Damit sich der Nebel lichtet (eBook)
336 Seiten
SCM Hänssler im SCM-Verlag
978-3-7751-7650-7 (ISBN)
Saraj Stutz (Jg. 1983) ist eine erfahrene christlich-psychologische Beraterin mit ACC-Akkreditierung Level II im Raum Thun, Schweiz. Nach einigen beruflichen Praxisjahren als ausgebildete Schauspielerin fand sie schliesslich ihre eigene Berufung und ließ sich an der IGNIS-Akademie in Deutschland zur christlich-psychologischen Beraterin ausbilden. Um ihre Klienten auf dem Weg zur Heilung zielgerichteter begleiten zu können, hat sie sich am Schweizerischen Institut für Trauma Therapie in der Behandlung von posttraumatischen und dissoziativen Störungen weitergebildet. In ihrer Praxis legt Saraj einen besonderen Schwerpunkt auf eine körperzentrierte, gestalterische Therapieform. Seit 2021 ist sie nebenberuflich als Laienrichterin am Regionalgericht Bern Oberland tätig. Saraj ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann und dem gemeinsamen Sohn im Raum Thun. www.sarajstutz.ch
Saraj Stutz (Jg. 1983) ist eine erfahrene christlich-psychologische Beraterin mit ACC-Akkreditierung Level II im Raum Thun, Schweiz. Nach einigen beruflichen Praxisjahren als ausgebildete Schauspielerin fand sie schliesslich ihre eigene Berufung und ließ sich an der IGNIS-Akademie in Deutschland zur christlich-psychologischen Beraterin ausbilden. Um ihre Klienten auf dem Weg zur Heilung zielgerichteter begleiten zu können, hat sie sich am Schweizerischen Institut für Trauma Therapie in der Behandlung von posttraumatischen und dissoziativen Störungen weitergebildet. In ihrer Praxis legt Saraj einen besonderen Schwerpunkt auf eine körperzentrierte, gestalterische Therapieform. Seit 2021 ist sie nebenberuflich als Laienrichterin am Regionalgericht Bern Oberland tätig. Saraj ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann und dem gemeinsamen Sohn im Raum Thun. www.sarajstutz.ch
Kapitel 1
Die fünf Stimmungen
Hannah stürmte in mein Gesprächszimmer. »Ich muss noch kurz zur Toilette!«, rief sie und wirkte ziemlich gestresst, obwohl sie pünktlich war. »Lass dir Zeit«, rief ich, aber sie hörte mich wahrscheinlich schon nicht mehr. Danach saß sie aufgebracht auf einem der beiden Armsessel. Ich begleitete sie seit etwa drei Monaten, es war ihr leichtgefallen, sich auf die Beratung einzulassen. »Du bist heute zackig drauf«, eröffnete ich das Gespräch. Hannah verdrehte die Augen: »Ich kann es nie richtig machen! Egal, was ich sage, egal, was ich mache. Egal! Alles, aber auch wirklich alles, fliegt mir früher oder später als Vorwurf oder als Versagen um die Ohren!« Hannah berichtete von einem Telefongespräch, das sie mittags mit ihrer älteren Schwester geführt hatte, und schloss resigniert: »Ich zerbreche mir zum millionsten Mal den Kopf über meine Familie. Egal, ob ich mit meinem Vater, meiner Mutter oder meiner Schwester rede … so oft kommt es völlig quer heraus. Wir haben es immer wieder sehr lustig zusammen und lassen uns über andere aus, ohne jegliche Skrupel. Dann beteuert jeder den anderen, wie großartig wir sind und wie verkorkst die anderen … Wir sind so … hemmungslos, so krass … so brutal.« Dass sie brutal sind, würde wohl keines der anderen Familienmitglieder zugeben, das benannte Hannah an diesem Tag zum ersten Mal so. »Aber für uns ist das normal! Für uns sind alle anderen humorlos und verklemmt!«
Trotz dieses scheinbar starken Zusammenhalts in der Familie hatte Hannahs Schwester sie am Mittag niedergemacht. Sie war der Meinung, Hannah sei ein egoistischer Unmensch, und behauptete, es sei verwunderlich, dass sich überhaupt noch jemand mit ihr abgeben würde. Das hatte Hannah tief getroffen. »Aber, gäu, du weisch, dass i di liäbe. – Du weißt schon, dass ich dich liebe.« – Das war der Schlusssatz der Schwester, als sie sich am Telefon verabschiedete. »Ich bin sooo …!« Hannah rang um Worte.
