Die Natur hat Recht (eBook)

Wenn Tiere, Wälder und Flüsse vor Gericht ziehen - für ein radikales Umdenken im Miteinander von Mensch und Natur

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2023 | 1. Auflage
288 Seiten
Knesebeck Verlag
978-3-95728-795-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Natur hat Recht -  Elisabeth Weydt
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Ein revolutionärer wie zukunftsweisender Ansatz im Klima- und Artenschutz Die Welt steht kurz vor dem ökologischen Kollaps und uns bleibt kaum noch Zeit die Richtung zu ändern. Wir müssen sehr schnell sehr viel ändern. Eine vielversprechende Lösungsmöglichkeit liegt deshalb in unseren Rechtssystemen. Die Journalistin Elisabeth Weydt hat in verschiedenen Ländern recherchiert und berichtet in dieser eindrücklichen Reportage von einer so radikalen wie zukunftsweisenden Idee, die eine Wende für den Natur- und Artenschutz darstellen könnte. Ecuador beispielsweise macht vor, wie Umweltschutz in Zeiten der dringend benötigten Energiewende und des damit einhergehenden Wettrennens nach neuen Rohstoffen wie Kupfer, Kobalt und Lithium angegangen werden kann: indem die Natur zum Rechtssubjekt erklärt wird. Packende Reportage und Aufruf zugleich: Durch einklagbare Rechte der Natur erfolgreich gegen Umweltzerstörung vorgehen Elisabeth Weydts Recherche beginnt im Intag-Tal in Ecuador, dem einzigen Land der Erde, das die Natur in seiner Verfassung zu einer eigenständigen Rechtsperson erklärt hat. Das Konzept beruht auf der Vorstellung, dass wir alle Teil eines großen Ganzen sind, dass der Mensch nicht mehr Rechte hat als die Natur, dass er gar nicht mehr Rechte haben kann als die Natur, schon allein, weil er selbst Teil der Natur ist. Diesem revolutionären Ansatz um die Rechte der Natur folgen mittlerweile Initiativen weltweit. Manche kämpfen für die Anerkennung eines einzelnen Flusses, manche für einen Wald, andere für ganze Ökosysteme und auch hierzulande gibt es eine solche Initiative. Zudem geht Elisabeth Weydt der Frage nach, was Umweltzerstörung in anderen Teilen der Welt mit Deutschland und unserer Lebensweise zu tun hat und inwiefern die ecuadorianischen Prinzipien auf Deutschland übertragbar sind. Fesselnd und informativ beleuchtet Elisabeth Weydt einen revolutionären Ansatz, der eine Wende für den Klimaschutz bedeuten könnte. Eine Reportage, die uns die Augen öffnet und inspiriert für konstruktive Ansätze und mögliche Wege raus aus der Klimakrise. 

Elisabeth Weydt, Jahrgang 1983, ist Journalistin und arbeitet als freie Reporterin u.a. für die ARD. Sie wirkt außerdem als Autorin in multimedialen Projekten mit und hat das konstruktive Medienhaus Radio Utopistan e. V. mitgegründet. Ihre oft internationalen, preisgekrönten Geschichten drehen sich um das Leid in Lieferketten, um unterschiedliche Weltbilder und um die transformative Kraft der Zivilgesellschaft.

Elisabeth Weydt, Jahrgang 1983, ist Journalistin und arbeitet als freie Reporterin u.a. für die ARD. Sie wirkt außerdem als Autorin in multimedialen Projekten mit und hat das konstruktive Medienhaus Radio Utopistan e. V. mitgegründet. Ihre oft internationalen, preisgekrönten Geschichten drehen sich um das Leid in Lieferketten, um unterschiedliche Weltbilder und um die transformative Kraft der Zivilgesellschaft.

Als die Männer an der Straßensperre von Junín um sich schießen, ahne ich nicht, wie lange mich dieser Moment noch begleiten wird, wie viel er anstoßen wird, wie viel ich von den Männern mit den Waffen und den Menschen in Gummistiefeln lernen werde, über mein eigenes Leben und über die Welt. In dem kleinen Tal mit seinem Kupferkonflikt steigen die Fragen der globalen Welt langsam in mir auf: Woher stammen eigentlich all die Dinge unseres täglichen Lebens? Wer muss dafür wie viel leiden? Können wir das nicht auch anders regeln? Und wenn ja: wie? Wer ist überhaupt »wir«? Darf der Westen denn noch mitreden? Haben »wir« der Welt die Klimakatastrophe nicht erst eingebrockt nach all den Jahrhunderten der grausamen Kolonialisierung, Ausbeuterei und ewigen Naturzerstörung?

Mit Anfang zwanzig, als ich für ein Urlaubssemester in den Flieger nach Quito steige, stelle ich mir diese Fragen noch nicht, sondern mache mich einigermaßen ignorant auf zu meinem Freiwilligendienst.

