Der Grund (eBook)

Die neuen Konflikte um unsere Böden - und wie sie gelöst werden können
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
240 Seiten
Verlag Antje Kunstmann
978-3-95614-595-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Grund -  Christiane Grefe,  Tanja Busse
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Der Wert des Bodens, das Wunder der Unterwelt, jene Abermillionen von Wurzeln und Würmern, Käfern, Bakterien und Pilzen, die in symbiotischem Zusammenwirken immer wieder neues Leben schaffen, wurde lange unterschätzt und missachtet. Fruchtbare Böden sind weltweit gefährdet. Wie wir mit dem Land, mit den Flächen umgehen, ist die zentrale Zukunftsfrage. Wofür soll der Boden, der Grund genutzt werden: für Beweidung, Ackerland oder klimaresiliente Wälder? Für Wind- und Solarkraftwerke oder Naturschutzgebiete? Für Wohnungen und Gewerbegebiete in wachsenden Städten? Lassen sich Energiewende, Klimaschutz, Biodiversität und Ernährungssicherheit in Einklang bringen? Darf man Flächen für den Anbau von Energiepflanzen nutzen, wenn Menschen hungern? Wer entscheidet darüber: Bauern, Landbesitzer, Investoren, wir alle? Wie ließe sich Verantwortungseigentum für den Boden regeln? Davon erzählen Tanja Busse und Christiane Grefe spannend, mit Engagement und wissenschaftlicher Genauigkeit. Vor allem zeigen sie Wege auf, wie Zielkonflikte im Sinne des Gemeinwohls politisch gelöst werden können.

Christiane Grefe, geboren 1957 in Lüdenscheid, studierte an der Deutschen Journalistenschule und Politikwissen[1]schaft in München. Sie war freie Journalistin bei Natur, Geo Wissen und beim Magazin der Süddeutschen Zeitung und 24 Jahre lang Reporterin der ZEIT. Heute arbeitet sie als freie Autorin.

Christiane Grefe, geboren 1957 in Lüdenscheid, studierte an der Deutschen Journalistenschule und Politikwissenschaft in München. Sie war freie Journalistin bei Natur, Geo Wissen und beim Magazin der Süddeutschen Zeitung und 24 Jahre lang Reporterin der ZEIT. Heute arbeitet sie als freie Autorin.

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DER URGRUND ALLES LEBENDIGEN


Wurzeln und Würmer, Mikroben und Pilze, die gemeinsam ständige Wiederauferstehung schaffen: Das Wunder der Unterwelt

Was sind das für Geräusche, welche seltsamen Lebewesen äußern sich so? Da kommt ein Schnarren aus der Stille, rhythmisch, wie aus einem alten Funkgerät. Dann nähern sich langsam tiefe Töne, entfernen sich wieder, als wäre eine fremde Kreatur vorbeigelaufen, unterwegs zu einem unbekannten Ziel. Stille. Jetzt rumpelt es plötzlich, als würde mit höchster Anstrengung ein Stein weggeschoben. Ein zarter Fußspitzengalopp, zittriges Mähen, Grunzen, Gekicher, Geknister. Solche Beschreibungen können sich einer Welt nur annähern, die man nicht hört und sieht und eigentlich mit nichts als Ruhe verbindet. Mit Grabesruhe.

Es sei denn, man stieße ein Rohr mit feinsten Sensoren in den Grund hinein, um herauszufinden, wie der Boden klingt. Marcus Maeder, Umweltwissenschaftler an der ETH Zürich, hat das gemeinsam mit Kollegen verschiedener Bio-Disziplinen an mehreren Orten der Schweiz gemacht. Was er da unten zu hören bekam, hat er vor einigen Jahren im Kunstmuseum Bern präsentiert: »Sounding Soils«, tönende Böden, hervorgebracht von Maulwürfen, Springschwänzen, Milben, Tausendfüßlern, Käfern, Würmern, Spinnen, Heuschrecken und Zikaden, begleitet vom fernen Pianissimo eines sanft eindringenden Landregens.

