Die Pflegekatastrophe (eBook)

...und wie wir sie durch gute Konzepte in der Altenpflege verhindern können | Was in der Gesundheitspolitik, bei der Pflegereform und in der Altenpflege alles schief läuft
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2023 | 1. Auflage
304 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3108-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Pflegekatastrophe -  Kaspar Pfister
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Bundesweit fehlen 50.000 Pflegekräfte und die Situation verschärft sich weiter. Das Budget der gesetzlichen Rentenversicherung steigt kontinuielrich und reicht doch nicht aus. Gleichzeitig reicht bei vielen die Rente nicht fürs Pflegeheim. Wer selbst noch nicht von diesen Themen betroffen ist weiß, dass dieser Tag kommen wird. Im Seniorenheim bekommen alte Menschen dann üblicherweise sämtliche Aufgaben abgenommen. Weil sie sich dadurch nutzlos fühlen, bauen sie körperlich und geistig schnell ab. Das ist in den Hausgemeinschaften von Kaspar Pfister anders. Der schlagende Beweis: Seine Einrichtungen sind bundesweit die einzigen, in denen sich die Pflegestufe der Bewohner verbessert - und nicht verschlechtert. Pfister beschreibt, was in unserem aktuellen Pflegesystem alles schief läuft und welche Steine ihm die Bürokratie in den Weg legt, wenn er etwas besser machen will. Er skizziert, welche effektiven Rahmenbedingungen die Politik setzen könnte und zeigt vor allem, dass es auch anders - und besser - geht. Die Pflegekatastrophe ist eine vollständig aktualisierte und erweiterte Taschenbuchausgabe des Buches, Wer gebraucht wird, lebt länger, das im November 2020 im Econ Verlag erschienen ist. Stimmen zur Neuauflage: »Es ist zum Verzweifeln: Im Blindflug steuern Verantwortliche und Profiteure in die Pflegekatastrophe, die sich Jahr für Jahr weiter verschlimmert. Kaspar Pfister als Insider weiß wovon er spricht: Es ist zu hoffen, dass sein Alarm sowie seine fundierten Vorschläge gehört werden.«    Günter Wallraff, Schriftsteller und Journalist »Es geht uns doch früher oder später alle an! Eine wichtige, lesenswerte Pflichtlektüre - denn selbstverständlich geht es auch anders! Würdevolle Pflege ist machbar und finanzierbar!«    Claus Fussek, einer der bekanntesten deutschen Pflegekritiker. »Ich war schon von Kaspar Pfisters vorhergehenden Buch begeistert und habe mir sein Konzept vor Ort angesehen. Es ist der Schlüssel für das, was wir in der Gesellschaft diskutieren. Daher: Es gibt gute Lösungen, man muss sie nur umsetzen! Dazu braucht es mehr Freiraum und Vernetzung.«    Dr. h.c. Andreas Westerfellhaus, ehemaliger Staatsekretär im Bundesgesundheitsministerium und langjähriger Präsident des Deutschen Pflegerats

Kaspar Pfister, geboren 1956, hat 19 Jahre als kommunaler Verwaltungsbeamter gearbeitet, bevor er Gründer und Geschäftsführer der BeneVit Gruppe wurde. Dazwischen gab es Stationen in der sozialen Dienstleistung als Geschäftsführer bei privaten, kommunalen und kirchlichen Organisationen und Stiftungen im In- und Ausland. Mit seinem Unternehmen hat er sich auf die Altenpflege spezialisiert und betreibt etliche Wohngemeinschaften, die er nicht Seniorenheime nennen will. Dazu kommen ambulante, teilstationäre und stationäre Pflege und betreutes Wohnen. Im Vordergrund seines Tuns steht der Mensch und nicht die reglementierende Behörde, die beim Thema Alter kräftig mitreden möchte.

