uns unauffällig verhalten. Die Erwachsenen hatten immer recht und wir mussten uns dem beugen.

Ausgestattet mit solchen Verhaltensregeln können Kinder schnell in fatale Situationen kommen und sie wissen nicht, wie ihnen geschieht.

Wie soll sich ein Kind vor Übergriffen schützen, wenn es kein gesundes Selbstwertgefühl besitzt. Wenn niemand da ist, der die eigene Daseinsberechtigung auf eine stärkende Weise unterstützt und es sich der eigenen Wehrhaftigkeit nicht bewusst ist.

Wenn der Stärkere übergriffig wird, ob es vielleicht der eigene Onkel ist, der Nachbar oder andere vertraute Personen. Es wurde immer nur gesagt, dass wir uns nicht von einem Fremden ansprechen lassen sollten, ohne weitere Aufklärung. Wie kann ein Kind unterscheiden, was zulässig ist, wenn es doch immer lieb sein soll. Kinder spüren, wenn sich etwas nicht richtig anfühlt. Sie wissen aber aus eigener Erfahrung auch, dass Kindern nicht geglaubt wird – sie haben ja so viel Fantasie! Der Ausweg ist, in die Verdrängung zu gehen und diese merkwürdigen Gefühle mit Fantasie wegzuträumen. Es beruhigt erst einmal.

Ich habe mich oft in meine eigene Welt zurückgezogen. Mein Universum war die Natur, die Märchenwelt und die vielen Farben. Dort fühlte ich mich geborgen und geliebt. Mein Lieblingsmärchen war die „Die Schneekönigin“ (Mutter), mein Bruder war Kai ……und ich die Gerda.

Aber auch „Aschenputtel“ war mir sehr vertraut, weil ich stets die Aufgabe hatte, die Bäder und Toiletten zu putzen. Der unbedingte Glaube an die Liebe und das Gute im Leben gaben mir Kraft. Ich musste mich nur anstrengen. Mit selbstgemalten Bildern und Basteleien bemühte ich mich oft, Mutter ein Lächeln abzuringen. Leider nur mit mäßigem Erfolg, es gab Wichtigeres zu tun.

Ich habe noch ein inneres Bild vor Augen, wie sie in der Küche am Herd steht und ich nur ihre Beine sehe. Ich befinde mich in einer großen, schillernden Seifenblase, möchte etwas ganz aufgeregt mitteilen und kann sie nicht erreichen. Mein Sprechvermögen war etwas eingeschränkt, da das Zungenbändchen festgewachsen war, es wurde später behoben.

Im Rahmen des Möglichen gaben unsere Eltern ihr Bestes, das weiß ich nun. Viele Fehlentwicklungen entstammen aus der Unbewusstheit – sie wussten es nicht besser und hatten nicht die Zeit und die Möglichkeiten der Informationen, wie es heute der Fall ist.

Es ist auch immer im Kontext der jeweiligen gesellschaftlichen Umstände zu betrachten.

Natürlich gab es auch viele schöne Situationen im Familienkreis, die ich abgespeichert habe.

Ich erinnere mich an die Ausflüge in den Harz oder die Besuche eines Badesees.

Wir besuchten auch des Öfteren Verwandte auf den Dörfern, ich hatte ja viele Tanten und Onkels. Manchmal durfte ich einige Tage dort verweilen und fand es, trotz der Einfachheit, sehr idyllisch. Ich hatte sogar 4 Taufpaten, die ich später, nach Vaters Tod, zur Unterstützung gebraucht hätte.

Aber zur damaligen Zeit waren alle mit ihren eigenen Problemen beschäftigt.

Wenn ich bei Oma Lucie war, legte sie mir immer einen aufgeheizten Backstein zum Warmhalten in das Riesenbett mit der extrem schweren Bettdecke. Ich versank förmlich unter den Federn und bekam kaum noch Luft. Es gab bei ihr sogar noch ein Plumpsklo mit alten Zeitungen als Toilettenpapier. Im ganzen Haus roch es stets nach Dill, Blechkuchen, Bohnenkraut und verbrannten Ofenholz. Ich trug oft das große Backblech zum Bäcker um die Ecke, denn wir durften Samstagmittag noch die Restwärme der Backöfen nutzen.

