Begegnung mit der Ewigkeit und die Werkzeugkiste meines Vaters (eBook)
302 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-5684-8 (ISBN)
Ein ungewöhnlich heißer Sommertag
Fast jeden Tag berichtete das Radio über neue Hitzerekorde. Ich konnte mich nicht erinnern, schon einmal einen so heißen Sommer erlebt zu haben. War das jetzt der Klimawandel oder nur Zufall? Ich weiß es nicht. Ich konnte Hitze schon immer schlecht vertragen. An heißen Tagen litt ich wie ein Tier.
Der Nachtdienst in der Zentralen Notaufnahme verlief wie immer brutal. Um fünf Uhr morgens konnte ich eine Stunde schlafen, dann kam auch schon der nächste Notfall. Die Arbeit in der Notaufnahme ist für mich die schönste Tätigkeit, die ich in meinem medizinischen Leben verrichtet habe. Es war genau das, was zu mir passte. Doch jetzt stand ich wenige Jahre vor der Rente und musste feststellen, dass mich die Nachtdienste anscheinend mehr erschöpften, als ich mir eingestehen wollte. Seit einigen Monaten machte mir zusätzlich hoher Blutdruck zu schaffen.
Es war mein letzter Nachtdienst. Ich hatte beschlossen kürzerzutreten und deshalb eine Oberarztstelle in einer Reha-Klinik angenommen. So wollte ich meine letzten Jahre in Ruhe verbringen. Die Kündigung war bereits eingereicht, der neue Arbeitsvertrag unterschrieben und für den kommenden Montag hatte ich alle Kollegen und mir liebe Leute zum Ausstand eingeladen. Nach der Übergabe um acht Uhr verließ ich die Klinik und legte mich zuhause für ein paar Stunden hin.
Doch nach einem Nachtdienst konnte ich nie länger als drei Stunden schlafen und gegen Mittag war ich schon wieder wach. Obwohl die Sonne mit ihren Strahlen unsere Kleinstadt unbarmherzig beschoss, entschied ich mich, einen kleinen Rundgang um die Altstadt zu unternehmen. Schon seit Wochen machte ich das fast regelmäßig. Seit zwei Jahren nahm ich kontinuierlich an Gewicht zu und Spaziergänge in flottem Tempo sollten Abhilfe schaffen. An diesem Tag musste ich mich wegen der fürchterlichen Hitze aber erst reichlich überreden, bevor ich aufbrach. Sportlich war ich schon seit der Kindheit, deshalb war ich auch immer gesund geblieben und stolz darauf.
Schon nach zehn Minuten war ich fix und fertig. Der Schweiß lief in Strömen, die Hitze war unerträglich, das Herz schlug mir bis zum Hals und schnürte mir den Atem ab. Das wollte ich mir jetzt nun wirklich nicht antun. Nicht in dieser Hitze. Ich schlug deshalb den kürzesten Weg ein, um wieder nach Hause zu kommen.
Den nächsten Tag, als das Wetter schön war, saßen wir mit Kollegen zum Mittagessen hinter dem Krankenhaus im Garten. Noch ein letztes Mal genoss ich das schöne Plaudern. Der nette Oberarzt aus der Kardiologie kam ebenfalls an unseren Tisch und wir redeten über Gott und die Welt. Ich erzählte ihm, wie ich am Tag zuvor mit der Hitze gekämpft hatte, bis ich fast keine Luft mehr bekam.
»Das würde ich aber nicht auf die leichte Schulter nehmen«, meinte der Kollege. Er riet mir, ein EKG zu machen, sofort, eine Ultraschalluntersuchung des Herzens und eine Laboruntersuchung.
Das machte ich gleich, auch weil ich ihn nicht enttäuschen wollte, aber ich wusste ja, dass ich ein gesunder Mensch bin und so einiges wegstecken kann. Wir Ärzte sind halt alle durch unseren Beruf ein bisschen deformiert. Der Chirurg sieht bei jedem sofort ein Magengeschwür, der Psychiater entdeckt überall eine Neurose oder noch Schlimmeres und der Kardiologe erkennt natürlich bei den geringsten Beschwerden einen Herzinfarkt. Das EKG war vollkommen in Ordnung, ich hatte nichts anderes erwartet. Auch das Blut schickte ich brav ins Labor.
Nach einer Stunde rief mich der Kollege aufgeregt an. Meine Laborwerte seien erhöht, es könnte sich um einen Herzinfarkt handeln. Und tatsächlich, die Herzenzyme waren auffällig. Es wurde sofort eine Vertretung für mich in der Zentralen Notaufnahme organisiert und ich sollte auf die Intensivstation. Der Kollege meinte, wir müssten am nächsten Tag unbedingt eine Herzkatheteruntersuchung machen. So richtig gefiel mir das nicht, letztendlich fühlte ich mich ja gut und empfand keine Beschwerden.
Danach setzte ich mich auf mein Fahrrad und fuhr nach Hause, um ein paar Sachen zu packen, Zahnbürste und Kleinigkeiten für eine Übernachtung. Es würde sich sicher alles klären und ich könnte bald wieder zur Tagesordnung übergehen. Gegen sechzehn Uhr meldete ich mich in der Intensivstation und wurde aufgenommen. Der Ablauf war mir vertraut, ich hatte ja selbst schon zahlreiche Patienten aufgenommen. Ein eigenartiges Gefühl.