Ich denke ernsthaft, wenn ich nun schon die Güte besitze und unentgeltlich in Ecuador Englisch unterrichte und hier und da ein bisschen mithelfe, dann müsste ich doch irgendetwas zurückbekommen. Wenigstens kostenlose Busfahrten oder so was. Kinotickets vielleicht? Auf die Idee, dass dieses Land ganz bestimmt nicht auf meine weiße Weltvorstellung und mein bisschen Englischunterricht gewartet hat, auf diese Idee komme ich erst sehr viel später. Und dass Ecuador schließlich zu meinen wichtigsten Lehrer:innen gehören würde, realisiere ich erst jetzt. Besonders der Nebelregenwald hat mir viel beigebracht.

Das Intag-Tal ist eine Überwältigung aus Grün und Getier. Man nähert sich ihm am besten langsam und bedächtig, mit dem gebührenden Respekt. Zum Beispiel mit der klapprigen grün-weißroten Buslinie von Otavalo aus, einer Andenstadt im Norden des Landes. Der Bus quietscht und pfeift vorbei an der Abzweigung zur Vulkan-Lagune Cuicocha und die Berge und Hügel hinunter in immer dichteres Grün hinein, in einen Nebelregenwald voller Flechten und Moose, der immer noch auf gut 2000 Höhenmetern liegt. Die feuchte Wärme und der fruchtbare Boden haben ein triefend-tropfendes Geflecht wachsen lassen, aus Farnen, Lianen und riesigen Bäumen, dazwischen wilde Orchideen, Kolibris, Bergtukane und Brillenbären. Auch Pumas gibt es. Unzählige bedrohte und weltweit einzigartige Tier- und Pflanzenarten leben hier. Der subtropische Nebelregenwald in den Anden zählt zu einem der 36 sogenannten Biodiversitätshotspots der Erde. Manchen gilt er sogar als DER Biodiversitätshotspot überhaupt wegen seiner enormen Vielfalt von Pflanzen, Vögeln, Säugetieren und Amphibien.

Auch Menschen leben in Intag, ungefähr 17 000, verstreut über eine Fläche von knapp 2000 Quadratkilometern, also etwa zweimal so groß wie Berlin. Wenige dieser Menschen sind Indigene, die meisten sind Mestizen, also Nachkommen von spanischen Kolonisator:innen und Indigenen. Auch einige Nachkommen von Sklav:innen leben hier. Fast alle sind Kleinbäuer:innen, oder sie haben kleine Läden und Imbisse. Auf überschaubaren Feldern wachsen – oft durcheinander – Kaffee, Bohnen, Mais, Kakao, Zitrusfrüchte und Maniok, Avocado, Ananas, Papaya, Baumtomaten und vieles mehr. Überall rauscht oder plätschert Wasser. Allein in dem Gebiet, das um das Dorf Junín herum für die Kupfermine konzessioniert ist, liegen die Quellen von 42 Wasserläufen. Der größte Fluss ist der Rio Intag. Weil er so viel Wasser führt, das sich immer weiter durchs Land verzweigt, nennt ihn auch die Regierung einen der wichtigsten Flüsse Ecuadors.

Unter diesem grünen Paradies aber liegt ein großer Schatz verborgen: Kupfer. Außerdem ein bisschen Gold und seltene Erden – unentbehrliche Rohstoffe für die überlebensnotwendige globale Wende weg von fossilen hin zu den erneuerbaren Energien aus Wind, Sonne und Wasserkraft. Vor allem das Kupfer ist hier entscheidend, aber noch ziemlich unterschätzt. In einem E-Auto beispielsweise ist etwa viermal so viel von dem Erz verbaut wie in einem Auto mit Verbrennungsmotor. Eine Offshore-Windturbine braucht bis zu dreißig Tonnen Kupfer, um zu funktionieren, und die Windkrafträder an Land etwa acht Tonnen. Irgendwo muss all dieses Kupfer herkommen. Woher genau, das wissen die Hersteller der Endprodukte in Europa oft selbst nicht, weil die Zwischenlieferer ihre Quellen nicht immer transparent machen (siehe Kapitel 4). Die Lieferketten unserer Computer, Autos und Elektrizität sind so lang und international verflochten wie intransparent. Es ist oft unmöglich, auszuschließen, dass unterwegs Menschen ausgebeutet wurden oder Natur endgültig zerstört wurde. Gleichzeitig steigt der Wert des Kupfers mit der Panik vor der Klimakrise und vor ihren Konsequenzen: Hungersnöte, Kriege, weniger Lebensraum für Mensch und Tier. Paradoxerweise zerstört der Abbau der für die Energiewende nötigen Rohstoffe oft Wälder, Moore, Feuchtgebiete und riesige Ökosysteme, die dem Klima guttäten: In den vergangenen zehn Jahren haben die Ökosysteme an Land rund dreißig Prozent der von Menschen verursachten Treibhausgase wieder absorbiert.5 Sie jetzt für die Energiewende zu zerstören, wäre kontraproduktiv, nicht nur für das Klima, sondern auch für die Pandemien der Zukunft. Je weniger Biodiversität, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass Zoonosen wie – sehr wahrscheinlich – Covid-19 entstehen, Erkrankungen durch Viren, die vom Tier auf den Menschen überspringen und eine globale Katastrophe auslösen können.

