Vom ersten bis zum letzten Atemzug (eBook)

Deutschlands erste Hebamme & Bestatterin über selbstbestimmtes Leben und Sterben
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
234 Seiten
ZS - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
978-3-96584-413-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Vom ersten bis zum letzten Atemzug -  Ellen Matzdorf
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Ellen Matzdorf kann von sich behaupten, die erste Hebamme in Deutschland zu sein, die zugleich Bestatterin ist. Beruflich ist sie dem Start ins Leben genauso nah wie dem Ende. Am Anfang dieser ungewöhnlichen Verbindung stand, dass Ellen als Hebamme das Sterben eines Neugeborenen erlebte und sah, wie wenig Unterstützung trauernde Eltern in dieser Extremsituation bekommen. Sie beschloss, das zu ändern. Beiden Berufen widmet Ellen ihre beeindruckende Wärme, Menschlichkeit und Ernsthaftigkeit. Ihr Credo: Die Menschen sollen selbst bestimmen dürfen. In ihrem Buch erzählt sie nicht nur vom Wunder der Geburt. Sie macht auch Mut, sich mit dem Gedanken an das eigene Sterben anzufreunden. Beispiel gibt ihre eigene erstaunliche Geschichte, die sie mit Verlust, Tod und Trauer sehr nah in Berührung brachte. Doch Ellen blieb, wie sie selbst sagt, grenzenlose Optimistin. 'Vom ersten bis zum letzten Atemzug' spürt den beiden bedeutendsten Momenten in unserem Leben nach und zeigt, wie sie sich in ihrer Besonderheit ähneln.

Ellen Matzdorf arbeitete zunächst bei einem Rettungsdienst und in der häuslichen Pflege, bevor sie nach der Geburt ihres Kindes Hebamme wurde. Ihren zweiten Beruf als Bestatterin ergriff Ellen Matzdorf, um Eltern nach dem Tod ihres Kindes beizustehen und die Beisetzung nach ihren Wünschen zu gestalten. Heute setzt sie in ihrem Bestattungsunternehmen in Oldenburg auch erwachsene Verstorbene bei.

Ellen Matzdorf arbeitete zunächst bei einem Rettungsdienst und in der häuslichen Pflege, bevor sie nach der Geburt ihres Kindes Hebamme wurde. Ihren zweiten Beruf als Bestatterin ergriff Ellen Matzdorf, um Eltern nach dem Tod ihres Kindes beizustehen und die Beisetzung nach ihren Wünschen zu gestalten. Heute setzt sie in ihrem Bestattungsunternehmen in Oldenburg auch erwachsene Verstorbene bei. Verena Schmitt-Roschmann ist Journalistin, Kolumnistin und Autorin mit langjähriger Erfahrung bei  Nachrichtenagenturen, Tages- und Wochenzeitungen. 2012 wurde sie für ihre umweltpolitische Berichterstattung mit dem Umweltmedienpreis ausgezeichnet. Ihr Sachbuch "Heimat – Neuentdeckung eines verpönten Gefühls" erschien 2010. Verena Schmitt-Roschmann wuchs in Aschaffenburg auf und studierte in München Nordamerikanische Kulturgeschichte. In Washington absolvierte sie die Journalistenschule der American  University und erwarb 1991 den Master of Arts. Mit ihrer Familie lebt sie in Berlin.

2. Selbst bestimmen – Wie ich als Hebamme arbeite


Drei Hausgeburten an einem Tag: Ein wunderbarer Beruf


Es ist ein lauer Mittwochabend Ende Mai, fast schon sommerlich. Mein Geburtsvorbereitungskurs ist gerade vorbei, den leite ich immer mittwochs, und gegen 22.15 Uhr bin ich auf dem Heimweg. Da ruft Caroline an. Sie bekommt ihr viertes Kind. Sie sagt: Es geht los.