Kaspar Pfister hat 19 Jahre als kommunaler Verwaltungsbeamter gearbeitet und danach als Geschäftsführer von kirchlichen, kommunalen und privaten Trägern operative Erfahrungen in Österreich, Spanien, Italien, und der Schweiz gesammelt. Er ist Gründer und Geschäftsführer der BeneVit Gruppe. Mit seinem auf Altenpflege spezialisierten Unternehmen betreibt er etliche Wohngemeinschaften, die er nicht Seniorenheime nennen will.

Kapitel 2
Im Mittelpunkt: Sinn und Lebensfreude


Viele von uns tabuisieren Alter. Sie haben Angst, mit zunehmenden Jahren die Herrschaft über den eigenen Körper zu verlieren und im Alltag auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein. Oder gar im Heim zu landen, wo die Luft zum Schneiden ist und nach Desinfektionsmitteln, Großküche und Hagebuttentee riecht. Die allerwenigsten verbinden mit dem Begriff »Pflege« ein Leben, das Freude macht und Sinn stiftet in einem angenehmen, motivierenden Umfeld. Doch sollte das unser Anliegen sein. Egal, um welche Form der Pflege es geht – ob im Heim, betreut oder zu Hause. Schließlich sollten wir uns im Alter trotz der einen oder anderen Einschränkung glücklich und wohlfühlen. Das ist für mich Ergebnisqualität.

Sich auszuprobieren, stolz auf sich zu sein, etwas ganz besonders gut hinbekommen zu haben und Anerkennung dafür zu erhalten – dieses Bedürfnis nach Sinn und Lebensfreude ist zutiefst menschlich und nimmt im Alter nicht ab. Zeigt es uns doch, dass wir wertvoll sind. Und egal, was wir machen – ob im Beruf oder in der Familie, ob im Sport, im Verein, in der Nachbarschaftshilfe oder in der Kirchengemeinde –, wir sind dann von Sinn erfüllt, wenn wir gemeinsam mit anderen etwas tun, das gut für uns und die Gemeinschaft ist.

Das erlebe auch ich tagtäglich in meinen Einrichtungen: Menschen wollen gebraucht werden, sich als Teil einer Gemeinschaft fühlen. Diese Sinnhaftigkeit lässt sie aufblühen und über sich hinauswachsen, sie gibt ihnen Halt, ein gutes Selbstwertgefühl und ein Stück Normalität zurück. Aus diesem Grund soll jeder Bewohner unserer in der Regel 14 Personen umfassenden Senioren-Wohngemeinschaft eine verantwortliche Aufgabe haben. Selbst hirnorganisch erkrankte Menschen mit Demenz, Delirien und anderen Einschränkungen, die zwei Drittel unserer Klientel ausmachen.

Jeder soll eine Aufgabe haben


Die Aufgaben unserer Seniorinnen und Senioren sind unterschiedlich. Sie reichen vom Wäschebügeln, Staubsaugen, Tischdecken, Blumengießen über Rasenmähen bis hin zum Einkaufen, Kochen oder Holzholen für den Kaminofen. Je nach Vorlieben und Fähigkeiten jedes Einzelnen. Es geht darum, Alltag zu leben.

Manche fangen von sich aus an. Gertrud L. begann als neue Mitbewohnerin ganz automatisch damit, beim Eindecken der Tische zum Mittagsessen zu helfen. Manche kommen später auf Ideen, wenn sie sich eingelebt haben, wie Reinhold B. Er schlug vor, Dias von 15 Jahren Weltreise mit dem Segelboot zu zeigen. Während sich Luise E. vorgenommen hatte, wieder Keyboard zu spielen, und heute zur musikalischen Untermalung bei Festen beiträgt. Andere Bewohner werden von meinen Mitarbeitern ermutigt: »Herr Fischer, Sie haben doch so eine schöne Schrift, wollen Sie nicht die Beschriftung der Tafel übernehmen?« (Hier steht das, was es täglich zum Essen gibt.)

