Kapitel 3
Gesunde Beziehungen aufbauen

Mein Mann und ich haben im Juli 2020 geheiratet, auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie. Die einzigen anderen Anwesenden waren unser Pfarrer und unser Fotograf.

Nachdem ich meinen Eheschwur gesprochen hatte, dachte ich an alle, die mir gesagt hatten: »Dein Leben wird nie mehr dasselbe sein, wenn du erst einmal verheiratet bist.« Und wenn ich nach drei Jahren Ehe eines gelernt habe, dann ist es Folgendes: Die Vorstellung, dass die Ehe alles verändert, ist ein Mythos.

Sicher, man ist nun rechtlich aneinandergebunden, aber die Partnerschaft an sich verändert sich dadurch kaum. Unsere Strategien zur Konfliktbewältigung bleiben dieselben. Unsere Kommunikationsmuster bleiben dieselben. Und unsere allgemeine Lebenseinstellung bleibt dieselbe.

Doch wenn wir eine möglichst glückliche Partnerschaft führen wollen, muss sich das alles langfristig gesehen weiterentwickeln. Die Pandemie hat uns gezeigt, dass es in Beziehungen aller Art kriseln kann. Konflikte in der Ehe wie auch am Arbeitsplatz haben zugenommen und unser Stresspegel wird von unvorhersehbaren wirtschaftlichen Schwankungen strapaziert.

Es ist also nur natürlich, dass wir in der heutigen, modernen und extrem vernetzten Welt mehr Unsicherheit, mehr lähmende Selbstzweifel und größere Beziehungsängste verspüren.

Beziehungen spielen in fast allen Bereichen unseres Lebens eine entscheidende Rolle. Egal ob Ehepartner, Kind, Eltern, Lehrer, Chefin, Kunde oder Geschäftspartnerin: Wir alle sind in einem Netz menschlicher Beziehungen verstrickt. Und wie die bekannte Paartherapeutin Esther Perel zu sagen pflegt, verhält es sich dabei wie folgt: »Die Qualität unserer Beziehungen bestimmt unsere Lebensqualität.«

Wie Sie in diesem Kapitel entdecken werden, gibt es bei Beziehungen, wie John Gottman herausgefunden hat, Meister und Stümper - wahrhafte »Master«, aber auch »Desaster«. Lassen Sie uns gemeinsam einen Blick auf die geheimen Mittel werfen, die Beziehungsmeister anwenden, um gesunde, erfüllende Beziehungen zu kultivieren.

DER ZINSESZINS DES VERTRAUENS

Nennen Sie eine Beziehung in Ihrem Leben, in der Sie einem Menschen vertrauen, der unzuverlässig ist. Sie können es nicht. Und das liegt daran, dass wir uns nicht auf Menschen verlassen können, die wiederholt ihre Versprechen brechen - sei es bei der Arbeit, im Geschäftsleben oder in der Familie.

Vertrauen ist das Fundament einer jeden Beziehung. Es beruht auf dauerhafter Beständigkeit, Verbindlichkeit und guter Kommunikation. Und genau das brauchen wir heute mehr denn je. Die Psychotherapeutin Esther Perel widmet sich voll und ganz dem Coaching von Paaren in sämtlichen Fragen rund um Intimität und Verbundenheit.

Jeden Tag kämpfen Paare auf der ganzen Welt mit zwischenmenschlichen Problemen - mit Untreue, Stress bei der Arbeit und mit finanziellem Druck. Und was tun wir, um diese unangenehmen Gefühle zu lindern?

Wir suchen nach Trost, nach Verbundenheit und - am allerwichtigsten - nach Vertrauen. »Symbolisch könnte man es so ausdrücken: Sobald wir aus dem Garten Eden herausgeworfen werden, machen wir uns auf die Suche nach Vertrauen, nach festem Boden unter den Füßen und nach dem Gefühl, dass es nach dem Heute auch noch ein Morgen gibt«, sagt Perel.

Was wäre, wenn ich Ihnen sagen würde, dass es eine Formel gibt, um das Vertrauen anderer Menschen zu gewinnen?

Doch lassen Sie uns zunächst untersuchen, in welchen Situationen das Vertrauen verloren geht.

Untreue gilt in unserer Gesellschaft oft als ultimativer Vertrauensbruch und als Beleg für mangelnden Respekt in einer Beziehung. Was wir uns allerdings nicht bewusstmachen: Es gibt zahlreiche weitere Verhaltensweisen, durch die wir unsere Beziehung langsam aber sicher zerstören können.

»Menschen betrügen einander auf hundert verschiedene Arten: durch Gleichgültigkeit, emotionale Vernachlässigung, durch Verachtung, durch mangelnden Respekt oder durch das jahrelange Vorenthalten von Intimität«, erklärt Perel. »Untreue umschreibt nicht einmal ansatzweise die vielen verschiedenen Arten, wie Menschen sich gegenseitig im Stich lassen.