Wie sehr man sie liebe, das wurde ihr immer wieder versichert – seit Jahren, seit sie sich erinnern kann. Sie wurde vom Vater geschlagen mit der Begründung: »Weil ich dich so liebe und nicht will, dass dein böses Herz dich vom Weg abbringt.« Die Kinder wurden von der Mutter beschimpft und verantwortlich gemacht, wenn der Vater einen seiner Jähzornanfälle hatte. Aber sie wurde nicht müde, stets zu betonen: »Aber, gäu, du weisch, dass i di liäbä.«
»Das soll Liebe sein?«, fragte ich mich wieder einmal. Doch wichtiger als meine Meinung ist, dass Hannah erforschen kann, was dieses Klima mit ihr macht. Darum fragte ich sie: »Wenn du an deine Familie denkst, was für ein Gebäude oder welche Art von Konstrukt kommt dir in den Sinn? Was für ein Bild passt zu deiner Familiendynamik?«4
Hannah antwortete: »Ein Labyrinth! Ein Labyrinth, in dem verschiedene Stimmungen herrschen. In einem Teil scheint die Sonne, in einem anderen ist es kalt und dunkel. Und in den Gängen und Windungen ist es verdammt neblig. Man weiß nie, was hinter der nächsten Biegung lauert. Das stresst mich. Alles ist so unberechenbar. Ich bin so verwirrt.«
Vielleicht kennst du dieses Gefühl, dass du durch gewisse Personen stark verwirrt wirst. Möglicherweise fragst du dich, ob du dein Gegenüber richtig verstanden hast oder dich in deiner Wahrnehmung täuschst. Wenn man den Finger nicht auf solche Aussagen legen darf, die einem schräg erscheinen, oder auf ein konkretes Verhalten, wird man den Nebel der Verwirrung nicht los. Er scheint einem nachzulaufen. Egal wie sehr man sich um eine Lösung oder Erklärung bemüht, es ist ein Griff ins Leere.
In der Gegenwart von Manipulierern ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich Verwirrung breitmacht. Unverständnis und Grübeleien umhüllen nebelschwadenartig das Denken. Der Nebel verdichtet sich, verschleiert sinnvolle Überlegungen und lähmt die Fähigkeit, aus den Situationen zu lernen.
Manipulierer müssen (oft unbewusst) möglichst alles kontrollieren, sogar die Atmosphäre. Denn wer die Atmosphäre beherrscht, besitzt ein mächtiges Werkzeug, um Menschen zu steuern. Das folgende Beispiel aus dem täglichen Leben zeigt, wie groß der Einfluss der Atmosphäre auf unser Verhalten ist. Stell dir vor, du gehst mit Freunden zu einem Fußballspiel, obwohl du nicht viel von Fußball hältst. Plötzlich erzielt die Mannschaft deiner Freunde den Führungstreffer. Die Masse jubelt, die Atmosphäre bebt! Fußball interessiert dich zwar nicht, aber die Atmosphäre reißt dich mit. Die Energie im Stadion und die Freude der anderen erfasst dich. Dein Puls geht schneller, dein Herz schlägt laut, du erlebst die Ekstase der Atmosphäre in deinem Körper und spürst, wie Freude und Kraft durch dich hindurchströmen, bis du laut johlend mitjubelst – obwohl dir eigentlich egal ist, wer gewinnt.
Die Atmosphäre beeinflusst unsere Körper und dadurch unsere Gefühle, Gedanken, Reaktionen und auch unsere Entscheidungen. Doch die wenigsten Menschen merken, wenn jemand die Atmosphäre steuert, um Gefühle, Gedanken, Reaktionen und die Entscheidungen von anderen zu manipulieren. Wie will man das erkennen oder gar beweisen?
In manipulativen Systemen gibt es fünf Stimmungen mit einer jeweils ganz unterschiedlichen Atmosphäre. Damit diese anschaulich werden, stelle ich dir die Erfahrungen von Hannah, Philip, Liora und Ruth vor. Sie werden dir helfen, die fünf Stimmungen auch in deinem Leben oder im Leben der Menschen, die du begleitest, besser zu verstehen. Eine Übersicht über die fünf Stimmungen findest du in der vorderen Buchklappe. (In Kapitel 3 wird es um die verdeckten Ziele und die Folgen der fünf Stimmungen gehen.)
Für Hannah war es an der Zeit, die fünf Stimmungen in ihrem Familienlabyrinth mit mir gemeinsam zu erforschen. Die erste Stimmung ist das Scheinwerferlicht.
