Mörderische Existenzen (eBook)
260 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-7737-2 (ISBN)
© 2015 Schicksal-und-Herausforderung.de
In den vergangenen Jahren wurden diverse Studien veröffentlicht, die von neuroanatomischen Besonderheiten bei pädophilen Straftätern berichten.
Im Jahr 2007 sorgte eine Studie aus Kanada für weltweites Aufsehen. Wissenschaftler der Universität Toronto hatten die Gehirne pädophiler Straftäter mittels Magnetresonanztomographie untersucht und seien dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass Pädophile zu wenig „weiße Substanz“ im Gehirn hätten.1) Dieser Mangel an weißer Substanz sei möglicherweise dafür verantwortlich, dass Pädophile ihre sexuellen Impulse nicht kontrollieren könnten. Wissenschaftler der Universität Magdeburg hatten ein Jahr zuvor ebenfalls hirnorganische Auffälligkeiten bei pädophilen Straftätern festgestellt.2) Die Medien greifen solche Meldungen immer wieder gerne auf, aber leider nicht immer mit der notwendigen kritischen Distanz. Die Methodik solcher Studien wird selten hinterfragt, stattdessen werden sensationsträchtige Schlagzeilen formuliert, für die es aus wissenschaftlicher Sicht noch zu früh ist. Pädophilie sei die Folge einer angeborenen Fehlentwicklung im Gehirn, so lautete der Tenor, der vor gut drei Jahren fast einhellig durch die Presse ging.
Studien mit wenig Aussagekraft
Ich will die neurobiologischen Ansätze in der Pädophilie-Forschung nicht in Frage stellen. Es ist wichtig, in alle Richtungen zu forschen; gerade auch, um populistischen und wenig informierten Sichtweisen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Vor übereilten Schlussfolgerungen muss aber dringend gewarnt werden; denn der wissenschaftliche Beweis, dass eine pädophile Ausrichtung tatsächlich angeboren ist, konnte bisher nicht erbracht werden, auch wenn das in der Presse gelegentlich so dargestellt wird. Die wenigen neurobiologischen Untersuchungen, die es zu diesem Gebiet gibt, basieren auf kleinen Fallzahlen, deren empirische Beweiskraft sehr begrenzt ist.
Außerdem wurden die Untersuchungen fast ausschließlich an straffällig gewordenen Pädophilen durchgeführt, so dass Rückschlüsse auf abstinent lebende Pädophile nur sehr bedingt möglich sind. Bei der Magdeburger Studie wurde z. B. mit einer sehr kleinen Fallzahl von 13 Probanden gearbeitet; alles rechtskräftig verurteilte Sexualstraftäter aus dem Maßregelvollzug. Selbst die Autoren warnen deshalb vor einer Verallgemeinerung ihrer Befunde.2)
Im Fall der kanadischen Studie wurden zwar mit einer größeren Fallzahl von 127 Probanden gearbeitet, aber auch hier handelte es sich ausschließlich um Pädophile, die bereits straffällig geworden waren.
Einen repräsentativen Schnitt durch den vielfältigen Personenkreis der Pädophilen kann man auf diese Weise nicht erwarten, denn hätte man die abstinent lebenden Pädophilen mit einbezogen, dann wäre das Ergebnis wahrscheinlich anders ausgefallen. Bei beiden Studien hat also schon die Auswahl der Versuchspersonen das Ergebnis beeinflusst; denn bei Sexualstraftätern wird man immer das Problem haben, dass sie ihre Impulse und Begierden nicht kontrollieren können – sonst wären sie nicht straffällig geworden.
Unter diesen Voraussetzungen ist es kein Wunder, wenn in der Auswertung der Eindruck entsteht, Pädophilie und Impulskontrollstörungen würden zwangsläufig miteinander zusammen hängen. Bei einigen Untersuchungen wurden Abweichungen im EEG pädophiler Straftäter („gesteigerte frontale Delta-, Theta- und Alpha-Aktivität“) im Vergleich zu nichtpädophilen Kontrollpersonen gefunden. Auch hier wird aber betont, dass sich daraus noch keine Hinweise zur Ursache der Pädophilie ableiten lassen.3) In einer Studie der Universität Duisburg-Essen aus dem Jahr 2006 wurde eine Gruppe von 18 Kernpädophilen (nach DSM-IV) ebenfalls auf neurologische Auffälligkeiten untersucht. Mittels voxel-basierter (V Morphometrie BM) konnte eine „Volumenreduktion der grauen Substanz“ in diversen Hirnregionen nachgewiesen werden.4) Außerdem wurden Tendenzen für ein stark zwanghaftes Verhalten festgestellt, was der Einordnung der Pädophilie als zwanghafter Impulskontrollstörung neuen Auftrieb gab. Auch hier zeigt sich aber wieder das Problem der zu kleinen Fallzahl von 18 Probanden, die allesamt aus dem Maßregelvollzug stammten. Zu den beteiligten Wissenschaftlern der Duisburger Studie zählte Dipl.-Psychologe Boris Schiffer. Er starte im selben Jahr eine weitere Untersuchung mit 19 kernpädophilen Probanden, die er mit 24 Kontrollprobanden verglich.