Im Intag laufen viele Fäden dieser weltweiten Verflechtungen zusammen. Auch treffen hier die verschiedenen Welt- und Menschenbilder aufeinander, die derzeit global miteinander ringen und über die Zukunft des Planeten entscheiden werden. Die einen sehen den Reichtum vor allem in der Natur über der Erde, die anderen eher in den Rohstoffen unter der Erde. Das Kupfer unter den subtropischen Anden soll besonders wertvoll sein, lassen schon die ersten Untersuchungen aus den 1990er Jahren vermuten. Der größte Bergbaukonzern der Welt, BHP aus Australien, und der größte Kupferkonzern der Welt, Codelco aus Chile, haben sich hier Konzessionen oder den Zugriff auf Konzessionen gesichert, aber noch nichts ausgehoben. Noch sind beide Unternehmen in der Explorationsphase, also in der Phase, in der der Boden untersucht, die Bevölkerung vorbereitet wird und erste Straßen- und Bohrinstallationen gebaut werden. Im Intag gibt es neben den großen Konzernen auch illegalen Kleinbergbau, also Leute, die auf eigene Faust graben. Außerdem existieren eine kleine offizielle Goldmine und ein Bergwerk für Zement, ansonsten Berge und Hügel voll fruchtbarem Grün und einige kaum erforschte Stätten einer präkolumbianischen Kultur. Über allem thront der Vulkan Cotacachi. Die Menschen nennen ihn hier Mama Cotacachi, die Felder außen herum ihre Rockfalten. Es gibt Menschen, die im Bergbau eine wirtschaftliche Entwicklung sehen, eine Möglichkeit, ihre Kinder auf Universitäten zu schicken und vielleicht einmal eine Auslandsreise machen zu können. Und es gibt Menschen, die ihr Leben geben würden, damit im Intag keine weitere Mine aufgerissen wird. Eine statistische Erhebung dazu gibt es nicht. Aber alle Menschen, denen ich in meinen ecuadorianischen Monaten auf ihren Kleinfarmen, auf dem Markt oder beim Trampen begegne, frage ich nach dem Bergbau und der Natur. Und immer, immer sagen sie, die Natur hier ist wunderschön, sie ist mein Leben, meine Heimat. Der Bergbau würde alles zerstören. Manchmal fügen sie ein »Aber ich will ja auch ein gutes Leben« hinzu. Einmal nimmt mich ein Mann mit hinaus aus dem Tal und bis ins nächste Städtchen Cotacachi. In der guten Stunde, die wir im Auto über holprige Straßen und durch den Nebelregenwald, der immer wieder Postkartenansichten über die grünen Bergketten freigibt, fahren, erzählt er mir, wie sehr er die Natur hier liebt, dass sie ihm Ruhe und Frieden gibt. Dass er dreißig Jahre für das Zementwerk hier gearbeitet hat, bis sein Arzt ihm sagte, keinen Tag länger oder seine Lunge falle demnächst zusammen. Seine Gesundheit ist ruiniert, die Natur um die Mine herum zerstört, aber seine Kinder sind auf der Universität, und er hat ein schickes Auto. Für ihn ist das ein fairer Deal.

Im Intag geht es also um nichts weniger als um die Deutungshoheit vom guten Leben und um die Zukunft des Planeten. Lässt die Weltgesellschaft zu, dass einer der letzten Biodiversitätshotspots der Erde für das Kupfer der Energie- und Mobilitätswende zerstört wird? Oder findet sie Alternativen? Was ändert sich, wenn die Natur als Subjekt mit eigenen Rechten anerkannt ist?

Ignorantin im Regenwald: Wo bitte geht’s zur Weltenrettung?

2006 bin ich für den Freiwilligendienst knapp vier Monate im Tal. Ich lebe in einer Gastfamilie in einem Dorf mit zehn Häuschen und ohne fließendes Wasser. Ich unterrichte Englisch in einer Dorfschule mit zwei Räumen und einem Volleyballfeld und bin für die kleine Zeitung Periódico Intag unterwegs. Nirgends im Tal gibt es Internet, nur auf zwei Bergen Handyempfang. Das nächste Telefon ist eine gute halbe Stunde mit dem...

Erscheint lt. Verlag 21.9.2023
Zusatzinfo 18 farbige Abbildungen
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Artensterben • Debattenbuch • Ecuador • Fridays For Future • Grundrechte für die Natur • Grüne Politik • Klimaaktivismus • Klimakatastrophe • Klimakrise • Klimapolitik • Klimawandel • Klimawende • Kupferwald • Landraub • nachhaltige Zukunft • Nachhaltigkeit • Natur als juristische Person • Natur als Rechtsperson • Natur als Rechtssubjekt • naturrechte • Naturschutz • Ökologie • Politisches Sachbuch • Rechte der Natur • Regenwald • Reportage • Sachbuch • Umwelt • Umweltpolitik • Umweltrecht • Umweltschutz • Umweltzerstörung • Wirtschaft
ISBN-10 3-95728-795-2 / 3957287952
ISBN-13 978-3-95728-795-3 / 9783957287953
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