Auch die Feiertage, wie Ostern oder Weihnachten habe ich in guter Erinnerung- selbst wenn alte Fotos eine andere Sprache sprechen. Es lag dann doch immer ein gewisser Zauber über unserem zweifelhaften Familienidyll. An Ostern durfte ich zum ersten Mal meine neuen, geliebten Kniestrümpfe anziehen. Diese lagen in meinem Körbchen zwischen den Ostereiern. Einige Wochen vor Weihnachten verschwanden meine Puppen und mein Teddy auf unerklärliche Weise, um pünktlich zu Heiligabend neu benäht und bestrickt unter dem Tannenbaum zu liegen.

Meine Schwester und ich trugen manchmal die gleichen Kleider und Röcke, die Mutter aus einem alten Damenkleid neu hervorzauberte. Das war ihre Art, uns ihre Liebe zu zeigen. Es gibt viele Arten der Liebe, man muss sie nur zu deuten wissen. Vater klebte immer die Glasscheibe von der Wohnzimmertür ab, damit er ungestört den Weihnachtsbaum schmücken konnte. Es sollte ja eine Überraschung werden! Ich genoss es sehr, wenn er dann für die gesamte Familie die Walnüsse knackte und die Apfelsinen schälte. Natürlich „quälte“ ich meine gesamte Familie am Heiligen Abend - wie so viele Kinder – mit meinen ersten Versuchen auf der neuen Blockflöte.

Dass wir in diesem Verbund nur sieben Weihnachtsfeste feiern würden, konnte damals noch niemand ahnen.

An dieser Stelle kann auch schon mal eine kleine Unfallstatistik erhoben werden.

Mit 1.,6 Jahren eine Platzwunde an der linken Augenbraue durch Zusammenstoß mit dem eisernen Nähmaschinengestell.

Ein heftiger Fahrradunfall mit Vater (ich saß im vorderem Kindersitz), bei dem ich bei erhöhter Geschwindigkeit, mit den Füssen in die Speichen kam. Unser einziger gemeinsamer Rundflug.

Darauf folgte im Alter von ca. 6 Jahren ein Rollerunfall von der kleinen Mauer im Hinterhof, bei dem ich mir die verrostete Lenkstange in das Kinn stieß und viel Blut verlor. Auch diese Wunde musste genäht werden.

Mit 7 Jahren wurde ich eingeschult. Es gab mal ein Foto, da stehe ich mit Mutter vor der Schule. Ausgestattet mit einem roten Lederranzen und meiner großen Zuckertüte, die im unteren Drittel mit Papier ausgestopft war. Ich trug einen selbstgenähten Faltenrock, dazu selbstgehäkelte, weiße Kniestrümpfe und einen selbstgehäkelten Sommerpulli mit Wellenmuster. Die schwarzen Lackschuhe nicht zu vergessen, die zu diesem Zeitpunkt noch keine Kratzer hatten! Sie hatte zwar distanziert, aber dennoch ihre Hand auf meine Schulter gelegt und lächelte in die Kamera. Bildung war ihr sehr wichtig. Sie wäre gern Kinderkrankenschwester geworden.

Eine Einschulungsfeier gab es nicht – es war halt ein förmlicher Akt.

Auch Kindergeburtstage wurden nicht so gefeiert, wie es heute üblich ist.

Die Familie saß beisammen und aß Kuchen, dazu gab es ein/zwei kleine Geschenke. So war es bei uns.

Aber ich wurde hin und wieder bei anderen zum Geburtstag eingeladen und dort spielten wir dann Topf schlagen und ähnliches. Es war ein richtiges Kinderfest.

Unsere Grundschullehrerin war der Traum eines jeden Kindes, warmherzig und liebevoll – wir fühlten uns sehr wohl und gut beschützt.

Sie hatte viel Geduld, achtete auf jedes Kind und gab Hilfestellung. Ich durfte auch weiterhin mit der linken Hand schreiben, was vielen abtrainiert werden sollte. „Es wird mit der schönen Hand geschrieben!“ Ich trage sie immer noch in meinem Herzen und erinnere ihren Namen.

Ich lernte meine neue Schulfreundin Birgit kennen und wir verbrachten unsere Freizeit miteinander. Sie wohnte in meiner Nähe. Täglich trugen wir nach Schulschluss ihrem Vater das Mittagessen in einem Blechbehälter zum E-Werk. Danach spielten wir bei ihr Zuhause Rollenspiele oder erkundeten die Umgebung. Manchmal fragten wir beim Bäcker nach Kuchenresten, Randstücke vom Blech. Wir gingen zum Fischladen und holten uns für 20 Pfennige eine Portion Sauerkraut oder eine...

Erscheint lt. Verlag 26.7.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
ISBN-10 3-7597-4728-0 / 3759747280
ISBN-13 978-3-7597-4728-0 / 9783759747280
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