Das Yogasutra (eBook)
288 Seiten
Arkana (Verlag)
978-3-641-37023-7 (ISBN)
Patanjali war ein indischer Weiser, der ca. zwischen dem 2. und 4. Jahrhundert n.Chr. gelebt hat. Er verfasste das Yogasutra, das als eine der ersten und wichtigsten Yogaschriften gilt. Dieses in Sanskrit geschriebene Werk fasst die Essenz das klassischen Yogaweges in 195 Versen zusammen und ist bis heute ein Klassiker der Yogaliteratur.
Zusammenfassung des 1. Kapitels
Das erste Kapitel heißt Samādhi-Pāda oder der Abschnitt über Samādhi, was ein anderes Wort für den Zustand des Yoga ist.
DER AUSGANGSPUNKT (1)
Yoga ist Wissen über das menschliche Wesen. Es ist ein Wissen, das auf Erfahrung basiert. Die Aussagen des Yogasūtra berufen sich nicht auf intellektuelle Auseinandersetzungen. Insofern kann die Gültigkeit dieser Aussagen genauso wenig intellektuell überprüft werden wie die Frage, ob ein Apfel den Hunger stillt oder nicht. Yoga ist die Erkenntnis, die entsteht, wenn unsere geistigen Aktivitäten still und ausgeglichen sind. Immer dann, wenn diese geistigen Aktivitäten nicht in einem stillen Gleichgewicht sind, verfärben sie unsere Erkenntnisse. Mit anderen Worten, wie wir jemandem zuhören, wird davon beeinflusst, was wir über ihn denken. Das ist der Ausgangspunkt des Erfahrungsberichtes des Yoga.
WAS IST DER GEIST UND WAS SIND SEINE AKTIVITÄTEN? (2–11)
Yoga verwendet für »Geist« ein eigenes Wort, und zwar Citta, das meinende Selbst. Was ist dieses Citta? Wenn wir den Körper öffnen, werden wir kein Citta finden. Es ist nicht richtig zu sagen, dass es in der Herzgegend ist, denn manchmal ist es mehr im agilen Kopf. Aber auch dort ist es nicht, denn manchmal wird es in den Emotionen spürbar, was doch eher auf die Herzgegend verweist. Manchmal steht es in Verbindung mit einem ganz konkreten Körperschmerz, z.B. im Fuß. Das Citta ist überall. Es lässt sich nicht zuordnen, aber wir können es beschreiben. Da das Citta keinen bestimmten Ort hat, kann es auch keine Form haben, die sich beschreiben lässt. Es kann daher nur über seine Tätigkeiten definiert werden. Ähnlich wie z.B. die Anziehungskraft eines Magneten, die wir nicht sehen, aber deren Wirkung wir spüren und deren Felder wir beschreiben können.
Smṛti: Beim Nachdenken darüber, was zu den Funktionen des Citta gehört, zeigt sich u.a. die Fähigkeit der Erinnerung. Jemand erinnert sich, wie er ein Problem, das zum wiederholten Male auftaucht, zuletzt gelöst hat. Das ist für ihn sehr bedeutsam, weil er dadurch sein jetziges Leiden auflösen kann. Die Erinnerung ist eine äußerst wichtige Tätigkeit, in der sich das Citta zeigt. Es kann aber auch vorkommen, dass der Nachdenkende aufgrund einer intensiven Erinnerung eine Methode verwendet, die für sein momentanes Leiden unpassend ist. Das Gedächtnis kann hilfreich sein, aber es kann auch Leiden verursachen oder verstärken. Die Cittavṛtti, die Tätigkeiten des Citta, sind manchmal Teil des Problems und manchmal Teil der Lösung.
