Wenn dir das Lachen vergeht -  Willibert Pauels

Wenn dir das Lachen vergeht (eBook)

Wie ich meine Depression überwunden habe
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
272 Seiten
Verlag Herder GmbH
978-3-451-83270-3 (ISBN)
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Wenn einem Karnevalisten das Lachen vergeht, ist das nicht witzig. Wenn ein erfolgreicher und bekannter Karnevalist aber seine Depression wirksam bekämpft und mit dieser Krankheit offen umgeht, kann das - bei aller Traurigkeit - zum Schreien komisch sein. Willibert Pauels erzählt von seinem Leidensweg und wie er sich daraus befreien konnte. Ein wohltuendes Buch, nicht nur für Menschen, die mit der »Eiszeit der Seele« eigene Erfahrungen gemacht haben.

Willibert Pauels alias »Ne Bergische Jung«, geb. 1954, ist ein kölsches Original, Büttenredner, Kabarettist und katholischer Diakon. Er schreibt als Kolumnist für den Bergischen Boten und ist regelmäßig mit seinem »Wort zum Samstag« im Kölner Domradio zu hören. Sein erstes Buch ist erschienen, nachdem er seine Erkrankung an Depression öffentlich gemacht hatte.

Willibert Pauels alias »Ne Bergische Jung«, geb. 1954, ist ein kölsches Original, Büttenredner, Kabarettist und katholischer Diakon. Er schreibt als Kolumnist für den Bergischen Boten und ist regelmäßig mit seinem »Wort zum Samstag« im Kölner Domradio zu hören. Sein erstes Buch ist erschienen, nachdem er seine Erkrankung an Depression öffentlich gemacht hatte.

Der erste Auftritt des schwarzen Hundes


Oder: Scheiß Doktor Sauerbruch!


Ein wiederkehrendes Märchenmotiv ist die dreizehnte Fee, die unheimliche, die böse. Und stets spielt sich die Sache so ab: Einem Königspaar wird ein Kind geboren. Zur Feier des glücklichen Tags sollen im Schloss zwölf Feen bewirtet werden. Zwar leben im Reich des Königs dreizehn Feen, aber die Gedecke reichen nur für zwölf – eine hat das Nachsehen.

Die zwölf geladenen Feen treffen ein. Nacheinander treten sie an die Wiege des Neugeborenen und beschenken es; jede vermacht ihm ein besonderes Talent. Da geht die Tür erneut auf, ein kalter Luftzug weht herein, und die dreizehnte Fee steht im Zimmer. Auch sie tritt an die Wiege heran, auch sie hat ein Geschenk dabei, aber dieses Geschenk ist ein Fluch.

Mir hat die dreizehnte Fee den schwarzen Hund in die Wiege gelegt.

Den schwarzen Hund, so nenne ich meine Depression. Aber – um es gleich zu sagen: Erfunden habe ich ihn nicht. Erfunden hat ihn der englische Dichter Samuel Johnson im 18. Jahrhundert, ein Mann, der zeitlebens gegen die Schwermut ankämpfte – also depressiv war. Seither geht er um, dieser Höllenhund, und wem er sich anschließt, dem ist er treu. Mir ist er fast fünfzig Jahre lang nicht von der Seite gewichen. Oft war von ihm nur ein entferntes Knurren zu hören, aber von Zeit zu Zeit heulte er auf, dann sprang er mich an und warf mich zu Boden.

Als er sich das erste Mal auf mich stürzte, war ich zehn. Ich erinnere mich gut.

Sechzigerjahre. Im Fernsehen läuft ein alter UFA-Film über den berühmten Arzt Dr. Sauerbruch. Wie in jedem Ärztefilm geht es in den spannendsten Szenen um Leben und Tod. In Schwarz-Weiß sind sie noch eindrucksvoller. Die UFA-Regisseure sind Meister des düsteren, expressionistischen Stils, der dramatischen Licht-und-Schatten-Effekte, dazu die weit aufgerissenen Augen der Darsteller … Und dann folgende Szene: Dr. Sauerbruch wird spät abends, in einer sturmdurchpeitschten Nacht, ans Bett eines prominenten Patienten gerufen. War es Reichspräsident von Hindenburg? – Ich weiß es nicht mehr. Eine Berühmtheit jedenfalls, sterbenskrank, und Sauerbruch tritt ans Bett dieses Mannes. Der schlägt die Augen auf, erkennt seinen Arzt und fragt mit matter Stimme:

