Mit "Greyhound", langen Haaren und fast ohne Geld durch Amerika -  Rainer Schimmel

Mit "Greyhound", langen Haaren und fast ohne Geld durch Amerika (eBook)

Eine abenteuerliche Reise in eine "Neue Welt" im Jahr 1971
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
202 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7568-7269-5 (ISBN)
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Im Sommer 1971 reisten Karsten Schmidt und Rainer Schimmel, gerade mal 18 und 19 Jahre alt, nach Amerika, in das Sehnsuchtsland einer ganzen Generation. Sie waren neugierig und offen für alles und jeden, wussten aber so gut wie nichts über das Land ihrer Träume! Mit alten Luftwaffen-Rucksäcken ausgerüstet, das "See-America-Ticket" von "Greyhound" in der Tasche und mit einer gehörigen Portion Optimismus machten sie sich auf ihre Tour in das damals noch fremde, fast exotische Land jenseits des Atlantiks. In einem Vierteljahr fuhren sie mit dem Bus von New York City nach San Francisco und wieder zurück. Jeder hatte nur knapp fünf Dollar pro Tag in der Tasche, doch zum Glück trafen sie immer wieder freundliche Menschen, die ihnen halfen und sie häufig zu sich einluden. Dabei spielten die Lions-Club-Freunde im ganzen Land eine wichtige Rolle. Morgens wussten sie fast nie, wo sie abends schlafen würden. Sie schliefen auf harten Felsen, in weichen Betten, in Busstationen und in fahrenden Bussen - aber sie waren frei - in diesem Sommer 1971. Sie lernten, sich von "Hamburgern" zu ernähren, aber sie begannen auch, sich selber kennenzulernen und sie wurden erwachsen. Von den vielen Sehenswürdigkeiten und den großartigen Landschaften sahen sie oft nur sehr wenig im Vorbeifahren, doch sie haben auf eine ganz andere Art Amerika kennengelernt, wie man es nur mit der Unbekümmertheit der Jugend erleben kann.

Rainer Schimmel, Jahrgang 1951 aus Uelzen in der Lüneburger Heide

1.
Wie alles begann


Es war wohl im Sommer 1970 in der norddeutschen Kleinstadt Uelzen. Karsten und ich hatten sich, wie fast an jedem Wochenende, auf die sogenannte „Umlaufbahn eingeschossen“. So sagte man damals, wenn man die einschlägigen Lokale der Stadt besuchte, Gleichgesinnte traf und dabei das eine oder andere alkoholische Getränk zu sich nahm – hauptsächlich den so wohlschmeckenden Gerstensaft. Die besagte Runde bestand aus dem „Ben“ in der Rademacherstraße, der „Tenne im Lindenkeller“ Veerßer Straße, Ecke Dieterichsstraße und zum „Kickern“ und „Flippern“ lockte „Nicos Diskothek“ in der Schmiedestraße, die wir ansonsten mieden. Dort ging es uns wohl zu brav und bürgerlich zu, außerdem war der Wirt überhaupt nicht „unsere Kragenweite“.

Es war also mal wieder so ein ganz normaler „Nachtspaziergang“ und wir gingen wie so oft weit nach Mitternacht und ziemlich angeheitert, gemeinsam Richtung „Heimat“. Am Hammersteinplatz mit seinem Kreisverkehr und den gelben Absperrgeländern trennten sich unsere Wege. Wie fast immer verharrten wir hier, um die Neuigkeiten des Abends noch einmal „durchzugehen“. In dieser Nacht nahm das Gespräch jedoch eine überraschende Wendung. Karsten erzählte mir so ganz nebenbei, dass er im nächsten Sommer wieder nach Amerika reisen wolle, um seine Gastfamilie in Buckley, Michigan, zu besuchen. Hier verbrachte er ein Jahr seines Lebens als Austauschschüler. Das hörte sich für mich ganz schön aufregend an und so sagte ich spontan: „Du, da komme ich mit!“ Karsten war damals übrigens der einzige Mensch, den ich kannte, der überhaupt schon mal in den Vereinigten Staaten war.

Ohne das Thema weiter zu vertiefen, verabschiedeten wir uns, und nun musste jeder von uns allein die letzten Meter nach Hause bewältigen.

