Wieder besser drauf! (eBook)
144 Seiten
BALANCE Buch + Medien Verlag
978-3-86739-353-9 (ISBN)
Prof. Dr. Gunter Groen lehrt Psychologie und forscht an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Er ist Mitautor diverser Bücher für Eltern, Psychotherapeut*innen und Erzieher*innen zu Depression im Kinder- und Jugendalter. Als Psychotherapeut arbeitet er mit jungen Menschen in eigener Praxis.
TRAURIG, MÜDE, LEER UND ZU NICHTS MEHR LUST: KENNST DU DAS?
In diesem Abschnitt erfährst du, was eine Depression ist, auf welche Art und Weise sie sich äußern kann und wie und woran du merken kannst, ob du selbst betroffen bist. Du findest auch Erfahrungsberichte von anderen Jugendlichen.
Sicherlich ist nicht jede Phase von Traurigkeit gleich eine Depression. Traurigkeit gehört zum Leben dazu und ist ein wichtiges Gefühl. Sie kann uns zeigen, was uns fehlt und was uns guttut. Sie hilft uns, Dinge zu verarbeiten, die uns belasten. Traurigkeit kann Ausdruck davon sein, dass wir uns mit den wichtigen und manchmal schwierigen Fragen im Leben auseinandersetzen. Und sie kann uns dabei unterstützen, neue Wege zu finden und auszuprobieren, wenn andere Wege in eine Sackgasse geführt haben. Wenn die Traurigkeit allerdings sehr lange anhält, immer größer wird und immer mehr Teile unseres Lebens in Mitleidenschaft zieht, kann die Traurigkeit zu einer Depression werden.
Wir wissen aus zahlreichen Gesprächen mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen, dass es viele nachvollziehbare und »gute« Gründe gibt, traurig und depressiv zu werden. Die meisten jungen Menschen haben es mit besonderen Herausforderungen, schweren Aufgaben und handfesten Problemen zu tun: Es ist nicht immer einfach, in der Schule zu bestehen und mit dem Stress klarzukommen. Es ist nicht immer leicht, es den eigenen Freunden recht zu machen oder die richtigen Freunde überhaupt zu finden. Das Miteinander in der Familie kann schwierig und anstrengend sein. Es kann ganz schön schwer sein herauszufinden, was man aus seinem Leben machen möchte und wie man die eigene Zukunft gestalten kann. Und es kann sehr schwer sein herauszufinden, was man an sich selbst mag und was die eigene Person überhaupt besonders macht.
Neben diesen ganz normalen Herausforderungen, mit denen es Jugendliche und junge Erwachsene zu tun haben, kommen oft noch andere Probleme dazu: Wenn Beziehungen in die Brüche gehen. Wenn es heftigen Streit und Auseinandersetzungen im Freundeskreis oder in der Familie gibt. Wenn man von anderen verletzt und ausgegrenzt wird. Wenn man sich einsam und verlassen fühlt. Wenn man mit etwas überfordert ist. Wenn man selbst schwerer krank ist oder Personen, die einem wichtig sind. Wenn einem anderen schreckliche Dinge passiert sind. Oder auch wenn man an die ganzen schlimmen Dinge denkt, die überall in der Welt passieren und noch passieren können.
Gerade in der Jugend und im jungen Erwachsenenalter gibt es also viele Dinge, die einen belasten und das Leben schwer machen können. Keiner kann was dafür, wenn er sich traurig fühlt. Keiner kann was dafür, wenn er depressiv wird. Wichtig ist es nur, sich gerade dann um sich selbst zu kümmern und sich Hilfe zu holen, wenn es nötig ist.
Alina, 16 »Ich kam mir unendlich dumm und schlecht vor. Allen schien es gut zu gehen, nur ich fühlte mich so unendlich leer und verzweifelt. Ich dachte oft, ich bin an allem schuld und ich habe es verdient, mich so schlecht zu fühlen.«
Auch wenn man sich in dieser Situation kaum vorstellen kann, dass so ein Gefühl der Leere und Verzweiflung wieder weggehen wird, möchten wir dir eines an dieser Stelle schon sagen:
Es gibt gute Hilfe gegen Depression! Sicher, es geht nicht von heute auf morgen, aber du kannst dir helfen lassen und dir auch selbst helfen. Eine Depression ist gut behandelbar und geht irgendwann vorbei. Vor allem wenn du dir selbst hilfst und bereit bist, Hilfe anzunehmen.
Bevor wir zeigen, wie du dir selbst helfen und wo du Hilfe finden kannst, wollen wir dir zeigen, dass du nicht allein bist.
WIE GEHT ES ANDEREN?
Stimmungstiefs und Depressionen kennen viele junge Menschen, wir werden von einigen erzählen. Manches wird dir vielleicht bekannt vorkommen, anderes nicht, denn letztendlich sehen solche Phasen bei jedem Menschen etwas anders aus. Dennoch gibt es einige gemeinsame Merkmale, die wir benennen können. Wir machen auch deutlich, wann eine traurige Stimmung in eine Depression umschlägt, was typische Anzeichen und Kriterien für eine Depression sind und wann man sich in jedem Fall professionelle Hilfe suchen sollte. Dabei werden auch die möglichen Ursachen und Folgen einer Depression zur Sprache kommen.