Was sind das für Botschaften: Warnungen, Arbeitskommandos, Lockrufe auf Brautschau? Wird da überhaupt kommuniziert oder unabsichtlich vor sich hin gelärmt? Die Forscher wissen es nur teilweise, das regt die Fantasie dazu an, etwas zu tun, was bei der Betrachtung der Natur eigentlich fragwürdig ist: sie zu vermenschlichen. So viel aber ist gewiss: Da unten tobt das Leben. Die Fress- und Buddelgeräusche kleiner und größerer Tiere vereinen sich zu einem vielstimmigen Untergrund-Konzert, ähnlich wie es überirdisch schön die Vogelgesänge, das Insektensummen oder das Quaken der Frösche im Wald tun. Die Schweizer Forscher stellten fest, dass einige Krabbeltiere, die auf der Oberfläche leben, den Boden nutzen, um sich über Vibrationen miteinander zu verständigen. Auch diese Erkenntnis kann man hören: Jeder Boden klingt anders. Im Waldboden ist es stiller, weil die Tiere in dieser kühleren Lebenswelt etwas weniger aktiv sind. Ein Acker, der konventionell bewirtschaftet wurde, weist laut den Wissenschaftlern des Sounding-Soils-Projektes weniger Geräuschvielfalt, also weniger Lebewesen auf als ein kunstdünger- und pestizidfreies Bio-Pendant.

Markus Maeder ist nicht der Einzige, der den Untergrund mit bioakustischer Empirie auf überraschende Weise zugänglich macht. Auch französische Forscher sind den Lauten auf der Spur, die Wurzeln beim Wachsen hervorbringen oder Regenwürmer, wenn sie ihren Weg durch die Erde graben. Über die Töne des subkulturellen Orchesters wollen sie den Boden und seine Bewohner genauer verstehen. Aber zugleich sind ihre Aufnahmen Versuche, möglichst vielen Menschen den existenziellen Wert dieser fremden Lebenswelt zu vermitteln, Neugierde und Faszination für sie zu wecken.1 Wie viele andere Experten zielen sie darauf, »dem Boden eine Sprache zu geben«. Das Umweltbundesamt ließ aus dem gleichen Beweggrund sogar eine »Bodenkantate« in drei Sätzen komponieren.2 Didaktische Kammermusik. Ein Sänger intoniert zu Piano, Gitarre, Tuba und allerhand Percussion ein Hohes Lied auf Fadenwürmer, Rädertiere und andere Lebewesen.

Denn dass der Boden eine große biologische Gemeinschaft beherbergt und eine, wie die EU-Kommission knapp formuliert, »vitale, begrenzte, nicht erneuerbare und unersetzliche Ressource« ist, die man nicht mit Füßen treten darf, das liegt einer weitgehend urbanen Gesellschaft immer noch fern, gelinde gesagt. Der Journalist Peter Härlin hat sich schon vor einem Dreivierteljahrhundert, also vor der exponentiellen fossilen Wachstumsdynamik und der vollen Entfaltung der Grünen Revolution, über diese Entfremdung Gedanken gemacht. »Grundstück – das ist einem jeden ein wohlgefüllter Begriff«, schrieb der Stuttgarter seinerzeit in einer Kolumne, die er mit dem Titel »Erde, Sonnenschein und Regen« überschrieb. »Es ist die Oberfläche, das Substrat für Maß und Zahl, unpersönlich und seelenlos wie das Meter selbst, nach dem man es mißt. Erde aber, das ist der Inhalt, die Tiefe, der Ur-Grund alles Lebendigen, nicht nur mechanisch seine Unterlage. Das ist der Körper des Globus, wenn nicht beseelt, so doch dem Lebendigen nahe verwandt, das in ihm wurzelt. Rohstoff der Schöpfung ist das, Station im Kreislauf alles Irdischen, in aller Welt Symbol alles dessen, was uns, die wir zwischen Diesseits und Jenseits wandeln, dem Diesseits verknüpft.«