Vikalpa: Manchmal lässt sich eine Lösung auch dadurch finden, dass man die Augen schließt und sich vorstellt, wie eine andere Person das Problem angehen würde. Man stellt sich Dinge vor, die gar nicht da sind. Das ist ebenfalls eine Fähigkeit des Citta. Mit Hilfe der Vorstellungskraft ist es möglich, eine Lösung für das Problem zu finden. Allerdings kann die Vorstellungskraft das Problem auch verstärken, indem man sich Komplikationen ausmalt, die gar nicht eintreten werden. Die Vorstellungskraft kann demnach einerseits hilfreich sein und andererseits zu einem Hindernis werden.
Nidrā: Es kommt auch vor, dass Leiden sich dadurch auflöst, dass jemand für eine Weile nicht an sein Problem denkt. Das geschieht beispielsweise während des tiefen Schlafes. Wo war währenddessen sein Gedächtnis, seine Phantasie, wo war sein Problembewusstsein, warum hat er seinen Schmerz nicht gespürt? Der Tiefschlaf ist ein heilsamer Zustand, in dem das Citta ganz zur Ruhe kommt, aber es ist nicht die Heilung. Ein chronisches Problem wird nach dem tiefen Schlaf nicht ganz verschwunden sein. Ebenso werden tiefgründige Fragen wie: »Warum leide ich als Mensch?«, »Aus welchem Grund bin ich hier?« nicht durch tiefen Schlaf gelöst.
Āgama-Pramāṇa: Dann gibt es noch die Möglichkeit, dass jemand ein Problem nicht allein bewältigen kann und von einem Arzt oder Lehrer einen Rat erhält. Eine Lösung muss nicht immer direkt aus dem Citta kommen. Das Zuhören und das Interpretieren von Aussagen aus einer anderen Quelle können helfen, eine Lösung zu finden. Die Wahrheitsfeststellungen einer anderen Person zu übernehmen ist auch eine Fähigkeit des Citta.
Anumāna-Pramāṇa: Außerdem verfügt das Citta über die Möglichkeit, zwischen einzelnen Informationen Zusammenhänge herzustellen und so unter Umständen eine Lösung zu finden. Das ist die Intelligenzkraft, die Fähigkeit, Schlussfolgerungen zu ziehen. Beispielsweise könnten ein Gedanke aus dem Gedächtnis, einer aus der Phantasie, einer aus der direkten Wahrnehmung und eine übernommene Äußerung von jemand anderem auf der Ebene des Citta kombiniert werden und dadurch zu einer neuen Lösung führen.
Pratyakṣa-Pramāṇa:Darüber hinaus gibt es noch eine Tätigkeit des Citta, die tiefer gehend ist. Wenn die Lösung weder durch Nachdenken noch durch den Rat einer Vertrauensperson oder das Nachschlagen in einem Buch, und auch nicht aus dem Gedächtnis heraus auftaucht, sondern klar erkannt wird wie ein Gegenstand, der direkt vor den Augen sichtbar ist, dann wird das mit dem Begriff »unmittelbare Erkenntnis« (Pratyakṣa-Pramāṇa) bezeichnet. Der Mensch befindet sich in einer problematischen Situation und sieht auf einmal die Lösung ganz klar vor Augen. Er sieht, woher sein Leiden kommt, warum er als Mensch hier ist. Er sieht die Lösung wie einen Blitz. Das ist kein vages Empfinden mit Hilfe der Vorstellungskraft, sondern ein unmittelbares Sehen, das mit großer Klarheit verbunden ist. Er sieht die Lösung so klar und eindeutig vor seinen Augen wie seine eigene Handfläche.
Durch das Übernehmen von glaubwürdigen Aussagen einer anderen Person (Āgama-Pramāṇa), über die Fähigkeit der Schlussfolgerung (Anumāna-Pramāṇa) oder manchmal durch ganz unmittelbares Wahrnehmen (Pratyakṣa-Pramāṇa) kommen wir zur Feststellung der Wahrheit.
Vipakyaya: Oft aber meinen wir nur, dass etwas die Wahrheit ist, und stellen später fest, dass wir uns getäuscht haben. Manchmal gibt unsere Wahrnehmung eine ganz eindeutige Antwort, die sich später aber doch als falsch erweist. Das Citta ist also auch in der Lage, uns mit seinen Tätigkeiten zu verwirren. Wenn das der Fall ist, setzt sich unsere Wahrnehmung aus dem tatsächlich Wahrgenommenen und den Beimischungen des Citta zusammen.
