Gibt's das auch in Grün? (eBook)
256 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45659-1 (ISBN)
Kerstin Scheidecker, ausgebildete Journalistin, ist seit über 20 Jahren für ÖKO-TEST tätig, inzwischen als Chefredakteurin und Geschäftsführerin. Gemeinsam mit der ÖKO-TEST-Redaktion schaut sie mithilfe unabhängiger Produkttests der Konsumgüterindustrie auf die Finger, deckt deren Marketingtricks auf und macht sich für Verbraucher- und Umweltschutz stark.
Kerstin Scheidecker, ausgebildete Journalistin, ist seit über 20 Jahren für ÖKO-TEST tätig, inzwischen als Chefredakteurin und Geschäftsführerin. Gemeinsam mit der ÖKO-TEST-Redaktion schaut sie mithilfe unabhängiger Produkttests der Konsumgüterindustrie auf die Finger, deckt deren Marketingtricks auf und macht sich für Verbraucher- und Umweltschutz stark. Katja Tölle ist stellvertretende Chefredakteurin von ÖKO-TEST. Nach ihrem Studium der Politikwissenschaften arbeitete sie für mehrere Tageszeitungen. Gemeinsam mit der ÖKO-TEST-Redaktion schaut sie mithilfe unabhängiger Produkttests der Konsumgüterindustrie auf die Finger, deckt deren Marketingtricks auf und macht sich für Verbraucher- und Umweltschutz stark.
Kapitel 1
Weit gereister Irrsinn
Wir können alles haben, immer. Erdbeeren im Dezember, Rosen im Februar und Bananen das ganze Jahr über, obwohl bei uns keine einzige Banane wächst. Gäbe es keinen globalen Handel, könnten wir überhaupt nie Bananen essen. Wir könnten keine Rosen zum Valentinstag verschenken und Erdbeeren im Dezember hätten wir auch nicht. Auf die Erdbeeren zu Weihnachten könnten wir vielleicht gut und gerne verzichten. Aber sie sind nur die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs. Denn dass Dezembererdbeeren nicht aus regionaler Produktion kommen, das leuchtet jeder Verbraucherin, jedem Verbraucher unmittelbar ein. Wir können es erkennen, weil die Händler das Herkunftsland auf der Verpackung oder dem Schild an der Obsttheke angeben müssen. Doch bei vielen anderen Produkten tappen wir im Dunkeln. Wir kommen gar nicht auf die Idee, dass auch saisonunabhängige hochverarbeitete Lebensmittel dreimal um die Welt gereist sein könnten, bevor sie in unserem Einkaufskorb landen. Denn die Industrie importiert längst nicht nur Dinge, die es bei uns nicht gibt.
Die Industrie importiert genauso das eher saisonunabhängige Tomatenmark aus China, Hühnerfleisch aus Brasilien und Honig aus Uruguay. In den allermeisten Fällen ist der Grund dafür ganz einfach: Das Lebensmittel in einem anderen Land zu produzieren und dann um die halbe Welt zu verschiffen, ist immer noch günstiger, als es bei uns herzustellen.
Ja, und? Ist das nicht einfach okay in einer globalisierten Welt? Internationale Arbeitsteilung eben. Profitieren davon nicht alle? Wir, weil wir (noch mehr) Tomatenmark bekommen, und China, weil China Geld damit verdient, uns Tomatenmark zu verkaufen? Ja, na ja! Also einmal ganz von dem ökologischen Irrsinn abgesehen, das Mark per Schiff um die halbe Welt zu schicken, gibt es da noch einen ganz anderen Aspekt.
