Intuition (eBook)

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Energie folgt der Aufmerksamkeit

»In jedem Chaos ist ein Kosmos, in jeder Unordnung eine geheime Ordnung.«

– Carl Gustav Jung

Die Intuition ist die beste Beraterin, weil sie dem menschlichen Drama gegenüber neutral ist. Sie kommuniziert immer nur das Wesentliche und ihre Handlungsempfehlungen sind in der Regel simpel.

Stell dir vor, du bist drei Jahre alt und deine Familie zieht mit dir in ein Land, dessen Sprache nichts gemeinsam hat mit deiner Muttersprache. Niemand um dich herum spricht so, dass du es verstehen kannst, aber du lernst die Fremdsprache schnell. Alles, was in den kommenden Jahren mit deinem Erwachsen- und Menschwerden, also mit deiner Persönlichkeitsreifung, zu tun hat, verbindest du mit der neuen Sprache. Schließlich denkst, erfährst und definierst du dich selbst ausschließlich über die neue Sprache.

Natürlich vergisst du deine Muttersprache nach und nach, mit drei Jahren hast du dich sowieso nur deinem Alter entsprechend ausdrücken können. Was von deiner Muttersprache übrig geblieben ist, ist nicht »mitgewachsen«. Du erntest Unverständnis, Belustigung oder Ignoranz, wenn du einmal spontan »aus Versehen« etwas in deiner Muttersprache sagst.

Nun stell dir vor, dass du als erwachsener Mensch in dein Heimatland zurückziehst. Du sprichst die Fremdsprache perfekt, hast die Muttersprache aber vergessen beziehungsweise ist dasjenige, woran du dich erinnerst, auf dem Stand eines Dreijährigen. Sicher wirst du in irgendeiner Weise eine Verbundenheit spüren, aber wenn du deine Muttersprache fließend sprechen möchtest, kommst du nicht drum herum, sie zu lernen und dich auf den Stand eines Erwachsenen zu bringen.

Für erwachsene Menschen verhält es sich mit der Annäherung an die eigene Intuition ähnlich wie mit der verlernten Muttersprache – die Rückkehr in die Heimat nach vielen Jahren, das neue Erlernen und Anwenden der Muttersprache, der Stimme der Seele, braucht Zeit und Übung.

Warum es Sinn macht, die Intuition zu trainieren

Deine Intuition klar zu hören, unverfälscht zu verstehen und erwachsen anzuwenden, ist ein umfangreiches Unterfangen. Sicher gibt es Situationen und Momente in deinem Leben, in denen es dir leichtfällt, deine Intuition wahrzunehmen und ihr problemlos zu folgen. Es gibt aber auch Situationen – meistens die, in denen du irgendwie unter Stress stehst –, in denen dir das überhaupt nicht gelingt. Das sind die »Ich hab’s doch gewusst«-Situationen!

Ziel des Intuitionstrainings ist, dass du deine Intuition immer wahrnehmen kannst, egal ob du einen intuitiven Spaziergang durch den Wald machst, auf deinem Meditationskissen sitzt, müde auf der Couch liegst, in einer Prüfungssituation steckst, in einen Unfall verwickelt bist oder dich gerade frisch verliebt hast.

Ich hatte Angst vor diesem wichtigen Telefontermin, denn die Idee, die ich dem Produzenten vorstellen wollte, lag mir so sehr am Herzen. Lange hatte ich an dem Konzept einer Dokuserie gearbeitet, die von sechs beeindruckenden Meeresbiologinnen handeln sollte, die in den entlegensten Gebieten der Ozeane forschten. Diese Dokuserie sollte die Bedeutung und die Bedrohung der Meere so erzählen, dass die Menschen Lust bekommen würden, dieses Wissen aufzunehmen.

Die Begeisterung dieser spannenden Frauen war für mich der Schlüssel – die Wissenschaftlerinnen waren emotional untrennbar mit ihrem Forschungsgebiet verbunden, ihre wissenschaftliche Sprache war nie trocken, sondern immer voller Gefühl. Man schützt das, was man liebt – und die Liebe für die Meere, die ich seit meiner Kindheit empfinde, wollte ich mit dieser Dokuserie in den Menschen wecken.

Noch eine Minute bis zum Termin, dann würde ich seine Nummer wählen. Dieser Schritt, den ich gerade dabei war zu machen, war riesig für mich. Ich hatte zwar schon viele Filme gemacht, aber noch nie für das Fernsehen oder Kino. Alle alten Abwertungen aus meiner Kindheit kamen hoch: »Was glaubst du, wer du bist«, »Niemand wird dir glauben«, »Du bist nichts, du bedeutest mir nichts, du wirst niemals jemandem etwas bedeuten«, »Du hast überhaupt nichts zu sagen und wie du redest, ist einfach zu chaotisch, zu schnell – es interessiert niemanden!«. Ich wusste, dass diese alten Sprüche, aus denen Glaubenssätze geworden waren, weder wahr noch relevant sind. Und doch, an diesem Meilenstein meiner beruflichen Laufbahn waren sie alle wieder voll da.

