Genug geredet! -  Christoph Ruf

Genug geredet! (eBook)

Die Irrwege der Bundesliga und die Inkonsequenz der Fans
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
224 Seiten
Verlag Die Werkstatt
978-3-7307-0680-0 (ISBN)
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Falsche Versprechungen und enttäuschte Hoffnungen: Was hält die Fans noch beim Profi-Fußball? Nach dem Corona-Schock, der viele Klubs an den Rand der Pleite brachte, gab sich die Bundesliga geläutert. Nachhaltiger wollte man wirtschaften und die eigene weltfremde Blase verlassen. Nichts davon ist passiert. Während die Spielergehälter ein Rekordhoch erreicht haben, werden die Fans immer dreister abgezockt, hinter den Kulissen wird die weitere Hollywoodisierung des Fußballs vorbereitet. Um das zu kaschieren, werden 'Nachhaltigkeits-Strategien' propagiert, die jedoch die größten Umweltsünden ausklammern. Am Scheideweg steht damit auch die kritische Fanszene, die den Verbänden oft auf den Leim geht und längst Teil einer Inszenierung ist, die sie eigentlich ablehnt. • In letzter Minute: Warum die wirkungsvollen Fanproteste gegen den Liga-Investor den Finger in die Wunde legten • Nach Corona, nach der WM in Katar: Die Branche hat nichts verstanden. • Immer höhere Spielergagen und Beraterprovisionen: Was in deutschen Fußballvereinen schiefläuft • 'Nachhaltigkeit': Wie Umwelt- und Sozialthemen als Feigenblatt herhalten müssen. 'Christoph Ruf hat noch nie im Verdacht gestanden, den Mächtigen nach dem Mund zu reden, und kennt sich in der bundesdeutschen Fanszene so gut aus wie kein anderer Reporter.' JAN CHRISTIAN MÜLLER, FRANKFURTER RUNDSCHAU Wie moralisch ist der Fußball? Christoph Ruf über die Reformunfähigkeit des Profifußballs und Fans, die sich instrumentalisieren lassen. Es ist noch nicht so lange her, dass sich die deutsche Fußball-Liga nachdenklich gab und radikale Veränderungen versprach. 'Schneller, höher, weiter' sollte der Vergangenheit angehören, Wirtschaften mit Augenmaß war das Ziel. Doch umgesetzt wurde davon nichts - im Gegenteil. Falls es noch eines Beweises bedurfte, dass der deutsche Fußball reformunfähig ist, ist er mit dem Buhlen um einen Liga-Investor, dessen Einstieg erst durch die anhaltenden und kreativen Fanproteste gestoppt werden konnte, endgültig erbracht. Zeit, die Konsequenzen zu ziehen.

KAPITEL 1


DER BUNDESLIGA-FUSSBALL UND ICH – EINE ABRECHNUNG


Der Fußball und ich, wir kennen uns schon lange, unser einst so inniges Verhältnis begann schon in Grundschulzeiten. Beim Autogrammesammeln, wenn mal wieder einer der großen Vereine in meine mittelbadische Heimat kam, um bei irgendeinem Dorfverein zweistellig zu gewinnen. Damals sprachen HSV-Spieler noch norddeutsch, die vom KSC hingegen badisch. Dass das heute nicht mehr so ist, ist mir völlig egal, arrogante Spieler gab es unabhängig vom Dialekt damals auch schon zuhauf. Auch die Behauptung, dass es im Fußball „nur noch um Geld geht“, lockt mich nicht hinterm Ofen hervor. Das war damals auch schon so. Goldene Steaks gab es zwar noch nicht, dumme Spieler aber schon, die sogar stolz darauf zu sein schienen, dass sie gerade ihren Porsche gegen einen Baum gefahren hatten. Auch das Gerede von den „Werten“ und der „Vorbildfunktion“ des Fußballs habe ich schon immer für eine alberne Schutzbehauptung gehalten. Ich glaube also, von mir sagen zu können, dass ich den Fußball nie überhöht habe.

Und doch ist in den vergangenen Jahren zu viel vorgefallen zwischen dem Fußball und mir, als dass ich mir noch unbefangen ein Bundesligaspiel anschauen könnte. „Kommerzialisierung“ ist ein großes Wort, und es ist ziemlich abstrakt. Konkret äußert sie sich so: 200 Euro, um mit den Kindern ein Spiel gegen Augsburg sehen zu können, 90 Euro fürs Fantrikot, fünf für die Cola. Und fünf Millionen für den Ersatzspieler. Fünf Decoder oder Abos, um Fußball im Fernsehen anschauen zu können. Rund um die Uhr natürlich, denn ein Spieltag streckt sich heute von der ersten bis zur dritten Liga auf drei Tage – und 16 verschiedene Anstoßzeiten.