Wann immer ein Lebensmittel sehr billig ist, stellt sich die Frage: »Wer bezahlt dafür, wenn nicht wir?« Und eines ist sicher: Einer zahlt. Im Falle der Tomaten sind es etwa Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter, die die Tomaten auf den Feldern im chinesischen Xinjiang anbauen. Im Falle der Chicken Nuggets sind es die Hühner – und die Menschen, die in Polen oder Brasilien das Fleisch unter erbärmlichen Arbeitsbedingungen zerlegen. Und im Falle der Rosen, ein Strauß für 1,99 Euro im Discounter, sind es Arbeiterinnen und Arbeiter in Kenia, die bei uns längst verbotene Spritzmittel ohne Schutzkleidung sprühen. So ganz okay ist das also nicht – zumindest längst nicht immer.
Deswegen schauen wir bei ÖKO-TEST gerade bei herkunftskritischen Lebensmitteln genau hin: Woher stammen die Produkte? Wie wurden sie angebaut und von wem, unter welchen Bedingungen? Eine Herkunft, die sich überraschend häufig durch viele Lebensmitteltests zieht, ist China. Dass Technik, Spielzeug und Möbel oft aus China kommen, ist klar. Aber Weinblätter, Bio-Kidneybohnen, Bio-Erdnüsse, Honig? In unserem Test Weinblätter1 2023 stammten fünf der 20 Produkte gesichert aus China, zudem wollten fünf Hersteller die Karten nicht auf den Tisch legen, was die Herkunft betrifft. Und nur ein einziges Produkt kam tatsächlich aus Griechenland, wie die netten blau-weiß gehaltenen Verpackungen der »Dolmadakia« das häufig suggerieren. Von den sechs Bio-Kidneybohnen-Marken, die wir 2021 in unserem Test Kidneybohnen2 überprüft haben, stammten alle (!) aus China. Bio, wohlgemerkt. Die konventionellen hingegen kamen aus den USA, Kanada, Argentinien und Italien. Gleiches galt für die Erdnüsse3 im selben Jahr: Vier von fünf Bio-Erdnuss-Marken bezogen ihre Nüsse aus China, die konventionellen stammten fast alle aus Argentinien. Bei den »Iglo Kräutern italienischer Art« in unserem Test Tiefkühlkräuter4 stammte der Knoblauch aus China, die »Freshona 8 Kräuter« von Lidl kamen zwar nicht aus China, aber aus dem Rest der Welt – Dill aus Indien, Petersilie aus Großbritannien, der »Rest« aus Frankreich und Polen. Dill aus Indien? Lidl, echt jetzt? Was ist da los?
Und der Honig5? Gerade einmal drei der von uns 2022 getesteten Produkte kamen aus Deutschland. Die anderen waren Mischungen, oft mit der alles und nichts sagenden Deklaration EU/Nicht-EU – über diese Nichtaussage ärgern wir uns an späterer Stelle noch mehr. Auch bei den Leinsamen überraschte uns die Herkunft. Fünf der 20 Produkte im Test Leinsamen6 2022 stammten aus Indien – auch das allesamt Bio-Produkte –, acht weitere aus Kasachstan. Aus Deutschland kam kein einziges, nur eines, immerhin, aus Österreich, ein anderes aus Frankreich.
Schauen wir uns ein paar besonders extreme Beispiele an: Tomaten aus China, Erdbeeren aus Spanien, Ägypten und Marokko, Rosen aus Kenia und Honigmischungen aus der ganzen Welt.
Tomaten aus China
Machen Sie doch mal Ihre Kühlschranktür auf. Wenn dort eine Flasche Ketchup steht, eine Tube Tomatenmark liegt oder im Tiefkühlfach eine Fertigpizza auf den Moment wartet, in dem Sie schwach werden – wissen Sie, woher die Tomaten stammen, die darin stecken? Schauen Sie sich die Produkte einmal an. Finden Sie Hinweise? Am ehesten vielleicht noch bei dem Mark – je stärker verarbeitet die Lebensmittel sind, je mehr Zutaten zusammengemischt werden, desto schwieriger ist es, die Herkunft der Rohstoffe zurückzuverfolgen. Meist steht gar nichts da, das ist auch erlaubt – die Hersteller müssen die Herkunft ihrer Rohstoffe nur unter ganz bestimmten Bedingungen nennen. Bio-Hersteller beispielsweise müssen das. Aber so eine Angabe wie »EU« oder »Nicht-EU« reicht auch dann meistens aus. Fast ein bisschen wild wird es, wenn Hersteller »EU/Nicht-EU« auf die Verpackung schreiben, als seien Jupiter oder Mond eine weitere mögliche Herkunft. Auf Ihrem Ketchup steht nichts? Auch auf der Pizza nicht? Die Wahrscheinlichkeit, dass in Ihrem Kühlschrank auch chinesische Tomaten liegen, ist gar nicht mal so klein. Und das ist nicht »nur« ein ökologisches Problem, sondern leider auch ein menschenrechtliches.