Julia, 18, besucht die 13. Klasse eines Gymnasiums. Sie ist eine gute Schülerin, hat Freunde und eine nette Familie. Kaum einer ahnt, wie schlecht es ihr geht. Sie weiß schon morgens, wenn der Wecker klingelt, nicht, wie sie den Tag überstehen soll. Sie fühlt sich kraftlos und matt. In der Schule fällt es ihr schwer, sich zu konzentrieren. Sie hört die Fragen, die Antworten, doch sie ist wie taub und innerlich teilnahmslos. Sie müsste sich mehr melden, die mündliche Mitarbeit ist doch so wichtig, aber es geht einfach nicht. »Ich muss endlich wissen, was ich nach dem Abi machen will. Alle anderen wissen auch schon, was sie werden wollen. Ich brauche unbedingt ein gutes Abi!«, hämmert es in ihrem Kopf. Ihr ist zum Heulen zumute.
Nachmittags trifft sie sich mit ihren Freundinnen, dann geht es ihr etwas besser. Oft würde sie am liebsten absagen, aber sie weiß, dass es dann nur schlimmer wird. Zu Hause ist sie gereizt, vor allem ihr jüngerer Bruder nervt sie, obwohl sie ihn eigentlich gern mag. Ihre Familie merkt, dass es ihr nicht gut geht. Ihre Mutter hat ihr erzählt, dass Julias Opa auch schwermütig gewesen und wegen Depressionen mehrfach im Krankenhaus behandelt worden sei. Alle geben sich ganz viel Mühe und sind nett zu ihr.
Deshalb ist sie auch so wütend auf sich selbst. Sie bereitet allen Kummer und hat noch nicht einmal einen richtigen Grund. Abends ist sie in ihrem Zimmer, dann ist es am schlimmsten. Dann fühlt sie sich so schlecht, dass sie es kaum noch aushalten kann. Sie denkt, ob es nicht besser wäre, wenn sie tot wäre, dann würde sie niemandem mehr zur Last fallen. Vielleicht einfach Tabletten nehmen, die Pulsadern aufschneiden, sich vor einen Bus werfen oder von einem Hochhaus springen! Diese Gedanken machen ihr Angst, sie kann nicht mehr. Sie nimmt eine Rasierklinge und schneidet in ihren Unterarm, bis es blutet. Die Gedanken an den Tod und die Anspannung in ihr verschwinden dann für kurze Zeit. Sie hat viele Wunden und Narben an den Armen und Oberschenkeln, sie schämt sich dafür.
Karl, 14, war immer schon schüchtern. Im letzten Jahr ist es aber noch schlimmer geworden. Vor allem in Gegenwart von Mädchen wird er schnell rot. Die anderen Jungs aus seiner Klasse machen sich über ihn lustig. Auch weil er so viele Pickel bekommen hat, machen sie noch blöde Sprüche auf seine Kosten.
Karl sagt zu alledem nichts. Er tut so, als mache es ihm nichts aus, aber das stimmt nicht. Seine Mutter sagt, er lasse sich zu viel gefallen, müsse sich mehr wehren, sich mehr durchsetzen. »Du bist doch groß, größer als die meisten anderen, das kann doch nicht so ein Problem sein!«, meint sein Vater.
Karl hat den Eindruck, dass seine Eltern ihn nicht verstehen, und zieht sich immer mehr zurück. Seine Eltern streiten sich in letzter Zeit häufig, wegen des Geldes und wegen ihm. Er hat Angst, dass sie sich scheiden lassen.
Meistens ist Karl zu Hause in seinem Zimmer. »Ruf doch mal Timo an!«, schlägt sein Vater vor. Selbst für ein Treffen mit seinem besten Freund, den er schon seit der Grundschule kennt, fehlt ihm die Energie. »Timo hat eh mittlerweile andere Freunde«, denkt Karl.
Nachts schläft er schlecht und wird oft wach. Morgens ist er erschöpft und müde. Er isst weniger als früher, er hat einfach keinen Appetit.
Finn, 15, sitzt am Computer und spielt seit mehreren Stunden ein Computerspiel. Eigentlich muss er am Freitag seinen Praktikumsbericht abgeben. Aber er kann sich nicht aufraffen. Sein Vater sagt, dass er endlich mit dem Bericht anfangen soll, das ganze Aufschieben mache es ja nicht besser. Als wüsste er das nicht selbst. Er hat ihm angedroht, den Computer aus seinem Zimmer zu holen, wenn er nicht bald mehr für die Schule macht. »Ich habe es satt, dass du nur vor dem Bildschirm hockst oder im Bett liegst. Steh endlich auf und mach was!«, platzt es aus dem Vater heraus.
Seit seine Mutter vor einem Jahr einen Suizidversuch unternommen hat, lebt er bei seinem Vater. Seine Mutter war lange in einer Klinik. Er wollte sie dort nicht besuchen und will sie auch jetzt nicht sehen. Er ist viel allein, sein Vater arbeitet den ganzen Tag. Das ist Finn auch am liebsten so. Dieses ständige Nachfragen seines Vaters, wie es ihm geht, nervt ihn.
Finn ist wütend auf seine Mutter, dass sie sich einfach umbringen wollte und dabei gar nicht an ihn gedacht hat. Er ist wütend auf seinen Vater, der seit der Trennung von Finns Mutter vor vier Jahren den 14-Tage-Wochenend-Vater gespielt und sich sonst nicht groß um ihn gekümmert hat. Er ist traurig, fühlt sich allein – aber das zeigt er niemandem. Dass seine Versetzung gefährdet ist, dass er nicht weiß, wie es weitergehen soll, daran mag er nicht denken. Er spielt lieber Computer, dann kann er alles vergessen, dann fühlt er keinen Schmerz, keine Wut und alles ist einfach.
9. Februar
Fühle mich: müde. Müde ist kein...
Erscheint lt. Verlag | 1.6.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Allgemeinmedizin | |
ISBN-10 | 3-86739-353-2 / 3867393532 |
ISBN-13 | 978-3-86739-353-9 / 9783867393539 |
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