Die Auflistung seiner Tätigkeiten hilft uns, das Citta zu verstehen. Es ist einerseits fähig, uns zu verblenden, und andererseits, uns zu wahrhaftiger Erkenntnis zu führen – vor allem zu unmittelbarer Erkenntnis (Pratyakṣa-Pramāna). Diese kommt weder aus dem Gedächtnis noch durch die Aussagen von jemand anderem, noch durch intellektuelles Reflektieren zustande, sondern einfach dadurch, dass das Citta still und innehaltend die Wahrnehmung durchlässt.
LÄSST SICH IN DEM MOMENT, IN DEM ETWAS WAHRGENOMMEN WIRD, FESTSTELLEN, OB ES EIN TRUGBILD DES CITTA ODER DIE WAHRHEIT IST? (12–16)
Das ist nur möglich, wenn das Citta in all seinen Aktivitäten ausgewogen ist und der Wahrnehmung nichts Eigenes beimischt. Wer ist in der Lage, das Citta zu bändigen beziehungsweise ihm zu befehlen, sich zurückzuhalten? Um zu einer optimalen Wahrnehmungsqualität zu gelangen, ist ein Entwicklungsweg erforderlich, der bedeutet, sich Mühe zu geben. Sich bemühen heißt hier nicht, mit Willenskraft die Gedanken zu kontrollieren. Das Citta ist viel zu subtil, um sich auf diese Weise beherrschen zu lassen. Die angemessene Art der Bemühung schildert Yoga mit den zwei Begriffen »beharrliches Üben« (Abhyāsa) und Gleichmut (Vairāgya). Beharrliches Üben bedeutet, sich kraftvoll zu bemühen und das Ziel im Bewusstsein zu behalten – keine unsensible Kraft, die sich der Vernunft widersetzt, sondern eine einfühlsame, beharrliche Kraft, durch die wir weder uns selbst noch anderen Leid zufügen und die wir mit größter Demut anwenden. Eine Kraftanwendung, beispielsweise bei der Ausführung von Körperübungen, so gefühlvoll zu erbringen, ist nicht leicht. Es ist einfacher, viel Kraft anzuwenden und dabei den Überblick zu verlieren, oder andererseits einfach sanftmütig zu bleiben und sich von der Beharrlichkeit zu distanzieren. Deshalb ist es wichtig, Abstand zu nehmen von Dingen, die den Weg nicht fördern. Yoga nennt das Gleichmut (Vairāgya). Wer die eigene Willenskraft überschätzt, erreicht womöglich Dinge, die er unter Umständen zum Zeitpunkt des Erreichens nicht mehr wirklich schätzt. Wenn ein Mann jahre-lang mit großer Willenskraft an seinen beruflichen Zielen gearbeitet hat und jetzt gesundheitlich leidet oder seine Frau ihn verlässt oder seine Kinder unglücklich sind, wird er sich sicherlich fragen, ob seine ehrlichen Bemühungen wirklich sinnvoll waren. Außerdem wirken auf uns manchmal äußere, zum Teil uns unbekannte Einflüsse, die wir mit unserer Willenskraft nicht lösen können. Deshalb brauchen wir sehr große Gelassenheit beim Umgang mit der Willenskraft. Nach der Devise: »Ich kann sehr viel erreichen, aber es kann alles Mögliche geschehen.« Gleichmut (Vairāgya) zähmt die Willenskraft und hält sie in Grenzen. Wir brauchen einerseits...
Erscheint lt. Verlag | 1.7.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Entspannung / Meditation / Yoga |
Schlagworte | 2024 • eBooks • Gesundheit • Neuerscheinung • Ratgeber • Yoga |
ISBN-10 | 3-641-37023-X / 364137023X |
ISBN-13 | 978-3-641-37023-7 / 9783641370237 |
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