Was tun? -  Michail Chodorkowski

Was tun? (eBook)

Damit kein neuer Drache erwacht ...
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2023 | 1. Auflage
240 Seiten
Europa Verlag GmbH & Co. KG
978-3-95890-575-7 (ISBN)
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Spätestens seit Beginn des russischen Vernichtungskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 ist klar: Eine friedliche Weltordnung mit Putin ist kaum denkbar. Doch wie kann ein totalitäres Regime beendet werden? Und wer käme dann an die Macht? Diese drängenden Fragen werden nicht nur von Politikern gestellt, sondern im Grunde von allen freiheitsliebenden Menschen in Russland und auf der ganzen Welt. In seinem neuen Buch nennt Michail Chodorkowski die Bedingungen, die für den aktuellen politischen und gesellschaftlichen Status quo in Russland verantwortlich sind. Er möchte eine längst überfällige Diskussion anstoßen und bietet Lösungen für eine Umgestaltung des russischen Staates, die künftigen Machtmissbrauch verhindern könnten. Zurzeit ist der russische Präsident mit einer außerordentlichen Fülle an Befugnissen ausstattet. Das zentrale Argument des Buches lautet deshalb, die faktische russische Autokratie durch eine parlamentarische Republik mit einem sorgfältig austarierten System von Kontrollinstanzen zu ersetzen. Doch zunächst gilt es, den Drachen zu töten ...

Michail Chodorkowski ist wahrscheinlich der berühmteste lebende russische Dissident im Exil. Als erfolgreicher Geschäftsmann war er Chef von YUKOS, einem der größten Ölproduzenten der Welt. 2001 hatte er die Open Russia Foundation gegründet mit dem Ziel, die Zivilgesellschaft in Russland aufzubauen und zu stärken. Nachdem er Anfang 2003 bei einem im Fernsehen übertragenen Treffen mit Präsident Putin die endemische Korruption kritisierte, wurde er noch im selben Jahr verhaftet und unter dem Vorwurf der Steuerhinterziehung und des Betrugs zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt. Er wurde von Amnesty International zum Gewissensgefangenen erklärt und schließlich im Dezember 2013 freigelassen. Als Anführer der russischen Opposition im Exil setzt sich Chodorkowski für eine alternative Vision Russlands ein. Der Oscar-prämierte Dokumentarfilmer Alex Gibney hat Michail Chodorkowskis Lebensgeschichte in seinem neuesten Film Citizen K aufgezeichnet, der derzeit auf Amazon Prime zu sehen ist. Weitere auf Deutsch erschienene Bücher des Autors sind: Briefe aus dem Gefängnis: Mit einem Essay von Erich Follath (2011), Mein Weg: Ein politisches Bekenntnis (2012) und Meine Mitgefangenen (2014). Olaf Kühl studierte Slawistik, Osteuropäische Geschichte und Zeitgeschichte an der Freien Universität Berlin. Er übersetzt literarische Werke aus dem Polnischen und dem Russischen. 2011 legte er seinen Debütroman Tote Tiere vor, in dem er eine Reise zum Straflager von Michail Chodorkowski in Ostsibirien belletristisch verarbeitet.