Dabei ist das alles viel Lärm um nichts, denn eigentlich ist die ganze laut beworbene Angelegenheit meist stinklangweilig: Die Topklubs haben den 20-fachen Etat der „Kleinen“ in der Liga. Und trotzdem wird allerorten so getan, als würden jeden Sommer die Karten neu gemischt. Erinnert mich an den Cartoon mit dem Lehrer, der einem Affen und einem Elefanten die Prüfung abnimmt: „Im Sinne eines fairen Wettbewerbes kriegt ihr dieselbe Aufgabe: Klettert auf diesen Baum!“ Welch Wunder: Meister werden immer die Bayern.

Derweil steigen die Gehälter immer weiter, nicht nur die der wenigen Superstars. Man kann davon ausgehen, dass jeder Durchschnittskicker, jede Nummer 15 im Kader, weit über eine Million Euro verdient, bei manchen Vereinen auch das Fünf- oder Zehnfache. Das ist nicht meine Liga. Calcio parlato? Geschichten, die der Fußball schreibt? Die Pest. Mich nervt das stundenlange Gequatsche über wechselwillige Stars, das wochenlange Theater um Harry Kane (Kommt er? Kommt er nicht?) – all das ödet mich fast so an wie der unsägliche Videobeweis.

Weit besser als in den hochmodernen Arenen am Autobahnkreuz gefällt es mir bei den alten Traditionsvereinen in ihren (mit Glück) uralten Stadien. In der dritten Liga und in den Regional- und Oberligen gefällt es mir besser, und auch so manchen Zweitliga-Ground lasse ich mir durchaus für ein nettes Wochenende gefallen. Traditionsvereine und ihre Stadien strahlen etwas aus, das ein RB-Fan nie vermissen und nie verstehen wird, etwas, das sich dem Turbokapitalismus, vulgo „Kommerz“, entzieht.

Es gibt allerdings ein Problem an dieser Feststellung: Der nette Regionalligist mit den coolen Leuten auf der Geschäftsstelle wird nach dem Aufstieg auch mit ein paar Leuten von der Uni aufgestockt, die vom Lieblingsverein der Fans als „Marke“ reden. Und ein, zwei weitere Aufstiege später ist der gemütliche Traditionsverein nicht mehr wiederzuerkennen.

Ich gebe es zu, ich kriege manchmal schlechte Laune, wenn ich an den Profifußball denke. Und ich kann ziemlich genau sagen, ab wann meine kritische Distanz zur Maximaldistanz wurde. Das war während Corona, als er sich aufgeführt hat wie einst Königin Marie-Antoinette in ihren besten Tagen vor der Französischen Revolution. Kuchen wollte er essen, jeden Tag und ohne Pause. Und es war ihm völlig egal, was für den Rest auf der Speisekarte stand. Er wollte unbedingt weiterspielen, auch ohne Fans, die ja Ausgangssperre hatten – und andere Sorgen. Zumindest dann, wenn sie Angehörige auf der Intensivstation hatten oder nicht wussten, wer jetzt die Kinder betreuen soll, deren Kita schließen musste. Aber, es stimmt ja, der Profizirkus musste auch wirklich weiterspielen. Denn wenn der Spielbetrieb geruht hätte, wären die meisten Vereine in ein paar Wochen pleite gewesen. Ganz einfach, weil sie keine Fernsehgelder mehr bekommen hätten, mit denen sie die absurd hohen Spielergehälter und die daran gekoppelten Beraterprovisionen gegenfinanzieren hätten können.

