Fehldiagnose psychosomatisch -  Reinhard Clemens

Fehldiagnose psychosomatisch (eBook)

Wenn Ärzte nicht weiter wissen
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
364 Seiten
tredition (Verlag)
978-3-384-18211-1 (ISBN)
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Während die Psyche in der Medizin lange kaum eine Rolle gespielt hat, wird heute die Diagnose 'psychosomatisch' inflationär gebraucht. Bei Symptomen wie chronischer Müdigkeit, Infektanfälligkeit, Verdauungsbeschwerden, diffusen Schmerzen, 'Brainfog' oder Chemikaliensensitivität landen Patienten vorschnell in der Schublade 'psychosomatisch'. Mit ganzheitlicher Labordiagnostik kann man jedoch zahlreiche Ursachen körperlicher Beschwerden aufdecken, bei denen die Schulmedizin mit ihrem Latein am Ende ist. Dazu gehören Ursachen wie Mikronährstoffmängel, stille Entzündungen, toxische Belastungen, gestörte Immunbalance, genetische Polymorphismen, Nebennierenschwäche, Dysbiosen des Mikrobioms und viele mehr.

Kapitel 1: Fehldiagnose „psychosomatisch“ – Was steckt dahinter?

Nahezu täglich suchen Patienten meine Praxis mit der Diagnose „psychosomatisch" auf. Die meisten von ihnen haben bereits einen Ärztemarathon hinter sich, jedoch konnte kein Mediziner eine physische Erkrankung feststellen. Schlussendlich werden die teils intensiven Symptome als psychosomatisch eingestuft, oft ohne Rücksicht darauf, ob tatsächlich ein psychisches Problem vorliegt. Viele Patienten fühlen sich missverstanden, als psychisch krank abge-stempelt und sind überzeugt, dass eine unentdeckte körperliche Krankheit vorhanden ist. Aus meiner Erfahrung heraus haben diese Patienten oft Recht. Da sie nicht in das Schema der schulmedizinischen Diagnostik passen, wird von Ärzten letztendlich die Verlegen-heitsdiagnose „psychosomatisch" gestellt. Doch wie kommt es zu solchen Fehldiagnosen? Welche Ursachen liegen dahinter?

Ein Zitat einer Patientin verdeutlicht das Problem: „Wenn Ärzte nichts finden, ist es immer mal ganz schnell die Psyche.”

1.1. Verlegenheitsdiagnose „psychosomatisch"

Wie ist es paradoxerweise dazu gekommen, dass die Diagnose „psychosomatisch" in der heutigen Schulmedizin beinahe inflationär verwendet wird? Viele Jahrzehnte lang hat die Schulmedizin gebraucht, um überhaupt seelische Ursachen für körperliche Be-schwerden anzuerkennen. Doch warum neigt sie jetzt dazu, psycho-somatische Beschwerden zu diagnostizieren, wo sie vielleicht gar nicht vorliegen?

Solange psychosomatische Beschwerden nicht in den medizinischen Leitlinien aufgeführt waren, galten sie schlichtweg als nicht existent. Jetzt, da die Leitlinien besagen, dass zum Beispiel Reizdarm eine psychosomatische Erkrankung ist, muss es also auch so sein. Wenn bei einer Darmspiegelung keine krankhaften Veränderungen der Darm-schleimhaut nachgewiesen werden können, werden auch starke Bauchkrämpfe rein psychischen Ursachen zugeschrieben. Egal, ob der Patient tatsächlich seelische Probleme hat oder nicht. Nahrungsmittel als Auslöser kommen nicht infrage, da bereits alle möglichen (bisher anerkannten) Ursachen ausgeschlossen wurden. Weder Zöliakie, noch Fruktose- oder Laktoseintoleranz liegen vor. Alles andere ist unbe-kannt, also wird es als undenkbar betrachtet. Da jedoch eine Diagnose für die Abrechnung nach ICD-10 Norm notwendig ist, bleibt oft nur die Diagnose „psychosomatisch“ als letzter Ausweg.(1) Hierfür gibt es Pillen (Psychopharmaka) oder eine Überweisung zum Psychologen. Fall abgeschlossen.

Da Heilpraktiker nicht generell nach ICD-10 Norm oder leitlinien-konform handeln müssen, sind sie von Hause aus offener für „alternative“ Ideen. Da Heilpraktiker auch lesen können1) und dank Internet medizinische Fachinformationen für jeden zugänglich gewor-den sind, beschäftigen sie sich mit neuesten medizinischen Forschun-gen. Während wir bis vor ein paar Jahren noch ausschließlich teils Jahrhunderte alte Heilweisen angewandt hatten (wie Akupunktur oder Ayurveda), bedienen wir uns mittlerweile auch modernem medi-zinischem Forschungswissen. Wenn man dann die X-te Studie über den Zusammenhang der Darmflora mit chronischen Darmproblemen gelesen hat, fühlt man sich bestätigt darin, den Darm zu „sanieren“, um einen Reizdarm zu behandeln. Unsere Patienten haben einfach nicht die Zeit, auf irgendwelche neuen Leitlinien zu warten.

