Verlassene Mütter, verlassene Töchter -  Sonja Schmidt

Verlassene Mütter, verlassene Töchter (eBook)

Handbuch für eine Versöhnung
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
234 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-4107-3 (ISBN)
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Wie vielen Müttern mag es wohl schon so ergangen sein, dass sie ganz plötzlich, vermeintlich ohne Vorwarnung verlassen worden sind? Meist waren sie auf diese böse Überraschung nicht vor-bereitet. Aber kann es wirklich sein, dass eine Mutter-Tochter-Beziehung von einem auf den anderen Tag und zudem noch völlig grundlos abgebrochen wird? Meine Antwort darauf lautet: Nein! In diesem Buch finden Mütter und Töchter mögliche Erklärungen für die Konflikte, die sie miteinander austragen. Sie erfahren, dass sie mit ihrem Problem nicht alleine dastehen, und erhalten Anstöße und Ideen, die ihnen helfen, wieder zueinanderzufinden oder, wenn dieses nicht möglich sein sollte, sich mit der neuen Situation auszusöhnen.

Sonja Schmidt Jahrgang 1966 Diplompsychologin und Erziehungs- und Sozialwissenschaftlerin (Magistra Artium) mit über 20 Jahren Erfahrung in der Frauenberatung arbeitet in freier Praxis in der Nähe von Hannover

II Was in Familien passiert


Es ist deutlich geworden, dass das Thema der Beziehungskonflikte zwischen Müttern und Töchtern in jeder Generation wieder aktuell und oft hochbrisant ist. Die folgenden Mutter-Tochter-Geschichten sind allesamt problembeladen und enden mit einem Kontaktabbruch von der einen oder anderen Seite. Die Frauen, die hier zu Wort kommen, haben mir großes Vertrauen entgegengebracht, welches ich durch einen möglichst achtsamen Umgang mit den Erzählungen nicht enttäuschen möchte. Ich bin ihnen sehr dankbar, dass sie mir erlaubten, ihre Geschichten hier abzudrucken. Zum Schutz der Frauen wurden die Namen der Personen sowie andere Fakten, die Hinweise auf ihre Identität geben könnten, geändert.

Hinweis: Ein Grund, weshalb die folgenden Geschichten hier veröffentlicht werden, liegt darin, dass Sie als Betroffene erfahren sollen, dass Sie mit Ihrer Problematik nicht alleine dastehen. Es gibt andere Frauen, denen es ähnlich ergeht. Das zu erkennen, führt meist schon zu einer spürbaren Entlastung. Möglicherweise ist es aber zu anstrengend, alle sechs Berichte hintereinanderweg zu lesen. Wenn auch Sie in Ihrer Vergangenheit schlimme Erfahrungen machen mussten, kann die Lektüre Sie psychisch belasten. Dann nehmen Sie nur einige Seiten zurzeit in Angriff oder überschlagen Sie diesen zweiten Buchteil erst einmal und lesen in Teil III weiter. Auch wenn dort immer wieder auf die Fallbeispiele Bezug genommen wird, so sind diese für das Verständnis des dort Gesagten nicht unbedingt notwendig.

Aus Sicht der Töchter


Heidi: Mutter hat uns so verkloppt


Heidi war eine Frau Mitte 50, die ich zum ersten Mal in der Klinik kennenlernen durfte. Sie litt unter Depressionen, einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung und hatte zudem ausgeprägte Panik entwickelt. Heidi war freundlich, wirkte aber vorsichtig und immer auf der Hut. Wachsam und skeptisch schien sie mich bei unserem ersten Treffen unter Augenschein zu nehmen, was ganz typisch für Menschen ist, die bereits viele schlechte Erfahrungen in ihrem Leben machen mussten. Nonverbal gab sie mir zu verstehen, dass sie sich vehement zur Wehr setzen würde, wenn ich irgendetwas Falsches tun oder sagen sollte, und das war auch kein Wunder. Heidi erzählte mir von einer Kindheit, die kaum schlimmer hätte sein können, von Gewalt und Missbrauch und von einer Ehe, die ebenso von tätlichen und sexuellen Übergriffen geprägt war.

Heidi konnte fast nie mehr als zwei oder drei Stunden in der Nacht schlafen und wenn sie schlief, hatte sie Albträume, die sie alsbald schweißgebadet wieder aufschrecken ließen. Oft war es ihr dann nicht möglich, sich zu bewegen und so lag sie im Dunkeln der Nacht und hatte Mühe, den Traum von der Wirklichkeit zu trennen. Sie träumte sehr realistisch von Dingen, die sich in ihrem Leben wahrhaftig zugetragen hatten.

Am Tage hatte sie Wiedererinnerungsbilder, sogenannte Flashbacks, in denen sie Szenen aus der Vergangenheit erlebte als passierten sie gerade jetzt. Schon lange traute sich Heidi kaum noch, das Haus oder das eigene Grundstück zu verlassen. Immer wieder wurde sie von Panikattacken heimgesucht. Bei solchen Attacken raste ihr Herz und schlug ihr bis zum Halse, der Körper zitterte, die Luft blieb ihr weg und es war ihr so als müsse sie sterben. Jeder Tag war für sie mittlerweile zu einer großen Herausforderung geworden, ebenso die Nacht. Heidi ging nicht mehr unter Menschen, war tief verzweifelt und ständig voller Angst. Oft meinte sie, der einzige Ausweg aus den Qualen sei, sich das Leben zu nehmen. Ihren Körper empfand sie als Feind, der ihr das Leben zur Hölle machte.

„Was machen mein Körper und mein Kopf nur mit mir? Und warum kommt das jetzt, wo alles doch schon so lange her ist?“, fragte sie mich, als sie wegen einer chronischen Schmerzstörung in die Klinik kam. Sie war lange schon arbeitsunfähig und sollte die Rente einreichen, was ihr sehr zu schaffen machte, zumal sie immer gearbeitet hatte. Jetzt kam sie sich überflüssig und wertlos vor. Dieses Gefühl verstärkte sich, als sie die Diagnose Fibromyalgie zugeschrieben bekam, eine Diagnose, „mit der auch niemand etwas anfangen kann“, wie Heidi traurig feststellten musste. Lange hoffte sie noch auf eine Wiedereingliederung in die Arbeit, denn schließlich sollte niemand merken, dass Heidi psychisch derart angeschlagen war. Heidi fürchtete Unverständnis und Ablehnung.

Heidi wuchs als zweitletztes Kind von fünf Geschwistern bei ihren Eltern in der ehemaligen DDR auf. Ihr Vater verlor unter Alkoholeinfluss regelmäßig die Kontrolle und schlug seine Frau und seine Kinder mit den unterschiedlichsten Gegenständen. Wenn er aus der Kneipe nach Hause kam, versteckten sich alle vor Angst oder verschwanden in ihren Betten. Heidi kann sich heute noch gut daran erinnern, wie der Vater die Mutter an den Haaren festgehalten hatte und im Begriff war, sie mit einer schweren Glasflasche zu erschlagen. Heidi bettelte und flehte, er möge doch “die Mutti” nicht hauen und tatsächlich hatte der Vater die kleine Heidi angeschaut und die Flasche sinken lassen.

Heidi war das einzige Kind, das nicht geschlagen wurde. Warum das so war, kann sich Heidi bis heute nicht erklären. Der Vater trug sie teilweise auf dem Arm, während er nach den anderen Familienmitgliedern schlug und trat.

Die Mutter schlief nachts oft bei Heidi mit im Kinderbett, weil sie dort vor ihrem gewalttätigen Ehemann sicher war. Seinem “Hummelchen” krümmte er kein Haar, Heidi war sein Ein und Alles und sie liebte ihn im Gegenzug abgöttisch. Auch wenn sein kontrollierender, einschränkender und überaus gewaltätiger Erziehungsstil sich nur auf die anderen Kinder richtete, lebte Heidi in ständiger Angst.