Ich wählte die Nummer dieses in der Filmwelt so wichtigen Mannes, der viele Filme produziert und eine ganze Reihe von bedeutenden Preisen gewonnen hatte. Er ging ran und meldete sich schroff. Ich stellte mich kurz vor und begann, meine Idee zu erläutern. Es dauerte keine Minute, bis er mir ins Wort fiel, mich anbrüllte und wortwörtlich sagte: »Wie reden Sie eigentlich? Das ist ja grausam! Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind? Wie alt sind Sie eigentlich? Meinen Sie, die Filmwelt hat ausgerechnet auf Sie gewartet? Vergessen Sie es einfach! Und überhaupt, die Geschichte, die Sie mir da erzählen, was soll das sein? Verstehe ich nicht! Das will doch keiner sehen!«

Ich hatte mich natürlich innerlich auf das Gespräch vorbereitet und mir auch diverse Worst-Case-Szenarios ausgemalt. Doch das hier war schlimmer als alles, was ich mir hätte vorstellen können. Denn wir hatten den Telefontermin vorher vereinbart – der Kontakt war über einen gemeinsamen Bekannten zustande gekommen –, er wusste also im Groben, worüber wir sprechen würden.

Innerhalb weniger Sekunden aktivierte er meine größten Ängste und Verletzungen in Bezug auf meinen Selbstausdruck und meinen Wert generell. Ich spürte mein Handy an meinem Ohr und sonst nichts mehr. Mein Hals schnürte sich zu, alles in meinem System machte dicht, und ich verließ meinen Körper, während er weiterbrüllte …

»Du bist nicht, was dir widerfährt, bleib hier.« Ich atmete tief durch, spürte in meine Füße und stellte meine Verbindung mit der Erde wieder her, die durch die Aktivierung alter Traumata zerrissen worden war. Ich spürte in meine Kehle und mein Herz, die physischen Bereiche für Selbstwert und Ausdruck, und versorgte mich auch dort energetisch. Das alles dauerte nur wenige Sekunden, der Mann brüllte immer noch. Ich wurde ruhig. Mein Herz war wieder da, wo es hingehört. Ich richtete meine Aufmerksamkeit weg von der cholerischen Persönlichkeit hin zur Seelenebene. Dort nahm ich bei ihm tiefe Verletzungen in Bezug auf Frauen wahr. Dort, auf der Seelenebene, sagte ich ihm: »Ich sehe dich. Es ist o. k. Du bist gut so, wie du bist.« Sein Brüllen wurde leiser und hörte schließlich ganz auf.

Ich sagte ruhig: »Ich verstehe. Sie mögen meine Art, in der ich hier gerade kommuniziere, überhaupt nicht. Ich bin sehr von meiner Idee überzeugt und glaube, dass Sie Ihnen im Kern auch zusagen wird. Darf ich Ihnen vielleicht ein Kurzexposé schicken? Darin wird bestimmt deutlicher, was ich vorhabe.«

Und das Wunder geschah: Er grummelte etwas in sich hinein und stimmte zu. Er würde mein Exposé lesen.

Um es kurz zu machen: Von diesem Produzenten bekam ich mein erstes Empfehlungsschreiben, den Türöffner in die Film- und Fernsehwelt.

Kannst du dir vorstellen, wie diese Geschichte abgelaufen wäre, wenn ich meine Intuition nicht hätte hören können und meine intuitiven Werkzeuge nicht zur Verfügung gehabt hätte? Ich hätte mich sicher schwer angegriffen gefühlt. Womöglich hätte ich zurückgebrüllt. Vielleicht wäre ich verstummt, hätte angefangen zu weinen und hätte ohne Verabschiedung aufgelegt. Auf jeden Fall wäre die Kommunikation in dem Moment beendet gewesen, in dem sie angefangen hat.

Über die Kompetenz, der Intuition zu folgen

Bei der Wahrnehmung und Anwendung der Intuition geht es auch darum, Grenzen zu erkennen und/oder setzen zu können. Natürlich gibt es gewaltvolle Situationen, die man einfach verlässt, und es gibt auch Menschen, denen man besser den Rücken kehrt, weil sie generell respektlos sind, immer wieder (verbale oder emotionale) Gewalt ausüben und Grenzen überschreiten. Aber zu unterscheiden, um was für eine Situation, was für ein Gegenüber es sich handelt, vermag die Intuition ganz klar.

Was durch die Geschichte über meinen ersten Schritt in die Filmwelt deutlich wird, ist, dass der Zugang zu deiner Intuition – der Stimme deiner Seele – allein nicht ausreicht. Du brauchst auch die Kompetenz, ihr folgen und dich in deinen Reaktionen und Egostrukturen regulieren zu können. In meinem Beispiel war es so, dass meine Intuition die klare Information lieferte: »Bleib hier, bleib dran! Das Gebrüll hat nichts mit dir zu tun. Er hat ebenfalls eine tiefe Verletzung im Kontext von Selbstausdruck, und du kriegst das hier gerade ab. Er ist kein schlechter Mensch. Wichtig ist, dass diese Filme in die Welt kommen. Sorge für dich.«

Mein simples, intuitives Tool war, die Verbindung mit der Erde wiederherzustellen, die über die dissoziative Bewegung aus dem Körper heraus abgerissen war. Mein Körper meldete mir: Ich bin dabei, mich im Stich zu lassen und abzuhauen (Kloß im Hals, nichts mehr fühlen). Die blitzschnelle Wahrnehmung und klare Deutung dieser Körperempfindungen half mir zurückzukommen. Ich brauchte nur die Aufmerksamkeit auf meine Füße zu richten und hineinzuatmen, bis...