Um herauszufinden, welche Aufgabe jemand übernehmen könnte, schauen wir bereits vor dem Einzug eines neuen Bewohners dessen bisherige Wohnung an, befragen Angehörige und auch den Senior oder die Seniorin selbst. Das ist mehr als klassische Biografiearbeit, bei der geschaut wird: Wer ist dieser Mensch, welche Vorgeschichte, Krankheiten hat er, aus welchem sozialen Milieu stammt er? Meine Mitarbeiter beobachten auch, worauf der Mensch reagiert: Was macht ihm Spaß, was stresst und ärgert ihn? Ebenso wollen sie wissen: Wobei leuchten seine Augen, wo liegen verborgene Talente, was gibt ihm Selbstbewusstsein?

Da gibt es bei jedem etwas zu entdecken. Schließlich ist das Gehirn ein Problemlösungsorgan, wie der Neurologe Gerald Hüther beschreibt oder wie Manfred Spitzer, Psychiater und Leiter des Transferzentrums für Neurowissenschaften und Lernen in Ulm, meint: »Es kann nicht anders, als zu lernen. Außer«, schränkt Spitzer ein, »man versetzt es ins Koma, macht ihm Angst oder setzt es unter starken Druck.«

Allerdings zeigen die Auswirkungen der Pandemie, die Beschränkungen und dass wir in diesen drei Jahren nur Grundbedürfnisse erfüllen konnten, immer noch Wirkung. Bei Bewohnern, Mitarbeitern und Angehörigen. Es ist ein mühsamer Weg, wieder in den Problem-Löse-Modus zu finden. Doch zum Glück ist unser Gehirn wie ein Muskel, der durch Reize in Bewegung bleibt. Eine Aufgabe zu haben fördert jedoch nicht nur unsere geistige Aktivität, sondern stimuliert uns auch körperlich: Unserem Problemlösen muss ja eine Handlung folgen. Und selbst wenn wir nur kleine alltägliche Dinge ausführen – am Ende, wenn wir die Tätigkeit abgeschlossen haben und den Erfolg sehen, stellt sich eine erfüllte Müdigkeit ein. Das kann jeder an sich selbst beobachten, sei es beim Streichen eines alten Zauns oder beim Unkrautjäten. Mir geht es selbst so, wenn ich mein Auto wasche oder im Garten arbeite. Das hinzubekommen gibt einem eine wohlige Zufriedenheit, ausgelöst durch das Belohnungshormon Dopamin. Bemerken und würdigen andere das auch noch, wird ein weiteres Mal Dopamin ausgeschüttet und signalisiert uns unbewusst, in dieser Richtung weiterzumachen.

Gleichzeitig kräftigt körperliche Aktivität die Muskulatur und lässt ältere Menschen wieder sicherer stehen und gehen. Das beginnt – so verrückt sich das vielleicht anhören mag – beim Wäscheaufhängen, Tischdecken, Bügeln oder Kartoffelschälen. Im Stehen lassen sich Kartoffeln am besten schälen, ein gutes Training für Aufrichtung und Balance. Zusätzlich gewinnen viele durch das Halten und Schälen die motorischen Fähigkeiten ihrer Hände und Finger zurück. All das – die Aktivität, die zunehmende Mobilität, die Präsenz der Gruppe ebenso wie die Motivation durch Pflegekräfte, selbst tätig zu werden, etwa beim Finden einer Aufgabe, beim Gehen oder selbstständigen Anziehen eines Pullovers – wirkt Wunder und sorgt sogar für ein längeres aktives und bewusstes Leben.

Aktivität statt Sichausruhen und Defizitdenken


»Wer rastet, der rostet« – das ist meine feste Überzeugung. Wenn Menschen sich nur noch ausruhen und keine Aufgabe mehr haben, werden sie ganz schnell träge, ja gar phlegmatisch und depressiv. Die Geschwindigkeit, mit der dieser Prozess voranschreitet, hat jeder von uns schon mal im Urlaub erlebt: Gaben wir uns zu sehr einem All-inclusive-Umhegtsein und der Anziehung des Liegestuhls hin, wurden wir schnell immer träger. Kunstdenkmäler, geografische Besonderheiten oder einfach nur neue Orte um die Ecke zu erkunden wurde – je länger wir dem süßen Nichtstun frönten – von Tag zu Tag eine höhere Hürde. Für zwei Wochen zur Erholung ganz okay – aber für länger?