Am nächsten Mittag, nachdem wir wieder einigermaßen klar im Kopf waren, rief mich Karsten an und fragte, ob ich das mit der Amerikareise wirklich ernst gemeint hätte. Na klar hatte ich das ernst gemeint! Schon in den folgenden Wochen begannen wir mit den ersten Reiseplanungen – besser gesagt, Karsten tat das, da meine Amerika-Kenntnisse fast ausschließlich aus den Erzählungen von Karl May bestanden und selbst er hatte diesen Kontinent nie betreten. Ich wusste also absolut nichts, fand aber die Idee großartig, denn Amerika war damals das Sehnsuchtsland unserer ganzen Generation und alle Hippies zog es nach San Francisco ins sonnige, liberale Kalifornien.

Karsten hatte irgendetwas von einem Greyhound-Busticket gehört, dem sogenannten „See America Ticket“, mit dem man für 99 $ pro Monat so viel Bus fahren konnte, wie man wollte, und schlug vor, nicht nur die Bates-Family zu besuchen, sondern eine Rundreise durch die Vereinigten Staaten zu machen. Als mir Karsten von den Niagara Fällen, dem Grand Canyon und den Keys in Florida vorschwärmte, war ich sofort mit allem einverstanden; gelesen hatte ich in den Abenteuerbüchern allerdings nur mal was von den „Großen Fällen“. Nach seinen Recherchen würden wir für diesen Trip wohl drei Monate brauchen. Das war auf den ersten Blick überhaupt kein Problem, da Karsten dann gerade sein Abitur in der Tasche haben würde und ich im März meine Lehre in Hannover beendet hätte. Doch meine Einberufung zur Bundeswehr im Herbst 1970 stand noch aus. Mit viel List und wenig Essen, dafür reichlichem Alkohol- und Nikotingebrauch vor der Musterung, brach ich dort fast zusammen und wurde wegen „Leistungsfunktionsstörungen“ für ein Jahr zurückgestellt. Dass ich nach dieser Aktion für ein paar Wochen richtig krank war, mich mein Hausarzt aber in keiner Weise bedauerte, nahm ich gern in Kauf, denn nun konnten wir mit den konkreten Vorbereitungen unserer Reise endgültig beginnen.

Schnell stellten wir fest, dass auch ein gewisses Budget für dieses Unterfangen unumgänglich war. Fast 300 $ für das Busticket, ungefähr 1.000 DM für den Hin- und Rückflug nach New York City, und unterwegs würden wir auch noch den einen oder anderen Dollar brauchen. Der Umtauschkurs lag damals noch bei fast 1:4, das hieß, wir brauchten 3,80 DM für einen Dollar, der aber nur der Kaufkraft von vielleicht gut einer DM entsprach. Obwohl wir so gut wie kein Geld besaßen und von unseren Eltern auch keine größeren Summen zu erwarten hatten, konnte auch dieses Problem uns nicht davon abhalten, unseren Plan weiter zu verfolgen. Es standen ja noch unsere Geburtstage und Weihnachten an und wir wollten im Frühjahr noch ein paar Monate „jobben“, um die Reise zu finanzieren.

Karsten betätigte sich bereits während der Schulzeit als Kurierbote bei der Kreissparkasse Uelzen, während ich nach meiner Ausbildung einen Aushilfsjob bei „Prakla-Seismos“ annahm, bei dem ich viel mehr Geld verdiente als im Buchhandel, dafür aber deutlich weniger arbeiten musste. Das Ergebnis stimmte uns zuversichtlich, denn nach dieser Zeit hatte Karsten 4,50 $ und ich stolze 5,00 $ pro Tag für die Reise zusammen, die Flug- und Bustickets waren bereits bezahlt.