Michail Chodorkowski ist wahrscheinlich der berühmteste lebende russische Dissident im Exil. Als erfolgreicher Geschäftsmann war er Chef von YUKOS, einem der größten Ölproduzenten der Welt. 2001 hatte er die Open Russia Foundation gegründet mit dem Ziel, die Zivilgesellschaft in Russland aufzubauen und zu stärken. Nachdem er Anfang 2003 bei einem im Fernsehen übertragenen Treffen mit Präsident Putin die endemische Korruption kritisierte, wurde er noch im selben Jahr verhaftet und unter dem Vorwurf der Steuerhinterziehung und des Betrugs zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt. Er wurde von Amnesty International zum Gewissensgefangenen erklärt und schließlich im Dezember 2013 freigelassen. Als Anführer der russischen Opposition im Exil setzt sich Chodorkowski für eine alternative Vision Russlands ein. Der Oscar-prämierte Dokumentarfilmer Alex Gibney hat Michail Chodorkowskis Lebensgeschichte in seinem neuesten Film Citizen K aufgezeichnet, der derzeit auf Amazon Prime zu sehen ist. Weitere auf Deutsch erschienene Bücher des Autors sind: Briefe aus dem Gefängnis: Mit einem Essay von Erich Follath (2011), Mein Weg: Ein politisches Bekenntnis (2012) und Meine Mitgefangenen (2014). Olaf Kühl studierte Slawistik, Osteuropäische Geschichte und Zeitgeschichte an der Freien Universität Berlin. Er übersetzt literarische Werke aus dem Polnischen und dem Russischen. 2011 legte er seinen Debütroman Tote Tiere vor, in dem er eine Reise zum Straflager von Michail Chodorkowski in Ostsibirien belletristisch verarbeitet.

KAPITEL 1


Strategie des Sieges: Friedlicher Protest oder friedlicher Aufstand?


Welche Strategie sichert den Sieg im Kampf mit der Despotie? Den Menschen des 18., 19. und umso mehr des 20. Jahrhunderts fiel die Antwort auf diese Frage leicht: Die siegreiche Strategie ist die Revolution.

Was für eine Revolution? Die gewaltsame, natürlich. Marx bezeichnete die Revolution als Hebamme der Geschichte. Und einer der Gründungsväter der USA, Alexander Hamilton, formulierte es so: »Wenn das Volk seine Regierung satt hat, dann kann es entweder sein verfassungsmäßiges Recht in Anspruch nehmen, die Regierung abzuwählen, oder sein revolutionäres Recht, sie durch einen Aufstand zu stürzen.«

Das Aufstandsrecht des Volkes gegen die Usurpatoren der Macht ist in der Präambel der amerikanischen Verfassung festgelegt. Lenin und seine Mitstreiter hielten die Revolution für die Hauptquelle des Rechts und riefen dazu auf, die Feinde der Revolution im Sinne des revolutionären Rechtsbewusstseins zu verurteilen. Klar war, wer der Feind ist und was mit ihm zu tun sei.

Im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts wurde alles komplizierter. Die Revolutionen, derentwegen in Europa die letzten 200 Jahre lang Ströme von Blut vergossen worden waren, kamen aus der Mode. Und der Zerfall der UdSSR und der mit ihr verbundenen Regime in Osteuropa weckte die Illusion, man könne die Tyrannen ohne Gewalt überwinden. Vielleicht nicht auf einen Schlag, aber letztlich war die Gewaltanwendung als unerwünschte und sogar unzulässige Erscheinung aus der Strategie des Kampfes mit der Despotie ausgeschlossen. Was ist von dieser Strategie übrig?

Geblieben ist von ihr der friedliche Protest als einzig akzeptable und universale Strategie für alle Zeiten und unter allen Umständen. Das Ziel ist nicht einfach die Revolution, sondern unbedingt die samtene Revolution, die Revolution in weißen Handschuhen. Von nun an durfte der Protest nicht mehr mit Gewalt einhergehen, selbst wenn es Gewalt gegen den Tyrannen und seine Schergen war, die das Land in Blut ertränkten.

Bis zu einem gewissen Zeitpunkt funktionierte diese Strategie, »dem Bösen nicht mit Gewalt zu wehren«; jedenfalls sah es so aus. Die samtenen Revolutionen entwickelten sich zu Farbrevolutionen weiter, die man vielleicht besser als »Blumenrevolutionen« bezeichnen sollte (»Rosenrevolution«, »Nelkenrevolution« und so weiter). Die Farbrevolutionen wurden zu einer erfolgreichen Polittechnologie; sie ermöglichten es, autoritäre Regime sanft und ohne großes Blutvergießen aus der Macht zu drängen; jedenfalls in der Etappe des Machtübergangs auf die Opposition. In den 30 Jahren seit der »Selbstauflösung« der UdSSR und dem Fall der Berliner Mauer ist der Standard der Farbrevolution zuerst zu einer Ikone des revolutionären Stils, dann zum revolutionären Dogma geworden. Und die Entstehung eines Dogmas führt unweigerlich zur Stagnation.