Ich habe auch die ersten drei Geburten von Caroline und ihrem Mann Thorsten begleitet. Auch diesmal soll es eine Hausgeburt werden. Da Caroline in allen Schwangerschaften mit Übelkeit zu kämpfen hatte, half ich ihr in den Monaten vor der Geburt drei bis vier Mal die Woche mit Akupunktur. Wir kennen uns also sehr gut. Als sie anruft, ist mir sofort klar, dass es eilt. Beim vierten Kind warte ich nicht ab. Fünfzehn Minuten später bin ich bei ihr.

Caroline ist im Wohnzimmer, alles ist bereit. Ihr Mann hat Kerzen angezündet, die drei anderen Kinder schlafen im Obergeschoss. Der fast schon sommerliche Abend lässt alles friedlich und entspannt erscheinen. Caroline allerdings hat schon heftige Wehen. Für die Geburt ist das gut. Die Eröffnung des Muttermundes geht voran. Die Faustregel dabei ist: Nach Einsetzen der Geburtswehen öffnet sich der Muttermund pro Stunde etwa einen Zentimeter bis auf zehn Zentimeter, während sich das Baby im Geburtskanal nach unten arbeitet. Dann geht es los mit den Presswehen und der eigentlichen Geburt. Aber den meisten Babys sind Faustregeln egal, keine Geburt läuft wie eine andere. Es ist wirklich jedes Mal ein großes Abenteuer, für alle, die dabei sind.

Dass Caroline und ich so vertraut miteinander sind, hilft sehr. Während der Geburt kann ich gut erspüren, was sie möchte, und kann sie entsprechend unterstützen. Auch das ist bei jeder Frau verschieden. Ob und wie sie sich während der Geburt bewegen will. Ob sie sich im Stehen besser fühlt oder im Vierfüßlerstand, auf einem Hocker oder in der Badewanne. Ob sie sich an mich hängen oder am Kreuzbein massiert werden will – oder am liebsten gar nicht berührt werden möchte. Es ist ein Ausnahmezustand. Es zählt nur, was gerade gut tut in diesem Moment.

Wer glaubt, eine Frau, die schon drei Kinder geboren hat, bekommt das vierte im Schlaf, liegt falsch. Erfahrung bringt meist gar nichts. Jede Geburt hat einen großen Unbekannten: das Kind. Außerdem weiß eine Frau nach drei Geburten genau, was auf sie zukommt. Sie weiß um den Moment des Loslassens und wie schwer der sein kann. Da ist die Angst vor dem Schmerz, von dem sie genau weiß, dass er kommt. Vor der Dynamik der Geburt, die nicht mehr zu stoppen ist, wenn sie einsetzt. Dieses Wissen kann alles blockieren. Dann braucht es eine Erinnerung. Jede Frau hat die Kraft zu gebären.

Am Ende geht es darum, den Kopf auszuschalten und es dem Körper zu überlassen, dieses Naturereignis anzunehmen. Schon klar, dass das manchmal leicht gesagt ist, in einer Welt, in der es um Kontrolle geht, um Selbstbeherrschung in allen Lebenslagen, um den Wunsch, alle Risiken und Möglichkeiten zu mana­gen. Sich einfach hingeben? Na, Dankeschön. Diese Urgewalt trifft manche Frauen wie ein Schock, auch nach monatelangen Geburtsvorbereitungskursen mit einleuchtenden Tipps, beruhigender Musik und Atemübungen. Über das Gebären sind Bestseller geschrieben worden. »Die friedliche Geburt«, »Die sanfte Geburt« – und ja, gute Vorbereitung ist wichtig, das Sprechen über die eigenen Erwartungen, den Schmerz, über das eigene Schmerzempfinden und den Umgang damit in einer emotionalen Situation. Aber »sanft« wird es bestenfalls für das Baby. Für alle Frauen ist die Geburt ein intensives, ein extremes Erlebnis. Manchmal kommt Panik auf. Meine Rolle ist die der Mutmacherin: Du wirst es schaffen. Und dann setzt sie ein, diese kraftvolle Geburtsdynamik, in die sich besser niemand einmischt, die von außen besser nicht gestört wird.