»Mein Freund, ist Gevatter Hein schon im Zimmer?« Worauf Dr. Sauerbruch mit ernster Miene entgegnet: »Im Zimmer noch nicht. Aber er geht schon ums Haus …«

»Schlaf gut, Willibert.«

Wie jeden Abend deckt meine Mama mich zu. Dann das Abendgebet: »Heiliger Schutzengel mein, lass mich dir anbefohlen sein …« Sie streicht mir übers Haar, sie gibt mir einen Kuss und ich sinke bald in den Schlaf.

Irgendwann in der Nacht wache ich auf, und da geschieht es: Aus der Dunkelheit springt mich der schwarze Hund an. Ein Gefühl hoffnungsloser Verlorenheit und panischer Angst. Ich weine. Ich schreie. Licht flammt im Zimmer auf. Mein Vater ist aus dem elterlichen Schlafzimmer herübergekommen.

»Willibert, hast du schlecht geträumt?«

»Nein.«

»Was ist denn?«

»Ich habe so Angst.«

»Wovor hast du Angst?«

»Doktor Sauerbruch.«

»Aha. Du sollst auch nicht immer diese Filme sehen. Dafür bist du noch zu jung.«

Er geht und lässt das Licht brennen. Aber die Angst bleibt. Die Verstörung bleibt. Ich liege wach, bis unruhiger Schlaf mir die Augen schließt.

In der zweiten Nacht dasselbe – Weinen, Schreie, Panik. Und in der dritten Nacht wieder. Diesmal reißt mein Vater die Tür auf, steht mit zerzaustem Haar in seinem Schlafanzug im Zimmer und brüllt bloß: »Scheiß Doktor Sauerbruch!«

Was ja schon wieder komisch ist. Ich habe meinen Zustand jedenfalls gleich mit diesem Film in Verbindung gebracht. »Gevatter Hein« – allein diese Umschreibung für den Tod, so vertraulich und gleichzeitig grausig! Dazu die Vorstellung, dass dich der Sensenmann holt, dass er bereits ums nächtliche Haus streicht, dass er womöglich bald vor dir steht und mit seinem kalten Atem dein Lebenslicht ausbläst … Das wird der Auslöser für meine Panik gewesen sein.

Aber die Ursache war es nicht.

Für meinen Vater stand fest: »Der Junge hat zu viel Fantasie.« Und es stimmt, ich bin sehr fantasiebegabt. Wenn mir eine spannende Geschichte serviert wird, sei es in einem Buch, sei es in einem Film, zieht es mich ins Geschehen rein. Für mich gibt es keine solide Absperrung zwischen Wirklichkeit und Fantasie. Da geht es mir wie Bastian Balthasar Bux aus Michael Endes Unendlicher Geschichte, der das Land Phantásien nur deshalb retten kann, weil er sich von der Erzählung, die er gerade liest, buchstäblich aufsaugen lässt. Und richtig ist auch: Der Sauerbruchfilm war für einen kleinen Jungen wie mich starker Tobak. Da ging es um das Dramatischste, was ein Mensch aushalten muss, die Begegnung mit dem Tod – nur zu begreiflich, dass ich aufgewühlt war. Aber genauso wahr ist: Der schwarze Hund war immer schon da. Die dreizehnte Fee hatte ihn mir in die Wiege gelegt, und seither wartete er auf seine Stunde.

Das, wovon ich rede, ist keine gelegentliche Niedergeschlagenheit. Keine momentane Phase der Verzweiflung. Kein vorübergehendes Leiden an sich selbst oder der Welt. Ich rede von einer Veranlagung, einer depressiven seelischen Grundstruktur. Ich rede von einem aufgewühlten Meer der Angst, in das ich jederzeit stürzen kann, mitten im größten Trubel, und dem Gefühl, darin zu versinken, zu ertrinken. Und selbst heute, wo ich sagen würde: Willibert, du bist geheilt, du hast die rettende Insel erreicht … selbst heute ist es so: Ich wache morgens auf – und fühle mich dem neuen Tag nicht gewachsen.

