Gestatten, Musiker mit Tinnitus -  Werner Kolb

Gestatten, Musiker mit Tinnitus (eBook)

Was er mir nahm und was er brachte - ein Reisebericht

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
158 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-7873-7 (ISBN)
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Tinnitus - Da kann man nichts machen, damit müssen sie jetzt leben. Im Dezember 2016 meldeten sich die Symptome: Tinnitus, Dysakusis, Hyperakusis Für den professionellen Musiker Werner Kolb der Super-Gau: Berufsunfähigkeit, Depression. Nach zwei Jahren begannen die Symptome sich wieder zurückzuziehen. Weitere vier Jahre später sind sie weitestgehend verschwunden. In dem vorliegenden Buch beschreibt der Autor seine Erfahrungen, die er im Verlauf seiner Erkrankung mit Ärzten, dem Gesundheitssystem und alternativen Möglichkeiten gemacht hat. Er begibt sich auf eine Reise in seine Vergangenheit, erzählt von Begebenheiten aus seinem privaten und musikalischen Leben. Auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, die keine Antwort kennt: Warum ist passiert, was passiert ist?

Werner Kolb, Jahrgang 1963, wuchs im schwäbischen Ellwangen auf. Nach Abitur und Zivildienst zog er 1985 nach Hamburg und ist seitdem als Bassist und Keyboarder tätig.

Der Urlaub


9. September 2016. Schallend drang der Ruf durch die Abendidylle. Ein schöner, stimmungsvoller Ruf. Mit absoluter Stille im Kopf saß ich auf einer Bank vor meiner Hütte und ließ die Atmosphäre der Innsbrucker Alpen auf mich wirken.

Die Sonne war dabei unterzugehen und Nebelschwaden begannen die Weiden zu überziehen, als der junge Hirte neben mir auftauchte. Er dürfte Anfang zwanzig gewesen sein und trug einen dieser klassischen Seppl-Hüte. Kaum zu glauben, ich genoss es, als er seine Melodie sang und dazu in die Hände klatschte. Kein verzerrtes Gekreische, das da zu mir durchdrang, keine Schmerzen in meinen Gehörgängen.

Wie aus dem Nichts tauchten die ersten Kühe hinter einem Hügel auf und schauten in unsere Richtung. Nach und nach folgten sie dem Ruf ihres Hirten, um mit ihm in den Stall zu verschwinden, bevor sie am nächsten Morgen auf ihre Weiden zurückkehren würden, faszinierend.

Seit Jahren verspürte ich den Wunsch, dem ständigen Lärm und Druck der Großstadt zu entfliehen. Zur Ruhe kommen zu können, Zeit für mich zu haben, kreativ zu sein. Die Alpen kannte ich aus der Kindheit. Meine Eltern fuhren mit mir regelmäßig zum Skiurlaub in die Schweiz.

Im Herbst 2015 war ich für ein paar Tage im Allgäu. Ich besuchte Daniel, den ich über die sozialen Netzwerke wiedergefunden hatte. Nach mehr als dreißig Jahren. Als wir in seinem Lesezimmer saßen und über Vergangenes sprachen, fiel der Entschluss, meine Auszeit in den Bergen zu verbringen. Mit Petra, meiner Freundin, machte ich diese Ansammlung kleinerer Hütten ausfindig.

Es gibt nicht viele Begebenheiten, die mir ein mulmiges Gefühl – man könnte es auch Angst nennen – bereiten. Als ich vor vielen Jahren in einer tunesischen Hotelanlage einen Gleitflug absolvierte, brauchte es Stunden, bis ich wieder normal atmen konnte. Mein einziger Pauschalurlaub, den ich bislang gebucht hatte. Das krasse Gegenteil zu dem, was vor mir lag.

Die letzte Etappe meiner Anreise auf die Grafensalm war ein weiteres Beispiel. Ich verließ die Hauptstraße und begann mit dem Aufstieg. Der Weg, auf dem ich fuhr, wurde immer schmaler und die Seitenränder zunehmend brüchig. Leitplanken jeglicher Art waren nicht mehr vorhanden. Schließlich befand ich mich auf einer Schotterpiste. In Serpentinen schlang sie sich um den Berg und fiel an den Seiten stark ab.