Frauen brauchen dann am wenigsten schlaue Sprüche, Ermahnungen oder Vorgaben, wie sie manchmal in Krankenhäusern gelten – zum Beispiel, unbedingt auf dem Rücken liegend zu gebären. Ziel ist dabei oft, mit einem CTG dauerhaft die Herztöne des Babys zu kontrollieren. Dann liegen die Frauen neben dem Gerät und haben ein Gummiband mit dem Mikrofon um den Bauch. Aber wer derart verschnürt ist, kann nicht herumlaufen – und oft ist es gerade das, was hilft. Viele Frauen haben während der Geburt einen Bewegungsdrang. Wichtig ist, dem zu folgen und die Position wählen zu können. Ich sehe meine Aufgabe als Hebamme darin, das möglich zu machen. Die Herztöne kann ich auch mit einem mobilen Gerät kontrollieren oder notfalls mit einem hölzernen Hörrohr.

Anfangs kommen die Geburtswehen etwa alle fünf Minuten. Sie fühlen sich an, als zöge sich ein breiter Gürtel um den Bauch, um das Kind nach unten zu schieben. Die Frau fühlt das Baby, wie es sich abwärts durch den Geburtskanal arbeitet. Alles dehnt und zieht und drückt und schmerzt für eine halbe oder auch eine ganze Minute. Dann ist Pause. Wieder ein Stück geschafft. Die Schwangere versucht, sich zu erholen, sich darauf einzulassen, dass es gleich weitergeht. So geht es über Stunden. Der Rhythmus wird schneller, die Pausen werden kürzer. Ich reiche nur manchmal etwas Wasser, sage, wie wunderbar sie das macht, versuche wieder und wieder zu spüren, was ihr gerade angenehm ist. Bis die nächste Welle über sie und uns hinwegrollt.

Wir sind mitten in dieser Phase in Carolines Wohnzimmer, da brummt mein Handy. Dörte ruft an, auch sie hat Wehen. Es ist das erste Kind. Mit ihrem Mann hat sie besprochen, in mein Geburtshaus zur Geburt zu kommen. Ihr Mann kann sich eine Hausgeburt nicht vorstellen – Dörte selbst schon, ihre Schwester hat alle ihre Kinder zuhause geboren. Die werdenden Eltern haben sich also auf einen Kompromiss geeinigt: nicht in der Klinik, aber auch nicht zuhause, sondern im Geburtshaus. Nur, ich bin ja nicht dort, sondern bei Caro­line. Die beiden Babys haben sich nicht abgesprochen, bitte schön hinter­einander zu kommen, gerne auch mit einer kleinen Pause für die Hebamme. Es ist inzwischen 01.07 Uhr in der Nacht, und obwohl das Adrenalin und die totale Konzentration auf Carolines Geburt alles andere wegschiebt, wäre ein bisschen Schlaf sicher nicht schlecht, bevor es in die nächste Runde geht. Aber das ist jetzt Nebensache.

Ich telefoniere kurz mit Dörte, sage, wo ich bin und frage, wie sie sich fühlt. Sie wiegelt ab:

»Ich brauche noch ewig«, sagt sie. »Mach dir keinen Kopf, notfalls rufe ich wieder an.«

Also geht es erstmal hier weiter. Caroline hat dieses Gespräch natürlich mitbekommen. Die Wehen werden intensiver. Nun dauert es nicht mehr lange. Am Ende gibt es fast keine Pause mehr, Caroline presst und schreit, sammelt ihre Kräfte und presst wieder. Das Köpfchen ist zu sehen, jetzt kommt es, dann die Schulter. Ein Mädchen. Thorsten und ich wickeln das Kind in ein Handtuch, das Durchtrennen der Nabelschnur hat noch Zeit.