Dass Heidi Papas Liebling war, wussten alle in der Familie. Wegen dieser Sonderstellung wurde sie von ihren Geschwistern entweder für deren Zwecke benutzt oder aber aufgezogen und geärgert. Noch heute würden die Geschwister glauben, dass Heidi in der Kindheit nicht habe leiden müssen und verstünden nicht, warum es nun gerade ihr so schlecht gehe. Es sei doch ein Unding, wo doch der Vater sie immer verschont habe! Heidi fühlt sich innerhalb der Familie allein, missverstanden und nicht ernstgenommen. Deshalb hat Heidi gegenwärtig nur sehr wenig Kontakt zu ihren Geschwistern, nachdem sie viele Jahre versuchte, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Auch Heidis Mutter wollte mit ihr nicht über die Vergangenheit reden. Schließlich sei das alles vorbei. So wurde nie das möglicherweise entlastende Gespräch geführt, welches Heidi sich so sehr gewünscht hatte. Als sich während eines Klinikaufenthaltes einmal die Möglichkeit bot, zusammen mit einer Psychotherapeutin ein Gespräch zu führen, lehnte die Mutter rigoros ab.

Bis vor kurzem hoffte Heidi, die Mutter würde ihr doch sagen, dass sie verstehe, was sie in ihrer Kindheit durchgemacht habe und dass sie auch den Zusammenhang zu den heutigen Erkrankungen nachvollziehen könne. Aber sie musste erkennen, dass das nicht mehr passieren wird. Ihr Wunsch bleibt unerfüllt. Sie wird ihr Schicksal und die Erinnerungen aus ihre Kindheit weiterhin alleine tragen und ertragen müssen und versuchen, die Geschehnisse mit professioneller Hilfe aufzuarbeiten.

Als ich Heidi kennenlernte, hatte sie sich bereits intensiv mit der Rolle ihres zwischenzeitlich verstorbenen Vaters auseinandergesetzt. Sie hatte verstanden, dass auch sie in dieser Familie Opfer war und dass die zwei Gesichter des Vaters Heidi als Kind tiefgreifend verunsichert und traumatisiert hatten. Ihr war klar geworden, dass sie aus diesem krankmachenden Geflecht einer gewalttätigen und missbräuchlichen Familienstruktur nur schwerlich hatte heil herauskommen können. Viele Jahre hatte sie gesehen, wie die Geschwister und die Mutter unter dem Vater litten und hatte sich, so gut wie es in ihrer kindlichen Macht stand, schützend vor sie gestellt. Dass sie Einfluss auf den Vater hatte, begriff Heidi schon damals. Sie wollte und konnte Eskalationen abwenden und hatte ein Gespür dafür entwickelt, wann Situationen brenzlich zu werden drohten.

Dass ihre Mutter auch eine Täterin war, die ihre Kinder manipuliert, genötigt, erpresst und „schlimm verdroschen” hatte, war von Heidi so gut verdrängt worden, dass diese Tatsache erst im Laufe der Therapie langsam wieder zum Vorschein kam. Es dauerte eine Weile, bis das Verhalten der Mutter von Heidi als das angesehen werden konnte, was es eindeutig war: Gewalt.

Nach der Scheidung der Eltern sorgte Heidi für ihre Mutter. Sie unterstützte sie selbst dann weiter, als sie längst erwachsen war und eine eigene Familie hatte. Heidi wohnte am längsten bei ihrer Mutter, die anderen Geschwister waren alle schon früh ausgezogen. Als sie in der Lehre war, gab sie 150 Mark sogenanntes Kostgeld ab, was in vielen Familien üblich war. Sie half der Mutter bei der Hausarbeit, tat aber auch solche Dinge, wie der Mutter die Haare waschen, fönen und sie „schön” machen. Auch ließ sich die Mutter gerne von ihr massieren. Musste Heidi, als sie 15 oder 16 Jahre alt war, am Samstag die Wohnung putzen, um...

Erscheint lt. Verlag 5.8.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
ISBN-10 3-7597-4107-X / 375974107X
ISBN-13 978-3-7597-4107-3 / 9783759741073
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