Außerdem hatten wir schon seit Monaten begonnen, Adressen zu sammeln, die für uns wichtig werden könnten und auch tatsächlich sehr wichtig wurden. Wir erzählten überall von unseren Plänen und fragten, ob es Bekannte oder Verwandte in den USA gäbe und baten darum, mal anzufragen, ob wir eventuell dort unterschlupfen dürften. Unser Adressbüchlein füllte sich so langsam – inzwischen hatten wir sichere Anlaufstationen u.a. in San Francisco, Detroit, Chicago, Washington D.C. und natürlich in Buckley. Außerdem kam Karstens Vater, der gerade auch mit meinem Vater den Uelzener Lions-Club gegründet hatte und frischgekürter Präsident war, auf die Idee, uns ein Empfehlungsschreiben vom „District Governor“ aus Hannover ausstellen zu lassen, das uns in Notsituationen helfen sollte. Außerdem erhielten wir von dort auch noch ein dickes blaues Buch, in dem alle Lions-Clubs der Welt aufgelistet waren. Es entwickelte sich später zu unserem einzigen „Reiseführer“, denn weitere Informationsliteratur hatten wir nicht dabei, dafür aber immerhin zwei Landkarten der USA, für den Osten und den Westen.

Nun hieß es, die Ausrüstung zusammenzustellen. Außer unseren dicken, voluminösen Steppdecken-Schlafsäcken, einem alten Spirituskocher und unseren Kleidungsstücken fehlte es uns an allem. Wir hatten gehört, dass es bei Karstadt in Lüneburg ein günstiges Zelt im Sonderangebot geben sollte und so trampten wir einfach mal hin. Tatsächlich wurden wir dort fündig und erwarben für unter 100 DM ein geräumiges Zweimann-Zelt – es war zwar preiswert, dafür aber voluminös, sperrig und schwer.

Dass wir die Rückfahrt überlebten, erstaunt uns bis heute. Ein vielleicht Mitte Zwanzigjähriger hielt mit seinem Möchtegern-Sportwagen an und sah die B4 nach Uelzen als seine Rennstrecke und die vor uns fahrenden Fahrzeuge wohl eher als Slalomstangen, denn der Gegenverkehr wurde von ihm nur als eine Herausforderung angesehen. Er redete die ganze Zeit und war stolz, Bewunderer seines Imponiergehabes im Auto sitzen zu haben. So schnell haben wir die 36 km lange Strecke nie wieder zurückgelegt. Schweißgebadet, doch heilfroh überlebt zu haben, entstiegen wir dem Vehikel in Uelzen, bedankten uns bei ihm für die tolle Fahrt und waren glücklich, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Zu seiner Entlastung müssen wir ihm allerdings zugutehalten, dass es damals noch keine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Landstraßen gab und wir rasten alle, was die Autos so hergaben.

Jetzt brauchten wir noch Rucksäcke, aber das nötige Kleingeld dafür war inzwischen aufgebraucht. Ohne große Hoffnung auf Erfolg fragte ich meinen Onkel Kalle, ob er uns irgendwie helfen könnte, und zu unserer großen Überraschung hatte er noch zwei alte Luftwaffen-Rucksäcke aus Kriegstagen im Keller liegen. Wir waren heilfroh, keine weiteren Kosten auf uns nehmen zu müssen und liehen uns die blauen, stark abgenutzten Teile gerne aus. Sie machten auf uns allerdings keinen besonders vertrauenserweckenden Eindruck – doch es passte viel hinein, nur unsere Rücken mussten sich eher der Passform der „Säcke“ anpassen als umgekehrt.

Dafür, dass mir mein Vater seine geliebte Bauer-Normal-8-Schmalfilmkamera fast aufdrängte und darauf bestand, dass ich die fertigen Filme sofort zurückschicken solle, damit er sie vorab begutachten könne, bin ich ihm bis heute dankbar. Ansonsten wäre der legendäre Film über diese Reise nie entstanden und den vielen Erinnerungen hätten die nötigen Bilder gefehlt. Die Schmalfilme musste ich allerdings allein finanzieren, für damalige Verhältnisse fast ein kleines Vermögen, denn eine Spule für nur drei Minuten Film kostete stolze neunzehn Mark. Das kann man sich im heutigen digitalen Zeitalter gar nicht mehr vorstellen.

Hier noch eine kleine Anekdote am Rande. Als ich meiner damaligen Freundin Rose erzählte, dass ich im Sommer mit...

Erscheint lt. Verlag 12.9.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber
ISBN-10 3-7568-7269-6 / 3756872696
ISBN-13 978-3-7568-7269-5 / 9783756872695
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