Nicht dass ich ein Morgenmuffel wäre, der erst auf Trab kommen muss. Ich wäre froh, wenn es nur Schwunglosigkeit wäre. Aber es ist weitaus schlimmer. Es geht auch über das Gefühl hinaus: Ich weiß nicht, wofür ich aufstehen soll. Es ist ein regelrechtes Erschrecken. Im selben Augenblick, in dem ich die Augen aufschlage und mir meiner Selbst bewusst werde, befällt mich Panik. Da kommen alle möglichen Ängste angekrochen. Da stellt sich diese furchtbare Beklemmung wieder ein. Zwar nicht mehr als zähnefletschender schwarzer Höllenhund, aber immer noch als fieser, wütender Kläffer, groß genug, um mich davon zu überzeugen: Das wird heute ein ganz schlimmer Tag. Derart verstört ist es schon eine kaum zu bewältigende Aufgabe, mich anzuziehen. Und wenn jetzt jemand fragen würde: Ja, was ist denn so Schlimmes an diesem Tag? Dann müsste ich antworten: Nichts. Gar nichts. Keine Unannehmlichkeit erwartet mich, nichts und niemand setzt mich unter Druck. Kein Ungemach weit und breit.

Grundlose Angst. Völlig irrational. So war es immer, seitdem ich mich erinnern kann. Und doch ist alles anders geworden.

Verglichen mit dem, was ich in der Vergangenheit erlebt habe, sind meine Morgendepressionen heute harmlos. Das sind nur noch schwache Ausläufer meiner früheren Depression. Wer diesen Zustand nicht kennt, wäre entsetzt, und natürlich ist er auch für mich nicht schön, aber da ich ihn in seiner schwärzesten Ausführung kenne … Vor allem aber: Dieser Zustand hält nicht an. Wenn ich mich aufrappele, weil ich raus muss, weil ich einen Termin habe, dauert es keine fünf Minuten und die Panik verfliegt. Aber Morgen für Morgen ist es dasselbe. Erst das erschrockene Aufseufzen und die bange Frage: Was ist denn mit dir los? Wo kommt denn diese Niedergeschlagenheit her? Und dann die wundersame Erfahrung: Das Gespenst der Depression löst sich von einem Augenblick auf den anderen in Morgenluft auf.

Gottlob kann ich auch wieder schlafen. Selbst wenn ich nachts aufwachen sollte, fühle ich mich in Morpheus’ Armen geborgen und sage nur kurz zu mir: Hallo, da bist du ja, mein Freund. Komm, wir pennen noch ein bisschen weiter … Ich gehe sogar froh und zuversichtlich zu Bett, obwohl ich weiß: In der Frühe erwarten mich wieder meine panischen fünf Minuten. Aber das stört mich in diesem Moment gar nicht. Damit kann ich leben.

Nun, wahrscheinlich ist er nicht vollständig besiegt, der schwarze Hund. Aber zumindest ist er eingefangen und eingesperrt. Ganz los werde ich ihn wohl nie werden. Trotzdem fühle ich mich heute unendlich erleichtert, wie erlöst. Wie das kommt? Eines Tages, es war im August 2012, habe ich meinen Koffer gepackt und bin in die Psychiatrie gegangen. In die Klapsmühle, wenn Sie so wollen. Die Irrenanstalt. Die Klapse. Wo keiner landen will. Weil jeder weiß, was auf ihn zukommt, nämlich Türen ohne Klinken, Fenster, die sich nicht öffnen lassen, kräftige Männer, die schon mit der Zwangsjacke warten, Elektroschocks womöglich. Einer flog über das Kuckucksnest. Seither wissen wir Bescheid: In der Psychiatrie wirst du weggesperrt, gegen deinen Willen mit Medikamenten vollgepumpt und ruhiggestellt, bis deine Persönlichkeit...

Erscheint lt. Verlag 11.3.2024
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
Schlagworte Antidepressiva • Depression • Glauben • Gläubigkeit • Karneval • Psychische Belastung • Psychische Erkrankung • Psychotherapie • Schicksal • Seelsorge • Suizidgedanken
ISBN-10 3-451-83270-4 / 3451832704
ISBN-13 978-3-451-83270-3 / 9783451832703
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