»Da passen zwei LKW aneinander vorbei«, lachte der Senner, als ich ihm bei einem Nachbarschaftsplausch davon erzählte. Ein älterer Mann, der sich sein Rentendasein verschönerte. Mir loderte schon das Feuer vor den Augen, wenn ich nur an einem entgegenkommenden Fiat Uno vorbeirangieren musste.

Für eine Woche befand ich mich an diesem abgeschiedenen Ort. Viel zu kurz. Das Gebimmel der Glocken, die jede Kuh um den Hals trug, und das Rauschen der Gebirgsbäche waren die überwiegenden Geräuschquellen. Je weiter ich mich von den Hütten entfernte, in die Berge wanderte, umso ruhiger wurde es.

Nachts, wenn der Himmel klar war, saß ich vor meiner Hütte. Ich erinnerte mich daran, wie ich als kleiner Junge auf der Rücksitzbank des elterlichen Fahrzeugs aus dem Fenster schaute und die Sterne beobachtete. Das war damals der Weg, mich auszuklinken, um das Gezeter auf den vorderen Plätzen nicht mit anhören zu müssen.

Auch jetzt entführte mich die Welt da oben und ich begann zu träumen. Dass es so ziemlich das letzte Mal sein würde, so eine Ruhe genießen zu können, kam darin nicht vor.

***

›Bist du der BEATLES- oder der ROLLING-STONES-Typ?‹. Wenn es um die oft gestellte Frage geht, gehöre ich eindeutig zur ersten Kategorie.

Ab meinem achten Lebensjahr bekam ich klassischen Klavierunterricht, der mich allerdings nur bedingt faszinierte. Dann sah ich den Film ›A Hard Day’s Night‹ und bin mir sicher, dass dieses Ereignis meine Liebe zur Musik auslöste. Laut Wikipedia fand seine Erstausstrahlung im deutschen Fernsehen am Donnerstag, dem 18. April 1974 statt. Das kommt gut hin, da war ich elf Jahre alt.

Bereits ein Jahr später war der Hard Rock meine Insel der Geborgenheit. Ich entdeckte die Faszination des ortsansässigen Plattenladens und meine Vinylsammlung begann zu wachsen. Mein Zimmer befand sich im Keller unter der Garage. Hier war ich ungestört. Wenn ich von der Schule nach Hause kam, legte ich als Erstes eine Platte auf den Teller, dann mich auf meine Matratze: ›Deep Purple in Rock‹, Speed King, das Intro – ich schloss die Augen, begann alles um mich herum zu vergessen und versank in der Musik. Für zwanzig Minuten war ich in einer Welt, die meine Phantasie fließen ließ. Erst das Geräusch des Tonarms, das das Ende der Plattenseite verkündete, holte mich zurück. Meine Mutter meldete mich vom Klavierunterricht ab, was eine sinnvolle Entscheidung war.

Mit Daniel erlebte ich meinen ersten Filmriss. Genauer gesagt am 23. Juli 1977, der Abend vor der ›1. Rockpalast Nacht‹. Wir waren vierzehn und meine Eltern übers Wochenende weg.

In unserem Wohnzimmer stand diese Hausbar. Sie hatte die Form und Optik einer Weltkugel, deren zwei Hälften durch das häufige Öffnen bald nicht mehr aufeinanderpassten. Vor allem der achtzigprozentige Strohrum machte uns neugierig.

»Ey, lass mal einen lupfen.« Es schmeckte scheußlich, aber männlich. So folgte ein Schnaps dem anderen.

»Auf ex!«

Das Konzert selbst sah ich nicht. Ich lag zu diesem Zeitpunkt zwischen meinem Erbrochenen und umgeworfenen Blumentöpfen. Seither habe ich ein zwiespältiges Verhältnis zu RORY GALLAGHER.