Was glauben Sie, wie sich dann erst ältere Menschen fühlen, die in Rente gehen und sich fortan ausruhen sollen oder hochbetagt ins Pflegeheim einziehen? Schließlich »kann, darf, soll man im Alter nichts mehr«, »Alter belastet«, so die weitverbreitete Meinung vieler Angehöriger, der Gesellschaft sowie der dazugehörigen Regularien unseres Pflegesystems. Oder das Dauerthema Risiko: Was könnte alles passieren? – Also lass es sein. Der Grat zwischen gut gemeinter und wichtiger Fürsorge und der Grenze zur Entwürdigung, Entmündigung ist sehr schmal. Und am Ende glaubt der alte Mensch das selbst noch: Er beginnt sich zu schonen und verschlechtert dadurch seine physische und psychische Gesundheit. Viele Einrichtungen verstärken diese Entwicklung: Sie sind wie Mini-Krankenhäuser, in denen alte Menschen die Sorge um ihre Gesundheit allein an das Fachpersonal delegieren und sich ausruhen sollen. Und der Gesetzgeber schürt diesen Zustand: Mit mehr und immer noch mehr Auflagen für die Heimbetreiber sorgt er dafür, dass es allen gut gehen soll und ja nichts passieren darf. Und packt die Pflegebedürftigen – allwissend, was alten Menschen guttut – in eine Art Kokon: Er nimmt ihnen alle Entscheidungen ab, damit sie sich schonen, und drängt sie in die Passivität, in der sie nur noch auf ihren Tod warten. Der verordnete Stillstand im Alltagsleben der alten Menschen soll dann ironischerweise durch therapeutische Aktivierung innerhalb des Pflegesettings wieder ausgeglichen werden.

Natürlich kann und darf jeder sich ausruhen – verstehen Sie mich bitte nicht falsch! –, aber nicht vorgegeben von wohlmeinenden anderen. Tatsächlich verweigert sich so mancher unserer Bewohner einer Aufgabe. Doch grundsätzlich tut jedem Menschen, wenn er nicht krank oder bettlägerig ist, Aktivität gut. Sie wirkt sich, wie viele Studien mit hochbetagten Menschen herausgefunden haben, vorteilhaft auf die Stimmung und auf kognitive Funktionen aus, beflügelt Seele und Geist. Und selbst wenn es mehr Arbeitsaufwand für das Pflegepersonal bedeutet, dass möglichst jeder eine Aufgabe hat und zu Aktivität angeleitet und dabei unterstützt wird, finde ich es falsch, alten Menschen nichts mehr zuzutrauen und sie zur Schonhaltung zu verdammen. Das ist ein Defizitdenken, das aus vorindustrieller Zeit stammt. Damals mussten sich Menschen aufgrund ihrer harten körperlichen Erwerbstätigkeit, der sie als Bauer, Schmied oder Maurer nachgegangen waren, im Alter ausruhen. Und die Einführung der Rente 1889 durch Otto von Bismarck...

Erscheint lt. Verlag 28.9.2023
Co-Autor Christine Koller
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Altenheim • Altenpflege • Alten WG • Alzheimer • Betreutes Wohnen • Demenz • Fit im Alter • Heim • Pflege • Pflegebedürftige • Pflegedienst • Pflegefall • Pflegeheim • Rentner • Senior • Seniorenheim • Senioren WG • Wohnen im Alter • Wohngemeinschaft
ISBN-10 3-8437-3108-X / 384373108X
ISBN-13 978-3-8437-3108-9 / 9783843731089
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