Auf der Intensivstation hatte gerade eine Ärztin Dienst, mit der ich schon immer gerne zusammengearbeitet hatte. Sie kümmerte sich sehr liebevoll um mich. Dann kamen auch die anderen Kollegen und wollten mich aufmuntern, sie meinten, mir müsse es ja richtig schlecht gehen. Im Geiste sagte ich mir: Dann mach ich halt morgen das Spiel mit dem Herzkatheter mit, die finden sowieso nichts, danach bin ich wieder ein freier Mann.
Ich war sehr beeindruckt davon, dass mich bis in die Abendstunden eine Schwester nach der anderen und auch die Pfleger, mit denen ich in der Notaufnahme arbeitete, besuchten. Mir kamen fast die Tränen. Mir wurde plötzlich klar, was für ein tolles Team wir waren. Eigentlich schade, dass ich mich nächste Woche verabschieden würde. Wehmut breitete sich in meinem Herzen aus.
Und dann war auch schon der nächste Tag da. Bevor ich bis drei zählen konnte, lag ich im Herzkatheterlabor und der nette Oberarzt – der Chefarzt war im Urlaub – beugte sich über mich und fragte, ob ich etwas zur Beruhigung möchte. Was soll denn jetzt diese Frage, dachte ich mir. Der soll mal in die Gänge kommen. Ich möchte bald wieder zuhause sein, schließlich fange ich in wenigen Tagen in der neuen Klinik an und muss noch einiges erledigen.
Tapfer wartete ich auf den Eingriff. Und dann ging es auch schon los. Alles lief ganz schnell. Schon war der Katheter geschoben und es wurden die ersten Röntgenbilder gemacht.
Der Oberarzt schaute lange schweigend auf den Bildschirm, wo meine Herzgefäße dargestellt waren.
»Und?«, fragte ich ungeduldig.
»Wir müssen uns gleich darüber unterhalten«, meinte er und wieder gab es eine lange Pause, während der er auf den Bildschirm schaute.
Mir wurde auf einmal ganz anders. Ein übles Gefühl durchdrang meinen Körper und mir wurde schwarz vor den Augen, als ich die Worte des Oberarztes hörte: »Sofort einen Schrittmacher vorbereiten! AV-Block dritten Grades!« Und schon schoben sie mir durch den Herzkatheterzugang einen vorübergehenden Schrittmacher ins Herz. Ich erlebte das wie im Traum.
Nach einigen Sekunden war ich wieder klar im Kopf. Der Oberarzt erklärte mir, dass ich kritische Verengungen an den Koronararterien und zu allem Überfluss auch noch an weiteren ungünstigen Stellen habe. In diese Verengungen einen Stent zu setzen sei äußerst riskant. Ich würde den Eingriff eventuell nicht überleben. Dann bliebe noch die Möglichkeit einer Bypass-Operation. Er war sich aber nicht sicher, ob meine Gefäße nicht zu schmal wären und ob man in meinem Fall überhaupt eine Operation durchführen könne. Er müsse das erst mit den Herzchirurgen in Dortmund oder Bochum besprechen.
Ich fühlte mich wie vom Blitz getroffen. Ich und herzkrank? Ich hatte doch die ganze Zeit in der Überzeugung gelebt, dass ich so was von gesund sei, und jetzt das hier. Das musste ich erst mal verdauen. Ich fragte mich: Muss ich jetzt sterben? War das jetzt schon alles? Plötzlich sah die Welt für mich ganz anders aus. Auf einmal war ich mit allem einverstanden. Auch damit, dass ich eventuell sterben müsste. Mir wurde bewusst, dass ich ein sehr schönes Leben geführt hatte, viele glückliche Zeiten erleben durfte. Die ganzen Probleme, mit denen ich mich in den letzten Tagen befasst hatte, waren auf einmal völlig unwichtig. Erstaunlicherweise fühlte ich eine große Befreiung und Erleichterung. Egal wie, es würde schon alles so richtig sein. Ich war für alles Schöne dankbar. Was auch passieren würde, ich war damit einverstanden. Ich empfand weder Angst noch Traurigkeit.
Danach brachten sie mich zurück auf die Intensivstation. Nach etwa einer Stunde kam der Oberarzt und teilte mir mit, dass die Operation in Bochum durchgeführt werde. Es sei bereits ein Hubschrauber angefordert worden.
Der Rettungsarzt begrüßte mich freundlich und innerhalb von wenigen Minuten war ich auf dem Weg zum Hubschrauberlandeplatz hinter dem Krankenhaus. Einige Schwestern und Pfleger bildeten ein Spalier und ich war so beeindruckt, dass ich die Tränen kaum zurückhalten konnte. Auch der ärztliche Direktor kam und wünschte mir viel Glück.
In Bochum angekommen, ging es gleich zügig in den OP. Bis jetzt war ich ziemlich tapfer gewesen, aber auf einmal bekam ich Angst. Richtig große Angst. Nicht vor dem Tod, aber vor eventuellen Komplikationen bei der OP. Am meisten fürchtete ich mich vor einem Schlaganfall. Der Gedanke, gelähmt und den Rest meines Lebens auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, war für mich unerträglich. Dann lieber sterben. Der Anästhesist kam und machte noch irgendwelche Vorbereitungen. Ich...
Erscheint lt. Verlag | 30.7.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Lebenshilfe / Lebensführung |
ISBN-10 | 3-7597-5684-0 / 3759756840 |
ISBN-13 | 978-3-7597-5684-8 / 9783759756848 |
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