Nun liegt die Kleine auf Carolines Bauch, die beiden schauen sich an. Ein kleiner Mensch, den vor einer Minute noch niemand von Angesicht kannte und der sich nun anfühlt, als wäre er immer schon da gewesen, der einen Platz auf der Welt hat, ohne Fragen, ohne Zweifel. Und eine Mutter, die eben noch nur Schmerz erlebte, Anstrengung und Erschöpfung bis an die eigenen Grenzen – und gerade einen Moment, in dem alles ausgelöscht ist bis auf diese wahnsinnige Welle des Glücks. Es gibt vielleicht nur diese kitschigen Worte dafür, ich tue mich jedenfalls schwer, andere zu finden. Vielleicht ist es wirklich ­unbeschreiblich. Ist wohl auch egal. Für mich ist es ein magischer Moment, jedes Mal.

Caroline hat wunderbar geboren. Ich sehe das natürlich mit den Augen der Hebamme: Eine Geburt ohne Vorgaben, ohne Eingriffe, ohne Notfälle, in einer angstfreien Atmosphäre, so angenehm wie möglich, das ist für mich eine »schöne Geburt«. Nicht alle Frauen empfinden das auch so. Ich habe »schöne Geburten« im Geburtshaus begleitet, bei denen alles glatt verlief und bei denen es Eltern und Kind gut ging – doch bei der nächsten Schwangerschaft erzählten mir die Frauen, wie schlimm sie das Erlebnis fanden und dass sie diesmal unbedingt ins Krankenhaus wollen und Schmerzmittel über eine Rückenmarksnarkose, eine PDA. Das Erleben ist sehr unterschiedlich und das ist auch vollkommen in Ordnung. Es gibt kein richtig oder falsch und vor allem keinen Anlass für Schuldgefühle oder Scham über vermeintliche Schwäche. Caroline aber sieht ihre vierte Geburt wohl ähnlich wie ich. Viel später wird sie mir eine SMS schicken: »Eine schöne Geburt mitzuerleben, ist nicht selbstverständlich, das ist mir jetzt wieder bewusst geworden, als meine Schwester Nachwuchs bekommen hat. Wir sind so froh, dass du da warst, und wir danken dir von Herzen. Ganz liebe Grüße Caroline.«

In dieser Nacht im Mai verabschiede ich mich schließlich von Caroline und Thorsten und rufe Dörte an. Sie sagt, alles in Ordnung, die Wehen gehen noch, alles nicht so schlimm. Aber am Telefon höre ich, dass sie schon ziemlich schwer atmet. Ich sage ihr, dass ich vorbeikomme, um zu schauen. Je nachdem, wie weit die Geburt ist, können wir dann ins Geburtshaus fahren oder noch ein bisschen abwarten.

Nach zehn Minuten bin ich bei Dörte und Norbert. Und sofort ist mir klar: Abwarten? Keine Option. Und auch keine Fahrt mehr ins Geburtshaus. Jetzt und hier.

Dörte und Norbert sind im Badezimmer, sie hockt auf dem Boden. Der Muttermund ist fast ganz geöffnet. Gleich ist das Baby da. Für eine Hausgeburt ist nichts vorbereitet – keine sterilen Unterlagen, kein Stapel frischer...

Erscheint lt. Verlag 7.10.2023
Co-Autor Verena Schmitt-Roschmann
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Bestattung • Buch • Fehlgeburt • Gebären • Geburt • Geburts-Erfahrung • Hebamme • Jenseits • Kreislauf des Lebens • Leben • Leben danach • Sachbuch • Selbstbestimmtes Leben • Selbstbestimmtes Sterben • Selbstbestimmtheit • Selbstbestimmung • Sterbebegleitung • Sterbehilfe • Sterben • Sternenkind • Tod • Totgeburt • Trauer • Trauer-Arbeit • Trauer-Bewältigung
ISBN-10 3-96584-413-X / 396584413X
ISBN-13 978-3-96584-413-1 / 9783965844131
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