Don’t look up, look down


Härlins Sohn Benedikt ist heute in der Zukunftsstiftung Landwirtschaft ein unermüdlicher Vordenker und Aufklärer der globalen und lokalen Notwendigkeit, die Böden wieder zu beleben. Denn noch immer übersehen die meisten Leute den Grund, ignorieren ihn, missachten ihn, als erinnere er sie zu sehr an ihr eigenes Ende. Oder er gilt als totes Zeug, schlichtweg: als Dreck. Eklig. In diese Blackbox fasst man höchstens mal mit Plastikhandschuhen, um Topfblumen hineinzupflanzen. Die Bodenhaftung fehlt nicht nur den Laien, sondern auch vielen Wissenschaftlern, politischen Entscheidungsträgern und sogar manchen Praktikern in der Landwirtschaft. Auch über die professionelle, ja innige Nähe der Bauern zu ihrem wichtigsten Produktionsmittel machte sich Peter Härlin in den Fünfzigerjahren Gedanken: »Warm, kalt, hitzig, das sind Fachausdrücke, die sozusagen den Charakter des Bodens bezeichnen«, schrieb er, »sie bezeichnen Valeurs, die der Kundige fühlt, die er prüft und wertet wie der Weber den Stoff zwischen seinen Fingern. Er fühlt, wie die Erde schafft, wie sie gar wird, erneute Fruchtbarkeit versprechend, wie schlechter Boden sich nicht rührt, ›träge‹ daliegt, endlosen Fleißes bedürftig, um fruchtbar zu werden.«3

Dann kam die Agrarchemie, und lange haben auch viele Landwirte und vor allem ihre Berater die schwarze, kaffee- und rostbraune oder schlammgraue Erde zu sehr als neutrales, lebloses Substrat betrachtet. In dieses Zeug musste man nur Saatgut, Dünger und andere chemische Produkte hineinstecken, damit es große Mengen von meistens Weizen, Mais oder Zuckerrüben hervorbringt, als billige Rohstoffe für die bunte Produktwelt der Lebensmittelindustrie. Der intensiven Landwirtschaft, die oft irreführend als konventionell bezeichnet wird, ist das eindrucksvoll gelungen, immer ertragreicher haben sie den Boden gemacht, die Ernten um ein Vielfaches gesteigert, doch mit dramatischen Folgen: In vielen Regionen ist der Grund am Boden zerstört. 60 bis 70 Prozent der europäischen Böden seien aus dem Gleichgewicht oder geschädigt, bilanziert die Europäische Kommission auf Basis von Schätzungen, denn, auch das ist ein Indiz für die Missachtung der Böden: systematische Daten haben nur einige EU-Länder erfasst. Demnach sind 2,8 Millionen Standorte potenziell vergiftet, ein Viertel davon nachgewiesenermaßen. 83 Prozent der Ackerböden enthalten Pestizidrückstände, drei Viertel sind überdüngt, vor allem mit Stickstoff, der mit gigantischem Energieaufwand erzeugt werden muss und Böden übersäuert. 23 Prozent der Böden sind bis auf die unteren Schichten durch Landmaschinen und Bearbeitung verdichtet, sodass Staunässe und Sauerstoffmangel das unterirdische Leben ersticken. 25 Prozent haben nicht mehr genug Wasser, 25 Prozent drohen zu verwüsten. Das Bundesamt für Naturschutz beschreibt bei seinen Blicken »unter den Tellerrand« schon die Gefahr, dass bestimmte im Boden lebende Organismen aussterben könnten, noch ehe sie überhaupt taxonomisch erfasst wurden.4 Damit ist die intensive Landwirtschaft »die vielleicht einzige Branche, die ihre eigene Grundlage zerstört«, so hat es der luxemburgische Agrarminister Fernand Etgen einmal formuliert. Und die Böden, unsere »stummen Verbündeten«, so der frühere Direktor der Welternährungsorganisation FAO Graziano da Silva, haben »keine Stimme, und nur wenige nehmen lautstark für sie Partei«.5

Es wäre zu einfach, das Wegdämmern und Dahinfliegen unserer Lebensgrundlagen den Landwirtinnen und Landwirten vorzuwerfen. Verantwortlich sind wir alle, als KonsumentInnen, als Wähler. Verantwortlich ist vor allem das kurzfristig denkende und handelnde Agrobusiness. Erst seit die Schäden nicht mehr zu übersehen sind, beginnt endlich eine ernsthafte Suche nach Auswegen und die Perspektive ändert sich allmählich, mit dem Titel der amerikanischen Klimawandel-Komödie gesprochen: Don’t look up, look down! Oder besser: Look up, but look down as...

Erscheint lt. Verlag 14.3.2024
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Natur / Ökologie
Technik
Schlagworte Biodiversität • Das Sterben der Anderen • Energiepflanzen • Ernährungssicherheit • Global Gardening • Klima • Klimakrise • Landwirtschaft • Ökologie • Umwelt
ISBN-10 3-95614-595-X / 395614595X
ISBN-13 978-3-95614-595-7 / 9783956145957
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