Die Neandertaler

Dirk Husemann, Jahrgang 1965, studierte Ur- und Frühgeschichte, Klassische Archäologie und Ethnologie in Münster. Er arbeitet heute als freier Redakteur (unter anderem für den WDR, diverse Tageszeitungen und archäologische Magazine) und veröffentlicht Sachbücher zu überwiegend historischen Themen.

Der Mann, der aus dem Kalkstein kam7Darwin und die Revolution der Evolution 25Familienbande 38Ungeheuer aus dem Elfenbeinturm 50Wie die Welt zum Schneeball wird 60Eine Nase fürs Extreme: Tiere der Eiszeit 69Anatomie eines Muskelprotzes 83Jäger mit Glück und Verstand 91Archaische Architekten 107Patente in Stein 120Mit vierzig Jahren schon ein Greis 132Zungenbrecher ohne Worte 143Im Felsentempel des Bärengottes 154Kopfjäger und Kannibalen 163Die ältesten Gräber der Menschheit 172Vernissage beim Überlebenskünstler 179Flötentöne aus Bärenknochen 190Wenn Archäologen träumen 197Die Fährtenleser der Zeit 208Neandertaler der Gegenwart 216Der Lügendetektor im Genlabor 228Der Frühmensch auf der Festplatte 240Das Ende einer Art 246Der Stammbaum des Menschen 253Danksagung 254Literatur 255Bildnachweise 256Register 258VERZEICHNIS DER EXKURSENeues Licht auf dunkle Zeiten 23Verteufelte Wissenschaft 35Wenn Knochen Gold wert sind 48Neandertaler in der Schule 58Vier Milliarden Jahre sind ein Tag 68Der Tod als Chance des Lebens 79Dem Feuer Zunder geben 117Wenn Affen in die Röhre gucken 139Der Stammbaum der Sprachen 152Opfer, Trance und Seelenwanderung 160Kannibalen im eigenen Nest 170Galerien in Fels - die Kunst des Homo sapiens 187Preislieder auf einen Catcher 206Die Khuza - das erfundene Volk 224Der kleinste Baukasten der Welt 236

"Anatomie eines Muskelprotzes Der Neandertaler ist die am besten untersuchte Menschenart nach dem Homo sapiens. Von keinem anderen Vertreter der Gattung Homo sind so viele Knochen gefunden worden, keiner hat als möglicher Vetter des modernen Menschen die Fantasie derart erregt. Seine rekonstruierte Gestalt ist die Fleisch gewordene Angst des Zivilisationsmenschen vor der Wildnis. 1924 zeichnete der britische Anthropologe Elliot Smith ein grausiges Bild von der Anatomie des Neandertalers: "Sein kurzer, dicklicherund klobig gebauter Körper wurde in einem halbgebeugten Watschelgang auf kurzen, kräftigen, halbgebeugten Beinen von eigenartig anmutsloser Form dahingeschleppt. Die schweren, vorspringenden Überaugenwülste und die fliehende Stirn, das große, grobe Gesicht mit seinen großen Augenhöhlen, breiter Nase und zurückweichendem Kinn vereinigen sich zu einem abstoßenden Bild, dashöchstwahrscheinlich durch eine zottelige Haarbedeckung eines Großteils des Körpers noch weiter verunstaltet wurde." Smiths persönliche Meinung beiseite gelassen, enthält diese Beschreibung bereits die auffälligsten Merkmale der Neandertaleranatomie: ein robuster Körper, gebogene Oberschenkel, Überaugenwülste, eine breite Nase und das Fehlen eines Kinns. Zum waschechten Neandertaler braucht es jedoch mehr.Ein korrektes Modell eines Neandertalerskeletts existiert erst seit 2002. Zwar hatten sich Wissenschaftler schon zuvor an anatomischen Modellen versucht, doch basierten diese stets auf Funden mit Fehlstellen. War ein Fingerknochen nicht mehr vorhanden, wurde er über den Daumen gepeilt nachmodelliert und an das Skelett angesetzt. Alle ausgestellten Gebeine von Neandertalern sind auf diese Weisepräpariert worden. Die Ergebnisse sind zwar erstaunlich, aber die Realität sieht anders aus. Diese Erkenntnis fuhr zwei US-Wissenschaftlern in die Knochen. Gary Sawyer und Blaine Maley vom Museum of Natural History in New York erkannten das Malheur der Paläoanthropologen und hatten eine Idee. Sie sammelten Daten und Knochen von Neandertalerskeletten aus Frankreich, Israel, Belgien und Deutschland. Von den archäologischen Preziosen stellten sie Abgüsse her und setzten diese zu einem einzigen vollständigen Skelett zusammen. Zwar muss das Modell wie Frankensteins Monster mit den Körperteilen vieler Spender auskommen."