1) Ich bitte um Verzeihung für den zynisch klingenden Ton meiner Aussage, dass Heilpraktiker auch lesen können. Leider gibt es ein weitverbreitetes Heilpraktiker-Bashing, das von bestimmten Gruppen sowohl über Nischenmedien als auch über Mainstream-Medien betrieben wird. Dieses Thema ist meiner Meinung nach so bedeutend, dass es problemlos ein eigenes Buch füllen könnte. Ein Medizinstudium ist zweifellos von großer fachlicher Tiefe geprägt. Dennoch sollte man betonen, dass die Erlangung der Heilpraktiker-Erlaubnis keineswegs ein Spaziergang ist, entgegen gegenteiliger Behauptungen. Das aus diesem Prozess gewonnene medi-zinische Wissen erweist sich als äußerst wertvoll und von breit gefächerter Bedeutung. Meine Erfahrung lehrt mich, dass es dazu befähigt, medizinische Zusammenhänge zu durchdringen. Mittels spezifischer Fachfortbildungen und Eigenstudium kann man sein Wissen in speziellen Fach-gebieten vertiefen. Es sollte jedoch betont werden, dass ein und dasselbe medizinische Wissen, sei es durch ein Universi-tätsstudium oder anderswo erworben, nicht automatisch zu größerer Klugheit führt. Im digitalen Zeitalter ist Wissen frei zugänglich. Die wahre Kunst besteht darin, das erworbene Wissen im medizinischen Kontext richtig einordnen zu können.

Somatoforme Störungen - Somatisierungsstörung - psychosomatische Störung

Im ICD-10 werden psychosomatische Erkrankungen unter dem Oberbegriff „Somatoforme Störungen” (ICD-10, F45) katalogisiert. Als Unterbegriff wird „Somatisierungsstörung” (F45.0) weitestgehend als Synonym für (multiple) psychosomatische Störung verwendet. Während diese Begriffe auch im Sprachgebrauch der Ärzte meist als gleichbedeutend verwendet werden, können sie im engeren Sinne differenziert werden.

Mit somatoformer Störung oder Somatisierungsstörung meint man körperlich wahrgenommene Symptome, die trotz aufwändiger Diag-nostik keinerlei körperliche Befunde ergeben. Das heißt, es kann aus Sicht der Mediziner wirklich nichts gemessen werden. Typisch hierfür ist, dass es sich um multiple, wiederholt auftretende und häufig wechselnde körperliche Symptome handelt, die mindestens zwei Jahre bestehen. Die Patienten stellen körperliche Symptome wiederholt bei den Ärzten vor und fordern hartnäckig nach medizinischen Unter-suchungen, obwohl die Befunde wiederholt unauffällig sind und die Ärzte versichern, dass die Symptome nicht körperlich begründbar seien. Kurz gesagt, handelt es sich um eine psychische Erkrankung, sofern die Störung korrekt als solche diagnostiziert wird. Bekanntestes Beispiel für eine somatoforme Störung ist die Hypochondrische Störung (F45.2).

Im Gegensatz dazu kann im engeren Sinne mit einer psycho-somatischen Erkrankung eine wirklich messbare und diagnostizierbare körperliche Symptomatik gemeint sein. Zum Beispiel ein stress-bedingtes Magengeschwür, ein Tinnitus (indirekt messbar), Bluthoch-druck oder Hautausschläge, die ebenso stressbedingt sein können. Im Übrigen sind auch nach dieser Definition stressbedingte Erkrankungen nicht allein von der Psyche abhängig. Denn Stress führt zur messbaren Veränderung der Stresshormone und Neurotransmitter und löst im Körper subtile Entzündungsprozesse (-> 3.1. Stille Entzündungs-prozesse) und andere Probleme aus, die dann die eigentlichen körperlichen Beschwerden erzeugen. Mehr dazu in späteren Kapiteln. Die individuelle Stressresistenz und Funktion der Nebennieren sowie die Fähgigkeit des Körpers, Entzündungsprozesse und (oxidativen, nitrosativen) Zellstress zu regulieren, ist entscheidend. Wenn wir diese physiologischen Funktionen verbessern, steigt unsere Stressresistenz und sinkt unser Risiko für stressbedingte Erkrankungen.

Das heißt, man kann vereinfacht gesagt bei somatoformen und psychosomatischen Störungen zwischen psychischen Erkrankungen und stressbedingten Erkrankungen unterscheiden. Da diese Unterscheidung in der Praxis häufig nicht oder eben nicht korrekt getroffen wird, nutze ich in diesem Buch den landläufigen Begriff „psychosomatisch“. Damit schließe ich fälschlicherweise als somatoform fehldiagnostizierte Störungen mit ein. Natürlich kommt es auch in meiner Praxis vor, dass ich Patienten vor mir habe, bei denen ich eine somatoforme Störung vermute. Logischerweise können auch solche Patieten irgendwann mal in einer Naturheilpraxis landen.

In diesem Buch geht es um Patienten, die vorschnell in dieser Schublade landen und bei denen aus diesem Grund körperliche Symptome unbehandelt bleiben. In der Praxis sind die Grenzen nicht selten fließend. „Man kann auch Läuse und Flöhe zugleich haben.“ Das betrifft verschiedene körperliche Probleme sowie das Nebeneinander von körperlichen und seelischen Problemen. Häufig sind die Bereiche eng miteinander verwoben. Zur Lösung der Problematik muss ich aber auf alle Themen eingehen und da können voreilig benutzte Schublade kontraproduktiv sein.

Meiner Beobachtung nach spielt die Compliance der Patienten eine wichtige Rolle bei der Unterscheidung zwischen somatoformen, psychosomatischen und körperlich bedingten Problemen. Patienten mit körperlichen Problemen und stressbedingten psychosomatischen Erkrankungen haben meist eine gut Compliance, das heißt, „sie machen gut mit“. Bei wirklich psychisch bedingten Somatisierungsstörungen ist die Compliance oft gering. Wenn beispielsweise immer weitere, teils beliebige Tests eingefordert werden, ohne dass ein Therapieplan...

Erscheint lt. Verlag 23.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie
ISBN-10 3-384-18211-1 / 3384182111
ISBN-13 978-3-384-18211-1 / 9783384182111
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