Entgegen der vielzitierten Redensart »Es dauert Jahre, Vertrauen aufzubauen, aber nur Sekunden, es zu zerstören«, zerbrechen die meisten Beziehungen nicht an einem einzigen massiven Streit. Sie zerbrechen oft deshalb, weil die Partner über einen langen Zeitraum hinweg ihre Vertrauensbasis unterminiert haben.

Es stellt sich dar wie folgt: Vertrauen durchzieht unsere familiären und unseren kollegialen Beziehungen. Wenn Sie einen neuen Partner kennenlernen, müssen Sie herausfinden, ob Sie sich auf ihn verlassen können, um eine gesunde Beziehung aufzubauen. Wenn Sie ein Investor sind, müssen Sie in der Lage sein zu beurteilen, ob ein Gründer vertrauenswürdig ist, bevor Sie Ihr Geld in sein Unternehmen stecken. In beiden Fällen möchten Sie langfristig für optimale Bedingungen sorgen. Doch wie können Sie auf der Grundlage der begrenzten und unvollständigen Informationen, die Sie heute haben, Vertrauen in die Zukunft aufbauen?

Der Unternehmer und Investor Naval Ravikant glaubt, dass »sich alle Erträge im Leben, ob in Form von Reichtum, Beziehungen oder Wissen, aus dem Zinseszins speisen«.

Zu einer Aufzinsung kommt es, wenn die Erträge eines Vermögenswerts, wie zum Beispiel Zinsen, im Verlauf der Zeit zusätzliche Erträge generieren. Langfristige Bemühungen, so Ravikant, sorgen nicht nur für einen Zinseszinseffekt, sondern auch für das Vertrauenswachstum in Situationen, in denen es um »Wohlwollen, Liebe, Beziehungen oder Geld« geht. Je mehr Sie in eine Beziehung investieren, desto mehr »Vertrauens«-Zinsen bringt sie Ihnen ein.

Das lange Spiel mag oft langweilig wirken, aber je länger Sie es spielen, desto nachhaltiger ist sein Effekt. Und es ist ein zweischneidiges Schwert: Je mehr Negatives Sie tun, desto mehr Negatives bekommen Sie zurück; und je mehr Positives Sie tun, desto mehr Positives bekommen Sie zurück. Beide Attribute haben die Fähigkeit, sich gegenseitig zu verstärken.

Je konsequenter Ihr Handeln, desto schneller die Aufzinsung.

Mit anderen Worten: Die beiden wichtigsten Zutaten für Vertrauen sind Zeit und Beständigkeit.

Nach Meinung von LinkedIn-Gründer Reid Hoffman lautet die Formel, um Vertrauen zu gewinnen, so:

Vertrauen = Beständigkeit + Zeit

Vereinfacht ausgedrückt, funktioniert das folgendermaßen: Wenn Sie über einen langen Zeitraum hinweg beständig das tun, was Sie sagen, dann ist Vertrauen unvermeidlich. Mit der Zeit wird sich das Wohlwollen zwischen den beiden Variablen immer schneller verstärken.

Das Ergebnis? Gegenseitiges Vertrauen.

Gegenseitiges Vertrauen ermöglicht es Ihnen, Entscheidungen zu treffen, Geschäfte abzuschließen und Beziehungen zu genießen, ohne fortwährend die Motive der anderen Person hinterfragen zu müssen. »Wenn ich mit jemandem ein Geschäft mache, mit dem ich seit 20 Jahren zusammenarbeite, und es herrscht gegenseitiges Vertrauen, dann muss ich den Vertrag nicht mehr durchlesen«, sagt Ravikant. »Vielleicht müssen wir nicht einmal mehr einen Vertrag abschließen, sondern können es einfach mit einem Handschlag besiegeln.«

Apropos Verträge: Die legendären Investoren Warren Buffett und Charlie Munger stellten den Zinseszinseffekt erstmals allgemeinverständlich dar und machten ihn allgemein bekannt. Munger glaubt, dass sich die höchste Entwicklungsstufe, die eine Zivilisation erreichen kann, in einem perfekten Netz verdienten Vertrauens widerspiegelt. Ohne viel Kontrolle und strenge Regeln oder Paranoia.

»Nicht besonders viele Anweisungen«, so Munger, »nur absolut zuverlässige Menschen, die einander zu Recht vertrauen. So geht es in einem Operationssaal in der Maio-Klinik zu.«

Wir sollten in unserem Leben danach streben, so empfiehlt er, ein Netz aus verdientem Vertrauen zwischen zuverlässigen Menschen zu knüpfen. »Und deshalb lautet mein Rat«, fügt er hinzu: »Wenn Ihnen ein Ehevertrag mit 47 Seiten vorgelegt wird, unterzeichnen Sie ihn nicht.«