Hier ist eines anzumerken: Keine Revolution, nicht einmal die samtene, kommt ohne Gewalt oder, was häufiger der Fall ist, ohne Androhung von Gewalt aus, die das Regime zum Kompromiss veranlasst. Gerade die Kompromissbereitschaft der Regime – und nicht der Wunsch der Revolutionäre, um jeden Preis einen Kompromiss mit dem Regime zu finden – macht die samtene Revolution möglich. Als Folge sind solche Revolutionen gewöhnlich nur dann erfolgreich, wenn sie es mit »überreifen Diktaturen« zu tun haben, autoritäre Regime, in denen die Kinder oder gar Enkel ihrer Gründer herrschen.

Vor Kurzem ergab sich eine revolutionäre Situation in Belarus. Das war eine Krise der neuen Epoche, die die Opposition zunächst nach alten Regeln zu lösen versuchte, indem sie die Methoden der Farbrevolution anwendete: Koordination, Mobilisierung, Solidarität, psychologischen Druck und moralische Unterstützung des Westens, gelegentlich gestützt durch bescheidene finanzielle Hilfe.

Früher reichten diese Mittel in der Regel aus, um die Diktatur kapitulieren zu lassen. In Belarus jedoch »lief etwas falsch«. Es wurde koordiniert, mobilisiert, beispiellose Solidarität bezeigt, großer psychologischer Druck ausgeübt, es gab die Unterstützung des Westens – und alles verlief sich im Sande. Das Regime erstickte die Bewegung in Gewalt, und die Unterstützung des Westens wurde durch Hilfe Russlands kompensiert. Alle Versuche, die Menschen auf die Straße zu bringen, brachten die Opposition dem Erfolg nicht näher, sodass die allgemeine Enttäuschung über die Ergebnisse der Revolution zunimmt.

Vor diesem Hintergrund konnte es nicht ausbleiben, dass sowohl in Belarus als auch außerhalb des Landes eine Diskussion über die Strategie des Protestes dort entbrannte, wo die Regime nicht zurückweichen und die Möglichkeit einer Intervention von außen nicht besteht (verständlich, dass niemand um der Freiheit der Belarussen willen einen Atomkrieg mit Russland anzetteln wird).

Einerseits kamen Zweifel daran auf, ob die Ausrichtung auf ausschließlich friedliche Kampfmethoden tatsächlich die einzig universale und effektive Einstellung in einer revolutionären Situation sein kann. Andererseits gab es Befürchtungen, der Aufruf zum unfriedlichen Protest könnte zu einer allgemeinen Diskreditierung des Protests in den Augen der Bevölkerung und der Weltöffentlichkeit und dadurch zwangsläufig auch zur Niederlage führen. So entstand die Gegenüberstellung von friedlichem und unfriedlichem Protest, ein in meinen Augen ganz und gar abwegiges Dilemma.

Kann es im Prinzip einen gewaltlosen Protest in einem undemokratischen Staat geben? Unter den Bedingungen einer Despotie gibt es für den Protest keine legalen Rahmen, deshalb ist es ja eine Despotie. Jeder beliebige Bürger, der real gegen das diktatorische Regime protestiert (und nicht in Abstimmung mit den Behörden den Protestierenden mimt), steht außerhalb des Gesetzes. Wenn Versammlungen, Protestzüge, Demonstrationen, Einzelproteste und andere öffentliche Formen politischer Aktivität verboten sind, dann kann noch der friedlichste Auftritt auf der Straße in Gewalt münden, indem er Gewalt vonseiten der Herrschenden provoziert und sei es auch nur Widerstand in seiner passiven Form (wenn der von der Polizei verprügelte Mensch zum Beispiel seinen Kopf vor den Schlägen abschirmt).