Stimmung 1: Scheinwerferlicht
Ich fragte Hannah: »Wenn sich deine Herkunftsfamilie im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit zeigt, wie ist dann die Stimmung?« Hannah lachte kurz auf und meinte: »Das ist einfach.« Sie zeichnete einen hohen Sockel, eine kleine Person darauf und eine riesige Person daneben. »Die große Figur ist mein Vater. Das da auf dem Podest bin ich. Oder auch meine Schwester.« Sie nahm einen Goldstift und malte Strahlen um die große Person. »Egal, wo wir aufkreuzen, wir müssen im Mittelpunkt stehen, als Familie oder jeder Einzelne. Mein Vater ist der Pfarrer unserer Kirchgemeinde. Wenn er mit anderen spricht, ist er einfühlsam, herzlich und humorvoll. Meine Mutter gibt sich stets gut gelaunt und interessiert. Sie hilft überall mit und hat für alle ein offenes Ohr. Die perfekte Pfarrfrau.« Dass die Kinder als gute Vorbilder für andere vorangehen, war Credo Nummer eins. »Alle glänzten, was das Zeug hält«, erklärte Hannah.
Je exzentrischer die manipulative Person ist, desto höher ist der Sockel während der Stimmung Scheinwerferlicht. Ob auf dem Sockel eines oder mehrere Familienmitglieder ausgestellt werden oder ob ausschließlich Platz für den Manipulator ist, hängt von der Art des Manipulierers ab. Die Aufgabe der Wesen auf dem Sockel besteht jedenfalls darin, den Manipulator gut aussehen zu lassen. Sie müssen den Beweis erbringen, dass der Manipulator so ist, wie er oder sie gesehen werden möchte.
Der Vater von Hannah hat auch zu Hause immer mal jemanden aufs Podest gestellt: »Einmalig, wunderbar und einzigartig bist du. An dem Tag, als du geboren wurdest, hast du mich zum stolzesten Vater gemacht!«, ahmte Hannah ihren Vater nach und fügte sarkastisch an: »Als wäre er König Salomo höchstpersönlich.«
»Wie geht es denn der Kleinen auf diesem Podest?«, fragte ich. Hannah erzählte: »Ich habe geglaubt, dass Papa mich sehr liebt und dass ich jemand ganz Besonderes sein muss. Doch geheuer war mir dieser Platz nicht, so ohne festen Boden unter den Füßen. Darum habe ich die zittrigen Beine gemalt.« Noch lange empfand Hannah großen Stress in Versammlungen mit vielen Menschen, denn sie glaubte, dass sie herausragend und makellos sein müsse, um sich in der Öffentlichkeit zeigen zu dürfen.
Bei Philip entstand auf die Frage nach der Stimmung Scheinwerferlicht ein anderes Bild. Er hielt das Blatt quer und zeichnete im rechten oberen Viertel Strichmännchen, die um eine große Figur versammelt waren und zu dieser hochblickten. Der Rest des Blattes blieb leer. Die große Figur sei seine Mutter, erklärte Philip. »Sie weiß sich in Szene zu setzen, bis jeder restlos von ihrer ›Außergewöhnlichkeit‹ überzeugt ist.« Die Handgeste für »Anführungszeichen« benutzte er noch einige Male im Gespräch. Seine Mutter könne unermüdlich von ihrem »wichtigen Job als Journalistin« und ihrem aufopfernden Engagement berichten. Sie sehe sich als Kämpferin gegen die Ungerechtigkeit, die an Randgruppen verübt wird. Philip habe erst vor etwa fünf Jahren gemerkt, dass das alles »heiße Luft« ist. Die Zeitschrift, für die sie als Journalistin arbeitet, ist eine Eigenproduktion und die wenigen Abonnenten stammen aus ihrem Bekanntenkreis.
Ich wollte wissen, wo Philip auf dem Bild zu finden ist. Ob er eines der Strichmännchen sei, das zur Mutter aufschaue. Philip wurde verlegen. Er habe nicht gewusst, dass er sich auch malen müsse. »Wo bist du denn dann?«, fragte ich. Er meinte, er wäre wohl links unten, außerhalb des Bildes. Er sei maximal ein ferner Beobachter.
Wie bei Hannah gibt es auch bei Philip während Stimmung 1 eine übergroße Figur und einen Kreis der Aufmerksamkeit drum herum. Obwohl Hannah und Philip wohl beide exzentrisch-narzisstische Elternteile hatten,...
Erscheint lt. Verlag | 9.8.2024 |
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Verlagsort | Holzgerlingen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Lebenshilfe / Lebensführung |
Schlagworte | Betroffene • destruktiv • durchschauen • Emotionaler Missbrauch • Heilen • Hilfe • Manipulation • manipulativ • Nahestehende • Pastoren • Psychische Gewalt • psychischer Missbrauch • Rollenverteilung • Seelsorger • Verbale Gewalt • Verstehen • verwirrt • Verwirrung • Verzweiflung • Was soll ich tun? • Wie kann ich helfen? |
ISBN-10 | 3-7751-7650-0 / 3775176500 |
ISBN-13 | 978-3-7751-7650-7 / 9783775176507 |
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