Aber ich vereinfache. Der Profifußball hat sich ja der Debatte gestellt – sagt er. Das mit der gesellschaftlichen Verantwortung, das hätten natürlich auch die Spieler verstanden, war allerorten zu hören. Weshalb sie oft sogar einem Gehaltsverzicht von fünf bis 15 Prozent zugestimmt hätten. Fürwahr ein existenzieller Einschnitt bei den branchenüblichen Gehältern, aber natürlich sickerte durch, dass der Gehaltsverzicht bei den meisten Vereinen eine Gehaltsstundung war, die fehlenden Hunderttausende sind also längst wieder auf den Konten der Spieler. Immerhin eine Stellungnahme gab es, die man als Hoffnungsschimmer interpretieren konnte. Verfasst hat sie der Mannschaftsrat einer Bundesliga-Mannschaft, um zu erklären, warum zwar die über zwei Millionen Freizeitkicker die Coronaregeln beachten und die Schulen geschlossen bleiben sollten, warum es aber ausgerechnet im Profifußball übergeordnete Gründe gebe, um den Spielbetrieb aufrechtzuerhalten:

„Meine Mitspieler und ich sind besorgt um unser Land und auch unsere Branche“, las man. „Also reduzieren wir für mindestens die nächsten drei Monate unser Gehalt auf das eines Krankenpflegers, des wahren Leistungsträgers unserer Gesellschaft. Wir wollen zwar bald wieder spielen, damit unser Verein, aber auch der gesamte deutsche Fußball überleben und die Leute ein bisschen Abwechslung haben. Außerdem fehlt uns das Fußballspielen so sehr. Aber weil wir wissen, dass unser Job nicht nur, aber vor allem in Corona-Zeiten einem Privileg gleichkommt, wollen wir eine Gegenleistung erbringen. Und wir geben gern, weil wir sehr viel haben.“

Sind Ihnen jetzt auch gerade Tränen der Rührung gekommen? Sie können sie wieder abwischen, denn natürlich stammt das Schreiben nicht aus der Branche, sondern von meinem ZEIT-Kollegen Oliver Fritsch, der mal laut darüber nachgedacht hat, wie die Kicker-Zunft in der Corona-Pandemie auch hätte argumentieren können.

Wobei, dass der Fußball durchgekommen ist mit seiner Heuchelei, das darf man ihm eigentlich gar nicht verübeln. Jeder ist sich selbst der Nächste, das lernt bei uns jedes Kind schon früh. Auch dass die Branche Millionen scheffelt und sich vom Steuerzahler ihre Stadien, Anfahrtswege und Polizeieinsätze finanzieren lässt, muss man eher der Politik übel nehmen, die ihr das ermöglicht. Kennt noch jemand den einstigen SPD-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans? Der hat mal in einem hellen Moment erklärt, warum das alles so läuft: „Die großen, namhaften Bundesligavereine haben immer den Staat auf ihrer Seite. (…) Wenn es um Fußball geht, tun sich alle Parlamentarier schwer, klare Kante zu zeigen. Beim Fußball gibt es keine Parteigrenzen.“

Es ist, wie es ist. Der Profifußball ist mir gleichgültig geworden. Privat gehe ich schon seit Jahren lieber in die Regional- oder Oberliga, wenn ich Fußball schauen will. Da kommt die Wurst manchmal noch vom Metzger vor Ort. Und es gibt – echt abgefahren – noch Einwechslungen und Eckbälle, die nicht vorher in unglaublichen Dezibelzahlen vom Baumarkt „präsentiert“ werden. Und was das Schönste ist: Es gibt keinen Videobeweis, diese Erfindung aus der Hölle. Tor ist Tor. Und Grund für spontanen Ärger. Oder spontane Freude. Aber selbst die gönnt uns die erste Liga nicht mehr. Während 57 Experten in 58 Videoauflösungen herauszufinden versuchen, ob 59 Sekunden vor dem vermeintlichen Tor auf Höhe der Mittellinie ein Foul vorlag, ergründen andere, ob der Flankengeber beim vorletzten Pass nicht vielleicht doch mit dem linken Schnürsenkel im Abseits stand.

Der ganze Unsinn sorgt zwar nur in 30 Prozent aller Fälle für richtigere Entscheidungen auf dem Platz, versaut dafür aber jedes Stadionerlebnis gründlich, wenn mal wieder fünf Minuten lang gecheckt wird, ob die Schuhspitze des Angreifers denn nun zwei Millimeter im Abseits war. Nie hätte ich geglaubt, dass „kalibrierte Linie“ mal ein Begriff aus der Fußballwelt werden würde. Für den Zuschauer vor dem Fernseher mag eine solch skrupulöse Wahrheitsfindung eine praktische Sache sein....

Erscheint lt. Verlag 4.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Sport
ISBN-10 3-7307-0680-2 / 3730706802
ISBN-13 978-3-7307-0680-0 / 9783730706800
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