Protestformen, die wir aus Gewohnheit weiter in friedliche und unfriedliche trennen, unterscheiden sich unter den Bedingungen der Diktatur qualitativ gar nicht mehr. Alle Formen des öffentlichen Protests gegen die Usurpation der Macht sind potenziell unfriedlich, sie können sich aber nach dem Grad der Äußerung ihres gewaltsamen Charakters von nahe Null bis zu sehr ausgeprägt wesentlich unterscheiden.

In einigen Fällen mag die Schwelle der psychologisch zulässigen Gewalt für die Teilnehmer sehr niedrig liegen, in anderen ziemlich hoch, in allen Fällen ist diese Schwelle nicht gleich Null. Sonst würden die Menschen prinzipiell gar nicht an Protestaktionen teilnehmen. Wenn wir die Diktatur auf der einen Seite und den realen Protest gegen sie auf der anderen Seite haben, dann lassen wir grundsätzlich die Möglichkeit eines gewaltsamen Zusammenstoßes zu, indem die Menschen aufrufen, sich den Gesetzen der Diktatur nicht zu unterwerfen.

Ich glaube, die Frage des friedlichen oder unfriedlichen Protests verdeckt eine andere, sehr viel wichtigere Frage und führt ins Abseits. Ich meine die Frage, ob wir revolutionäre Gewalt dem Grundsatz nach für legitim halten. Nur nach der Antwort auf diese Frage können wir zu der nächsten Frage nach dem wünschenswerten oder nicht wünschenswerten Format der gezeigten Gewalt übergehen. Meiner Meinung nach lautet die Antwort eindeutig Ja – revolutionäre Gewalt ist legitim.

Analysiert man die Position der Anhänger eines »ausschließlich friedlichen« Protests richtig, dann wird sehr rasch klar, dass sich hinter der Fassade der schönen und friedliebenden Worte oft der Versuch verbirgt, die These der Illegitimität revolutionärer Gewalt dem Grundsatz nach zu verteidigen. Das ist ein gefährlicher Irrweg: Versteht man den friedlichen Protest als prinzipiellen Verzicht auf jede Art von revolutionärer Gewalt (und genauso verstehen ihn viele aus Naivität), dann wird diese Haltung gewiss auf Verständnis bei jedem Diktator stoßen, sie macht aber den Kampf gegen die Diktatur absolut unmöglich.

Nicht eine einzige Diktatur in der Geschichte der Menschheit ist ohne offenen oder versteckten Gewaltdruck nur deshalb abgetreten, weil sie sich selbst erschöpft hätte. Wenn nicht die Gewalt selbst, so hatte doch immer die Drohung damit entscheidenden Einfluss auf den Triumph der Revolution. Eine andere Sache ist, dass die Drohung mit der Gewaltanwendung immer und in praktisch jeder Beziehung besser wirkt als ihre offene Anwendung.

Dies ist nicht nur eine Frage des Humanismus. Wenn die Revolution mit Gewalt beginnt, dann endet sie auch in ihr. Und wenn die Revolution in Gewalt...

Erscheint lt. Verlag 12.10.2023
Übersetzer Olaf Kühl
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Aufstand • Demokratie • Fake News • Föderalismus • Freiheit • Gewaltlosigkeit • Glasnost • historische Wahrheit • konstitutionelle Demokratie • Konterrevolution • Krim • lustration • Manipulation • Moskowien • Opritschnina • parlamentarische Republik • präsidiale Republik • Rechtsstaat • Revolution • russische Autokratie • russischen Gesellschaft • Russland • Sozialismus • Sozialstaat • Totalitäres Regime • UdSSR • Ukraine • Vernichtungskrieg • wirtschaftliche Gerechtigkeit • Wladimir Putins
ISBN-10 3-95890-575-7 / 3958905757
ISBN-13 978-3-95890-575-7 / 9783958905757
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