Zu meinem fünfzehnten Geburtstag schenkte mir mein Großvater eine ›Viscount Intercontinental‹- Orgel. Schon bald spielte ich damit in einer Band. Das war auch ein Grund dafür, dass Daniel und ich uns aus den Augen verloren. Allerdings war der Kontakt eh schon sporadischer. Im Gegensatz zu mir hatte bei ihm unser Strohrum-Intermezzo zur Folge, dass er nie wieder Alkohol angerührt hat. Die anderen Mitglieder der Band waren im Schnitt fünf Jahre älter als ich und gehörten zu der Post-Hippie-Generation, nur wenige Eltern wünschten sich solch einen Umgang für ihre Kinder.

»Willst du auch mal?«

Ich war mit Jack und Uli auf dem Weg nach Stuttgart. Uli drehte sich vom Beifahrersitz des alten Daimlers mit Lenkradschaltung zu mir um und hielt mir seine selbstgebastelte Pur-Pfeife entgegen. Ich hatte bereits bei Partys an Joints gezogen, aber noch nie etwas gespürt. Doch dieses Mal brannte es gewaltig, als ich inhalierte.

»Du musst so lange ziehen, bis das Piece komplett verglüht ist.« Uli grinste mich an. Als wenn er wüsste, was da gleich bei mir abgeht und dass es das erste Mal sein wird. Jack fuhr auf einen Parkplatz.

»Gib mir auch mal.« Es war nicht zu übersehen, dass er sehr routiniert darin war. Er legte eine Kassette ein: FRANK ZAPPAs ›One Size Fits All‹. Zu den Klängen von Inca Roadsversank ich in den Polstern der Rücksitzbank und kam erst wieder zu klaren Gedanken, als wir nach einer guten Stunde unser Ziel erreichten.

Als ich siebzehn war, fuhr ich in den Sommerferien mit mehreren Kumpels an den Comer See. Roland, dessen schulterlangen blonden Haare erstaunlich gepflegt wirkten, hatte LSD -Trips im Gepäck. Nach einigen feuchtfröhlichen Tagen saßen wir in gemütlicher Runde beim Katerfrühstück.

»Habt ihr Lust auf einen Trip?« Was für eine bescheuerte Frage.

»Wie lange dauert das denn, ich spür noch gar nichts.«

Schleichend ging ich hinüber. Was für eine Welt, und das bis zum nächsten Morgen. Die ultimative Steigerung von allem, was ich bislang erlebt hatte. Ich liebte sie, diese Welt. Zumindest für vier Jahre. Dann wurden die Trips immer unangenehmer und diese Droge für mich Geschichte.

Nach dem Abitur kam der Zivildienst. Ich legte noch eine Gewissensprüfung vor einem fünfköpfigen Gremium ab. Offensichtlich beantwortete ich die absurdesten Fragen ausreichend genug, um bei der ersten Verhandlung dieses Kasperltheaters anerkannt zu werden. Da hatte die Beratung im Ellwanger Jugendzentrum ihren Zweck erfüllt.

Bereits einen Tag nach Erhalt der Erfassung zum Wehrdienst warf ich meinen KDV-Antrag in den Briefkasten. Die Entscheidung hierfür hatte ich schon lange vorher getroffen. Das Gleiche galt für meine berufliche Zukunft. Sobald es möglich war, wollte ich weg aus der schwäbischen Provinz und Musiker werden.

***

»Denkst du, ich kann das Zimmer haben?«

Wir schrieben den 14. Januar 1985. Ich war bei Ebbe zu Besuch. Ein alter Bolzplatzkumpel, der seit wenigen Monaten in Hamburg studierte. Seine Zimmereinrichtung bestand neben einem Schreibtisch aus einem Regal, das mit Büchern und Schallplatten voll gestopft war. Und das ohne einen Plattenspieler. Abgerundet wurde das Inventar durch eine Futon-Matratze, die tagsüber eingerollt in der Ecke stand. Hier fand auch mein Schlafsack seinen Platz.

Wo er wohnte, gab es mehrere getrennt vermietete möblierte Zimmer, deren Mieter teilten sich Küche und Bad....

Erscheint lt. Verlag 1.11.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie
ISBN-10 3-7583-7873-7 / 3758378737
ISBN-13 978-3-7583-7873-7 / 9783758378737
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