China ist der größte Produzent von Tomaten weltweit. Das Land produziert auf einer Fläche von mehr als 1 Million Hektar Tomaten, die Produktionsmenge übersteigt die Italiens etwa um das Zehnfache. Das mag jetzt überraschen, weil Tomaten ja nicht unbedingt auf dem täglichen Speiseplan der chinesischen Küche stehen. Die Chinesen bauen diese riesigen Mengen auch nicht für sich selbst an, sondern für den Export. Und diese Tomaten schicken sie zu Mark verarbeitet mit Containerschiffen in die ganze Welt – auch zu uns, auch nach Italien.
Die Ironie der Geschichte: Die Italiener klagen heute über die billige Konkurrenz Chinas – dabei waren sie es, die den Chinesen die Maschinen und das Know-how in den 1990er-Jahren gebracht haben, weil sie eben billiges Tomatenmark kaufen wollten. Und den Preis der Chinesen, den schlägt nun einmal keiner. Die Produktionskosten in China sind viel niedriger, darunter auch die Arbeitskosten. Denn wenn die Arbeiterinnen und Arbeiter auf den Feldern in China bezahlt werden, dann bekommen sie einen Hungerlohn. Die Betonung liegt auf wenn, denn in der Hauptanbauregion Chinas, in Xinjiang, arbeiten auch Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter. Uigurinnen und Uiguren, die in Lagern festgehalten werden und überhaupt kein Geld für ihre Arbeit bekommen – Sklavenarbeiter. Menschenrechtsorganisationen schätzen die Zahl der inhaftierten Muslime auf über eine Million. Das macht es, sarkastisch gesprochen, natürlich relativ einfach, billig zu produzieren. Hinzu kommt: Die Umweltauflagen sind niedrig, der Schiffstransport günstig. Und tatsächlich gibt es auch ökologisch gesehen einen positiven Aspekt: Die Anbaubedingungen in Xinjiang sind klimatisch ideal – energetisch intensive und damit auch teure Gewächshäuser wie in Holland oder Deutschland sind nicht nötig. Doch das wiegt die katastrophalen menschenrechtlichen Zustände ja nicht auf.
Die USA etwa haben 2022 ein Importstopp für Tomaten und Baumwolle aus Xinjiang beschlossen, wegen menschenrechtlicher Bedenken. Bei uns und in der ganzen EU stehen weiterhin Ketchups, Grillsoßen und Co. mit Tomaten aus Xinjiang in den Supermarktregalen. In der ganzen EU?...
Erscheint lt. Verlag | 7.2.2024 |
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Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Lebenshilfe / Lebensführung |
Schlagworte | bewusster Konsum • bio • Discounter • Einkaufstipps • Fairtrade • Greenwashing • Grüner Konsum • informiert einkaufen • Klimalügen • Konsumgüterhersteller • Label • Lebensmittel-Ratgeber • Lebnsmittelindustrie • Marketinglügen • Nachhaltigkeit • Naturkosmetik • ÖKO-TEST • Tierwohl • Umweltschutz • Verbraucherschutz |
ISBN-10 | 3-593-45659-1 / 3593456591 |
ISBN-13 | 978-3-593-45659-1 / 9783593456591 |
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Größe: 4,3 MB
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