Beide Gruppen konfrontierte er mit sexuell stimulierendem Bildmaterial. Dabei zeigte sich, dass bei den pädophilen Versuchsteilnehmern andere Hirnregionen aktiv waren als bei der nicht-pädophilen Kontrollgruppe. Ach hier wurden wieder Hinweise auf eine enge Verwandtschaft pädophiler Impulskontrollstörungen zu anderen Zwangsstörungen festgestellt.5) Eine noch sehr neue Studie aus dem Jahr 2008 (65 Probanden, 62 Kontrollprobanden) bestätigt wiederum die Aussage der kanadischen Forscher von 2007, wonach bei pädophilen Straftätern eine „signifikante Volumenreduktion“ an weißer Substanz feststellbar sei.6)
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es mehrere voneinander unabhängige Studien gibt, in denen sich signifikante neurologische Auffälligkeiten bei pädophilen Straftätern feststellen ließen. Aufgrund der uneinheitlichen Befunde und der zu geringen Fallzahlen lassen sich die Ergebnisse aber derzeit noch nicht verallgemeinern. Zu bemängeln ist außerdem, dass lediglich pädophile Straftäter untersucht wurden, während es über abstinent lebende Pädophile keine vergleichbaren Erhebungen gibt. Auch eine Forschergruppe der Universität Göttingen kam jüngst zu dem Ergebnis, dass die Frage nach den neurobiologischen Ursachen der Pädophilie noch viel zu wenig erforscht sei, als dass man von gesicherten Erkenntnissen sprechen könnte:
„Der derzeitige Kenntnisstand zu den neurobiologischen Grundlagen der Pädophilie basiert auf nur wenigen wissenschaftlichen Untersuchungen.
Einige dieser Untersuchungen legen die Hypothese neurobiologischer Anomalien bei pädophilen Straftätern nahe. Doch stellen sich die Befunde noch als zu heterogen dar, um eine Integration aller Befunde in ein übergeordnetes neurobiologisches Störungsmodell zu ermöglichen.“
(Frommberger P., Krippl M. Stolpmann G., Müller, J. L.:, „Neurobiologie der pädophilen Störung – eine methodenkritische Darstellung bisheriger Forschungsergebnisse“, Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie 4, 2007, S. 249-258)
Bemerkenswert ist, dass die Autoren ausschließlich von pädophilen Straftätern sprechen, so dass auch hier sehr schnell klar wird, dass bei praktisch allen Untersuchungen ein sehr einseitig zusammen gesetzter Personenkreis untersucht wurde. Eine weitere Bestätigung dafür, dass eine Übertragung auf die Gesamtheit aller Pädophilen mit größter Vorsicht zu genießen ist.
Das Wechselspiel von Anlage und Umwelt
Selbst wenn man bei pädophilen Straftätern (oder auch bei abstinent lebenden Pädophilen) bestimmte neurologische Auffälligkeiten findet, so bedeutet das noch lange nicht, dass diese Auffälligkeiten tatsächlich angeboren sind. Neuere Ergebnisse aus der Täterforschung deuten nämlich darauf hin, dass viele Missbrauchstäter selbst eine traumatische Kindheit hatten. Heyden und Schattauer untersuchten die Biographien sowohl pädophiler als auch nichtpädophiler Täter. Dabei kamen sie zu folgendem Fazit:
„So heterogen sie sich phänomenologisch auch darstellen mögen, deuten ihr Erleben, Fühlen und Handeln, ihre Lebensgeschichten und ihre Psychophatologie darauf hin, dass es sich bei Missbrauchstätern um in ihrer Kindheit schwer traumatisierte und bindungsgestörte Menschen handelt, die über ihre traumatischen Erfahrungen in der Regel weder gesprochen noch sie verarbeitet haben. Der sexuelle Missbrauch von Kindern stellt für sie einen Versuch zur Bewältigung ihrer (meist innerfamiliären) Traumatisierungen dar.“
(Saskia Heyden / Kerstin Jarosch: „Missbrauchstäter. Phänomenologie – Psychodynamik – Therapie“, Schattauer, Stuttgart 2009, S. 195)
Vor diesem Hintergrund erscheinen auch die neurobiologischen Studien in einem anderen Licht. Aus der Hirnforschung ist nämlich bekannt, dass nicht nur die Gene für die Entwicklung unserer Persönlichkeit verantwortlich sind, sondern dass umgekehrt auch unsere Lebenserfahrung die Entwicklung unseres Gehirns beeinflusst. Joachim Bauer ist Neurobiologe und Professor für psychosomatische Medizin an der Universitätsklinik Freiburg. Er bezeichnet den „permanenten Aufbau und Umbau von Nervenzellen-Verschaltungen des Gehirns in Abhängigkeit dessen, was wir erleben und tun“ als...
Erscheint lt. Verlag | 23.10.2023 |
---|---|
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Recht / Steuern ► Strafrecht | |
Sozialwissenschaften ► Pädagogik ► Sozialpädagogik | |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Jack the Ripper • pädophile Serienmörder • Serienkiller/Serienmörder • Serientäter • Zodiac Killer |
ISBN-10 | 3-7583-7737-4 / 3758377374 |
ISBN-13 | 978-3-7583-7737-2 / 9783758377372 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 220 KB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich